VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer I 491/2001  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer I 491/2001 vom 26.11.2002
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 491/01
 
Urteil vom 26. November 2002
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Amstutz
 
Parteien
 
I.________, 1947, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller, Engelgasse 214, 9053 Teufen,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
 
(Entscheid vom 22. Mai 2001)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 25. Januar 1999 sprach die IV-Stelle des Kantons St. Gallen dem 1947 geborenen I.________ gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 42 % und unter Berücksichtigung eines wirtschaftlichen Härtefalls rückwirkend ab 1. April 1997 eine halbe Invalidenrente (samt Zusatzrente für die Ehegattin und Kinderrenten) zu.
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung der Verfügung vom 25. Januar 1999 und Zusprechung einer ganzen Rente wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 22. Mai 2001 ab.
 
C.
 
I.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sowie der Verwaltungsverfügung vom 25. Januar 1999 sei ihm gestützt auf einen Invaliditätsgrad von mindestens 62 % mindestens eine halbe Invalidenrente zuzusprechen. In der Folge beantragte er auch die Zusprechung einer ganzen Rente bei einem Invaliditätsgrad von 67 % oder 68 %. Des Weitern ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des strittigen Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG) sowie die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b) werden in der streitigen Verfügung vom 25. Januar 1999 zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
 
1.2 Unter gewissen Umständen können schmerzhafte somatoforme Beschwerden bzw. Schmerzverarbeitungsstörungen eine Arbeitsunfähigkeit verursachen. Sie fallen unter die Kategorie der psychischen Leiden, für die grundsätzlich ein psychiatrisches Gutachten erforderlich ist, wenn es darum geht, über die durch sie bewirkte Arbeitsunfähigkeit zu befinden (AHI 2000 S. 159 Erw. 4b mit Hinweisen; siehe auch Urteile L. vom 6. Mai 2002 [I 275/01] Erw. 3a/bb und b sowie Q. vom 8. August 2002 [I 783/01] Erw. 3a). In Anbetracht der sich mit Bezug auf Schmerzen naturgemäss ergebenden Beweisschwierigkeiten genügen mithin die subjektiven Schmerzangaben der versicherten Person für die Begründung einer (teilweisen) Invalidität allein nicht; vielmehr muss im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsprüfung verlangt werden, dass die Schmerzangaben durch damit korrelierende, fachärztlich schlüssig feststellbare Befunde hinreichend erklärbar sind, andernfalls sich eine rechtsgleiche Beurteilung der Rentenansprüche nicht gewährleisten liesse (Urteil W. vom 9. Oktober 2001 [I 382/00] Erw. 2b).
 
Den ärztlichen Stellungnahmen zur Arbeits(un)fähigkeit und den Darlegungen zu den einer versicherten Person aus medizinischer Sicht noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit eignen, von der Natur der Sache her, Ermessenszüge. Für - oft depressiv überlagerte - Schmerzverarbeitungsstörungen gilt dies in besonderem Masse. Dem begutachtenden Psychiater obliegt hier die Aufgabe, durch die ihm zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten fachkundiger Exploration der Verwaltung (und im Streitfall dem Gericht) aufzuzeigen, ob und inwiefern eine versicherte Person über psychische Ressourcen verfügt, die es ihr erlauben, mit ihren Schmerzen umzugehen. Massgebend ist, ob die betroffene Person, von ihrer psychischen Verfasstheit her besehen, an sich die Möglichkeit hat, trotz ihrer subjektiv erlebten Schmerzen einer Arbeit nachzugehen (Urteile R. vom 11. November 2002 [I 368/01] Erw. 2.3, Y. vom 5. Juni 2001 [I 266/00] Erw. 1c, S. vom 2. März 2001 [I 650/99] Erw. 2c, B. vom 8. Februar 2001 [I 529/00] Erw. 3c und A. vom 19. Oktober 2000 [I 410/00] Erw. 2b).
 
2.
 
