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Informationen zum Dokument  BGer 4C.175/2001  Materielle Begründung
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BGer 4C.175/2001 vom 03.04.2002
 
[AZA 0/2]
 
4C.175/2001/rnd
 
I. ZIVILABTEILUNG
 
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3. April 2002
 
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter,
 
Präsident, Corboz, Klett, Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler
 
und Gerichtsschreiber Huguenin.
 
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In Sachen
 
Erika Bertschinger Eicke, Rötschwil 420, 9103 Schwellbrunn, Beklagte und Berufungsklägerin,
 
gegen
 
X.________, Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwältin Patricia Jucker, Wiesliacher 11, 8053 Zürich,
 
betreffend
 
Darlehen, hat sich ergeben:
 
A.- Erika Bertschinger Eicke, die sich Uriella nennt und unter diesem Namen in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, betätigt sich seit 1971 als Geistheilerin. 1980 gründete sie die Vereinigung "Fiat Lux", der sie noch heute vorsteht. Nach ihren Angaben ist "Fiat Lux" eine klösterliche Ordensgemeinschaft mit sehr strengen Regeln. Die von der Vereinigung befolgte Lehre umfasst religiöse, spirituelle und esoterische Elemente. Als einzige Vermittlerin der Lehre gilt Uriella, die sich als Sprachrohr Gottes bezeichnet.
 
Wichtige Inhalte der Lehre sind apokalyptische Vorstellungen und die Hoffnung der Rettung im Fall der Apokalypse. Die Vereinigung erhebt keine Mitgliederbeiträge, sondern finanziert sich aus freiwilligen Spenden und Einnahmen aus dem Verkauf von Heilmitteln.
 
X.________ kam 1981 im Zusammenhang mit der Krebserkrankung ihres Sohnes in Kontakt mit Uriella. Sie nahm in der Folge an den Aktivitäten von "Fiat Lux" teil und wurde Ende 1986 auch formell Mitglied der Vereinigung. Nach der Trennung von ihrem ersten Ehemann zog sie 1994 in ein eigenes Haus in Egg im Kanton Zürich, wo sich eines der Zentren von "Fiat Lux" befindet.
 
X.________ gewährte Uriella im Zeitraum zwischen Dezember 1994 bis August 1996 sieben zinslose Darlehen im Gesamtbetrag von Fr. 625'000.--. Für die Darlehen wurden unterschiedliche Laufzeiten vereinbart, die zwischen 10 und 22 Jahren betragen, womit sie vom Jahr 2006 bis ins Jahr 2017 zur Rückzahlung fällig geworden wären.
 
B.- Am 15. Mai 1997 erklärten X.________ und ihr zweiter Ehemann, der ebenfalls Mitglied von "Fiat Lux" war, brieflich den Austritt aus der Vereinigung. Im September des gleichen Jahres gelangte X.________ an Uriella mit dem Ersuchen, die Darlehenskonditionen durch eine Rückzahlungsvereinbarung in dem Sinne abzuändern, dass die Laufzeiten verkürzt würden. Damit wäre ein erstes Darlehen im Betrag von Fr. 100'000.-- am 27. August 1997 zur Rückzahlung fällig geworden. Nachdem das Ersuchen der Darlehensgeberin ohne Antwort geblieben war, betrieb sie Uriella mit Zahlungsbefehl vom 13. Mai 1998 für den Betrag von Fr. 625'000.-- nebst 5 % Zins seit 1. August 1995, worauf die Betriebene Rechtsvorschlag erhob.
 
C.- Im November 1998 reichte X.________ Klage gegen Erika Bertschinger Eicke ein mit dem Begehren, die Beklagte zur Zahlung von Fr. 625'000.-- nebst 5 % Zins seit 1. August 1996 sowie den Betreibungskosten und den Kosten des Vermittlungsverfahrens zu verpflichten. Die Klägerin beantragte zudem, den Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. 98/5, 588 des Betreibungsamtes Herisau aufzuheben. Mit Urteilen vom 10. April und 15. Mai 2000 verpflichtete das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden die Beklagte zur Zahlung von Fr. 625'000.-- nebst 5 % Zins seit 26. Juni 1998. Das Begehren um Aufhebung des Rechtsvorschlages wurde dagegen abgewiesen.
 
