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Informationen zum Dokument  BGer 4P.34/2002  Materielle Begründung
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BGer 4P.34/2002 vom 11.06.2002
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.34/2002/rnd
 
Urteil vom 11. Juni 2002
 
I. Zivilabteilung
 
Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
 
Klett, Rottenberg Liatowitsch,
 
Gerichtsschreiber Huguenin.
 
X.________ Kranken- und Unfallversicherungen AG,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Vincent Augustin, Postfach 731, 7002 Chur,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bernardo Lardi, Belmontstrasse 1, Postfach 160, 7006 Chur,
 
Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer,
 
Art. 9 BV (Willkürliche Beweiswürdigung im Zivilprozess)
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer, vom 21. August 2001
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der Verband X.________ ist ein auf dem Gebiet der Schweiz und Liechtensteins tätiger Verein gemäss Art. 60 ff. ZGB, zu dem sich die X.________ zusammengeschlossen haben. In den Aufgabenbereich des Verbands fällt die Koordination des Vorgehens der X.________ bei wichtigen Angelegenheiten und die Regelung der gebietsmässigen Zuständigkeit der einzelnen Verbandskassen. Ferner führt er die X.________ Schweiz als Verbandskasse mit eigener Rechtspersönlichkeit, welcher alle Mitglieder des Verbandes angehören. Das Tätigkeitsgebiet der X.________ Schweiz umfasst die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein mit Ausnahme der Tätigkeitsgebiete, welche den einzelnen Verbandskassen des Verbandes X.________ zugewiesen sind. Eine dieser Verbandskassen ist die früher als Stiftung organisierte X.________ Graubünden, die in die X.________ Kranken und Unfallversicherungen AG umgewandelt worden ist.
 
A.a Die Y.________ ist ein Verein mit Sitz in D.________, der die Wahrung der Interessen seiner Mitglieder im Zusammenhang mit der Unfall- und Krankenversicherung bezweckt. Präsident des Vereins ist A.________. Dessen Ehefrau B.________ ist ebenfalls für die Y.________ tätig.
 
A.b Am 6. Mai 1994 schloss die Y.________ mit der X.________ Schweiz einen Vertrag über die Führung der Geschäftsstelle der X.________ im Kanton Tessin. Die Y.________ verpflichtete sich, die Kranken- und Unfallversicherung nach den gesetzlichen Vorschriften und den Statuten des Verband X.________, den Allgemeinen Versicherungsbedingungen und den Reglementen der X.________ Schweiz anzubieten, die dafür notwendigen personellen und administrativen Mittel zur Verfügung zu stellen und die Kranken- und Unfallversicherung ausschliesslich im Rahmen dieses Vertrages durchzuführen. Die angeworbenen Versicherungsnehmer wurden Mitglieder der X.________ Schweiz. Für die Geschäftsführung und die Portefeuillebetreuung sollte die Y.________ sieben Prozent der Prämien aller Versicherungszweige erhalten, während für Neuabschlüsse von Versicherungen aus dem Angebot der X.________ Schweiz eine nach Anzahl der Abschlüsse gestaffelte einmalige Provision vereinbart wurde. Der Vertrag konnte unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwölf Monaten jederzeit gekündigt werden (Ziff. 8 Abs. 2). Sollte die X.________ Schweiz den Vertrag vor Ablauf von zehn Jahren ab Vertragsbeginn aus organisatorischen Gründen kündigen, hatte sie der Y.________ eine Abfindung in der Höhe der fünffachen Portefeuille-Entschädigung des letzten Vertragsjahres zu zahlen (Ziff. 6 Abs. 2).
 
