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Informationen zum Dokument  BGE 112 V 39  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
2. a) Nach Art. 18 Abs. 1 UVG hat der Versicherte Anspruch auf ei ...
3. a) Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen ist fü ...
4. Nun ist zu beachten, dass die Komplementärrente für  ...
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8. Auszug aus dem Urteil vom 14. Februar 1986 i.S. G. gegen Schweizer Union, Allgemeine Versicherungsgesellschaft, und Versicherungsgericht Graubünden
 
 
Regeste
 
Art. 20 Abs. 2 sowie 31 Abs. 1 und 4 UVG, Art. 32 Abs. 4 und 43 Abs. 2 UVV: Komplementärrenten für Invalide bzw. für Hinterlassene.  
- Diese Regel ist sinngemäss auch anzuwenden auf Komplementärrenten für Hinterlassene (Erw. 3c und d).  
- Die Komplementärrenten treten nur dann an die Stelle der vollen UV-Hinterlassenenrenten, wenn diese zusammen mit den AHV-Hinterlassenenrenten die Überversicherungsgrenze übersteigen (Erw. 4).  
 
BGE 112 V, 39 (40)Aus den Erwägungen:
 
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Unter dem Randtitel "Höhe der Komplementärrenten in Sonderfällen" hat der Bundesrat in Ausführung von Art. 20 Abs. 3 UVG in Art. 32 UVV bestimmt:
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BGE 112 V, 39 (41)Abs. 4: "Hat der Rentenberechtigte vor Eintritt der Invalidität
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neben der unselbständigen noch eine selbständige Erwerbstätigkeit
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ausgeübt, so wird für die Festsetzung der Grenze von 90 Prozent nach
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Artikel 20 Absatz 2 des Gesetzes neben dem versicherten Verdienst auch
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das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit bis zum Höchstbetrag des
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versicherten Verdienstes berücksichtigt."
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Abs. 5: "Teuerungszulagen werden bei der Bemessung der
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Komplementärrenten nicht berücksichtigt."
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b) Stirbt der Versicherte an den Folgen des Unfalls, so haben der überlebende Ehegatte und die Kinder Anspruch auf Hinterlassenenrenten (Art. 28 UVG). Diese betragen nach Art. 31 Abs. 1 UVG für Witwen 40% und für Halbwaisen 15% des versicherten Verdienstes. Stehen den Hinterlassenen auch Renten der AHV oder der IV zu, so wird ihnen gemeinsam eine Komplementärrente gewährt; diese entspricht "der Differenz zwischen 90 Prozent des versicherten Verdienstes und den Renten der AHV oder der IV", höchstens aber dem in Absatz 1 vorgesehenen Betrag (Art. 31 Abs. 4 UVG). Gemäss Absatz 5 desselben Artikels ist es Sache des Bundesrates, nähere Vorschriften, namentlich über die Berechnung der Komplementärrenten, zu erlassen.
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Art. 43 UVV stellt eine Ausführungsvorschrift des Bundesrates zu Art. 31 Abs. 5 UVG dar und schreibt vor:
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"1 Bei der Berechnung der Komplementärrenten für Hinterlassene werden
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die AHV/IV-Renten, einschliesslich der Kinderrenten, voll berücksichtigt.
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Bei der Berechnung der Komplementärrenten an Vollwaisen wird die Summe
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der versicherten Verdienste beider Elternteile bis zum Höchstbetrag des
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versicherten Verdienstes berücksichtigt.
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2 Die Artikel 32 Absatz 5 und 33 gelten sinngemäss."
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3. a) Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen ist für die Ermittlung der Komplementärrenten sowohl für Invalide als auch für Hinterlassene der Grenzwert von 90 Prozent aufgrund des "versicherten Verdienstes" zu berechnen. Darunter ist der versicherte Verdienst im Sinne von Art. 15 UVG zu verstehen. Dessen Absatz 2 umschreibt den für die Rentenbemessung massgebenden versicherten Verdienst als jenen Lohn, der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogen wurde. Während aber nach dem Wortlaut von Art. 32 Abs. 4 UVV bei der Bestimmung der Komplementärrente für Invalide zur Ermittlung des Grenzbetrages von 90 Prozent ausser dem "versicherten Verdienst" auch das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit berücksichtigt werden muss, sieht Art. 43 UVV eine Anrechnung des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit bei der Bestimmung der Komplementärrente BGE 112 V, 39 (42)für Hinterlassene nicht vor. Es fragt sich, welche faktische und rechtliche Tragweite diesem Unterschied bei der Berechnung der Komplementärrente eines Invaliden bzw. der Hinterlassenen zukommt.