Auf Appellation der Beklagten und Anschlussappellation der Klägerin entschied das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden mit Urteil vom 22. Mai 2001 gleich wie das Kantonsgericht.
 
Beide Gerichte kamen zum Ergebnis, dass die Klägerin die Darlehensverträge aus wichtigem Grund vorzeitig kündigen durfte.
 
D.- Die Beklagte beantragt dem Bundesgericht mit ihrer Berufung, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit auf sie einzutreten sei, und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Nach Erhalt der Berufungsantwort stellte die Beklagte mit Eingabe vom 14. Februar 2002 das Gesuch, es sei ihr ausnahmsweise die Einreichung einer Replik zu gestatten.
 
Zur Begründung brachte sie vor, die Berufungsantwort enthalte nebst Ausführungen zum Sachverhalt neue Tatsachenbehauptungen und Beweisanträge sowie rechtliche Wertungen, die von ihr bestritten würden.
 
Die Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang auf Art. 62 Abs. 4 OG. Diese Bestimmung betrifft indessen den Fall, dass im Berufungsverfahren eine mündliche Parteiverhandlung durchgeführt wird (vgl. Art. 62 Abs. 1 OG und die Marginalie von Art. 62 OG). Der vorliegende Fall wird jedoch im schriftlichen Verfahren nach Art. 36b OG entschieden, weshalb Art. 62 OG nicht zur Anwendung kommt. Massgebend ist vielmehr Art. 59 OG, wonach die Regel gilt, dass ein einziger Schriftenwechsel stattfindet (Art. 59 Abs. 4 zweiter Satz). Ein weiterer Schriftenwechsel kann angeordnet werden, wenn es für den Entscheid des Bundesgerichts über die Berufung und eine allfällige Anschlussberufung unerlässlich erscheint, dass eine Partei die Möglichkeit erhält, zu den Vorbringen der anderen Partei Stellung zu nehmen (vgl.
 
Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, N. 2.6 zu Art. 59 OG). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Für beide Seiten gilt das Verbot neuer tatsächlicher Vorbringen und neuer Anträge (Art. 55 Abs. 1 lit. c und Art. 59 Abs. 3 OG). Soweit in der Berufungsschrift oder der Berufungsantwort neue Vorbringen enthalten sind, werden diese vom Bundesgericht nicht berücksichtigt, weshalb kein Anlass besteht, den Parteien in einem weiteren Schriftenwechsel die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen. Soweit es schliesslich um im Berufungsverfahren überprüfbare Rechtsanwendung der Vorinstanz geht, gilt der Grundsatz, dass das Bundesgericht Rechtsfragen von sich aus entscheidet (Art. 63 Abs. 3 OG), unabhängig von allfälligen Vorbringen der Parteien.
 
Es besteht somit auch unter diesem Gesichtspunkt kein Anlass für einen weiteren Schriftenwechsel, weshalb das Gesuch der Beklagten abzuweisen ist.
 
2.- Im Berufungsverfahren hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zugrunde zu legen, es sei denn, sie beruhten auf einem offensichtlichen Versehen, seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen oder bedürften der Ergänzung, weil die Vorinstanz in fehlerhafter Rechtsanwendung einen gesetzlichen Tatbestand nicht oder nicht hinreichend geklärt hat, obgleich ihr entscheidwesentliche Behauptungen und Beweisangebote dazu prozesskonform unterbreitet worden waren (Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 Abs. 1 OG; BGE 115 II 484 E. 2a). Werden solche Ausnahmen geltend gemacht, hat die Partei, die den Sachverhalt berichtigt oder ergänzt wissen will, darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu machen (Art. 55 Abs. 1 lit. d OG). Eine Ergänzung setzt zudem voraus, dass entsprechende Sachbehauptungen bereits im kantonalen Verfahren prozesskonform aufgestellt, von der Vorinstanz aber zu Unrecht für unerheblich gehalten oder übersehen worden sind, was wiederum näher anzugeben ist.
 
