VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 4C.349/2002  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 4C.349/2002 vom 25.06.2003
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4C.349/2002 /rnd
 
Urteil vom 25. Juni 2003
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Klett, Ersatzrichter Geiser,
 
Gerichtsschreiber Huguenin.
 
Parteien
 
X.________ AG,
 
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Mühlestein, Riesbachstrasse 52, 8008 Zürich,
 
gegen
 
A.________,
 
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwältin Christine Kessi, Postfach, 8034 Zürich.
 
Gegenstand
 
Arbeitsvertrag; fristlose Kündigung,
 
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 24. September 2002.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ war bei der X.________ AG als "Logistic Engineer" angestellt. Am 17. August 1999 wurde er fristlos entlassen mit der Begründung, er habe innert 24 Arbeitstagen während 49,75 Stunden pornographische Darstellungen aus dem Internet abgerufen, wobei es sich um Sex-Szenen mit Kindern und Tieren sowie homosexuelle Praktiken gehandelt habe. Der Arbeitnehmer bestritt diese Vorwürfe und bot der Arbeitgeberin seine Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist an. Die Arbeitgeberin beharrte auf der Rechtmässigkeit der fristlosen Entlassung. Am 1. November 1999 konnte der Arbeitnehmer eine neue Arbeitsstelle antreten.
 
B.
 
Am 20. Januar 2000 reichte A.________ beim Arbeitsgericht Zürich Klage gegen die X.________ AG ein. Der Kläger forderte Ersatz für den Lohn während der Zeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Oktober 1999 in der Höhe von Fr. 27'111.-- sowie eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter fristloser Entlassung in der Höhe eines Monatslohnes von Fr. 6'300.--.
 
Mit Urteil vom 19. Dezember 2001 verpflichtete das Arbeitsgericht Zürich die Beklagte in teilweiser Gutheissung der Klage zur Zahlung von Fr. 25'368.95 netto nebst 5 % Zins seit 20. Januar 2000. Das Obergericht des Kantons Zürich wies eine dagegen erhobene Berufung der Beklagten mit Urteil vom 24. September 2002 ab. Die gegen dieses Urteil eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten wurde vom Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 11. Februar 2003 abgewiesen, soweit es auf sie eintrat.
 
C.
 
Mit Berufung beantragt die Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 24. September 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
 
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit auf sie einzutreten sei.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der Beurteilung des Obergerichts liegt die Auffassung zu Grunde, dass eine private Internetnutzung während der Arbeitszeit in dem von der Beklagten behaupteten Ausmass eine fristlose Entlassung rechtfertigen würde. Das Obergericht ist jedoch zum Ergebnis gelangt, es sei der Beklagten nicht gelungen nachzuweisen, dass es der Kläger gewesen sei, der während den angegebenen Zeitperioden das Internet in der behaupteten Weise benützt habe. Zum einen habe der Kläger für gewisse Zeiten, in denen von seinem Arbeitsplatz aus pornographische Darstellungen aus dem Internet abgerufen worden seien, nachgewiesen, dass er sich nicht dort aufgehalten habe. Zum andern sei erstellt, dass mehrere Mitarbeiter das Passwort des Klägers gekannt hätten, weshalb eine Nutzung des elektronischen Arbeitsplatzes durch andere Personen nicht ausgeschlossen werden könne. Allerdings sei nachgewiesen, dass der Kläger - wie andere Mitarbeiter - in einzelnen Fällen Sexseiten im Internet angeschaut habe. Indessen sei aufgrund des Beweisverfahrens zweifelhaft, ob der Kläger im von der Beklagten behaupteten Umfang das Internet benutzt habe. Müsse aber der Umfang des Internetmissbrauchs durch den Kläger offen gelassen werden, sei letztlich doch von der Beweislosigkeit der Vorwürfe der Beklagten auszugehen.
 