A.c An seiner Sitzung vom 28. Oktober 1994 beschloss der Vorstand des Verbandes X.________, den Kanton Tessin neu dem Tätigkeitsgebiet der X.________ Graubünden (heute X.________ Kranken- und Unfallversicherungen AG) zuzuteilen. Mit Schreiben vom 25. April 1995 teilte die X.________ Schweiz der Y.________ mit, die administrative Betreuung der Mitglieder im Kanton Tessin werde auf den 1. Mai 1995 der Geschäftsstelle Mesocco übertragen. Am 16. Oktober 1995 stellte die X.________ Schweiz die Ausarbeitung einer neuen vertraglichen Grundlage in Aussicht. Sie stellte der Y.________ am 14. Dezember 1995 einen Vertragsentwurf zu, der erheblich geringere Entschädigungen für die Geschäftsführung und Portefeuillebetreuung sowie niedrigere Provisionszahlungen für die Vermittlung von neuen Versicherungsnehmern vorsah. Eine Einigung kam jedoch nicht zustande. Dennoch führte die Y.________ ihre Tätigkeit zunächst fort.
 
A.d Am 15. März 1996 fand eine Besprechung in San Bernardino statt. Anwesend waren namentlich B.________ seitens der Y.________ und C.________ seitens der X.________. Es ging um die Zusammenarbeit mit Bezug auf den Kanton Tessin. Wie aus einer Besprechungsnotiz hervorgeht, legte B.________ eine Provisionsabrechnung über ca. 2,5 Mio Fr. vor und erklärte, dass die 1994 und 1995 ausbezahlten Provisionen den Aufwand nicht gedeckt hätten. Ferner machte sie geltend, die Verträge mit den Vermittlern liefen unverändert weiter und müssten gekündigt werden, bevor auf einen neuen Vertrag eingegangen werden könnte. Dem hielt C.________ entgegen, die Y.________ sei bereits im Juni und September über den Wechsel zur X.________ Graubünden informiert worden, so dass genügend Zeit zur Verfügung gestanden wäre, um die Verträge anzupassen. Ausserdem habe die Y.________ unzulässigerweise Vermittlerverträge im Namen der X.________ abgeschlossen. Aus der Sicht der X.________ Graubünden schlug er für die Zukunft drei Varianten vor:
 
- eine Zusammenarbeit auf der Basis des unterbreiteten Vertrages
 
- die Übernahme der Angestellten in D.________ und der Vermittlertätigkeit durch die X.________ Graubünden unter Abschluss eines Agenturvertrages mit der Y.________
 
- die sofortige Einstellung der Zusammenarbeit.
 
B.________ antwortete, es könne über neue Formen diskutiert werden; rückwirkend müsse jedoch der alte ÖKK-Vertrag eingehalten werden.
 
Mit Schreiben vom 30. April 1996 teilte die X.________ Graubünden durch ihren Rechtsvertreter der Y.________ mit, es sei leider nicht gelungen, ein Vertragsverhältnis einzugehen. Der X.________ Graubünden bleibe daher nichts anderes übrig, als das ihr zugeteilte Tätigkeitsgebiet in anderer Form zu bearbeiten. Ab sofort, also ab . Mai 1996, sei keine Zusammenarbeit mit der Y.________ mehr erwünscht, und es könne jegliche Tätigkeit eingestellt werden. Versicherungsanträge mit potenziellen Mitgliedern, die per 1. Juli 1996 datiert worden seien, müssten nicht mehr übermittelt werden.
 
A.e In einem hierauf von der Y.________ gegen die X.________ Graubünden geführten Rechtsstreit wurde die Beklagte rechtskräftig zur Zahlung von Fr. 2'685'272.80 nebst Zins aus dem Abschluss von Versicherungsverträgen, die vom Januar bis Juni 1996 wirksam geworden waren, verpflichtet. Das Bundesgericht kam zum Schluss, es habe eine gültige Vertragsübernahme durch die X.________ Graubünden stattgefunden (Urteil 4C.109/1999 vom 24. Juli 1999).
 
B.
 
