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Informationen zum Dokument  BGE 116 V 130  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. a) Das Eidg. Versicherungsgericht beurteilt letztinstanzlich V ...
2. a) Gemäss Art. 129 Abs. 1 lit. b OG ist die Verwaltungsge ...
3. a) Die Grütli wendet hiegegen ein, Art. 99 lit. b bzw. Ar ...
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24. Urteil vom 10. Januar 1990 i.S. Schweizerische Grütli gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern
 
 
Regeste
 
Art. 99 lit. b und Art. 129 Abs. 1 lit. b OG: Verfügung betreffend einen Tarif und Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.  
- Die Zulässigkeit einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Zusammenhang mit Tarifen bestimmt sich nicht danach, ob die sich stellende Frage die technische Ausgestaltung des Tarifs und damit einen schwer justiziablen Bereich betrifft oder ob es sich um eine richterlicher Beurteilung zugängliche Rechtsfrage handelt.  
 
Sachverhalt
 
BGE 116 V, 130 (131)A.- Mit Zirkular Nr. 199 vom 15. Dezember 1988 teilte das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) allen Krankenkassen und Rückversicherungsverbänden mit, dass nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 5 des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI) über die Krankenversicherung vom 12. November 1965 die Mindestbeiträge für die kollektive Krankenpflegeversicherung entsprechend den örtlich bedingten Kostenunterschieden nach Risikogruppen abgestuft würden. Die seit der letzten Anpassung eingetretene Teuerung erfordere eine neuerliche Änderung der bisherigen Einreihung der einzelnen Regionen und Zonen im Sinne des Zirkulars Nr. 197 vom 25. Januar 1988. Die neue Einreihung werde in der beiliegenden Tabelle festgesetzt. Diese Tabelle ersetze diejenige vom 1. März 1988 und trete am 1. Januar 1989 in Kraft. Die darin festgesetzten Mindestbeiträge würden für Neuabschlüsse (Art. 13a Abs. 3 der Verordnung II über die Krankenversicherung vom 22. Dezember 1964) gelten. Verträge mit Beiträgen, die zu den bisher geltenden Ansätzen offeriert worden seien, müssten bis zum 30. Dezember 1988 abgeschlossen werden.
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Weil eine Krankenkasse die Rechtmässigkeit dieser Anordnung in Frage stellte, erliess das BSV am 6. Februar 1989 eine an alle anerkannten Krankenkassen gerichtete Verfügung, mit welcher es die im Zirkular Nr. 199 bekanntgegebene Neueinreihung der Regionen in die Risikogruppen bestätigte. Im weiteren hielt es fest, dass einer gegen diese Verfügung gerichteten Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen werde.
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B.- Hiegegen liess die Schweizerische Grütli beim EDI Beschwerde führen mit den Anträgen:
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"1. Es sei festzustellen, dass Art. 13a Abs. 3 der Verordnung II über die
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Krankenversicherung sowie die darauf beruhende Verordnung 5 des
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BGE 116 V, 130 (132)EDI betreffend die Mindestbeiträge in der Kollektivversicherung insoweit
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verfassungs- und gesetzwidrig und damit nichtig sind, als sie den
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Bundesbehörden die Kompetenz zur Festsetzung verbindlicher Mindestbeiträge
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in der Kollektivversicherung einräumen, und es seien demzufolge die
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angefochtene Verfügung des BSV vom 6.2.1989 und das durch sie bestätigte
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Zirkular Nr. 199 vom 15.12.1988 ersatzlos aufzuheben.
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2. Eventuell:
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Für den Fall, dass wider Erwarten die Kompetenz der Bundesbehörden zur
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Festsetzung von verbindlichen Mindestbeiträgen in der
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Kollektivversicherung bestätigt werden sollte, seien die angefochtene
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Verfügung des BSV vom 6.2.1989 und das durch sie bestätigte Zirkular Nr.
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199 vom 15.12.1988 aufzuheben, und es seien die bisherigen Mindestbeiträge
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in der Kollektivversicherung gemäss Tabelle vom 1.3.1988 auch als für die
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Zeit nach dem 1.1.1989 gültig zu bestätigen.
