VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 4P.239/2003  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 4P.239/2003 vom 26.02.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.239/2003 /lma
 
Urteil vom 26. Februar 2004
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Nyffeler,
 
Gerichtsschreiber Mazan.
 
Parteien
 
A.________ AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Erne,
 
gegen
 
B.________ AG,
 
Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Margareta Egli,
 
Obergericht des Kantons Zug, Zivilrechtliche Abteilung, Aabachstrasse 3, 6301 Zug.
 
Gegenstand
 
Art. 9 und 29 BV (Willkürliche Beweiswürdigung; rechtliches Gehör),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, Zivilrechtliche Abtei-
 
lung, vom 7. Oktober 2003.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
In einem Schreiben vom 22. Juni 2001 verpflichtete sich die A.________ AG (Beschwerdeführerin), der B.________ AG (Beschwerdegegnerin) u.a. Fr. 250'000.-- zu bezahlen. Gestützt auf dieses Schreiben erteilte der Rechtsöffnungsrichter des Kantons Zug der Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 9. Oktober 2001 in der Betreibung Nr. 3034/2001 des Betreibungsamtes Zug provisorische Rechtsöffnung für Fr. 250'000.-- zuzüglich Zins zu 5 % seit 29. Juli 2001.
 
B.
 
Am 5. November 2001 erhob die Beschwerdeführerin beim Kantonsgericht eine Aberkennungsklage und beantragte im Wesentlichen, es sei festzustellen, dass sie die im Rechtsöffnungsverfahren geltend gemachte Forderung nicht schulde, und es sei die Verfügung des Rechtsöffnungsrichters vom 9. Oktober 2001 aufzuheben. Mit Urteil vom 28. November 2002 wies das Kantonsgericht die Aberkennungsklage ab. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung ans Obergericht des Kantons Zug. Mit Urteil vom 7. Oktober 2003 wies das Obergericht des Kantons Zug die Berufung ab und bestätigte das angefochtene Urteil.
 
C.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. November 2003 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht im Wesentlichen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zug sei aufzuheben.
 
Sowohl die Beschwerdegegnerin als auch das Obergericht des Kanton Zug beantragen die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
 
D.
 
In der gleichen Sache gelangt die Beschwerdeführerin auch mit Berufung ans Bundesgericht.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Erhebt eine Partei gleichzeitig staatsrechtliche Beschwerde und Berufung, so ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche Beschwerde zu befinden, und der Entscheid über die Berufung wird ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu verfahren.
 
2.
 
Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht des Kantons Zug zunächst aktenwidrige tatsächliche Annahmen und willkürliche Rechtsanwendung bei der Beurteilung der Vollmacht der Vertreterin der Beschwerdegegnerin vor.
 
2.1 Zur Frage, ob die Vertreterin der Beschwerdegegnerin auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihre Klientin zur Vertretung der Beschwerdegegnerin berechtigt war, hat das Obergericht im Wesentlichen ausgeführt, der Insolvenzverwalter habe der Rechtsvertreterin der Beschwerdegegnerin am 11. Februar 2003 mitgeteilt, er habe X.________ - den Vorstand der Beschwerdegegnerin - bevollmächtigt, den Rechtsstreit weiterzuführen. Die von der Beklagten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilte Vollmacht an die Rechtsvertreterin der Beschwerdegegnerin sei damit bekräftigt worden. Der Einwand der Beschwerdeführerin, es liege keine Vollmacht vor, sei unzutreffend.
 
2.2 Die von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Verfassungsrügen sind unbegründet. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Beschwerdegegnerin am 19. April 2002 war die Vertreterin der Beschwerdegegnerin zur Prozessführung unbestritten bevollmächtigt. Am 11. Februar 2003 wurde der Vertreterin mitgeteilt, der Insolvenzverwalter bevollmächtige X.________, den vorliegenden Rechtsstreit weiterzuführen. Unter Berücksichtigung dieses Schreibens scheint auch die Beschwerdeführerin von der Annahme auszugehen, dass die Vertreterin der Beschwerdegegnerin auf jeden Fall seit dem 11. Februar 2003 wieder zur Prozessführung bevollmächtigt sei. Wenn aber die Bevollmächtigung durch den Insolvenzverwalter bzw. dessen Stellvertreter die Vertreterin der Begegnerin berechtigt, den Rechtsstreit "weiterzuführen", dann ist darin auch eine Genehmigung der bisherigen Prozesshandlungen, die nach der Insolvenzerklärung und vor der erneuten Bevollmächtigung der Vertreterin der Beschwerdegegnerin vorgenommen wurden, zu erblicken. Von einer willkürlichen Anwendung von kantonalem Prozessrecht kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Im Übrigen kann auch der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden, das Obergericht habe § 32 ZPO/ZG willkürlich angewendet, weil gemäss dieser Bestimmung eine allgemeine Prozessvollmacht nicht die Befugnis zur Übertragung der Vollmacht auf einen anderen gebe. Diesbezüglich scheint die Beschwerdeführerin zu übersehen, dass es sich bei der Vollmacht, die der deutsche Insolvenzverwalter dem deutschen Vorstand der Beschwerdegegnerin erteilt hat, nicht um eine allgemeine Prozessvollmacht im Sinn von § 32 ZPO/ZG handelt. Dass diese Vollmacht nicht die Befugnis zum Beizug einer rechtskundigen Vertretung im Hinblick auf die Führung eines Prozesses in der Schweiz umfassen soll, wird auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet.
 
