VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2A.242/2002  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2A.242/2002 vom 28.06.2002
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2A.242/2002 /leb
 
Urteil vom 28. Juni 2002
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
 
Bundesrichter Betschart, Müller, Bundesrichterin Yersin, Bundesrichter Merkli,
 
Gerichtsschreiber Feller.
 
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Generalsekretariat, 3003 Bern,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
A.________,
 
Beschwerdegegner, vertreten durch Frau Patricia Petermann, Bertastrasse 8, Postfach, 8036 Zürich,
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45,
 
8090 Zürich,
 
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.
 
Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG
 
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 18. April 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der aus der Demokratischen Republik Kongo stammende A.________ reiste am 27. März 2002 mit dem Flugzeug von Johannesburg her kommend in die Schweiz ein. Er wies sich mit einem auf eine andere, aus Moçambique stammende Person lautenden Reisepass aus, weshalb ihm die Weiterreise nach Paris verweigert wurde. Er stellte am 28. März 2002, im Transitbereich des Flughafens Zürich, ein Asylgesuch, worauf ein Asylverfahren im Flughafen (sog. Flughafenverfahren gemäss Art. 22 AsylG) eröffnet und ihm der Transitbereich des Flughafens als Aufenthaltsort zugewiesen wurde.
 
Mit Verfügung vom 8. April 2002 verweigerte das Bundesamt für Flüchtlinge A.________ die Einreise in die Schweiz. Zudem wies es ihn vorsorglich aus der Schweiz weg, und zwar nicht nach seinem Heimatland, sondern gestützt auf Art. 23 Abs. 1 AsylG nach Südafrika. Die vorsorgliche Wegweisung wurde für sofort vollstreckbar erklärt und mit dem Vollzug der Wegweisung die Flughafenpolizei des Flughafens Zürich beauftragt. Einer allfälligen Beschwerde gegen diese Verfügung entzog das Bundesamt die aufschiebende Wirkung. Gegen diese Verfügung gelangte A.________ mit Beschwerde an die Schweizerische Asylrekurskommission, wobei er insbesondere ein Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stellte. Der Instruktionsrichter der Asylrekurskommission wies das Gesuch am 11. April 2002 ab.
 
Auf den 14. April 2002 wurde ein Rückflug von A.________ nach Südafrika organisiert. Der Ausschaffungsversuch scheiterte an dessen renitentem Verhalten. Er wurde anschliessend verhaftet, und am 15. April 2002 ordnete das Migrationsamt des Kantons Zürich gegen ihn die Ausschaffungshaft an (schriftlich begründete Haftverfügung mit Antrag an den Haftrichter auf Bestätigung der Ausschaffungshaft vom 16. April 2002).
 
Nach mündlicher Verhandlung lehnte die Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich das Begehren um Anordnung/Bestätigung der Ausschaffungshaft am 18. April 2002 ab.
 
A.________ wurde aus der Haft entlassen, und er ist in die Schweiz eingereist. Die Schweizerische Asylrekurskommission erachtete daher das Flughafenverfahren und die vorsorgliche Wegweisung als dahingefallen und schrieb die diesbezügliche Beschwerde mit Beschluss vom 22. April 2002 als gegenstandslos geworden ab. Es wird nunmehr ein ordentliches Asylverfahren durchgeführt.
 
B.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 16. Mai 2002 beantragt das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dem Bundesgericht, die Verfügung der Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich vom 18. April 2002 sei aufzuheben.
 
Die Haftrichterin (ausdrücklich) und das Migrationsamt des Kantons Zürich (stillschweigend) haben auf Vernehmlassung verzichtet. Die Haftrichterin hat die Akten eingereicht. Da in der Begründung des angefochtenen Entscheids mittelbar ein Entscheid (Zwischenverfügung) der Schweizerischen Asylrekurskommission in Frage gestellt scheint, ist dieser Gelegenheit gegeben worden, dem Bundesgericht allfällige Bemerkungen zum Fall zukommen zu lassen. Sie hat davon Gebrauch gemacht und am 30. Mai 2002 Stellung genommen. Die Stellungnahme ist den Parteien zur Kenntnis gebracht worden. A.________ hat sich am 7. Juni 2002 geäussert, ohne einen Antrag zu stellen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement ist das in der Sache zuständige Departement und damit berechtigt, namens des Bundes die Verfügung der Haftrichterin, die als letzte kantonale Instanz entschieden hat, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anzufechten (Art. 103 lit. a OG).
 
