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Informationen zum Dokument  BGer 2A.367/2004  Materielle Begründung
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BGer 2A.367/2004 vom 30.06.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2A.367/2004 /leb
 
Urteil vom 30. Juni 2004
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
 
Bundesrichter Hungerbühler, Merkli,
 
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
 
Arthur Andermatt,
 
gegen
 
Justiz- und Polizeidepartement des Kantons
 
St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,
 
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Ausweisung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom
 
18. Mai 2004.
 
Das Bundesgericht stellt fest und zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das Ausländeramt des Kantons St. Gallen wies am 28. November 2003 den aus Tunesien stammenden, hier über eine Niederlassungsbewilligung verfügenden X.________ (geb. 1962) für zehn Jahre aus der Schweiz aus. Das Justiz- und Polizeidepartement und das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigten diesen Entscheid auf Rekurs bzw. Beschwerde hin. X.________ beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Mai 2004 sei aufzuheben und von seiner Ausweisung sei abzusehen.
 
2.
 
2.1 Ein Ausländer kann gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG (SR 142.20) aus der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde und die nach Art. 11 Abs. 3 ANAG bzw. Art. 8 Ziff. 2 EMRK gebotene Interessenabwägung diese Massnahme nicht als unverhältnismässig erscheinen lässt. Dabei sind namentlich die Schwere seines Verschuldens, die Dauer der Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (vgl. Art. 16 Abs. 3 ANAV [SR 142.201]; Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 2. August 2001 i.S. Boultif, Rz. 48, VPB 65/2001 Nr. 138; BGE 125 II 105 ff.).
 
2.2 Das Verwaltungsgericht hat - entgegen den Einwendungen des Beschwerdeführers - diese Rechtsprechung nicht verkannt und in einer sorgfältigen Interessenabwägung, auf die im Übrigen verwiesen werden kann (Art. 36a Abs. 3 OG), zu Recht festgestellt, dass vorliegend ein überwiegendes öffentliches Interesse an der verfügten Ausweisung besteht:
 
2.2.1 Der Beschwerdeführer ist vom Kantonsgericht St. Gallen am 5. September 1997 wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer Zuchthausstrafe von acht Jahren verurteilt worden, nachdem er am 28. August 1994 einem aus dem Kosovo stammenden Nebenbuhler mit einem Küchenmesser tief in den Hals gestochen und ihm weitere Messerstiche und Schnittverletzungen zugefügt hatte. Zwar handelte es sich dabei insofern um ein Beziehungsdelikt, als sich der Beschwerdeführer von seiner Freundin und Jugendliebe, welche sich nach fünfzehnjähriger Beziehung einem anderem Mann zugewandt hatte, nicht zu lösen vermochte, doch traf ihn bei der Tat dennoch ein erhebliches Verschulden, nachdem sein Opfer arglos war, ihm keinerlei Anlass zum Angriff gegeben und er die Messerstiche gegen dessen Hals mit grosser Wucht geführt hatte. Der Beschwerdeführer ist gemäss dem Strafurteil nicht bereit, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen, weshalb eine Therapie unzweckmässig erscheine; gestützt hierauf durfte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass er in einer ähnlich emotional belasteten Situation wiederum gewalttätig reagieren könnte und somit eine gewisse Rückfallgefahr besteht, auch wenn er nicht als "potentiell gefährlich" bezeichnet und auf eine strafrechtliche Landesverweisung verzichtet worden ist. Wie sich aus den verschiedenen in Art. 10 Abs. 1 ANAG genannten, bereits weit unterhalb der Schwelle strafbaren Verhaltens beginnenden Gründen für eine fremdenpolizeiliche Ausweisung ergibt, steht bei dieser primär das Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Vordergrund. Bei der Prognose hinsichtlich eines künftigen Wohlverhaltens dürfen deshalb strengere Massstäbe als bei der auf die Resozialisierungschancen abstellenden strafrechtlichen Landesverweisung angelegt und einer Bewährung in Un- oder Halbfreiheit geringere Bedeutung beigemessen werden (BGE 125 II 105 E. 2c S. 109 f.; 114 Ib 1 E. 3b S. 4/5; Urteil 2A.296/2001 vom 22. Oktober 2001, E. 3c/cc). Dass der Beschwerdeführer im Strafvollzug zu keiner Kritik Anlass gegeben hat, ist ausländerrechtlich damit nicht (allein) ausschlaggebend (BGE 125 II 105 E. 2c S. 109 f.); ebenso wenig vermag eine allfällige vorzeitige bedingte Entlassung wesentlich ins Gewicht zu fallen, bildet diese doch allgemein die Regel (vgl. BGE 124 IV 193 ff.).
 
