VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 4C.317/2003  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 4C.317/2003 vom 18.03.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4C.317/2003 /lma
 
Urteil vom 18. März 2004
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
 
Gerichtsschreiber Arroyo.
 
Parteien
 
A.________,
 
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Späti,
 
gegen
 
B.________,
 
C.________,
 
Beklagte und Berufungsbeklagte, beide vertreten durch Rechtsanwalt Ruedi Garbauer.
 
Gegenstand
 
Haftung des Motorfahrzeughalters; Genugtuung,
 
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 10. Oktober 2003.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ (Kläger) erlitt als Lenker seines Personenwagens am 24. November 1992 in Schaffhausen einen Verkehrsunfall. Als er vor einem Fussgängerstreifen anhielt, bemerkte dies C.________ (Zweitbeklagte) als Lenkerin des nachfolgenden Personenwagens zu spät und fuhr von hinten gegen sein Fahrzeug. Dadurch erlitt er zwar keine äusserlich sichtbaren Verletzungen, klagte indessen bereits am Unfallort über Schmerzen im Genickbereich und am Kopf. Die Folgen der Kollision führten in Verbindung mit einem bereits vor dem Unfall bestehenden Wirbelsäulenleiden beim Kläger zu einer 100 %-igen Arbeitsunfähigkeit ab 1. Januar 1994.
 
B.
 
Am 10. Januar 1997 stellte der Kläger beim Kantonsgericht Schaffhausen das Begehren, die Zweitbeklagte und ihre Haftpflichtversicherung B.________ (Erstbeklagte), seien solidarisch zur Zahlung von Fr. 485'174.05 nebst Zins zu 5 % seit dem 1. Januar 1994 an ihn zu verpflichten. Mit Urteil vom 28. Dezember 2001 hiess das Gericht die Klage teilweise gut. Es verpflichtete die Beklagten unter solidarischer Haftung, dem Kläger Fr. 2'406.-- Schadenersatz und eine Genugtuung von Fr. 12'500.-- nebst Zins zu je 5 % seit dem 1. Januar 2004 zu bezahlen.
 
Die vom Kläger dagegen erhobene kantonale Berufung wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen am 10. Oktober 2003 ab. Das Gericht entschied gestützt auf ein medizinisches Gutachten, dass die Erwerbsunfähigkeit des Klägers lediglich zu 20 bis 30 % unfallbedingt sei. Es bestätigte aus diesem Grund das erstinstanzliche Urteil, das bei der Schadenersatzberechnung vom Mittelwert von 25 % ausging.
 
C.
 
Der Kläger beantragt mit eidgenössischer Berufung, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und es seien die Beklagten unter solidarischer Haftung zur Bezahlung von Fr. 229'790.-- nebst Zins zu 5 % seit dem 1. Januar 1993 an den Kläger zu verpflichten.
 
D.
 
Die Beklagten schliessen auf Abweisung der Berufung, soweit darauf einzutreten sei.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Mit Berufung kann geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid beruhe auf Verletzung des Bundesrechts mit Einschluss der durch den Bund abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge. Wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist die staatsrechtliche Beschwerde vorbehalten (Art. 43 Abs. 1 OG). Erörterungen über die Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG in fine; BGE 127 III 248 E. 2c). Soweit der Kläger rügt, die Vorinstanz habe in verschiedener Hinsicht kantonales Prozessrecht unrichtig angewendet oder ihn in verfassungsmässigen Rechten verletzt, kann auf die Berufung nicht eingetreten werden.
 
Nicht einzutreten ist insbesondere auf folgende Vorbringen: die Vorinstanz habe den Beweisanträgen des Klägers zur Festlegung seiner unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit nicht stattgegeben und durch die ausschliessliche Berücksichtigung des Gerichtsgutachtens seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt; sie habe seine Ausführungen zu den pathologischen Veränderungen im Bereich der oberen Halswirbelsäule im Privatgutachten zu Unrecht als Novum im Sinne der Schaffhauser Zivilprozessordnung unbeachtet gelassen; sie habe in diesem Zusammenhang die - aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör fliessende - Begründungspflicht verletzt; die Vorinstanz habe seine Behauptungen zum Jahreseinkommen und zu den künftigen Reallohnsteigerungen willkürlich als prozessual verspätet nicht beachtet und ihm damit das rechtliche Gehör verweigert; schliesslich habe sie eine Vorteilsanrechnung vorgenommen, obwohl dies von der Gegenpartei gar nicht verlangt worden sei und habe überdies den Beginn des Zinsenlaufs willkürlich festgelegt.
 