Der Bund führt im öffentlichen Interesse Beschwerde. Das Beschwerderecht des Bundes soll den richtigen und rechtsgleichen Vollzug des Bundesverwaltungsrechts sicherstellen. Dabei muss grundsätzlich kein spezifisches öffentliches Interesse an der Anfechtung der Verfügung nachgewiesen werden (BGE 113 Ib 219 E. 1b S. 221; BGE 127 II 32 E. 1b S. 35; 125 II 633 E. 1a S. 635, je mit Hinweisen). Erforderlich ist nur, dass es dem beschwerdeführenden Departement nicht um die Behandlung abstrakter Fragen des objektiven Rechts, sondern um konkrete Rechtsfragen eines tatsächlich bestehenden Einzelfalles geht (vgl. BGE 125 II 633 E. 1a und b S. 635). Dies ist jedenfalls hinsichtlich der vorab zum Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemachten Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Haftrichter eine vom Bundesamt für Flüchtlinge verfügte und von der Schweizerischen Asylrekurskommission bestätigte - vorsorgliche - Wegweisung im Hinblick auf die Kontrolle der Rechtmässigkeit fremdenpolizeirechtlicher Haft überprüfen und gegebenenfalls für unverbindlich erklären kann, der Fall. An der Beurteilung der Beschwerde besteht damit ein hinreichendes Interesse. Dass der Beschwerdegegner unmittelbar nach Eröffnung des Haftrichterentscheids aus der Haft entlassen wurde und zudem der mit dem gegenstandslos gewordenen Flughafenverfahren verbundene Wegweisungsentscheid dahingefallen ist, ist damit unerheblich.
 
Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.
 
2.
 
Wurde ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger (vgl. BGE 121 II 59 E. 2 S. 61) Wegweisungsentscheid eröffnet, so kann die zuständige Behörde einen Ausländer zur Sicherstellung von dessen Vollzug in Ausschaffungshaft nehmen, wenn die Voraussetzungen von Art. 13b ANAG erfüllt sind.
 
2.1 Der einzige vom Gesetz vorgesehene und unter Berücksichtigung von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK zulässige Zweck der Ausschaffungshaft ist die Sicherstellung eines Weg- oder Ausweisungsentscheids (vgl. BGE 125 II 217 E. 1 S. 219). Bei der Kontrolle der Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft gemäss Art. 13c Abs. 2 ANAG hat die richterliche Behörde daher vorerst zu prüfen, ob ein solcher den Ausländer zur Ausreise verpflichtender Entscheid vorliegt (BGE 121 II 59 E. 2a und b S. 61).
 
Das Bundesamt für Flüchtlinge wies den Beschwerdegegner vorsorglich aus der Schweiz weg. Die Schweizerische Asylrekurskommission (bzw. deren Instruktionsrichter) hat es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der gegen diese Wegweisungsverfügung erhobenen Beschwerde wieder herzustellen.
 
Dass ein Wegweisungsentscheid vorliegt, wird von keiner Seite in Frage gestellt. Die Haftrichterin geht jedoch aufgrund der Vorbringen des Beschwerdegegners im Haftprüfungsverfahren davon aus, dass dessen Rückführung nach Südafrika nicht zumutbar sei. Die Haftrichterin weicht damit von der Einschätzung ab, welche das Bundesamt für Flüchtlinge seiner Wegweisungsverfügung und die Schweizerische Asylrekurskommission ihrer Zwischenverfügung zu Grunde gelegt haben. Das Departement macht mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, die Haftrichterin habe ihre Prüfungskompetenz überschritten, indem sie in dem Sinn den Wegweisungsentscheid missachtet habe.
 
2.2
 
2.2.1 Was die Haftvoraussetzung des Bestehens eines Aus- oder Wegweisungsentscheids betrifft, kann der Haftrichter die Frage der Rechtmässigkeit der Weg- oder Ausweisung nur in eng begrenztem Rahmen aufwerfen (BGE 121 II 59 E. 2 S. 61 ff.; zudem BGE 125 II 217 bezüglich der Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Sinne von Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG).
 
In einem neuesten zur Publikation bestimmten Urteil (BGE 2A.170/2002 vom 4. Juni 2002) hat das Bundesgericht als Regel aufgestellt, dass der Haftrichter sich bloss vergewissern muss, ob ein Weg- oder Ausweisungsentscheid ergangen ist, dass er die Rechtmässigkeit eines derartigen Entscheids hingegen nicht
 
überprüfen kann, und zwar weder im Grundsatz noch hinsichtlich der Modalitäten der Wegweisung (beispielsweise Bestimmung des Landes, wohin der Ausländer weggewiesen werden soll). Dies gilt ausgesprochen für im Asylverfahren ergangene Wegweisungsentscheide, wo sowohl durch die Bedürfnisse des Asylverfahrens bedingte prozessuale Besonderheiten bestehen als auch spezifische materielle Kriterien (insbesondere hinsichtlich der Bewertung einer Verfolgungssituation im Land, wohin der Ausländer weggewiesen werden soll) massgeblich sind; Entscheide der vom Gesetzgeber hiefür speziell eingesetzten Fachorgane sind für den Haftrichter bindend. Anders verhält es sich höchstens in Bezug auf Wegweisungen gemäss Art. 12 Abs. 1 ANAG und, in vermindertem Masse, allenfalls noch bezüglich anderer erstinstanzlicher Wegweisungsentscheide von Fremdenpolizeibehörden ausserhalb des Asylverfahrens. Die Massgeblichkeit von Wegweisungsentscheiden soll der Haftrichter im Hinblick auf die Rechtmässigkeit der Ausschaffungshaft allerdings nur dann in Frage stellen können, wenn sie augenfällig unzulässig bzw. derart offensichtlich falsch sind, dass sie sich letztlich als nichtig erweisen (BGE 2A.170/2002 vom 4. Juni 2002, E. 2.2.2).
 
