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Informationen zum Dokument  BGer I 52/2004  Materielle Begründung
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BGer I 52/2004 vom 16.07.2004
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 52/04
 
Urteil vom 16. Juli 2004
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Hadorn
 
Parteien
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________, 1991, Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch ihren Vater
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 2. Dezember 2003)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 14. August 2002 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich die Gewährung medizinischer Massnahmen zur Behandlung eines kongenitalen Psychoorganischen Syndroms (POS) für B.________ (geb. 24. März 1991) sowie eine Verlängerung der bisher übernommenen Psychotherapie ab.
 
B.
 
Die von B.________, vertreten durch ihren Vater, hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 2. Dezember 2003 insoweit gut, als es feststellte, dass weiterhin Anspruch auf Psychotherapie bestehe.
 
C.
 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
 
Während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf Gutheis-sung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt der Vater von B.________ deren Abweisung anbegehren.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat die gesetzlichen Be-stimmungen zum Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG ), zum An-spruch Minderjähriger auf medizinische Eingliederungsmassnahmen im Allgemeinen (Art. 12 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG; alle Vorschriften in den hier anwendbaren, bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassungen) und bei Geburtsgebrechen im Besonderen (Art. 13 Abs. 1 IVG) , namentlich bei angeborenem POS (Ziff. 404 GgV Anhang), sowie die Rechtsprechung zum Anspruch auf medizinische Massnahmen bei einem POS (BGE 122 V 113) richtig dargelegt. Fer-ner trifft zu, dass ATSG und ATSV materiellrechtlich nicht anwendbar sind. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass auch die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 vorliegend nicht zur Anwendung gelangen (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Versicherte Anspruch auf medizini-sche Eingliederungsmassnahmen hat.
 
2.1 Wie die Vorinstanz richtig festgestellt hat, vollendete die Versi-cherte ihr 9. Altersjahr am 24. März 2000. Bis zu diesem Zeitpunkt findet sich in den Akten keine Diagnose eines POS im Sinne von Ziff. 404 GgV Anhang, sondern lediglich eine Verdachtsdiagnose (Berichte von Frau Dr. med. M.________, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie FMH, Zürich, vom 1. September 2002, 23. Juni 2002 und 21. Juli 2000). 1999 konnte das POS gemäss diesen Berichten nicht sicher diagnostiziert werden. Nach konstanter Rechtsprechung genügt aber der Verdacht auf ein POS oder das Vorliegen lediglich einzelner Symptome ebenso wenig wie eine blosse Behandlungsbedürftigkeit, um die Leistungspflicht der Invalidenversicherung gemäss der erwähnten GgV-Ziffer auszulösen (Urteile A. vom 13. Januar 2003, I 362/02, und G. vom 5. September 2001, I 554/00). Demnach können auf Grund dieser Bestimmung keine Leistungen erbracht werden. Daran ändern die Vorbringen der Versicherten in der Vernehmlassung nichts.
 
2.2 Die Vorinstanz sprach die streitige Psychotherapie denn auch nicht gestützt auf Ziff. 404 GgV Anhang, sondern gemäss Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVG zu.
 
2.2.1 Nach der Rechtsprechung können medizinische Massnahmen bei Jugendlichen schon dann überwiegend der Eingliederung dienen und von der Invalidenversicherung übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisier-ter Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung oder die Erwerbsfä-higkeit oder beide beeinträchtigt würden (BGE 105 V 20; AHI 2003 S. 104 f., 2000 S. 64). Umgekehrt kommen medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung auch bei Minderjährigen nicht in Betracht, wenn sich solche Vorkehren gegen Krankheiten richten, welche nach heutiger Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft ohne kontinuierliche Behandlung nicht dauerhaft gebessert werden können. Es darf keine Therapie von unbeschränkter Dauer oder zumindest über eine längere Zeit hinweg in Frage stehen, bei der sich hinsichtlich des damit erreichbaren Erfolges keine zuverlässige Prognose stellen lässt (AHI 2003 S. 106 Erw. 4b; jüngst bestätigt im Urteil H. vom 11. März 2004, 659/03, mit zahlreichen Hinweisen).
 
2.2.2 Aus dem Bericht von Frau Dr. med. M.________ vom 21. Juli 2000 ergibt sich, dass die Versicherte bereits 1997 einen leichten kognitiven Entwicklungsrückstand, eine seriale, visuelle und auditive Merkfähigkeitsschwäche, eine leichte motorische Ungeschicklichkeit, ein teilweise scheues Verhalten sowie eine teilweise Distanzlosigkeit aufwies. 1998 wurde sie wegen Lernschwierigkeiten und Teilleistungsschwächen in eine Sonderklasse eingeschult. Seit 30. Juni 1999 erhält sie Psychotherapie bei Frau Dr. med. M.________. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2000 sprach die IV-Stelle ihr ab 30. Juni 2000 bis einstweilen 30. Juni 2002 Psychotherapie zu. Laut Bericht von Frau Dr. med. M.________ vom 23. Juni 2002 seien die POS-bedingten Schwierigkeiten besserungsfähig. Die Komplexität der die ganze Familie betreffenden Problematik erfordere aber noch eine längere Behandlung. Auch die berufliche Eingliederung werde besondere Unterstützung brauchen. Am 1. September 2002 ergänzte Frau Dr. M.________, die Versicherte benötige eine Behandlung in nicht mehr als 14-tägigem (später seltenerem) Rhythmus über einen Zeitraum von mehreren Jahren, nicht aber eine Dauerbehandlung. Die Prognose sei gut, wenn die dazu notwendige schulische und therapeutische Unterstützung gewährt werde. Ebenfalls benötigt werde eine stabile Betreuungssituation, wofür der jetztige Tagespflegeplatz gute Voraussetzungen biete.
 
2.2.3 Auf Grund dieser Krankengeschichte ist erstellt, dass die Psychotherapie, welche bereits mehrere Jahre andauert, sich noch über einige weitere Jahre erstrecken wird. Dies räumt Frau Dr. med. M.________ ausdrücklich ein. Es handelt sich damit um eine Therapie von zumindest langer, wenn nicht unbeschränkter Dauer. Sie ist nicht geeignet, den Eintritt eines stabilisierten, die Berufsbildung beeinträchtigenden Zustandes zu verhindern. Bei so langer Behandlungszeit kommt der Psychotherapie kein überwiegender Eingliederungscharakter mehr zu (AHI 2003 S. 106 Erw. 4b; erwähntes Urteil H.). Die Prognose wurde von Frau Dr. med. M.________ zudem wohl mehrmals als gut bezeichnet; indessen dauert die Behandlung bis zum Datum der angefochtenen Verfügung, welches die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildet (BGE 121 V 366 Erw. 1b), in unverändertem Umfang an. Daher ist die streitige Psychotherapie nicht mehr von der Invalidenversicherung zu übernehmen, sondern fällt in den Bereich der Krankenversicherung. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in vergleichbaren Fällen von POS mit längerer Behandlungsdauer im selben Sinn entschieden (Urteile B. vom 27. Oktober 2003, I 484/02 und F. vom 14. Oktober 2003, I 298/03).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Dezember 2003 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 16. Juli 2004
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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