2.1 Vorinstanz und Verwaltung sind im Wesentlichen gestützt auf das abschliessende Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle der IV am Spital X.________ (MEDAS) vom 9. März 1998 zum Schluss gelangt, dass der bisher im Gartenbau tätig gewesene Beschwerdeführer aufgrund seines chronischen, vorwiegend panvertebralen weichteilrheumatischen Schmerzsyndroms bei Fehlhaltung der Wirbelsäule und muskulärer Disbalance sowie der im psychiatrischen Konsilium des Dr. med. S.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 18. Februar 1998 diagnostizierten undifferenzierten somatoformen Schmerzstörung mit depressiver Färbung in einer rückenadaptierten Verweisungstätigkeit zu 60 % arbeitsfähig ist.
 
Soweit der Beschwerdeführer hiegegen sinngemäss einwendet, die Gesamteinschätzung der Restarbeitsfähigkeit auf 60 % berücksichtige lediglich die psychischen Leiden, nicht aber die rein körperlich bedingten Einschränkungen, kann ihm nicht beigepflichtet werden. Die Gutachter der MEDAS haben aufgrund der vielen Anzeichen für ein "nichtorganisches Krankheitsverhalten" (Chronifizierung und Therapieresistenz, Schmerzausbreitung, Überreaktion bei der Untersuchung sowie Inkonstanz bei Bewegungsprüfungen und simulierten Test) die enge Verflechtung von somatisch wenig objektivierbaren funktionellen Beschwerden und den die Arbeitsfähigkeit negativ beeinflussenden psychischen Faktoren betont; eine getrennte Beurteilung der körperlichen und psychischen Aspekte sei kaum möglich. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar und überzeugend, dass sie mit Blick auf die abschliessende Beurteilung der Restarbeitsfähigkeit von einer praktisch vollständigen psychischen Überlagerung des Schmerzsyndroms ausgingen. Nachdem im Rahmen der psychiatrischen Einschätzung der Restarbeitsfähigkeit auf 60 % die Schmerzsymptomatik in ihrer Gesamtheit ins Blickfeld gerückt worden war und den medizinischen Akten nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass nebst der anerkannten schmerzbedingten Reduktion der Arbeitsfähigkeit zusätzliche körperliche oder psychische Faktoren die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer rücken- und nackenschonenden (allenfalls wechselbelastenden) Tätigkeit einschränken, ist die MEDAS-Gesamteinschätzung der Restarbeitsfähigkeit auf 60 % als schlüssig zu beurteilen; dies muss umso mehr gelten, als sie aufgrund der gemeinsamen interdisziplinären Besprechung des MEDAS-Ärzteteams, mithin auch im Beisein des Psychiaters erfolgt war. Die Einwände des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, die ausschlaggebende Beweiskraft des MEDAS-Gutachtens in Frage zu stellen. Namentlich wurde bereits im vorinstanzlichen Verfahren mit zutreffender Begründung das Argument entkräftet, die aus medizinischer Sicht verbleibende Arbeitsfähigkeit sei - etwa mangels geeigneter Stellen, welche häufige Positionswechsel und das (stressmindernde) Einschalten von Pausen ermöglichten - praktisch nicht verwertbar. Von zusätzlichen Abklärungen sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, weshalb es mit der Annahme einer zumutbaren Restarbeitsfähigkeit von 60 % sein Bewenden hat.
 
2.2 Im Rahmen des für die Invaliditätsbemessung massgebenden Einkommensvergleichs hat die Vorinstanz das trotz Gesundheitsschadens zumutbarerweise erzielbare Einkommen (Invalideneinkommen) richtigerweise gestützt auf die Tabellenlöhne der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen 1998 (LSE) festgesetzt. Dabei ermittelte sie ausgehend vom Durchschnittslohn von Männern in einfachen und repetitiven Tätigkeiten im gesamten privaten Sektor von Fr. 4268.- sowie unter Berücksichtigung einer betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41,9 Stunden (1998) und eines Abzugs vom statistischen Lohn (vgl. BGE 126 V 78 ff. Erw. 5) in der Höhe von 12,5 % einen im Rahmen einer 60 %igen Erwerbstätigkeit erzielbaren Jahresverdienst von Fr. 28'161.-.
 