2.3 Wenn das Obergericht ohne Willkür von einer Bevollmächtigung der Vertreterin der Beschwerdegegnerin ausgehen durfte, erweist sich ohne weiteres auch die Rüge als unbegründet, die Klageschrift sei entgegen den Vorschriften über die rechtshilfeweise Zustellung nicht auf dem Rechtshilfeweg dem zuständigen Insolvenzverwalter, sondern der im damaligen Zeitpunkt nicht bevollmächtigten Vertreterin der Beschwerdegegnerin zugestellt worden.
 
3.
 
Weiter wirft die Beschwerdeführerin dem Obergericht im Zusammenhang mit der Beurteilung des Hintergrundes der Verpflichtung zur Zahlung von Fr. 250'000.-- in verschiedener Hinsicht eine Verfassungsverletzung vor.
 
3.1 Im kantonalen Verfahren war umstritten, ob das im Rechtsöffnungstitel - dem Schreiben vom 22. Juni 2001 - verankerte Versprechen der Beschwerdeführerin, der Beschwerdegegnerin Fr. 250'000.-- zu bezahlen, sittenwidrig und damit nichtig sei, weil damit ausschliesslich die Bereitschaft der Beschwerdegegnerin, eine missbräuchliche Einsprache gegen eine geplante Kapitalerhöhung der Beschwerdeführerin zurückzuziehen, abgegolten werden sollte. Das Obergericht hat diese Frage verneint und ausgeführt, dass mit der Bezahlung nicht einfach der Rückzug einer missbräuchlichen Einsprache abgegolten werden sollte, sondern dass die Summe an sog. "Carrier-Dienstleistungen" anzurechnen sei.
 
3.2 Zur Begründung ihrer Auffassung, die umstrittene Zahlung sei nicht ausschliesslich zur Abgeltung des Rückzugs einer möglicherweise missbräuchlichen Einsprache versprochen worden, sondern stehe auch im Zusammenhang mit Carrier-Dienstleistungen, die der Beschwerdegegnerin geschuldet seien, wird insbesondere auf den Wortlaut im Rechtsöffnungstitel verwiesen. Dort verspricht die Beschwerdeführerin u.a.:
 
1. Die [Beschwerdegegnerin] erhält im Umfange von CHF 250'000.-- [...] an Stelle von Carrier-Dienstleistungen der D.________ GmbH [...] gemäss Ziff. 3.5 des Vertrages vom 7. Dezember 2000 eine Bargeldleistung ..."
 
Der erwähnte Vertrag vom 7. Dezember 2000, welcher zwischen der C.________ AG und der Beschwerdegegnerin - sowie weiteren hier nicht interessierenden Beteiligten - abgeschlossen wurde, sieht in Ziff. 3.5 folgendes vor:
 
"3.5. Die [Beschwerdegegnerin] sowie die Herren [...] beziehen durch die Firma E.________ von der D.________ GmbH [...] Carrier Dienstleistungen im Wert von CHF [...] und bezahlen diese Dienstleistungen mit Aktien der [Beschwerdeführerin], wobei pro Aktie ein Verrechnungswert von CHF [...] zu berücksichtigen ist."
 
Das Obergericht hat unangefochten festgehalten, dass die von der D.________ GmbH zu erbringenden Carrier-Dienstleistungen (Telefondienstleistungen) aus einem Vertrag resultierten, welcher u.a. von der C.________ AG mit der Beschwerdegegnerin abgeschlossen worden sei. Ferner steht auch fest, dass die D.________ GmbH, welche die Dienstleistungen zu erbringen hatte, eine Tochtergesellschaft der C.________ AG ist. Weiter ist davon auszugehen, dass die C.________ AG Aktionärin der Beschwerdeführerin ist, wobei die enge Verbindung der genannten Gesellschaften auch dadurch unterstrichen wird, dass Y.________ für beide Gesellschaften einzelzeichnungsberechtigt ist. Schliesslich steht fest, dass Y.________ anlässlich der Parteibefragung vor Kantonsgericht ausgesagt hatte:
 
"Die C.________ AG war nur Mittelpartei. Sie hat die Geschäfte an die Tochtergesellschaft A.________ AG weitergegeben. Letztere hatte die Verpflichtung, die Telefonleistungen zu erbringen [...] Wahrscheinlich wollten wir, dass diese Zahlung auch angerechnet würde, wenn wir schon zahlten".
 