Dies gilt auch hinsichtlich Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG. Wohl ist nach dieser Bestimmung die Haft zu beenden und hat der Haftrichter die Genehmigung der Ausschaffungshaft dann zu verweigern, wenn sich erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Soll aber mit der Ausschaffungshaft die Vollstreckung eines Wegweisungsentscheids sichergestellt werden, wobei die zuständige Wegweisungsbehörde sich im Wegweisungsentscheid selber gerade mit der Frage der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit bzw. mit der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs befasst hat, ist der Haftrichter im beschriebenen Sinn grundsätzlich an diese Einschätzung gebunden. Anders verhält es sich - unter dem Gesichtspunkt von Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG - bloss dann, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem Zeitpunkt, da über die Wegweisung befunden wurde, entscheidend verändert haben (vgl. dazu BGE 125 II 217 E. 2b S. 222 ff.). Auch dann aber wird der Betroffene, jedenfalls soweit es um rechtliche Gründe geht, die dem Wegweisungsvollzug (nunmehr) entgegenstehen könnten, vorerst versuchen müssen, bei der zuständigen Behörde eine Wiedererwägung (bzw. Revision) des Wegweisungsentscheids zu erwirken (vgl. BGE 125 II 217 E. 2 S. 221 oben).
 
2.2.2 Das Bundesamt für Flüchtlinge begründete die vorsorgliche Wegweisung damit, dass der Beschwerdegegner sich bis zu seiner Einreise in die Schweiz in Südafrika als Asylbewerber aufgehalten habe. Südafrika habe das Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingsabkommen; SR 0.142.30) und die Zusatzprotokolle unterzeichnet. Der Beschwerdegegner könne dorthin zurückgehen, wo er nicht aus einem der in Art. 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe an Leib, Leben oder Freiheit gefährdet sei; es sprächen keine Gründe gegen die Zumutbarkeit der vorsorglichen Wegweisung nach Südafrika. Der Instruktionsrichter der Asylrekurskommission pflichtete dieser Auffassung in seiner Zwischenverfügung betreffend Nichtwiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vom 11. April 2002 vollumfänglich bei und nahm darüber hinaus, im Zusammenhang mit dem behaupteten schlechten Gesundheitszustand des Beschwerdegegners, zu den Haftbedingungen in den Gefängnissen in Südafrika Stellung. In der Eingabe des Beschwerdegegners vor Bundesgericht vom 7. Juni 2002 wird dazu ausdrücklich erwähnt, dass die Asylrekurskommission zu diesem Zeitpunkt sowohl im Bild über seinen Gesundheitszustand als auch im Besitz eines Berichts über die Zustände in südafrikanischen Gefängnissen gewesen sei.
 
Die Haftrichterin hat die Genehmigung der Ausschaffung allein mit der Begründung verweigert, dass sich eine Rückführung des Beschwerdegegners angesichts von dessen "als immerhin eingeschränkt zu bezeichnenden Gesundheitszustandes ... und den Zuständen in den südafrikanischen Gefängnissen" im heutigen Zeitpunkt als nicht zumutbar erweise. Damit hat sie eine Würdigung vorgenommen, die von der nur wenige Tage zurückliegenden Beurteilung genau derselben konkreten Frage durch die Asylbehörden abweicht, ohne dass sich die Verhältnisse auf eine Weise verändert oder neue Informationen oder sonst etwas vorgelegen hätten, was Anlass für ein Begehren um Wiedererwägung des Wegweisungsentscheids (bei den Asylbehörden) geben konnte. Auf diese Weise hat sie in unzulässiger Weise unmittelbar den Wegweisungsentscheid in Frage gestellt und damit, wie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement zu Recht rügt, ihre Prüfungskompetenz überschritten und Bundesrecht verletzt.
 
2.3 Nachdem die Haftrichterin die übrigen Haftvoraussetzungen als gegeben erachtete, liess sich die Nichtgenehmigung der Ausschaffungshaft nicht rechtfertigen. Angesichts der prozessualen Situation (Wegfall des Wegweisungsentscheids durch die Beendigung des Flughafenverfahrens) erübrigt es sich, die Sache zu neuem Entscheid an die Haftrichterin zurückzuweisen, nachdem die massgebliche Rechtsfrage, die zum Gegenstand der Behördenbeschwerde gemacht worden ist, beantwortet worden ist. Es genügt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben; weitere Anordnungen sind nicht zu treffen.
 
3.
 
Bei diesem Verfahrensausgang würde der Beschwerdegegner als unterliegende Partei kostenpflichtig (Art. 156 OG). Unter den gegebenen Umständen rechtfertigt es sich jedoch, von der Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen. Anspruch auf eine Parteientschädigung besteht nicht (der Beschwerdegegner ist unterliegende Partei; für die obsiegenden Behörden gilt Art. 159 Abs. 2 zweiter Teilsatz OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, und die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichterin, vom 18. April 2002 wird aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin, dem Migrationsamt des Kantons Zürich sowie dem Bundesamt für Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. Juni 2002
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).