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Informationen zum Dokument  BGer 5P.320/2002  Materielle Begründung
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BGer 5P.320/2002 vom 16.10.2002
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5P.320/2002 /min
 
Urteil vom 16. Oktober 2002
 
II. Zivilabteilung
 
Bundesrichter Bianchi, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Zünd,
 
Gerichtsschreiber Schett.
 
N.________,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Thomas Barth, Tittwiesenstrasse 29, Postfach 459, 7001 Chur,
 
gegen
 
Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, Post-
 
strasse 14, 7002 Chur.
 
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (vormundschaftliche Massnahmen),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer, vom 2. Juli 2002.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a N.________ wurde im Jahre 1985 auf eigenes Begehren gestützt auf Art. 372 ZGB bevormundet. Mit Beschluss der Vormundschaftsbehörde des Kreises Oberengadin vom 2. Oktober 1996 wurde die bestehende Vormundschaft in eine kombinierte Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft nach Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB umgewandelt. Als Beirat wurde lic. iur. L.________, Rechtsanwalt und Notar in Chur, eingesetzt.
 
N.________ ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke in Y.________, X.________, unter anderem der Parzellen Nrn. (...). Rechtsanwalt L.________ ist seit etwa Mitte der neunziger Jahre bemüht, eine Umzonung der sich im "übrigen Gemeindegebiet" befindlichen Parzellen Nrn. (...) in die Bauzone zu erwirken. Im Zuge dieser Bemühungen hat L.________ auch im Auftrag von zwei weiteren Grundeigentümern (T.________ und R.________) diverse Aufwendungen getätigt. Seit dem Herbst 2000 ist mit der Bearbeitung des Projektes "X.________" die S.________ AG befasst, an der L.________ zu einem Sechstel beteiligt ist und deren Verwaltungsratspräsident er ist.
 
Mit Beschluss vom 29. Oktober 2001 bestellte die Vormundschaftsbehörde Oberengadin wegen Interessenkollision des Beirats gestützt auf Art. 392 Ziff. 2 ZGB für die verbeiratete N.________ in der Person von Dr. P.________ einen Beistand ad hoc für Rechtsgeschäfte aller Art im Zusammenhang mit den Parzellen Nrn. (...) in Y.________.
 
A.b Dagegen führte N.________ am 23. November 2001 Beschwerde an den Bezirksgerichtsausschuss Maloja. Sie verlangte dabei die Aufhebung des Beschlusses der Vormundschaftsbehörde mit der Begründung, die Vormundschaftsbehörde sei örtlich aufgrund des nach Ascona verlegten Wohnsitzes nicht zuständig, und eine Interessenkollision sei nicht gegeben. Zugleich verlangte sie aber aufgrund der Dringlichkeit der Angelegenheit, dass Dr. P.________ für zwei Geschäfte als Beistand ad hoc eingesetzt und angewiesen werde, diese baldmöglichst zum Abschluss zu bringen.
 
Der Bezirksgerichtsausschuss Maloja wies am 27. März 2002 die Beschwerde ab und enthob zudem den bisherigen Beirat, L.________, gestützt auf Art. 445 Abs. 1 ZGB seines Amtes.
 
A.c Auf kantonale Berufung hin bestätigte das Kantonsgericht von Graubünden mit Entscheid vom 2. Juli 2002 sowohl die Bestellung eines Beistandes ad hoc wie auch die Amtsenthebung des bisherigen Beirats. Es wies ausserdem die Vormundschaftsbehörde an, einen neuen Beirat zu bestellen und die Interessen der verbeirateten N.________ bis dahin wahrzunehmen.
 
B.
 
B.a Am 16. September 2002 hat N.________ fristgerecht staatsrechtliche Beschwerde (zudem eidgenössische Berufung) eingereicht. Sie beantragt, den Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden und in der Folge die Entscheide des Bezirksgerichtsausschusses Maloja und der Vormundschaftsbehörde des Kreises Oberengadin aufzuheben, allenfalls die Sache an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
 
B.b Eine Beschwerdeantwort hat das Bundesgericht nicht eingeholt.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG). Soweit sie sich nicht nur gegen den Entscheid des Kantonsgerichts, sondern darüber hinaus gegen die Entscheide des Bezirksgerichtsausschusses Maloja und der Vormundschaftsbehörde des Kreises Oberengadin richtet, ist darauf nicht einzutreten.
 
2.
 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b; 124 I 241 E. 2 mit Hinweisen).
 
Der Anspruch auf rechtliches Gehör als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht verlangt ausserdem, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Der Bürger soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag entschieden hat. Die Begründung eines Entscheids muss deshalb so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheides ein Bild machen können. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt. Das bedeutet indessen nicht, dass sich diese ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinander setzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 126 I 97 E. 2b; 112 Ia 109 E. 2b, mit Hinweisen; vgl. auch BGE 114 Ia 233 E. 2d S. 242).
 
