VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer I 75/2003  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer I 75/2003 vom 06.02.2004
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 75/03
 
Urteil vom 6. Februar 2004
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin Polla
 
Parteien
 
M.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokatin Barbara Pauen Borer, Falknerstrasse 3, 4001 Basel,
 
gegen
 
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel
 
(Entscheid vom 2. Dezember 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1959 geborene M.________ war von August 1989 bis Juni 1998 als Bauarbeiter/Gerüster bei der G.________ AG in X.________ tätig. Am 14. April 1999 meldete er sich unter Hinweis auf seit 1996 bestehende Schulter- und Rückenschmerzen zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Mangels rentenbegründender Invalidität lehnte die IV-Stelle Basel-Stadt das Leistungsbegehren ab (Verfügung vom 12. Januar 2000). Am 14. November 2000 meldete sich der Versicherte erneut zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 27. Februar 2002 sprach ihm die IV-Stelle Basel-Stadt mit Wirkung ab 1. April 2001 eine ganze Rente (nebst Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten) zu.
 
B.
 
In Gutheissung der hiegegen geführten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt die Verfügung vom 27. Februar 2002 hinsichtlich des Zeitpunktes des Rentenbeginns auf und verpflichtete die IV-Stelle, die Renten ab 1. Februar 2001 zu entrichten (Entscheid vom 2. Dezember 2002).
 
C.
 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren, in Abänderung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm mit Wirkung ab 1. Oktober 2000 eine halbe Rente und mit Wirkung ab 1. Januar 2001 eine ganze Rente (jeweils mit Zusatzrente für die Ehefrau und Kinderrenten) zuzusprechen. Weiter wird um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht.
 
Während das kantonale Gericht den Anspruch auf eine ganze Rente ab 1. November 2000 für ausgewiesen hält, schliesst die IV-Stelle auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde durch Zusprechung einer halben Rente ab Oktober 2000 und eines ganzen Betreffnisses ab Januar 2001. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 27. Februar 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.
 
2.
 
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Anspruchs auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) richtig wiedergegeben. Die IV-Stelle hat sodann zutreffend dargelegt, dass die Ermittlung des Invaliditätsgrades von Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 128 V 30 Erw.1, 104 V 136 Erw. 2a und b) zu erfolgen hat. Darauf wird verwiesen.
 
2.2 Der Rentenanspruch nach Art. 28 IVG entsteht gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG frühestens in dem Zeitpunkt, in dem die versicherte Person während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig gewesen ist. Die einjährige Wartezeit gilt in dem Zeitpunkt als eröffnet, ab welchem eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20 % vorliegt (AHI 1998 S. 124 Erw. 3c). Die Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG bezieht sich auf den bisherigen Beruf, und die Wartezeit ist erfüllt, wenn die versicherte Person in diesem Beruf während eines Jahres im erforderlichen Ausmass arbeitsunfähig war. Nicht vorausgesetzt ist dagegen, dass während dieser Zeit auch bereits die für den Rentenanspruch erforderliche Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Damit eine Rente zugesprochen werden kann, müssen sowohl die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit während eines Jahres als auch die nach Ablauf der Wartezeit bestehende Erwerbsunfähigkeit die für die betreffende Rentenabstufung erforderliche Mindesthöhe erreichen (BGE 121 V 274 Erw. 6b/cc).
 
3.
 
Unbestrittenermassen haben sich der Gesundheitszustand und dessen erwerbliche Auswirkungen seit der das Leistungsbegehren ablehnenden Verfügung vom 12. Januar 2000 bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung vom 27. Februar 2002 in einem anspruchserheblichen Ausmass geändert (BGE 117 V 198 Erw. 3a mit Hinweis; AHI 1999 S. 84 Erw. 1b). Streitig und zu prüfen ist der Rentenbeginn.
 
3.1 Die Vorinstanz ging von einer sich aufgrund der psychischen Leiden seit August 1999 um jeweils 10 % steigernden Arbeitsunfähigkeit aus, wobei der die Wartezeit auslösende Umfang von 20 % im Oktober 1999 bestanden habe. Dabei stützte sie sich auf das Gutachten des Psychiaters Dr. med. F.________ vom 26. Oktober 2001, welcher gegenüber seiner letzten Begutachtung vom 10. August 1999 eine dramatische Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes feststellte. Er erhob den Befund einer rezidivierenden depressiven Störung mittelschweren bis schweren Ausmasses mit somatischem Syndrom und fraglich psychotischen Symptomen (ICD-10 F33.2) sowie einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4). Die Arbeitsunfähigkeit schätzte er für jegliche Tätigkeit auf mindestens 80 %, wobei sich der Zustand sukzessive verschlechtert habe und im geschätzten Ausmass etwa seit einem Jahr bestehe.
 
3.2 Bei diesem Vorgehen verkennt das kantonale Gericht, dass für das Bestehen der Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG einzig die Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf relevant ist (Erw. 2.2 hievor; zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil A. vom 6. Januar 2004, I 383/03, Urteil G. vom 8. April 2002, I 305/00). Gestützt auf das Gutachten der rheumatologischen Klinik am Spital P.________ vom 26. März 1999, gemäss welchem im angestammten Beruf als Gerüstbauer eine vollständige Arbeitsunfähigkeit besteht, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bereits aufgrund der somatischen Leiden im bisherigen Beruf ab 26. März 1999 zu 100 % arbeitsunfähig war, welcher Grad sich auch im laufenden Jahr gemäss Aktenlage nicht mehr verbessert hat. Somit begann die Wartezeit im März 1999 zu laufen. Der Beschwerdeführer erreichte in der Folge nach Lage der Akten nie mehr eine volle Arbeitsfähigkeit von wenigstens 30 Tagen Dauer, welche zur Unterbrechung der Wartezeit geführt hätte (Art. 29ter IVV).
 
Bezüglich der psychischen Leiden ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz unter Berücksichtigung des sich laut Dr. med. F.________ ab August 1999 sukzessive verschlechternden psychischen Gesundheitszustands von einer 70%igen Arbeitsunfähigkeit im März 2000 ausgeht, wobei - gemäss gutachterlicher Einschätzung - die Arbeitsunfähigkeit für jegliche Tätigkeit besteht. Damit hätte der Versicherte auch in Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit kein Einkommen erzielen können, welches einen Drittel des im Gesundheitsfall erreichbaren Verdienstes überstiegen hätte. Die für den Anspruch auf eine ganze Rente erforderliche Erwerbsunfähigkeit von 66 2/3 % ist daher bei Ablauf des Wartejahres (März 2000) gegeben. Da das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen kann (Art. 132 lit. c OG; Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bern 1992, N 3 zu Art. 136 OG), ist dem Beschwerdeführer für die Zeit ab 1. März 2000 eine ganze Rente auszurichten (Art. 29 Abs. 2 IVG).
 
4.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des Prozesses entsprechend steht dem obsiegenden Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, einschliesslich der unentgeltlichen Verbeiständung, ist damit gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 2. Dezember 2002 und die Verfügung der IV-Stelle Basel-Stadt vom 27. Februar 2002 dahin abgeändert, dass der Rentenbeginn auf den 1. März 2000 festgesetzt wird.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 6. Februar 2004
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).