Ohne diese Angaben gelten Vorbringen, welche über die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil hinausgehen, als neu und sind damit unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz ist, soweit nicht Vorschriften des Bundesrechts hinsichtlich der Beweiswürdigung in Frage stehen, von der Berufung ausgeschlossen (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223 mit Hinweisen).
 
Was die Beklagte in der Berufungsschrift zum vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt vorbringt, widerspricht weitgehend den erwähnten Regeln und ist deshalb nicht zu hören.
 
Soweit die Beklagte eine Ergänzung des Sachverhalts in Bezug auf die Gründe verlangt, welche die Klägerin zum Austritt aus "Fiat Lux" veranlasst haben, besteht kein Anlass für eine solche Massnahme, da der von den kantonalen Gerichten festgestellte Sachverhalt für eine Überprüfung der Anwendung des Bundesrechts durch diese ausreicht (vgl. hinten E. 4).
 
3.- Für gesetzlich geregelte Dauerschuldverhältnisse bestehen regelmässig Vorschriften, die ihre vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund vorsehen (vgl. neben Art. 337 OR zum Beispiel Art. 266g, 418r und 527 OR). Die Lehre geht davon aus, dass diese Vorschriften Ausdruck eines allgemeinen Prinzips sind, das grundsätzlich für alle Dauerverträge gilt (Eugen Bucher, Berner Kommentar, N. 200 zu Art. 27 ZGB; Kramer, Berner Kommentar, Allgemeine Einleitung in das schweizerische OR, N. 164; Ivan Cherpillod, La fin des contrats de durée, S. 123 ff.; Peter Gauch, System der Beendigung von Dauerverträgen, S. 186 ff.; Benedikt Maurenbrecher, Das verzinsliche Darlehen im schweizerischen Recht, Dogmatische Grundlagen und praktische Konsequenzen, Diss. Bern 1995, S. 236 ff.). Die Rechtsprechung des Bundesgerichts stimmt damit überein (vgl. zum Grundsatz BGE 122 III 262 E. 2a/aa S. 265). Das Bundesgericht hat die Auflösbarkeit aus wichtigem Grund in verschiedenen Entscheiden auf Verträge ausgedehnt, für die eine entsprechende gesetzliche Regelung fehlt (Alleinvertretungsvertrag: BGE 99 II 308 E. 5a S. 310; Lizenzvertrag: BGE 96 II 154 E. 2; 92 II 299 E. 3b).
 
a) In der Lehre ist umstritten, ob auch der Darlehensvertrag zu den Dauerschuldverhältnissen gehört, die aus wichtigem Grund vorzeitig aufgelöst werden können. Mehrheitlich wird dies bejaht (Schärer, Basler Kommentar, 2. Aufl. , N. 25 zu Art. 318 OR; Kramer, a.a.O., N. 164; Gauch, a.a.O., S. 186 ff.; Maurenbrecher, a.a.O., S. 237 f.; Joachim Gruber, Die Kündigung des Darlehensvertrages aus wichtigem Grund. Ein Vorschlag für die Entwicklung des schweizerischen Rechts in Anlehnung an ausländische Rechtsordnungen, SJZ 92/1996, S. 26 ff.; vgl. dazu Urs Bertschinger, Die Kündigung des verzinslichen Darlehensvertrages aus wichtigem Grund, insbesondere bei Verschlechterung der Finanzlage des Borgers. Eine Entgegnung zum Aufsatz von Regierungsrat Joachim Gruber, SJZ Nr. 2, 92 (1996), Seite 26 ff., SJZ 92/1996, S. 471 ff.). Die ablehnenden Autoren begründen ihre Meinung damit, es liege kein Dauerschuldverhältnis vor und die Möglichkeit der Auflösung aus wichtigem Grund lasse sich nicht mit der wirtschaftlichen Funktion des Darlehensvertrags vereinen (Christ, SPR, Bd. VII/2, Der Darlehensvertrag, S. 257 f.; Eugen Bucher, Obligationenrecht Besonderer Teil, 3. Aufl. , Zürich 1988, S. 197, und Berner Kommentar, N. 342 zu Art. 27 ZGB).
 