2.2.2 Zwar befindet sich der Beschwerdeführer seit 1976 in der Schweiz und lebte er bis 1983 im Y.________ in Z.________, wo er seine vietnamesische Freundin kennen lernte, mit der er ein gemeinsames Kind (geb. 1989) hat, welches Schweizer Bürger ist. Dennoch erscheint eine Rückkehr in seine Heimat nicht unzumutbar. Die Beziehung zu seinem Sohn wird von ihm selber als "schwierig" bezeichnet; es ist fraglich, ob und wieweit sie zurzeit überhaupt als intakt und gelebt im Sinne von Art. 8 EMRK gelten kann; so oder anders wird sie auch künftig bestenfalls bloss im Umfang des eingeräumten Besuchsrechts gelebt werden können; dieses kann bei geeigneter Organisation der Modalitäten auch vom Ausland her wahrgenommen werden (vgl. Urteil 2A.563/20002 vom 23. Mai 2003, E. 2.2). Der Beschwerdeführer spricht deutsch, arabisch, englisch und französisch; zudem verfügt er in Tunesien mit den Beziehungen zu seinen Brüdern über familiäre Kontakte, die ihm erlauben werden, sich wieder ein soziales Beziehungsnetz aufzubauen und eine neue Existenz zu begründen. Die dortigen Verhältnisse sind ihm im Übrigen nicht gänzlich unvertraut, hat er doch bereits bis zu seinem 14. Altersjahr in Tunesien gelebt.
 
2.2.3 Soweit der Beschwerdeführer einwendet, er sei nicht freiwillig hierher gekommen, sondern für einen Aufenthalt im Y.________ in die Schweiz geholt worden, weshalb diese nach Treu und Glauben nun gehalten sei, ihm auch in problematischen Zeiten den Aufenthalt zu bewilligen, verkennt er, dass auch für Ausländer, die hier geboren wurden und ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht haben, bei schweren Straftaten der vorliegenden Art eine Ausweisung nicht ausgeschlossen ist (BGE 122 II 433 E. 2 und 3 S. 435 ff.; 125 II 521 E. 2b S. 523, mit Hinweis). Selbst wenn er gestützt auf die spezifischen Umstände seiner Einreise gleich wie ein Ausländer der zweiten Generation zu behandeln wäre, verletzte seine - zeitlich auf zehn Jahre beschränkte (vgl. hierzu das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 22. April 2004 i.S. Radovanovic c. Österreich, Rz. 37) - Ausweisung mit Blick auf die Schwere seiner Straftat kein Bundesrecht. Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang auch vergeblich auf Art. 12 Abs. 4 des UNO-Pakts II (BGE 122 II 433 E. 3c S. 442 ff.). Ob der Beschwerdeführer schliesslich eine IV-Rente bezieht, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, er aber bestreitet, ist irrelevant, da das öffentliche Interesse an seiner Fernhaltung so oder anders sein privates an einem Verbleib in der Schweiz überwiegt.
 
3.
 
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet und kann deshalb ohne Weiterungen im vereinfachten Verfahren nach Art. 36a OG erledigt werden. Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache selber wird das Gesuch um Anordnung vorsorglicher Massnahmen für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens gegenstandslos. Weil die Eingabe gestützt auf das einlässlich begründete Urteil des Verwaltungsgerichts und die publizierte Rechtsprechung zu Art. 10 ANAG zum Vornherein keine ernsthaften Aussichten auf Erfolg hatte, kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nicht entsprochen werden (Art. 152 OG). Der Beschwerdeführer hat deshalb die Kosten für das bundesgerichtliche Verfahren zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und Art. 153a OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 200.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Justiz- und Polizeidepartement und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen sowie dem Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 30. Juni 2004
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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