2.2 Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sieht die Beschwerdeführerin darin, dass weder sie selbst noch der Beirat zu dessen Absetzung angehört worden seien. Der Vorwurf trifft nicht zu, denn der Beirat ist, wie schon das Kantonsgericht ausgeführt hat, anlässlich der Verhandlung des Bezirksgerichtsausschusses Maloja mit der Möglichkeit einer Amtsenthebung konfrontiert worden. Nichts hätte sodann die Beschwerdeführerin selber oder ihren Anwalt daran gehindert, sich ebenfalls zu der Frage zu äussern. Im Übrigen konnte das Kantonsgericht den Sachverhalt und die Rechtslage frei überprüfen, so dass ein allfälliger Mangel als geheilt gelten könnte (BGE 126 I 68 E. 2; 126 V 130 E. 2b), wie ebenfalls schon das Kantonsgericht festgehalten hat.
 
2.3 Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, die Begründungspflicht sei dadurch verletzt worden, dass sich das Kantonsgericht nicht zu möglichen milderen Massnahmen geäussert habe. Diese lägen darin, dass die Geschäfte im Zusammenhang mit dem Projekt "X.________" durch die Vormundschaftsbehörde genau überprüft werden könnten oder allenfalls Dr. P.________ als weiterer Berater beigezogen würde. Die Beschwerdeführerin übersieht, dass das Kantonsgericht seiner Begründungspflicht nachgekommen ist, indem es ausführlich dargelegt hat, weshalb nicht nur ein Beistand ad hoc zu bestellen, sondern der bisherige Beirat auch seines Amtes enthoben werden musste, weil nicht nur eine Interessenkollision im Zusammenhang mit dem Projekt "X.________" vorliegt, sondern er seine Pflichten als Beirat auch grob verletzte. Es sei nur darauf verwiesen, dass das Wertschriftenvermögen von Fr. 970'000.-- im Jahre 1995 und noch Fr. 630'000.-- im Jahre 1998 mittlerweile aufgebraucht ist, was nichts anderes bedeutet, als dass der Beirat die ihm übertragene Aufgabe schlechthin nicht wahrgenommen hat. Es liegt auf der Hand, dass es angesichts dieser Sachlage nicht noch notwendig war, ausführlich zu begründen, weshalb eine mildere Massnahme als die Absetzung des Beirats - welcher Art auch immer - unzureichend wäre. Das versteht sich vielmehr von selbst.
 
3.
 
Schliesslich beruft sich die Beschwerdeführerin auf Art. 9 BV, wonach jede Person Anspruch darauf hat, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden, denn es sei widersprüchlich, eine Beistandschaft ad hoc wegen Interessenkollision des Beirats zu errichten, zugleich aber den Beirat abzusetzen.
 
Das Kantonsgericht hat in seinem Entscheid zunächst geprüft, ob die Voraussetzungen einer Beistandschaft ad hoc infolge Interessenkollision gegeben ist. Es hat alsdann weiter geprüft, ob darüber hinaus auch die vom Bezirksgerichtsausschuss Maloja angeordnete Amtsenthebung des Beirats rechtmässig ist. Da beides zu bejahen war, wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab. Es ist zutreffend, dass es infolge der Amtsenthebung des Beirats durch den Bezirksgerichtsausschuss Maloja einer Beistandschaft, wie sie von der Vormundschaftsbehörde angeordnet wurde, für die Zukunft nicht mehr bedarf. Das ändert allerdings nichts daran, dass das Kantonsgericht die Rechtmässigkeit der Errichtung einer Beistandschaft zu prüfen hatte, zumal den kantonalen Rechtsmitteln die aufschiebende Wirkung entzogen worden war und die getroffene Massnahme folglich sofort Wirkung zu entfalten vermochte. Es ist auch davon auszugehen, dass bis zur Ernennung eines neuen Beirats die Beschwerdeführerin, deren Handlungsfähigkeit beschränkt ist, darauf angewiesen ist, dass ein Beistand ihre Interessen wenigstens für das Projekt "X.________" wahrnimmt. Insofern liegt kein Widerspruch vor, wenn das Kantonsgericht die Beschwerde sowohl bezüglich der Errichtung der Beistandschaft ad hoc wie auch bezüglich der Amtsenthebung des Beirats abgewiesen hat.
 
4.
 
Weitere, substantiiert begründete Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a) erhebt die Beschwerdeführerin nicht. Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
Diesem Verfahrensausgang entsprechend hat die Beschwerdeführerin die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie stellt zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung (Art. 152 ZGB). Dieses kann jedoch nicht gutgeheissen werden, da das Begehren zum Vornherein als aussichtslos bezeichnet werden muss und im Übrigen auch die Bedürftigkeit nicht ausgewiesen ist. Unter Berücksichtigung des Grundbetrags für ein Ehepaar von Fr. 1'550.--, einem zivilprozessualen Zuschlag von 25 % (vgl. BGE 124 I 1 E. 2a), d.h. Fr. 387.50, dem Mietzins von Fr. 1'590.--, den Heizkosten von Fr. 300.--, den Krankenkassenbeiträgen von Fr. 595.-- sowie Steuern von Fr. 300.--, ergibt sich ein zivilprozessualer Bedarf von Fr. 4'722.50. Nicht zu berücksichtigen sind die Kosten für einen Personenwagen; eines solchen bedarf es für Arztbesuche nicht. Bei einem Renteneinkommen von Fr. 6'000.-- können die Kosten des vorliegenden Verfahrens innert angemessener Frist abgetragen werden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. Oktober 2002
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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