Die Beklagte macht mit der Berufung geltend, das Obergericht habe die Beweise falsch gewürdigt. Zudem wirft sie diesem vor, ihren Beweisführungsanspruch verletzt zu haben. Schliesslich rügt sie, dem Obergericht sei ein offensichtliches Versehen unterlaufen. Dagegen ist der Berufungsschrift nicht klar zu entnehmen, ob die Beklagte auch geltend machen will, die Beurteilung der Vorinstanz sei bundesrechtswidrig, wonach eine auf einige Male beschränkte private Internetnutzung durch den Arbeitnehmer keinen Grund für eine fristlose Entlassung bilde.
 
2.
 
Das Bundesgericht hat seinem Entscheid den Sachverhalt zu Grunde zu legen, den die letzte kantonale Instanz festgestellt hat (Art. 63 Abs. 2 OG). Soweit die Beklagte in der Berufungsschrift von einem anderen Sachverhalt ausgeht bzw. die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kritisiert, ist sie nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Sie verkennt die Funktion der eidgenössischen Berufung, wenn sie das Bundesgericht zur Überprüfung der Beweiswürdigung der Vorinstanz oder zu einer nochmaligen Würdigung der Beweise bewegen will. Die Beweiswürdigung kann nicht Gegenstand der Berufung bilden. Soll das Bundesgericht in einer berufungsfähigen Streitsache zur Überprüfung der vorinstanzlichen Feststellungen auf Willkür veranlasst werden, müssen entsprechende Rügen mit dem Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben werden.
 
3.
 
3.1 Es bestehen nach dem Gesetz einige wenige Ausnahmen, wo vom Grundsatz der Bindung an die Feststellungen der Vorinstanz abgewichen werden kann. Dazu gehört der Fall eines offensichtlichen Versehens, das vom Bundesgericht von Amtes wegen oder auf Rüge in der Berufungsschrift hin zu korrigieren ist (Art. 63 Abs. 2 und Art. 55 Abs. 1 lit. d OG).
 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein offensichtliches Versehen im Sinne der zitierten Bestimmungen nur vor, wenn das kantonale Gericht ein bestimmtes Aktenstück, das nach den Verfahrensregeln als Beweismittel zugelassen worden ist, oder eine bestimmte Stelle innerhalb eines solchen Aktenstückes übersehen oder nicht in der wahren Gestalt, insbesondere nicht mit dem wirklichen Wortlaut wahrgenommen hat (BGE 87 II 218 E. 2 S. 232; 91 II 327 E. 4 S. 334; 115 II 399 f.; Peter Münch, in Geiser/Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, Rz. 4.65.). Kein offensichtliches Versehen liegt deshalb vor, wenn im angefochtenen Entscheid bloss Schlüsse aus Dokumenten gezogen worden sind, die nicht zu überzeugen vermögen. Zu beachten ist schliesslich, dass im Fall der Erhebung einer Versehensrüge in der Berufungsschrift genau angegeben werden muss, welche vorinstanzliche Feststellung mit welcher Aktenstelle im Widerspruch stehen soll (Art. 55 Abs. 1 lit. d OG).
 
3.2 Die Beklagte rügt, das Obergericht habe nicht berücksichtigt, dass sich aus act. 8/2 Unterbrüche der Internetbenützung am 24. Juni, 8. Juli und 10. August 1999 ergäben. Sie übersieht indessen, dass das Obergericht keine Feststellungen getroffen hat, die mit den Unterbrüchen im Widerspruch stehen, wie sie gemäss act. 8/2 stattgefunden haben sollen. Das Obergericht hat im hier interessierenden Zusammenhang festgestellt, dass die Alibibeweise des Klägers für die erwähnten Tage Zeiten betreffen, in denen nach der Darstellung der Beklagten der PC des Klägers benützt worden ist. Die - im Urteilstext des Obergerichts in Klammer gesetzten - Angaben aus act. 8/2 beziehen sich auf Zeiten nach den Unterbrüchen, soweit solche in diesem Schriftstück festgehalten sind. Es trifft somit nicht zu, dass der von der Beklagten behauptete Widerspruch zwischen den Feststellungen des Obergerichts und act. 8/2 besteht, weshalb diesem kein offensichtliches Versehen im Sinne von Art. 63 Abs. 2 OG vorgeworfen werden kann. Im Übrigen zeigt die Urteilsbegründung des Obergerichts, dass dieses act. 8/2 keineswegs übersehen, sondern durchaus als Beweismittel gewürdigt hat. Auch insofern ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.
 
