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Informationen zum Dokument  BGE 109 V 18  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Art. 21 Abs. 4 IVG ermächtigt den Bundesrat, nähere  ...
2. (BGE 107 V 154 Erw. 2b.) ...
3. Die vom 1. Januar 1977 bis Ende August 1980 gültig gewese ...
4. a) Das BSV begründet die Einführung eines Selbstbeha ...
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3. Urteil vom 28. Januar 1983 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Kemény und Versicherungsgericht des Kantons Bern
 
 
Regeste
 
Art. 21 IVG, Art. 7 Abs. 2 und 3 HVI.  
 
Sachverhalt
 
BGE 109 V, 18 (18)A.- Tibor Kemény (geb. 1930) ist seit früher Kindheit schwerhörig und wurde seit 1961 von der Invalidenversicherung mit Hörapparaten versorgt. Aufgrund einer Verfügung der Eidgenössischen Ausgleichskasse vom 7. August 1979 erhielt er am 14. Februar 1980 leihweise einen neuen Hörapparat, der samt Zubehör Fr. 1'189.-- kostete.
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Am 22. Juni 1981 wurde der Invalidenversicherung eine Rechnung der Hörmittelzentrale des Schwerhörigen-Vereins Bern für die Reparatur des Hörapparates im Betrag von Fr. 111.40 eingereicht. Mit Verfügung vom 9. Juli 1981 übernahm die Ausgleichskasse Fr. 81.40, indem sie - gestützt auf die Weisungen des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) in den IV-Mitteilungen Nr. 223 vom 1. Mai 1981 (ZAK 1981 S. 192) - einen Selbstbehalt von Fr. 30.-- anrechnete.
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B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Bern hiess mit Entscheid vom 22. September 1981 die vom Versicherten erhobene Beschwerde gut, hob die Verfügung vom 9. Juli 1981, soweit sie sich auf den Selbstbehalt von Fr. 30.-- bezieht, auf und wies die Verwaltung an, dem Versicherten auch den Betrag von Fr. 30.-- zu vergüten. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Amtsanweisung in den IV-Mitteilungen Nr. 223 bezüglich der Reparaturkosten von Hörapparaten entbehre einer gesetzlichen und verordnungsmässigen Grundlage.
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C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das BSV, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Kassenverfügung vom 9. Juli 1981 wiederherzustellen.
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Tibor Kemény schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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BGE 109 V, 18 (19)Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
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- Bedarf ein von der Versicherung abgegebenes Hilfsmittel trotz sorgfältigem Gebrauch der Reparatur, Anpassung oder teilweisen Erneuerung, so übernimmt die Versicherung die Kosten, sofern nicht ein Dritter ersatzpflichtig ist. Bei Motorfahrzeugen werden diese Kosten nur übernommen, soweit die Reparatur- oder Erneuerungsbedürftigkeit auf Fahrten an den Arbeitsort zurückzuführen ist. Geringfügige Kosten gehen zu Lasten des Versicherten (Abs. 2).
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- Die Kosten für den Betrieb von Hilfsmitteln, insbesondere von Motorfahrzeugen, Fahrstühlen mit elektromotorischem Antrieb und Hörapparaten, werden von der Versicherung nicht übernommen. In Härtefällen gewährt die Versicherung an solche Kosten einen monatlichen Beitrag bis zur Hälfte des Betrages der Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit schweren Grades (Abs. 3).
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In der Neuauflage der Wegleitung über die Abgabe von Hilfsmitteln (gültig ab 1. September 1980) bestimmte Rz. 23, dass pro Kalenderjahr der im Anhang 2 vorgesehene Betrag für Reparaturen von Hilfsmitteln als geringfügig gilt und daher vom Versicherten als Selbstbehalt zu tragen ist (für Hilfsmittel allgemein Fr. 50.--, für orthopädische Massschuhe Fr. 50.--, für Kleinautomobile Fr. 200.--). Die belegten Kosten im Kalenderjahr wurden nach Abzug des Selbstbehaltes vergütet.