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3. Der durch die angefochtene Verfügung entzogene Suspensiveffekt der
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Beschwerde sei durch die Beschwerdeinstanz unverzüglich gemäss Art. 55
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Abs. 3 VwVG wiederherzustellen und bis zum letztinstanzlichen
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rechtskräftigen Entscheid über die vorliegende Beschwerde bei sämtlichen
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anerkannten Krankenkassen und Rückversicherungsverbänden anzuwenden."
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Mit Zwischenverfügung vom 27. April 1989 wies das EDI das Begehren der Schweizerischen Grütli um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde ab. Die Rechtsmittelbelehrung lautete dahin, dass gegen diesen Entscheid beim Bundesrat Beschwerde erhoben werden könne.
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C.- Die Grütli führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidg. Versicherungsgericht und beantragt, die aufschiebende Wirkung der beim EDI eingereichten Beschwerde sei in Aufhebung der Zwischenverfügung vom 27. April 1989 wiederherzustellen.
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Das EDI beantragt, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten.
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D.- Für den Fall, dass das Eidg. Versicherungsgericht seine Zuständigkeit zur Behandlung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde verneinen sollte, führt die Grütli auch Beschwerde beim Bundesrat. Mit Schreiben vom 26. Juni 1989 an das Eidg. Versicherungsgericht eröffnet das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) den Meinungsaustausch über die Frage der Zuständigkeit, wobei es darauf hinweist, dass seiner Stellungnahme nur "vorläufiger Charakter" zukomme.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1. a) Das Eidg. Versicherungsgericht beurteilt letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne BGE 116 V, 130 (133)von Art. 5 VwVG auf dem Gebiete der Sozialversicherung (Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 OG). Als Verfügungen gelten gemäss Art. 5 Abs. 2 VwVG auch die Zwischenverfügungen im Sinne von Art. 45 VwVG, zu welchen die Verfügungen über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gehören (Art. 45 Abs. 2 lit. g und Art. 55 VwVG). Solche Verfügungen sind nach Art. 45 Abs. 1 VwVG nur dann selbständig anfechtbar, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (BGE 110 V 354 Erw. 1a, BGE 109 V 231 Erw. 1 mit Hinweisen).
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b) Für das letztinstanzliche Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Zwischenverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die Endverfügung offensteht. Der Rechtsmittelzug für die Anfechtung von Zwischenverfügungen folgt nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens dem Rechtsweg, der für die Anfechtung von Endverfügungen massgebend ist (BGE 100 Ib 329 f.; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 143). Zu prüfen ist somit im vorliegenden Falle vorab, ob gegen den Endentscheid über die von der Grütli erhobene Beschwerde die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht zulässig wäre.
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2. a) Gemäss Art. 129 Abs. 1 lit. b OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Verfügungen über Tarife. Ein Tarif stellt in der Regel ein System oder Gefüge von Entgeltleistungen dar, deren Abstufung nicht notwendigerweise nach dem "Wert" der gegenüberstehenden Dienstleistung, sondern nach andern - sozialen, politischen, technischen - Gesichtspunkten erfolgen kann, die dem einzelnen Bürger unter Umständen schwer zugänglich sind und wo der verfügenden Behörde regelmässig ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht (BGE 109 V 200 Erw. 2b mit Hinweisen). Die Prämientarife von Krankenkassen sind Tarife im Sinne dieser Bestimmung (BGE 112 V 287 Erw. 3 und 293 Erw. 1). Nach der Rechtsprechung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde allerdings nur unzulässig gegen Verfügungen, welche den Erlass oder die Genehmigung als Ganzes zum Gegenstand haben oder wenn unmittelbar einzelne Tarifbestimmungen als solche angefochten werden. Entscheidend dafür ist, dass die Gesichtspunkte, welche der Strukturierung eines Tarifes zugrundeliegen, als nicht oder schwer justiziabel betrachtet werden. Hingegen steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen gegen Verfügungen, welche BGE 116 V, 130 (134)in Anwendung eines Tarifes im Einzelfall ergangen sind (BGE 112 V 287 Erw. 3 und 293 Erw. 1 mit Hinweis).