Das Obergericht durfte unter diesen Umständen ohne Willkür folgern, dass die Zahlung von Fr. 250'000.-- nicht ausschliesslich im Hinblick auf den Rückzug einer allenfalls missbräuchlichen Einsprache versprochen wurde, sondern dass die genannte Summe an die Carrier-Dienstleistungen anzurechnen war. Wenn Y.________ in seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin deponierte, diese sei für die C.________ AG verpflichtet gewesen, die Telefonleistungen zu erbringen, ist die Annahme des Obergerichtes keineswegs krass falsch und damit willkürlich, dass die Zahlung von Fr. 250'000.-- auch im Zusammenhang mit der Abgeltung von Carrier-Dienstleistungen stand. Auch wenn die C.________ AG - und nicht die Beschwerdeführerin - gegenüber der Beschwerdegegnerin Schuldnerin in Bezug auf die Erbringung der Telefon-Dienstleistungen gewesen sein dürfte, hatte die Beschwerdeführerin ein Interesse an der Abgeltung allenfalls nicht erbrachter Dienstleistungen, zumal die Beschwerdeführerin gemäss den Depositionen von Y.________ die interne Verpflichtung hatte, die Telefonleistungen zu erbringen. Inwieweit das Schreiben der Beschwerdegegnerin an die C.________ AG vom 2. Mai 2001 mit den erwähnten tatsächlichen Annahmen in Widerspruch stehen sollte, ist nicht ersichtlich. Auch die Beschwerdegegnerin geht in diesem Schreiben nämlich mit aller Deutlichkeit davon aus, dass die Carrier-Dienstleistungen von der Beschwerdeführerin hätten erbracht werden sollen, was die Annahme des Obergerichtes bestätigt, dass die versprochene Zahlung von Fr. 250'000.-- nicht nur mit dem Rückzug der Einsprache, sondern auch mit nicht erbrachten Telefondienstleistungen in Zusammenhang stehe. Offensichtlich unbegründet ist die Beschwerde schliesslich insofern, als die Annahme des Obergerichtes, bei der Beschwerdeführerin handle es sich um eine Tochtergesellschaft der C.________ AG, als willkürlich gerügt wird. Wenn Y.________ in seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat der beteiligten Firmen in einem Prozess, der die A.________ AG betrifft, ausführt, die C.________ AG habe "die Geschäfte an die Tochtergesellschaft A.________ AG weitergegeben", durfte das Obergericht ohne weiteres davon ausgehen, bei der "Tochtergesellschaft A.________ AG" handle es sich um die Beschwerdeführerin und nicht um eine Tochtergesellschaft der Beschwerdeführerin, wie diese behauptet.
 
3.3 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die tatsächliche Annahme des Obergerichtes nicht willkürlich ist, dass mit dem Versprechen, Fr. 250'000.-- zu bezahlen, nicht einfach der Rückzug der Einsprache abgegolten werden sollte, sondern dass diese Summe an die Carrier-Dienstleistungen anzurechnen sei.
 
4.
 
Schliesslich wirft die Beschwerdeführerin dem Obergericht in verschiedener Hinsicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Eine Gehörsverletzung liegt nur vor, wenn auf entscheidrelevante Vorbringen nicht eingegangen wird (BGE 120 Ib 379 E. 3b S. 383 m.w.H.). Soweit eine Gehörsverletzung darin erblickt wird, dass nicht auf das Schreiben der Beschwerdegegnerin an die Beschwerdeführerin (recte: die C.________ AG) vom 2. Mai 2001 eingegangen wurde, ist angesichts der klaren Aktenlage und insbesondere der erwähnten Aussagen von Y.________ nicht zu sehen, inwiefern das Schreiben vom 2. Mai 2001 entscheidrelevant sein sollte. Im Übrigen wurde bereits ausgeführt, dass die Annahmen des Obergerichtes nicht in Widerspruch zu den erwähnten Schreiben stehen. Inwieweit das Urteil (recte: die Verfügung) des Handelsgerichtes für die hier interessierende Frage, welchen Hintergrund das Zahlungsversprechen von Fr. 250'000.-- hatte, entscheidrelevant sein soll, ist nicht ersichtlich. Schliesslich ist auf die Rüge der Gehörsverletzung insoweit nicht einzutreten, als dem Obergericht vorgeworfen wird, sich nicht mit den Umständen auseinander gesetzt zu haben, die zur Vereinbarung vom 22. Juni 2003 geführt hätten. Um welche Umstände es sich dabei handeln soll, wird in der Beschwerde nicht ausgeführt (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
 
5.
 
Aus diesen Gründen ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, Zivilrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 26. Februar 2004
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).