2.
 
Im Berufungsverfahren hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zugrunde zu legen, es sei denn, sie beruhten auf einem offensichtlichen Versehen, seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen oder bedürften der Ergänzung, weil das kantonale Gericht in fehlerhafter Rechtsanwendung einen gesetzlichen Tatbestand nicht oder nicht hinreichend klärte, obgleich ihm die entscheidwesentlichen Behauptungen und Beweisanträge frist- und formgerecht unterbreitet wurden (Art. 63 und 64 OG; BGE 127 III 248 E. 2c). Eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung des Sachrichters ist im Berufungsverfahren ausgeschlossen (BGE 127 III 73 E. 6a).
 
2.1 Der Kläger rügt, die Vorinstanz habe die bundesrechtliche Beweisvorschrift von Art. 8 ZGB verletzt. Diese Bestimmung regelt im Bereich des Bundesprivatrechts zunächst die Verteilung der Beweislast und verleiht darüber hinaus der beweisbelasteten Partei das Recht, zum ihr obliegenden Beweis zugelassen zu werden. Art. 8 ZGB schreibt dem Sachgericht dagegen nicht vor, mit welchen Mitteln der Sachverhalt abzuklären ist oder wie die Beweise zu würdigen sind. Die Schlüsse, die das kantonale Gericht in tatsächlicher Hinsicht aus Beweisen und konkreten Umständen zieht, sind im Berufungsverfahren nicht überprüfbar (BGE 122 III 219 E. 3c).
 
Der Kläger beanstandet unter Berufung auf mehrere Privatgutachten den Schluss der Vorinstanz, dass seine Erwerbsunfähigkeit zu 25 % unfallbedingt sei. Er bringt vor, seine Erwerbsunfähigkeit sei zu 60 % auf den Unfall zurückzuführen. Damit kritisiert er den Schluss, den die Vorinstanz in Würdigung der Beweise - namentlich aufgrund des Gerichtsgutachtens - gezogen hat. Er ist damit nicht zu hören. Inwiefern in diesem Zusammenhang bundesrechtlich relevant sein sollte, dass der Gerichtsgutachter nicht schon im Hauptbericht, sondern erst im Ergänzungsbericht die angeblich fehlenden traumatischen Verletzungen feststellte, ist nicht ersichtlich.
 
Auch hinsichtlich der Schluckbeschwerden hat die Vorinstanz eingehend dargelegt, weshalb sie sich den Folgerungen des Gerichtsgutachters anschliesst und in Würdigung der Beweise für das Bundesgericht verbindliche Feststellungen getroffen hat. Art. 8 ZGB wird damit gegenstandslos.
 
Weiter rügt der Kläger, die Vorinstanz stütze ihre Ausführungen zum Ausmass des krankheitsbedingten Vorzustands der Wirbelsäule im Zeitpunkt des Unfalls einzig auf das Gerichtsgutachten. Sein Privatgutachten und sein Beweisergänzungsantrag betreffend die Verknöcherungsneigung seien unberücksichtigt geblieben. Der Kläger übersieht, dass die Vorinstanz zu einem Beweisergebnis gelangt ist und nicht auf Beweislosigkeit geschlossen hat, womit Art. 8 ZGB entgegen seiner Auffassung nicht verletzt ist (BGE 114 II 289 E. 2a).
 