b) Dauerschuldverhältnisse werden dadurch charakterisiert, dass der Umfang der Gesamtleistung von der Länge der Zeit abhängt, während der die Leistungen fortgesetzt werden sollen (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 14. Auflage, München 1987, § 2 VI S. 29 f.; Gauch/Schluep/Schmid, Schweiz. Obligationenrecht Allg.
 
Teil, Band I, 7. Auflage, Zürich 1998, Rz. 94 f.; Kramer, a.a.O., N. 159 f.; Alfred Koller, Schweiz. Obligationenrecht, Allg. Teil, Band I, Bern 1996, Rz. 113). Massgebend ist die vertragstypische Hauptleistung, die beim Darlehensvertrag über Geld vom Darlehensgeber erbracht wird und in der Verschaffung sowie Überlassung einer Geldsumme an den Darlehensnehmer während eines gewissen Zeitraumes besteht (Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, Bestandsaufnahme und kritische Würdigung einer tradierten Figur der Schuldrechtsdogmatik, Tübingen 1994, S. 105 ff., 148 ff.).
 
Auf dieser theoretischen Grundlage ist der Darlehensvertrag unabhängig davon als Dauerschuldverhältnis zu betrachten, ob der Borger einen Zins schuldet oder dem Darlehensgeber keine Gegenleistung in Geld erbringen muss. Ob Zins geschuldet wird oder nicht, ist dagegen von massgebender Bedeutung in Bezug auf die wirtschaftliche Funktion des Darlehensvertrages, seine Erscheinungsform und den Entscheid darüber, was als wichtiger Grund für die vorzeitige Auflösung zu betrachten ist. Wird Zins geschuldet, bestehen insoweit gegenläufige Interessen der Vertragsparteien. Zinslose Darlehen werden dagegen in der Regel aus Gründen gewährt, welche den gemeinsamen Interessen der Vertragsparteien entsprechen.
 
Die wirtschaftliche Funktion des Vertrages unterscheidet sich hier grundlegend von jener, die beispielsweise bei einem hochverzinslichen Kleinkredit gegeben ist. Zinslose Darlehen mit Laufzeiten von zehn und mehr Jahren nähern sich von ihrer Funktion her einer Schenkung und werden denn auch unter vergleichbaren Umständen und aus vergleichbaren Motiven vereinbart. Der Darlehensgeber bzw. die Darlehensgeberin gewährt das Darlehen in solchen Fällen darum, weil hinsichtlich der Verwendung des Geldes eine Interessengemeinschaft besteht, der eine enge soziale - meist verwandtschaftliche - Beziehung zugrunde liegt.
 
Nicht zu folgen ist jedenfalls der Meinung von Christ (a.a.O., S. 258), das Darlehen werde im Gegensatz zu den Leistungen des Vermieters oder des Verleihers nicht intuitu personae zur Nutzung gegeben. Bei allen wirtschaftlichen Erscheinungsformen des Darlehens spielen die persönlichen Umstände des Darlehensnehmers bzw. die Beziehungen zwischen diesem und dem Darlehensgeber durchaus eine Rolle für den Entscheid darüber, ob und unter welchen Bedingungen das Darlehen gewährt wird (ebenso Gruber, a.a.O., S. 27).
 