Mit einer weiteren Klage vom 12. November 1998 beantragte die Y.________ dem Bezirksgericht Unterlandquart, die X.________ Graubünden und die X.________ Schweiz seien solidarisch zu verpflichten, der Klägerin Fr. 7'208'938.70 nebst Zins und Zahlungsbefehlskosten zu bezahlen, und es seien in den gegen die Beklagten angehobenen Betreibungen die Rechtsvorschläge zu beseitigen. Nachdem die Klägerin ihre Klage gegen die X.________ Schweiz wegen fehlender Zuständigkeit zurückgezogen hatte, verpflichtete das Bezirksgericht die Kranken- und Unfallversicherungen AG mit Urteil vom 25. Oktober 2000 zur Zahlung von Fr. 5'050'856.50, nebst 5 % Zins seit 28. Juni 1996. Das Kantonsgericht von Graubünden wies mit Urteil vom 21. August 2001 die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin ab.
 
C.
 
Die X.________ Kranken- und Unfallversicherungen AG hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung und staatsrechtliche Beschwerde eingelegt. Mit der vorliegenden Beschwerde beantragt sie die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Die Beschwerdegegnerin und das Kantonsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie einzutreten sei.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Wird ein Entscheid sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde als auch mit Berufung angefochten, ist die Behandlung der Letzteren in der Regel auszusetzen, bis über die Erstere entschieden worden ist (Art. 57 Abs. 5 OG).
 
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird dem Kantonsgericht Willkür bei der Feststellung der Tatsachen vorgeworfen, welche zum rechtlichen Schluss führten, es habe kein wichtiger Grund für eine Vertragskündigung im Sinne von Art. 418r OR in Verbindung mit Art. 337 Abs. 2 OR vorgelegen. Sollte sich die Willkürrüge als begründet erweisen, wäre das kantonale Urteil ungeachtet der mit der Berufung gerügten rechtlichen Qualifikation des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Vertrages aufzuheben. Wenngleich die Beschwerdeführerin ihre Rügen willkürlicher Beweiswürdigung als Eventualstandpunkt verstanden wissen will, besteht kein Grund, von der Regel von Art. 57 Abs. 5 OG abzuweichen.
 
2.
 
Willkür liegt nicht bereits vor, wenn eine andere als die vom kantonalen Gericht gewählte Lösung ebenfalls vertretbar oder gar vorzuziehen wäre. Willkürlich ist ein Entscheid vielmehr erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 122 III 130 E. 2a mit Hinweisen). Geht es um Beweiswürdigung, ist überdies zu beachten, dass dem Sachgericht darin nach ständiger Rechtsprechung ein weiter Ermessensspielraum zukommt (BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Das Bundesgericht greift nur ein, wenn das kantonale Gericht sein Ermessen missbraucht hat, namentlich zu völlig unhaltbaren Schlüssen gelangt ist (BGE 101 Ia 298 E. 5 S. 306 mit Hinweisen) oder erhebliche Beweise übersehen oder willkürlich nicht berücksichtigt hat (BGE 118 Ia 28 E. 1b). Dabei rechtfertigt sich die Aufhebung eines Entscheides nur, wenn er nicht nur in einzelnen Punkten der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 125 I 166 E. 2a mit Hinweisen).
 
2.1 Das Kantonsgericht hat die Aussagen der zahlreichen Zeugen gewürdigt und gestützt darauf als erwiesen angesehen, dass im Vorfeld der fristlosen Vertragskündigung Probleme bestanden, wofür jedoch beide Seiten verantwortlich seien. Letztlich mass das Kantonsgericht den Zeugenaussagen jedoch untergeordnete Bedeutung bei. Ausschlaggebend ist seiner Ansicht nach vielmehr, dass die Beschwerdeführerin noch im Kündigungsschreiben vom 30. April 1996 ihre Bereitschaft bekundete, weiterhin mit der Beschwerdegegnerin zusammenzuarbeiten, sofern diese der Reduktion der Provisionsansätze gemäss dem Vorschlag der X.________ vom 14. Dezember 1995 zugestimmt hätte. Da dem Kantonsgericht auch keine anderen Schriftstücke vorlagen, welche die im Prozess geltend gemachten Schwierigkeiten als unüberbrückbar, die Zumutbarkeit der weiteren Zusammenarbeit ausschliessend ausgewiesen hätten, gelangte das Kantonsgericht zum Ergebnis, die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass ihr nicht mehr zumutbar gewesen sei, mit der Beschwerdegegnerin zusammenzuarbeiten, sei eine reine Ausflucht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Prozess gewesen.
 
