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Informationen zum Dokument  BGer 1A.112/2002  Materielle Begründung
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BGer 1A.112/2002 vom 18.06.2002
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1A.112/2002 /bmt
 
Urteil vom 18. Juni 2002
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
 
Bundesrichter Reeb, Féraud,
 
Gerichtsschreiberin Leuthold.
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Raess, Ilgenstrasse 22, Am Römerhof, Postfach 218, 8030 Zürich,
 
gegen
 
Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern.
 
Bewilligung der vereinfachten Auslieferung - B 22552
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Bundesamts für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung, vom 31. Mai 2002
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Bundeskriminalamt Wiesbaden beantragte beim Bundesamt für Justiz (im Folgenden abgekürzt: BJ) mit Schreiben vom 27. Mai 2002 die Auslieferung des italienischen Staatsangehörigen X.________ zur Verfolgung wegen der diesem im Haftbefehl der 3. Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 18. März 2002 zur Last gelegten Straftaten (Betrug in zwei Fällen). Am 30. Mai 2002 ordnete das BJ die provisorische Auslieferungshaft gegen X.________ an. Dieser wurde am gleichen Tag in Zürich festgenommen. Bei seiner Befragung durch den Bezirksanwalt am Morgen des 31. Mai 2002 stimmte er einer formlosen Auslieferung zu. Das BJ bewilligte am selben Tag um 13.25 Uhr die vereinfachte Auslieferung von X.________ an Deutschland.
 
Mit Faxeingabe seines Anwalts vom 31. Mai 2002, die um 14.27 Uhr beim BJ einging, widerrief X.________ die Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung. In der Folge teilte das BJ dem Anwalt mit, dass es die Auslieferung bereits bewilligt habe und der Widerruf unbeachtlich sei.
 
B.
 
X.________ reichte mit Eingabe vom 1. Juni 2002 gegen den Auslieferungsentscheid des BJ Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht ein. Er beantragt, die Verfügung vom 31. Mai 2002 sei aufzuheben und das BJ sei anzuweisen, das formelle Auslieferungsverfahren durchzuführen.
 
C.
 
Das BJ stellt in seiner Vernehmlassung vom 4. Juni 2002 den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen.
 
D.
 
In der Replik vom 7. Juni 2002 hält X.________ an seinen in der Beschwerde gestellten Anträgen fest.
 
E.
 
Das BJ hatte am 3. Juni 2002 den Vollzug der Auslieferung ausgesetzt und einen Auslieferungshaftbefehl gegen X.________ erlassen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Entscheide des Bundesamtes, mit denen die Auslieferung des Verfolgten (nach Durchführung des ordentlichen Auslieferungsverfahrens) bewilligt wurde, sind gemäss Art. 55 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechtbar (BGE 122 II 373 E. 1b S. 375). Es stellt sich die Frage, ob dieses Rechtsmittel auch gegeben ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - das Bundesamt die Auslieferung aufgrund von Art. 54 IRSG, d.h. gestützt auf die Zustimmung des Verfolgten in einem vereinfachten Verfahren, bewilligt hat. Das Bundesgericht liess in den Urteilen vom 11. August 1989 (1A.132/1989) und 2. Mai 1995 (1A.104/1995) offen, ob die Bewilligung der vereinfachten Auslieferung Gegenstand einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde sein könne. Die Frage muss auch hier nicht entschieden werden, da sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet erweist.
 
2.
 
Gibt der Verfolgte einer Justizbehörde zu Protokoll, dass er auf die Durchführung des Auslieferungsverfahrens verzichtet, so bewilligt das Bundesamt die Übergabe, wenn keine besonderen Bedenken bestehen (Art. 54 Abs. 1 IRSG). Der Verzicht kann widerrufen werden, solange das Bundesamt die Übergabe nicht bewilligt hat (Art. 54 Abs. 2 IRSG). Mit dem angefochtenen Entscheid bewilligte das BJ aufgrund von Art. 54 Abs. 1 IRSG die Übergabe des Beschwerdeführers an Deutschland, nachdem dieser seine Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung erteilt habe.
 