2.2 Der Kläger beanstandet, die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass die als Klagebeilage Nr. 7 eingereichte Gehaltsabrechnung vom 20. November 1992 einen höheren Lohn ausweist. Sie habe somit aktenwidrig geurteilt. Soweit der Kläger damit nicht die Anwendung kantonalen Prozessrechts (unzulässigerweise) beanstanden und sinngemäss ein offensichtliches Versehen rügen will, verkennt er die Tragweite dieser Rüge. Ein offensichtliches Versehen gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. d OG liegt nur vor, wenn die Vorinstanz eine bestimmte Aktenstelle übersehen oder unrichtig wahrgenommen hat (BGE 104 II 108 E. 3a). Dass dies hier der Fall sei, behauptet der Kläger zu Recht nicht. Was er vorbringt, ist wiederum unzulässige Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
 
3.
 
3.1 Nach Ansicht des Klägers verstösst das angefochtene Urteil gegen Art. 42 OR. Gemäss Art. 42 Abs. 1 OR hat die Schadenersatz beanspruchende Partei den Schaden zu beweisen, d.h. die Schadenersatzforderung zu substanziieren (BGE 127 III 365 E. 2b). Art. 42 Abs. 2 OR enthält eine bundesrechtliche Beweisvorschrift, die dem Geschädigten den Schadensnachweis erleichtern soll. Die Bestimmung räumt dem Sachgericht bei Unmöglichkeit des ziffernmässigen Nachweises der Schadenshöhe einen erweiterten Ermessensspielraum ein, indem sie ihm gestattet, den Schaden aufgrund einer blossen Schätzung als ausgewiesen zu erachten. Damit soll jedoch dem Geschädigten entgegen dem, was der Kläger anzunehmen scheint, nicht die Möglichkeit eröffnet werden, ohne nähere Angaben Schadenersatzforderungen in beliebiger Höhe zu stellen. Art. 42 Abs. 2 OR zielt lediglich auf eine Beweiserleichterung und nicht etwa darauf, dem Geschädigten die Beweislast generell abzunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Geschädigte deshalb alle Umstände, die für den Eintritt eines Schadens sprechen und dessen Abschätzung erlauben oder erleichtern, soweit möglich und zumutbar zu behaupten und zu beweisen (BGE 122 III 219 E. 3a mit Hinweisen). Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger die künftige Reallohnsteigerung nicht einmal behauptet. Es liegt daher keine Verletzung von Bundesrecht vor.
 
3.2 Der Kläger unterschätzt in diesem Zusammenhang auch die Bindung des Bundesgerichts an tatsächliche Feststellungen der letzten kantonalen Instanz (Art. 63 Abs. 2 OG). Bestand und Höhe des Schadens sind Tatfragen, über die das kantonale Sachgericht grundsätzlich abschliessend befindet. Das Bundesgericht kann auf Berufung hin bloss prüfen, ob die Vorinstanz den Rechtsbegriff des Schadens verkannt oder gegen Rechtsgrundsätze der Schadensberechnung verstossen hat. Entsprechendes gilt auch im Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 2 OR. Die ermessensweise Schadensschätzung gehört zur Feststellung des Sachverhalts und bleibt damit der Überprüfung im Berufungsverfahren grundsätzlich entzogen (BGE 122 III 219 E. 3b).
 
3.3 Der Kläger verkennt schliesslich, dass nach der Rechtsprechung mit dem Taggeld die aus der Arbeitsunfähigkeit resultierende Erwerbseinbusse kompensiert wird (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 51/03 vom 29. Oktober 2003 E. 3.3, AJP 2004 189 f.; BGE 114 V 281 E. 3b/c). Das versicherte Ereignis, das zur Erwerbseinbusse zufolge Arbeitsunfähigkeit führt, kann eine Krankheit oder ein Unfall sein (vgl. die Besprechung von G. Riemer-Kafka in SZS 2004 S. 79 f.). Das Argument des Klägers, seine Taggeldversicherung habe lediglich die Krankheits-, nicht aber die Unfallfolgen gedeckt, sticht daher ins Leere. Entscheidend ist allein, dass er für erlittenen Erwerbsausfall Ausgleichsleistungen erhielt, welche in die Schadensbemessung einzubeziehen sind.
 
4.
 
Die Berufung ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang ist die Gerichtsgebühr dem Kläger zu auferlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat den anwaltlich vertretenen Beklagten überdies die Parteikosten für das bundesgerichtliche Verfahren zu ersetzen (Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
 
3.
 
Der Kläger hat die Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. März 2004
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).