2.2 Die Beschwerdeführerin wirft dem Kantonsgericht vor, das Kündigungsschreiben vom 30. April 1996 willkürlich gewürdigt zu haben. Mit ihren Vorbringen vermag sie indes keine Willkür aufzuzeigen.
 
2.2.1 Dass die Beschwerdeführerin bei Abfassung des Kündigungsschreibens der Ansicht war, sie sei nicht Vertragspartnerin der Beschwerdegegnerin, wie die Beschwerdeführerin in der staatsrechtlichen Beschwerde darlegt, vermag die Deutung des Wortlauts durch das Kantonsgericht nicht als unhaltbar erscheinen zu lassen.
 
2.2.2 Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin ist dem Urteil des Bundesgerichts vom 24. Juli 1994 (4C.109/1999) nicht zu entnehmen, dass die per 1. Januar 1996 in Kraft getretene Revision des Krankenversicherungsgesetzes zu einer unerträglichen Belastung der Beschwerdeführerin geführt hätte, wenn der Vertrag vom 6. Mai 1994 unverändert Bestand gehabt hätte. Die Beschwerdeführerin bringt denn auch nicht vor, dass sie diese Behauptung dem Kantonsgericht prozesskonform vorgetragen hätte, so dass ihre Rüge an dem für Willkürbeschwerden geltenden Novenverbot scheitert (BGE 119 II 6 E. 4a; 118 III 37 E. 2a).
 
2.2.3 Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, das Kantonsgericht habe willkürlich missachtet, dass A.________, der Präsident der Beschwerdegegnerin, an der Aussprache in San Bernardino vom 15. März 1996 nicht mehr erwünscht gewesen sei.
 
Wiederum trägt die Beschwerdeführerin nicht vor, im kantonalen Verfahren auf diesen Umstand hingewiesen zu haben. Dass er sich aus Urkunden des abgeschlossenen Verfahrens ergeben oder aus einer Zeugeneinvernahme abgeleitet werden könnte, ändert nichts daran, dass es sich um ein neues, mithin unzulässiges Vorbringen handelt.
 
2.3 Die Feststellung des Kantonsgerichts, die Beschwerdeführerin habe mit ihrem Kündigungsschreiben selbst zum Ausdruck gebracht, dass sie an einer weiteren Zusammenarbeit mit der bezüglich Akquisitionen sehr erfolgreichen Beschwerdegegnerin interessiert sei, hält nach dem Gesagten vor dem Willkürverbot stand. Unter diesen Umständen ist nicht mehr entscheiderheblich, wie die Vorinstanz Beweise gewürdigt hat, die nach Auffassung der Beschwerdeführerin ein vertragswidriges Verhalten bzw. Fehler der Beschwerdegegnerin bei der Abwicklung von Versicherungsanträgen zu belegen vermochten. Auf die entsprechenden Rügen der Beschwerdeführerin ist daher nicht einzutreten. Dazu kommt, dass sich die Rügen zum grössten Teil in unter dem Gesichtspunkt von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG unzulässiger Kritik am angefochtenen Urteil erschöpfen (vgl. dazu BGE 125 I 492 E. 1b).
 
3.
 
Insgesamt erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die Gerichtsgebühr der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 20'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 30'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Juni 2002
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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