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird vorgebracht, der Beschwerdeführer habe die Einwilligung zur vereinfachten Auslieferung nur unter dem Vorbehalt gegeben, dass ihm sein Rechtsvertreter nicht davon abrate. Dies sei zwar vom Bezirksanwalt, der den Beschwerdeführer am Morgen des 31. Mai 2002 befragt habe, nicht so protokolliert worden, jedoch später gegenüber dem Anwalt des Beschwerdeführers sinngemäss bestätigt worden. Der Beschwerdeführer sei vom Bezirksanwalt auf die Möglichkeit des Widerrufs der Zustimmung hingewiesen worden. Er sei deshalb davon ausgegangen, er könne nach der Besprechung mit seinem Anwalt die Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung noch zurückziehen. In Kenntnis des unmittelbar bevorstehenden Anwaltsbesuchs habe das BJ per Fax um 13.25 Uhr die Auslieferung bewilligt, was dazu geführt habe, dass die Besprechung des Beschwerdeführers mit seinem Anwalt und der daraus resultierende Widerruf von 14.30 Uhr wirkungslos geworden seien. Das BJ habe dadurch in einer gegen Treu und Glauben verstossenden Weise in einem Schnellverfahren die Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers verhindert. Dies stelle eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.
 
Der Beschwerdeführer wurde am 31. Mai 2002 durch den Bezirksanwalt zur formlosen Auslieferung nach Art. 54 IRSG befragt. Gemäss Ziff. 1 des Einvernahmeprotokolls wurde er ausdrücklich auf die Möglichkeit des Beizugs eines Rechtsanwalts hingewiesen. Er sagte, er verzichte jedoch im Moment darauf. Sodann erklärte er, dass er auf die Durchführung des Auslieferungsverfahrens in der Schweiz verzichte. Er betonte, er möchte so rasch als möglich nach Deutschland ausgeliefert werden und verlange die formlose Auslieferung bzw. die Übergabe an die deutschen Behörden (Ziff. 6 des Protokolls). Gemäss Ziff. 7 des Protokolls nahm der Beschwerdeführer zur Kenntnis, dass er seine Einwilligung zur formlosen Auslieferung zurückziehen könne, bis das Bundesamt diese angeordnet habe. Der Beschwerdeführer wies im Weiteren auf seinen angeschlagenen Gesundheitszustand hin und äusserte deshalb den Wunsch, auf eigene Kosten mit dem Flugzeug nach Deutschland zu reisen. Im Übrigen habe er nichts mehr zu sagen (Ziff. 8 des Protokolls). Der Beschwerdeführer hat das Protokoll durchgelesen und mit seiner Unterschrift bestätigt.
 
Dem Einvernahmeprotokoll lässt sich in keiner Weise entnehmen, dass der Beschwerdeführer seine Einwilligung zur vereinfachten Auslieferung nur unter dem Vorbehalt der Besprechung mit seinem Anwalt erteilt habe. Dies ergibt sich auch nicht aus dem an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gerichteten Schreiben des Bezirksanwalts vom 31. Mai 2002. In der Beschwerde wird zu Unrecht behauptet, in diesem Schreiben werde "sinngemäss bestätigt", dass der Beschwerdeführer seine Zustimmung zur formlosen Auslieferung nur unter der Bedingung gegeben habe, dass ihm sein Anwalt nicht davon abraten würde. Der Bezirksanwalt hielt in seinem Schreiben fest, er könne diese These weder bestätigen noch verneinen. Er führte indes aus, er möchte klarstellen, dass der Beschwerdeführer den Willen geäussert habe, möglichst rasch nach Berlin zu gelangen, um die Situation "zu klären". Nachdem der Beschwerdeführer bei seiner am 31. Mai 2002 um 10.40 Uhr erfolgten Anhörung ausdrücklich den Wunsch geäussert hatte, so rasch als möglich nach Deutschland ausgeliefert zu werden, kann nicht gesagt werden, das BJ habe gegen Treu und Glauben verstossen, indem es in Kenntnis des unmittelbar bevorstehenden Anwaltsbesuchs die vereinfachte Auslieferung am 31. Mai 2002 um 13.25 Uhr bewilligte. In Anbetracht der klaren und unmissverständlichen Aussagen, die der Beschwerdeführer zu Protokoll gegeben hatte, verletzte es den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, wenn es die Auslieferung sehr rasch bewilligte.
 
Nach dem Gesagten erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unbegründet. Sie ist daher abzuweisen, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann.
 
3.
 
Entsprechend dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt für Justiz, Abteilung Internationale Rechtshilfe, Sektion Auslieferung (B 22552), schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. Juni 2002
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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