4.
 
Art. 8 ZGB regelt in erster Linie die Folgen der Beweislosigkeit. Damit setzt diese Bestimmung aber auch voraus, dass die beweisbelastete Partei zum Beweis zugelassen wird (Schmid, Basler Kommentar, N. 6 zu Art. 8 ZGB). Entsprechend wird aus Art. 8 ZGB ein bundesrechtlicher Anspruch der beweisbelasteten Partei auf Beweisführung abgeleitet, sofern es um rechtserhebliche Sachvorbringen geht und der Beweisantrag der Partei nach Form und Inhalt dem kantonalen Prozessrecht entspricht (BGE 126 III 315 E. 4a; 114 II 289 E. 2 S. 290; Kummer, Berner Kommentar, N. 76 ff. zu Art. 8 ZGB). Zu beachten ist jedoch, dass Art. 8 ZGB dem Sachgericht nicht vorschreibt, mit welchen Mitteln der Sachverhalt abzuklären ist und wie die Beweise zu würdigen sind. Die Schlüsse, welche das kantonale Gericht in tatsächlicher Hinsicht aus Beweisen und konkreten Umständen zieht, sind vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüfbar (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223 mit Hinweisen).
 
Die Beklagte verkennt diese Grundsätze mit ihren Ausführungen in der Berufungsschrift. Wie bereits im Zusammenhang mit der Rüge eines offensichtlichen Versehens festgehalten wurde, hat das Obergericht die von der Beklagten beantragten Beweise - namentlich act. 8/2 - sehr wohl gewürdigt. Es hat aber auch die Aussagen der vom Kläger angerufenen Zeugen gewürdigt und ist aufgrund dieser Aussagen zum Schluss gelangt, dass während bestimmter Zeiten, in denen gemäss dem Internetprotokoll vom PC des Klägers aus Pornoseiten im Internet angeschaut worden sind, der Kläger nicht an seinem Arbeitsplatz sein konnte. Damit war für die Vorinstanz erwiesen, dass jedenfalls ein Teil der ihm vorgeworfenen Internetbenützung nicht durch ihn erfolgt war. Dabei handelt es sich um Beweiswürdigung, die im Berufungsverfahren vom Bundesgericht nicht überprüft werden kann. Im Übrigen zeigt die Beklagte in der Berufungsschrift nicht auf, welche von ihr form- und fristgerecht beantragten Beweismittel das Obergericht nicht zugelassen haben soll. Damit erweist sich die Rüge einer Verletzung des bundesrechtlichen Beweisführungsanspruchs bzw. ungenügender Urteilsbegründung durch das Obergericht als haltlos.
 
5.
 
Anzumerken bleibt schliesslich, dass auch die rechtliche Würdigung des Beweisergebnisses durch das Obergericht nicht zu beanstanden ist. Wohl ist der Arbeitnehmer verpflichtet, während der ganzen Arbeitszeit für den Arbeitgeber tätig zu sein, und es geht nicht an, dass er während dieser Zeit am Arbeitsplatz in erheblichem Umfang private Tätigkeiten ausführt. Es ist aber ebenso zutreffend, dass eine private Internetbenützung am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit, falls sie sich auf wenige Male beschränkt, eine fristlose Entlassung ohne vorgängige Verwarnung nicht zu rechtfertigen vermag, selbst wenn der Arbeitnehmer wie im vorliegenden Fall Sexseiten angeschaut haben sollte.
 
6.
 
Da Art. 343 Abs. 3 OR betreffend Kostenlosigkeit des Verfahrens nicht zur Anwendung gelangt, ist eine Gerichtsgebühr zu erheben. Diese ist der Beklagten als im Verfahren vor Bundesgericht unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat zudem den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
 
3.
 
Die Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. Juni 2003
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).