Das gilt in besonderem Masse für das zinslose Darlehen, wie bereits festgehalten worden ist.
 
c) In BGE 100 II 345 ff. hat das Bundesgericht verneint, dass die Veränderung der Verhältnisse des Borgers - Scheidung von der Tochter des Darlehensgebers und Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage - bei einem auf Lebenszeit des Borgers gewährten verzinslichen Darlehen ein Grund für die vorzeitige Kündigung des Vertragsverhältnisses bilde. Angedeutet wurde jedoch, dass die Rechtslage im Fall eines zinslosen Darlehens anders beurteilt werden könnte (E. 2a). Zudem wurde die Frage vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 2 Abs. 2 ZGB) erörtert (E. 2b). Nach heutigem Verständnis steht dagegen bei der vorzeitigen Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund der Schutz der Persönlichkeit im Sinne von Art. 27 ZGB im Vordergrund. Die betreffende Partei soll sich von der Vertragsbindung befreien können, weil eine Fortführung des Vertragsverhältnisses eine unzumutbare Einschränkung ihrer Persönlichkeitsrechte bedeuten würde (Oetker, a.a.O., S. 268 f.). Darin kann im Übrigen auch die Abgrenzung zum Anwendungsbereich der clausula rebus sic stantibus gesehen werden (dazu Bucher, Berner Kommentar, N. 201 zu Art. 27 ZGB). Die clausula setzt Veränderungen der äusseren Umstände voraus, von denen alle Vertragsparteien gleichermassen betroffen sind, und die zu einer gravierenden Äquivalenzstörung geführt haben (zu Letzterem BGE 127 III 300 E. 5b). Im Gegensatz dazu hat die Kündigung aus wichtigem Grund keine Äquivalenzstörung zur Voraussetzung. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, ob das Gebundensein an den Vertrag für die Partei wegen veränderter Umstände ganz allgemein unzumutbar geworden ist, also nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter anderen die Persönlichkeit berührenden Gesichtspunkten. Diese Abgrenzungsfrage braucht hier indessen mangels Erheblichkeit nicht weiter erörtert zu werden.
 
4.- Ob im Einzelfall ein wichtiger Grund vorliegt, entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (Art. 4 ZGB). Es geht dabei um eine Billigkeitsentscheidung, die auf objektiver Interessenabwägung unter Beachtung der Umstände des beurteilten Falles beruht (Gauch, a.a.O., S. 175; Meier-Hayoz, Berner Kommentar, N. 46 ff. zu Art. 4 ZGB; Dürr, Zürcher Kommentar, N. 58 ff. zu Art. 4 ZGB; Mayer-Maly, Basler Kommentar, N. 22 und 25 zu Art. 4 ZGB). Ermessensentscheide dieser Art überprüft das Bundesgericht an sich frei; es übt dabei aber Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat, das heisst wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat. Aufzuheben und zu korrigieren sind ausserdem Ermessensentscheide, die sich als im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 127 III 351 E. 4a S. 354; 126 III 223 E. 4a S. 227 f.).
 
Für ein Eingreifen des Bundesgerichts in den vorinstanzlichen Ermessensentscheid besteht kein Anlass, da keine der aufgezählten Voraussetzungen gegeben sind. Die kantonalen Gerichte haben zutreffend berücksichtigt, dass die Klägerin die zinslosen Darlehen unter besonderen Umständen gewährt hat, die mit dem Austritt der Klägerin aus "Fiat Lux" dahingefallen sind. Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts, das sich jenen der ersten Instanz angeschlossen hat, war die Klägerin in den Jahren 1994 bis 1996, als die Darlehensverträge abgeschlossen wurden, ein bedeutendes Mitglied von "Fiat Lux", das in einer privilegierten Beziehung zur Vorsteherin der Gemeinschaft, der Beklagten, und deren Ehemann stand. In den Urteilen der kantonalen Gerichte wird festgehalten, zwischen der Klägerin und der Beklagten habe ein engfreundschaftliches Vertrauensverhältnis bestanden, was sich insbesondere darin manifestiert habe, dass die Beklagte und deren Ehemann 1997 Trauzeugen an der Hochzeit der Klägerin gewesen seien. Sodann wird auf die lange Dauer der persönlichen Bekanntschaft hingewiesen, die auf die Zeit kurz nach der Gründung der Gemeinschaft "Fiat Lux" im Jahre 1980 zurückgeht. Im Weitern wird festgestellt, die Beklagte habe als Sprachrohr Gottes der Klägerin Botschaften von Jesus Christus übermittelt.
 
