VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6S.102/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6S.102/2004 vom 03.06.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6S.102/2004 /kra
 
Urteil vom 3. Juni 2004
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Zünd,
 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Rippmann,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau.
 
Gegenstand
 
Widerhandlung gegen das SVG
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 3. Strafkammer,
 
vom 5. Februar 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ wollte am 17. Mai 2002 mit seinem Personenwagen mit Sportgeräteanhänger vom Flugplatz Birrfeld herkommend nach links in die Birrfeldstrasse Richtung Mellingen einbiegen. Auf dieser Strasse nahte der von Mellingen Richtung Hausen fahrende A.________. Zwischen den beiden Verkehrsteilnehmern kam es im Einmündungsbereich zur Kollision. An den Fahrzeugen entstand erheblicher Sachschaden; X.________ und A.________ blieben unverletzt.
 
B.
 
Das Bezirksgericht Brugg verurteilte X.________ am 25. Februar 2003 wegen Missachtung des Vortrittsrechts zu einer Busse von Fr. 150.--.
 
Das Obergericht des Kantons Aargau wies eine dagegen erhobene Berufung am 5. Februar 2004 ab.
 
C.
 
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen. Eine Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft wurde nicht eingeholt.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der Beschwerdeführer beanstandet eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass der Unfallgegner mit weit übersetzter Geschwindigkeit auf die Einmündung zufahren würde. Hätte er erkennen können, dass der Unfallgegner wesentlich schneller als 80 km/h fuhr, was auf eine Distanz von 300 m ohnehin nicht möglich sei, wäre er nicht in die Birrfeldstrasse eingebogen. Der Vorwurf der Vorinstanz, er habe den Unfallgegner trotz ausreichender Zeit nicht wahrgenommen und dadurch seine Vorsichtspflicht verletzt, sei insoweit unberechtigt.
 
Soweit der Beschwerdeführer die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen kritisiert, ist er mit seinen Vorbringen nicht zu hören. Denn damit wendet er sich gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, was im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig ist (vgl. Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). In diesem Umfang ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
 
2.
 
Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer gestützt auf Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 36 Abs. 2 SSV wegen Missachtung des Vortrittsrechts verurteilt.
 
2.1 Das "Kein Vortritt" Signal nach Art. 36 Abs. 2 SSV verpflichtet den Führer, den Fahrzeugen auf der Strasse, der er sich nähert, den Vortritt zu gewähren. Diese Vortrittsregel wird durch Art. 14 Abs. 1 VRV konkretisiert, wonach der Vortrittsbelastete den Vortrittsberechtigten in seiner Fahrt nicht behindern darf und wenn nötig zu halten hat. Eine Behinderung des Berechtigten liegt schon dann vor, wenn dieser gezwungen wird, seine Fahrtrichtung oder seine Geschwindigkeit brüsk zu ändern, gleichgültig, ob eine Kollision erfolgt oder nicht. Das Vortrittsrecht erstreckt sich dabei grundsätzlich auf die ganze Breite der vortrittsberechtigten Strasse und bleibt auch bestehen, wenn sich der Berechtigte pflichtwidrig verhält. Der Vortrittsbelastete muss deshalb darauf achten, sein Einbiegemanöver ohne Behinderung des Vortrittsberechtigten auszuführen (BGE 114 IV 146; 99 IV 173 E. 3a).
 
2.2 Nach dem aus der Grundregel von Art. 26 SVG abgeleiteten Vertrauensprinzip darf jeder Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass sich die andern Strassenbenützer ordnungsgemäss verhalten (BGE 129 IV 39 E. 1). Diese Maxime gilt insbesondere auch im Verhältnis zwischen Vortrittsberechtigten und Wartepflichtigen. Der Berechtigte darf grundsätzlich davon ausgehen, dass der Wartepflichtige sein (Vortritts)-Recht beachtet. Umgekehrt darf auch der Wartepflichtige darauf vertrauen, dass der Berechtigte die Verkehrsregeln einhält. Ein Fahrzeuglenker, der in eine Hauptstrasse einbiegt, muss daher nicht damit rechnen, dass ein Fahrzeug überraschend mit übersetzter Geschwindigkeit auftaucht (BGE 118 IV 277 E. 4b) oder dass ein für ihn bereits sichtbarer Personenwagen seine Geschwindigkeit plötzlich stark erhöht, um sich den Vortritt zu erzwingen (BGE 99 IV 173 E. 3c). Allerdings ist das Vertrauen in das korrekte Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer nicht gerechtfertigt, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass diese sich nicht richtig verhalten (BGE 125 IV 83 E. 2b; 120 IV 252 E. 2d/aa).
 