Soweit das kantonale Gericht unter alleiniger Berücksichtigung des Umstands, dass der Beschwerdeführer nurmehr teilzeitlich arbeiten kann, lediglich die Hälfte des maximal zulässigen Abzugs von 25 % (siehe AHI 2002 S. 67 ff. Erw. 4 mit Hinweisen) gewährte, kann dem im Rahmen der richterlichen Angemessenheitskontrolle (Art. 132 lit. a OG) nicht beigepflichtet werden. In Würdigung der gesamten persönlichen und beruflichen Umstände (Teilzeitarbeit auf niedrigstem Anforderungsniveau [vgl. TA 6* LSE 1998, S. 20), keine körperliche Schwerarbeit mehr; Ausländerstatus mit Aufenthaltsbewilligung B [vgl. TA12 LSE 1998, S. 39], fortgeschrittenes Alter) rechtfertigt sich ein 25 %iger Abzug vom statistischen Lohn, sodass sich das Invalideneinkommen auf Fr. 24'141.94 beläuft.
 
2.3
 
2.3.1 Bei der Ermittlung des für die Bestimmung des Invaliditätsgrades massgebenden hypothetischen Einkommens ohne Gesundheitsschaden (Valideneinkommen) ist entscheidend, was der Versicherte im massgebenden Zeitpunkt nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunder tatsächlich verdienen würde (BGE 96 V 29, ZAK 1985 S. 635 Erw. 3a sowie RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 f. Erw. 3b). Die Einkommensermittlung hat so konkret wie möglich zu erfolgen, weshalb in der Regel vom letzten Lohn, den der Versicherte vor Eintritt des Gesundheitsschadens erzielt hat, auszugehen ist (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 101 Erw. 3b in fine; vgl. auch ZAK 1990 S. 519 Erw. 3c). Lediglich wenn sich aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse das ohne gesundheitliche Beeinträchtigung realisierbare Einkommen nicht hinreichend genau beziffern lässt, ist ausnahmsweise auf Erfahrungs- und Durchschnittswerte gemäss Tabellenlöhnen abzustellen (AHI 1999 S. 240 Erw. 3b). Sie dürfen im Rahmen der Invaliditätsbemessung indessen nur unter Mitberücksichtigung der für die Entlöhnung im Einzelfall gegebenenfalls relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren beigezogen werden (Urteile D. vom 30. Oktober 2002 [I 517/02] Erw. 1.2 und S. vom 29. August 2002 [I 97/00]).
 
2.3.2 Gemäss Bescheinigung des letzten Arbeitgebers erzielte der Beschwerdeführer vor Eintritt des Gesundheitsschadens im Jahre 1996 als Gartenbauarbeiter bei einer Arbeitszeit von 43 Stunden/Woche einen Monatslohn von Fr. 3535.- (exklusiv 13. Monatslohn, Kinderzulagen). Dementsprechend resultiert unter Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung im Gartenbau bis 1998 ein hypothetisches Jahreseinkommen von Fr. 46'921.80 ([3535.- + 67.165 [=1,9 %] + 7.204 [= 0,2 %] = 3609.369] x 13).
 
Entgegen den Erwägungen der Vorinstanz besteht im Lichte der unter Erw. 2.3.1 hievor dargelegten Rechtsprechung, namentlich angesichts der konkreten Angaben zum tatsächlich erzielten Einkommen, fehlender Anhaltspunkte für einen Wechsel des Berufszweigs im Gesundheitsfall sowie der im Bereich des Branchenüblichen (3527.- [LSE 1996/TA 1Kat 1/Männer/Anforderungsniveau 4] x 43,4/40 [betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit im Gartenbau; vgl. Tabelle B9.2, in: Die Volkswirtschaft, Heft 8/2002, S. 92] x 12 = 45'921.60; Nominallohnentwicklung bis 1998: 46'887.99) liegenden Höhe des effektiv erzielten Lohnes kein Anlass, bei der Ermittlung des Valideneinkommens auf LSE-Tabellenlöhne abzustellen.
 
Die Gegenüberstellung der beiden Vergleichseinkommen ergibt einen Invaliditätsgrad von 48,5 %, womit weder ein Anspruch auf eine ganze Rente noch ein solcher auf eine ordentliche halbe Rente gemäss Art. 28 Abs. 1 IVG besteht.
 
3.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht von vornherein als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller, Teufen, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 26. November 2002
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).