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b) Das Institut der Komplementärrenten bezweckt, Überentschädigungen zu vermeiden, die dadurch entstehen können, dass dem Rentenbezüger gleichzeitig ein Anspruch auf eine Rente der AHV oder IV und der Unfallversicherung zusteht (vgl. BBl 1976 III 171). In den Art. 20 Abs. 2 UVG und 32 Abs. 4 UVV werden die Grenzen festgelegt, welche die UV-Rente zusammen mit der AHV- bzw. IV-Rente höchstens erreichen darf, ohne dass von einer Überentschädigung gesprochen werden kann. Dazu bemerkt das Bundesamt für Sozialversicherung in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Recht, dass bei Arbeitnehmern die Grenze von "90 Prozent des versicherten Verdienstes" in der Regel eine vernünftige Limite bilde. In diesem Sinne ist der in Art. 20 Abs. 2 UVG verankerte Grundsatz zu verstehen. Das Bundesamt weist aber auch darauf hin, dass dieser Grundsatz bei Arbeitnehmern, die neben ihrer unselbständigen Erwerbstätigkeit noch einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgingen, bei Invalidität einkommensmässig unter Umständen zu einer beträchtlichen Schlechterstellung führen könne. Weil der Gesetzgeber den Familien jene Einkünfte, die ihr vor dem Unfall zur Verfügung standen, habe erhalten wollen, habe der Bundesrat die Regel des Art. 20 Abs. 2 UVG für die Kategorie der gleichzeitig Unselbständig- und Selbständigerwerbenden durch Art. 32 Abs. 4 UVV gemildert und vorgeschrieben, dass bei der Festsetzung der Grenze von 90 Prozent nicht nur der versicherte Verdienst, sondern - bis zum Höchstbetrag des Art. 22 Abs. 1 UVV - auch das Einkommen aus der selbständigen Erwerbstätigkeit angerechnet werden muss. Diese Verordnungsbestimmung ist gesetzmässig, hält sie sich doch - was mit Recht von keiner Seite bestritten wird - im Rahmen der Delegationsnorm von Art. 20 Abs. 3 UVG, welche dem Bundesrat einen sehr weiten Spielraum des Ermessens für die Aufstellung von Regeln für die Berechnung von Komplementärrenten in Sonderfällen einräumt (vgl. BGE 109 V 141 und 219, 108 V 116, BGE 107 IV 201, BGE 104 Ib 209).
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c) Ist Art. 32 Abs. 4 UVV aber gesetzeskonform, so fragt es sich, ob dies auch für Art. 43 Abs. 2 UVV gilt, welcher für die Bemessung der Komplementärrenten für Hinterlassene die sinngemässe Anwendung lediglich des Absatzes 5 von Art. 32 UVV und BGE 112 V, 39 (43)nicht auch des Absatzes 4 dieses Artikels vorschreibt. In der bundesamtlichen Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird mit Recht die Meinung vertreten, dass vor allem in Erwerbszweigen, in denen selbständige und unselbständige Erwerbstätigkeit nebeneinander ausgeübt wird, häufig Situationen entstehen, wo die unterschiedliche Berechnung der Komplementärrente im Invaliditätsfall einerseits und im Todesfall anderseits zu äusserst stossenden Ergebnissen führen könne. Das Bundesamt erwähnt beispielsweise den Fall eines invaliden Rentenbezügers, der später an den Unfallfolgen stirbt. Da bei der Berechnung der Komplementärrente für den vor Eintritt der Invalidität gleichzeitig selbständig- und unselbständigerwerbend gewesenen Invaliden die Komplementärrente u.a. nach Massgabe auch des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit berechnet wurde, dieses Einkommen aber später bei der Ermittlung der Komplementärrenten für die Hinterlassenen nach dem Wortlaut von Art. 43 Abs. 2 UVV nicht berücksichtigt werden könnte, würden die Hinterlassenen unter Umständen ein erheblich geringeres Einkommen erzielen, als der Versicherte vor seinem Tod erreicht hat. Für diese unterschiedliche verordnungsmässige Regelung der Berechnung der Komplementärrenten für Invalide einerseits und für Hinterlassene anderseits lässt sich kein vernünftiger Grund finden. Sie verstösst gegen Art. 4 BV und bedarf deshalb der Korrektur durch den Richter (vgl. dazu die oben zitierte Judikatur) im folgenden Sinne:
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Bei der Berechnung der Komplementärrente für Hinterlassene muss in jenem Sonderfall, da der verstorbene Versicherte vor Eintritt des Versicherungsfalles neben der unselbständigen noch eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, die Grenze von 90 Prozent in analoger Anwendung von Art. 32 Abs. 4 UVV in der Weise bestimmt werden, dass zum versicherten Verdienst das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit hinzuzuzählen ist. Vom daraus resultierenden Gesamteinkommen sind 90 Prozent anrechenbar, höchstens jedoch der Maximalbetrag des versicherten Verdienstes gemäss Art. 22 Abs. 1 UVV.
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d) Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass zur Bestimmung der Grenze von 90 Prozent neben dem Lohn von Fr. 43'666.--, den der Versicherte vor seinem Ableben als Arbeitnehmer bezogen hatte, auch das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit, das laut Bescheinigung vom 11. September 1984 Fr. 11'000.-- betrug, berücksichtigt werden muss. Das gesamte massgebende BGE 112 V, 39 (44)Erwerbseinkommen beläuft sich somit auf Fr. 54'666.--. Hiervon sind 90 Prozent oder Fr. 49'199.-- anrechenbar.
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Im vorliegenden Fall beläuft sich der für die Berechnung der vollen UV-Hinterlassenenrenten massgebende versicherte Verdienst im Sinne von Art. 15 UVG - wie gesagt - auf Fr. 43'666.--. Die Witwenrente beträgt hiervon 40% oder Fr. 17'466.40, die Waisenrente 15% vom versicherten Verdienst oder Fr. 6'549.90. Die den Beschwerdeführern zustehenden AHV-Hinterlassenenrenten betragen insgesamt Fr. 19'872.--. Sämtliche Hinterlassenenrenten gemäss AHVG und UVG ergeben den Betrag von Fr. 43'888.30. Sie erreichen also die Grenze von 90 Prozent des nach Art. 32 Abs. 4 UVV massgebenden Erwerbseinkommens nicht. Demzufolge haben die Beschwerdeführer Anspruch auf die vollen UV-Hinterlassenenrenten und nicht bloss auf eine Komplementärrente.
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