2.3 Die Vorinstanz hat zur Beurteilung des Sachverhalts die Aussagen des Beschwerdeführers zum Unfallgeschehen herangezogen. Gemäss Polizeirapport vom 12. Juni 2002 sei der Beschwerdeführer zufolge eigenen Angaben im ersten Gang sehr langsam auf die fragliche Einmündung zugefahren und habe nach links und rechts sowie in den Rückspiegel geschaut. Da er nichts habe erkennen können, habe er beim Signal "Kein Vortritt" nicht angehalten, sondern sei langsam in die Birrfeldstrasse hinausgefahren. Als er sich bereits auf der Strasse befunden habe, habe er ein schlingerndes, sich von links näherndes Fahrzeug bemerkt. Auch vor Bezirksgericht habe der Beschwerdeführer bestätigt, beim Hinausfahren auf die Birrfeldstrasse links kein Auto gesehen zu haben.
 
Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz erwogen, dass auch ein Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit durch den vortrittsberechtigten Unfallgegner den Beschwerdeführer vom Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung nicht entlasten könne. Die Sichtdistanz des Beschwerdeführers in Richtung des herannahenden Unfallgegners habe etwa 330 m betragen. Wie schnell der Unfallgegner tatsächlich gefahren sei, lasse sich nicht (mehr) eruieren. Gehe man daher zu Gunsten des Beschwerdeführers von einer Geschwindigkeit von 140 km/h aus, hätte der Unfallgegner die fragliche Distanz in circa 8,5 Sekunden zurückgelegt. Bei dieser Ausgangslage hätte der Beschwerdeführer den Unfallgegner während rund 1,5 Sekunden sehen können, zumal sich die fragliche Kollision vor Abschluss des etwa 7 Sekunden dauernden Einbiegemanövers ereignet habe. Jene Zeitspanne, in welcher der Unfallgegner bei 140 km/h bereits 58 m zurückgelegt habe, hätte genügt, um abschätzen zu können, dass der Unfallgegner viel zu schnell fahre und ein Überqueren der Kreuzung nicht mehr möglich sein würde. Indem der Beschwerdeführer diese Beobachtung nicht gemacht habe, habe er seine Sorgfaltspflicht verletzt und eine gefährliche Situation geschaffen. Er könne sich daher nicht auf das Vertrauensprinzip berufen.
 
2.4 Die Auffassung des Beschwerdeführers, sich auf den Vertrauensgrundsatz berufen zu können, ist grundsätzlich richtig. Denn die Einschränkung, wonach nur der sich regelkonform verhaltende Verkehrsteilnehmer darauf abstellen kann, gilt dort nicht, wo gerade die Frage, ob der Verkehrsteilnehmer eine Verkehrsvorschrift verletzt hat, davon abhängt, ob er sich auf den Vertrauensgrundsatz berufen kann oder nicht. Es wäre zirkelschlüssig, das Vertrauensprinzip in einem solchen Fall nicht anzuwenden mit der Begründung, der Verkehrsteilnehmer habe eine Verkehrsregel verletzt. Dies hängt ja gerade davon ab, ob und inwieweit er sich auf das verkehrsgerechte Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer verlassen darf (BGE 120 IV 252 E. 2d/aa).
 
Die Inanspruchnahme des Vertrauensprinzips nützte dem Beschwerdeführer gemäss der zitierten Rechtsprechung allerdings nur, soweit er die unkorrekte Fahrweise des Unfallgegners nicht erkennen konnte. Die Vorinstanz hat in dieser Hinsicht verbindlich festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht nur den herannahenden Unfallgegner hätte bemerken können, sondern auch den Umstand, dass dieser mit (weit) übersetzter Geschwindigkeit fuhr. Mithin bestanden für den Beschwerdeführer konkrete Anhaltspunkte für das Fehlverhalten des Unfallgegners. Folglich hätte er alles Zumutbare vorkehren müssen, um eine gefährliche Situation zu vermeiden. Insbesondere hätte er aus dem für ihn erkennbar hohen Tempo des Unfallgegners schliessen müssen, dass ein gefahrloses Einbiegen bzw. ein Einbiegen ohne Behinderung des vortrittsberechtigten Unfallgegners nicht (mehr) möglich sein würde. Indem der Beschwerdeführer dieser Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist, hat die Vorinstanz zu Recht eine Verletzung des Vortrittsrechts durch den Beschwerdeführer bejaht. Der vorinstanzliche Schuldspruch verletzt somit kein Bundesrecht.
 
2.5 Die Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 278 Abs. 1 BStP).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 3. Juni 2004
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).