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b) In der angefochtenen Verfügung vom 6. Februar 1989 verpflichtete das BSV die Krankenkassen, beim Abschluss von neuen Kollektivverträgen über die Krankenversicherung nach bestimmten Gesichtspunkten festgelegte Mindestbeiträge zu verlangen. Damit wird vom Bundesamt in das Prämiengefüge der Krankenkassen auf dem Gebiet der Kollektivversicherung eingegriffen. Ob dieser Eingriff Rechtens war oder nicht, ist eine Tariffrage im Sinne von Art. 129 Abs. 1 lit. b OG. Daran ändert der Umstand nichts, dass nicht das gesamte Tarifsystem der Kassen im Bereiche der Kollektivverträge Gegenstand der Verfügung ist, sondern lediglich deren jeweils niedrigste Position. In Frage gestellt ist nämlich im vorliegenden Fall nicht die konkrete Anwendung einer Tarifposition im Einzelfall, welche gemäss konstanter Praxis richterlich überprüft werden könnte, sondern eine Tarifposition, welche als solche angefochten ist und die damit einer abstrakten Kontrolle unterzogen würde. Der Endentscheid in der Beschwerde, welche die Grütli gegen die Verfügung des BSV vom 6. Februar 1989 erhoben hat, ist somit als Verfügung über einen Tarif im Sinne von Art. 129 Abs. 1 lit. b OG zu qualifizieren. Weil dagegen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig ist, kann das Eidg. Versicherungsgericht nach Art. 129 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 101 lit. a OG auf die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eintreten.
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3. a) Die Grütli wendet hiegegen ein, Art. 99 lit. b bzw. Art. 129 lit. b OG habe ihren gesetzgeberischen Zweck darin, dass die Ausgestaltung eines Tarifs Fragen vorwiegend technischer Natur aufwerfe, welche sich zur gerichtlichen Überprüfung nicht eigneten. Die mangelnde Justiziabilität gelte jedoch nur für diesen technischen Bereich, nicht aber auch für die rechtliche Grundsatzfrage, ob die Behörde zur Festsetzung eines Tarifs berechtigt sei. Letzteres sei ohne Zweifel justiziabel, was auch für den vorliegenden Fall zutreffe, weil in der Hauptsache die Rechtsfrage zu beantworten sei, ob die Bundesbehörden zur Festsetzung von Mindestbeiträgen für die Kollektivversicherung überhaupt berechtigt seien. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Endentscheid müsse deshalb zulässig sein. Ähnlich argumentiert auch das EJPD in seiner "vorläufigen Stellungnahme".
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b)Der zitierte Standpunkt knüpft an die Tatsache an, dass der Ausschluss der Verfügungen über Tarife von der richterlichen BGE 116 V, 130 (135)Überprüfbarkeit vom Gesetzgeber deshalb vorgenommen wurde, weil Tariffragen häufig schwer oder nicht justiziabel sind. Auf der Hand liegt aber, dass das erwähnte gesetzgeberische Ausschlussmotiv nicht in jedem Einzelfall in gleicher Weise besteht, sondern lediglich den Regelfall darstellt. Dies hat den Gesetzgeber aber nicht veranlasst, von einem allgemeinen Ausschluss der Anfechtbarkeit von Tarifverfügungen durch Verwaltungsgerichtsbeschwerden zugunsten einer differenzierteren Lösung abzusehen. Entscheidend ist der klare Wortlaut von Art. 129 lit. b (bzw. Art. 99 lit. b) OG, wonach es generell nur darauf ankommt, ob der Anfechtungsgegenstand eine Verfügung über Tarife ist. Ist das im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung zu bejahen, dann ist eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausnahmslos ausgeschlossen. Es geht nicht an, einzelne im Zusammenhang mit dem Erlass eines Tarifes sich stellende Rechtsfragen wie etwa diejenige nach der Zuständigkeit der verfügenden Behörde oder der grundsätzlichen Zulässigkeit der getroffenen Massnahme auf dem Tarifsektor zu verselbständigen und als Frage, die nicht die Ausgestaltung von Tarifen betrifft, der bundesgerichtlichen Überprüfung zu unterwerfen. Für eine derartige Aufspaltung des Rechtsweges je nach der im Zusammenhang mit einer Verfügung über Tarife aufgeworfenen Rechtsfrage lässt der Wortlaut von Art. 129 Abs. 1 lit. b (bzw. Art. 99 lit. b) OG keinen Raum. Überdies würde ein solches Vorgehen häufig zu schwer lösbaren Abgrenzungsproblemen führen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.
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