Dieser Umstand führte zusammen mit der Einbindung in die Gemeinschaft "Fiat Lux", bei der es sich nach den Angaben der Beklagten um eine klösterliche Ordensgemeinschaft mit sehr strengen Regeln handelt, zu einer geistigen und wohl auch psychischen Dominanz der Beklagten gegenüber der Klägerin.
 
Zu berücksichtigen ist zudem, dass das verliehene Geld nach dem Willen der Darlehensgeberin den Interessen der Gemeinschaft "Fiat Lux" und nicht den persönlichen Interessen der Borgerin dienen sollte. Von Bedeutung ist schliesslich, dass die Klägerin darauf vertrauen durfte, durch die Zugehörigkeit zu "Fiat Lux" in gewissem Ausmass für die Zukunft wirtschaftlich abgesichert zu sein. Mit dem Ausscheiden aus "Fiat Lux" ist diese Sicherheit nicht mehr vorhanden und die heute über sechzigjährige Klägerin ist darauf angewiesen, dass sie sich aus eigenen Mitteln für das Alter absichern kann. Dazu kommt, dass die erwähnte Interessengemeinschaft hinsichtlich der Verwendung des verliehenen Geldes nicht mehr besteht und insoweit die Grundlage der Darlehensverträge weggefallen ist. Das Ausscheiden der Klägerin aus der Gemeinschaft "Fiat Lux" hat dazu geführt, dass ihr die Bindung an die Darlehensverträge wegen übermässiger Einschränkung ihrer Persönlichkeitsrechte nicht mehr zuzumuten ist. Zum einen besteht angesichts der langen Laufzeiten der zinslosen Darlehen von zehn bis zweiundzwanzig Jahren ein Übermass in wirtschaftlicher Hinsicht, da die Klägerin im Zeitpunkt der Rückzahlung einen massiven Wertverlust ihres Geldes in Kauf nehmen müsste, wogegen die Beklagte während der Laufzeit der Darlehen über das Geld hätte gewinnbringend verfügen können. Zum andern liegt auch eine übermässige, unzumutbare Einschränkung des persönlichkeitsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Klägerin vor, da sie mit dem ausgeliehenen Geld eine Gemeinschaft unterstützen muss, deren Interessen und Ziele sie nicht mehr teilt und auf die sie auch keinen Einfluss mehr ausüben kann.
 
Die Vorinstanz hat sich somit bei ihrem Ermessensentscheid von zutreffenden Gesichtspunkten leiten lassen und alle rechtserheblichen Umstände berücksichtigt. Das gilt entgegen der Kritik der Beklagten auch insoweit, als dem angefochtenen Urteil im Ergebnis die Auffassung zugrunde liegt, die Motive der Klägerin für den Austritt aus der Gemeinschaft "Fiat Lux" brauchten nicht abgeklärt zu werden.
 
Die erste Instanz hat diese Frage unter dem Gesichtspunkt eines Verschuldens der Klägerin geprüft und ein solches verneint, weil der Austritt aus der Gemeinschaft als Akt des Selbstschutzes zu verstehen sei. Der Austritt kann der Klägerin indessen so oder anders nicht als Verschulden vorgeworfen werden. Aus dem im Gebiet des Privatrechts gesetzlich gewährleisteten Schutz der Persönlichkeit durch Art. 27 ZGB ergibt sich nämlich, dass die Klägerin frei darüber entscheiden konnte, ob sie weiterhin einer Gemeinschaft angehören wollte, bei der es sich nach den Angaben der Beklagten um eine klösterliche Ordensgemeinschaft mit sehr strengen Regeln handelt. Jedem Mitglied einer solchen Gemeinschaft steht kraft seiner Persönlichkeit die freie Wahl zu, ob es in der Gemeinschaft bleiben oder diese verlassen will. Der Entscheid, aus der Gemeinschaft auszutreten, darf dem Mitglied in keinem Zusammenhang als Verschulden vorgeworfen werden. Welches die Beweggründe der Klägerin für den Austritt aus "Fiat Lux" waren, ist somit rechtlich unerheblich und brauchte von den kantonalen Gerichten nicht beweismässig abgeklärt zu werden. Die Rüge der Beklagten, die Vorinstanz habe ihr in diesen Zusammenhang das Beweisrecht verweigert und damit Art. 8 ZGB verletzt, erweist sich damit als unbegründet (vgl. BGE 122 III 219 E. 3c S. 223).
 
5.- Die Beklagte wendet sich schliesslich gegen die Auffassung der Vorinstanz, dass die Klägerin mit der Zustellung des Zahlungsbefehls vom 13. Mai 1998 die vorzeitige Kündigung der Darlehensverträge erklärt habe.
 
a) Bei der Erklärung, einen Vertrag wegen eines wichtigen Grundes vorzeitig zu kündigen, handelt es sich um die Ausübung eines Gestaltungsrechts durch empfangsbedürftige Willenserklärung (Gauch/Schluep/Schmid, Schweiz. Obligationenrecht, Allg. Teil, Bd. I, 7. Aufl. , Rz. 194). Die Erklärung ist grundsätzlich an keine Form gebunden und inhaltlich ausreichend, wenn daraus für den Empfänger erkennbar hervorgeht, dass der Erklärende den Vertrag vorzeitig beenden will. Falls wie im vorliegenden Fall keine gegenteilige gesetzliche Regelung gilt, brauchen die wichtigen Gründe nicht genannt zu werden.
 
Mit dem Zahlungsbefehl vom 13. Mai 1998 ist die Beklagte von der Klägerin aufgefordert worden, den Betrag von Fr. 625'000.-- nebst 5 % Zins seit 1. August 1995 zu zahlen.
 
Als Grund der Forderung wurden die sieben zwischen 1994 und 1996 gewährten Darlehen genannt mit der Bemerkung: "vorzeitige Rückforderung gestützt auf Art. 23 ff., Art. 28 und Art. 29 OR". Das reicht als Kündigungserklärung aus. Die Klägerin hat damit der Beklagten für diese erkennbar zu verstehen gegeben, dass sie die Darlehensverträge vorzeitig beenden wolle. Aus dem Hinweis auf die Gesetzartikel über die Vertragsanfechtung wegen Willensmängeln vermag die Beklagte nichts für ihren Standpunkt herzuleiten. Gibt eine Vertragspartei eine solche Anfechtungserklärung ab, kann daraus geschlossen werden, dass sie das Vertragsverhältnis als - vorzeitig - beendet betrachtet. Das stimmt aber im Ergebnis mit der Kündigungserklärung aus wichtigem Grunde überein.
 
b) Beide kantonalen Gerichte sind zum Ergebnis gelangt, die sieben Darlehensverträge hätten unter Einhaltung der sechswöchigen Kündigungfrist von Art. 318 OR auf den
 
25. Juni 1998 aufgelöst werden können. Zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 318 OR äussert sich die Beklagte in der Berufungsschrift mit keinem Wort, weshalb insoweit eine Überprüfung des angefochtenen Urteils entfällt (BGE 116 II 745 E. 3 mit Hinweisen).
 
6.- Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens kann das Bundesgericht den Kostenspruch der Vorinstanz im Rahmen des Berufungsverfahrens nicht überprüfen bzw. ändern (BGE 114 II 144 E. 4). Die diesbezüglichen Vorbringen der Beklagten sind nicht zu hören.
 
Die Gerichtsgebühr ist der Beklagten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Das Gesuch der Beklagten um Gewährung einer Replik wird abgewiesen.
 
2.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und das Urteil des Obergerichts von Appenzell Ausserrhoden vom 22. Mai 2001 wird bestätigt.
 
3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 9'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
 
4.- Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 10'000.-- zu entschädigen.
 
5.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht von Appenzell Ausserrhoden schriftlich mitgeteilt.
 
______________
 
Lausanne, 3. April 2002
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
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