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Laut den Ausführungen des BSV haben Reaktionen vor allem von Verbänden der Hilfsmittellieferanten gegen diese Selbstbeteiligung BGE 109 V, 18 (20)dazu geführt, den gesamten Fragenkomplex einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Das Amt gelangte zum Schluss, den Selbstbehalt - ausgenommen bei Reparaturen von orthopädischen Massschuhen, leihweise abgegebenen Motorfahrzeugen und Hörapparaten - fallen zu lassen und Art. 7 Abs. 2 HVI nur noch als "Administrativbremse" in der Form wirken zu lassen, dass Reparaturrechnungen unter Fr. 20.-- nicht mehr von der Invalidenversicherung übernommen werden. Man sei mit andern Worten zum alten System zurückgekehrt, indem insbesondere aus administrativen Gründen auf die Bearbeitung von kleinen Rechnungsbeträgen verzichtet worden sei.
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Im Einverständnis mit den Hörmittelhändlern sei eine Sonderregelung getroffen worden, wonach für Hörmittelreparaturen ein eigentlicher Selbstbehalt von Fr. 30.-- pro Rechnung vom Versicherten zu leisten sei.
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Diese mit den IV-Mitteilungen Nr. 223 auf den 1. Mai 1981 in Kraft gesetzte Regelung (ZAK 1981 S. 192) fand durch den Nachtrag Nr. 2 Aufnahme in die Wegleitung über die Abgabe von Hilfsmitteln und lautet wie folgt:
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"Rz. 23 Eine Rechnung für Reparaturen, deren Total den Betrag von 20 Franken nicht erreicht, wird von der IV nicht übernommen. Gleiches gilt für Rechnungen, bei denen der nach Abzug des Selbstbehaltes (s. Rz. 23.1 f.) verbleibende Restbetrag unter 20 Franken liegt. Derartige Rechnungen sind dem Rechnungssteller mit entsprechender Orientierung zurückzugeben...
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23.1 Bei Reparaturen von orthopädischen Massschuhen und leihweise abgegebenen Motorfahrzeugen hat der Versicherte pro Kalenderjahr den im Anhang 2, Ziff. 5.1 genannten Selbstbehalt zu tragen. Für die Zuordnung einer Reparaturrechnung zu einem bestimmten Kalenderjahr ist das Datum ihres Eingangs beim IV-Sekretariat massgebend. Die belegten Kosten pro Kalenderjahr werden nach Abzug des Selbstbehaltes zurückvergütet.
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23.2 Bei Reparaturen von Hörmitteln hat der Versicherte für jede Rechnung (nicht pro Kalenderjahr) den im Anhang 2, Ziffer 5.2 genannten Selbstbehalt zu tragen. Die Einforderung dieses Betrages ist Sache des Lieferanten ..."
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Der in Rz. 23.2 erwähnte Selbstbehalt beträgt 30 Franken.
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4. a) Das BSV begründet die Einführung eines Selbstbehalts bei den drei angeführten Hilfsmitteln (orthopädisches Schuhwerk, leihweise abgegebene Motorfahrzeuge und Hörapparate) wie folgt: Schuhe würden auch von nicht Behinderten benötigt, die bei teurem Schuhwerk ebenfalls für Reparaturkosten aufzukommen oder statt dessen bei billigeren Schuhen vermehrte Anschaffungen zu tätigen hätten. Bei den Motorfahrzeugen gelte es zu beachten, BGE 109 V, 18 (21)dass die von der Invalidenversicherung abgegebenen Motorfahrzeuge in einem gewissen Ausmasse auch für nichtberuflich bedingte Fahrten verwendet werden könnten. Bei den Hörapparaten falle ins Gewicht, dass anlässlich von Reparaturen auch verschiedene Unterhalts- bzw. Betriebsarbeiten (wie z.B. Reinigung des Gerätes und der Kontakte) ausgeführt würden, die im Gegensatz zu anderen Behelfen nicht der Versicherte, sondern nur der Fachmann tätigen könne. Unterhalts- bzw. Betriebskosten habe jedoch der Versicherte - mit Ausnahme in Härtefällen - selbst zu tragen (Art. 7 Abs. 3 HVI). Um eine Ausscheidung der eigentlichen Reparatur- von den Betriebskosten zu vermeiden, sei man zu der jetzt geltenden Regelung gelangt.
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Der Beschwerdegegner weist darauf hin, er könne aus einer über 30jährigen Erfahrung mit Hörapparaten feststellen, dass fachmännischer Unterhalt und Wartung selten, Reparaturen dagegen häufig, mehrmals im Jahr, notwendig seien; er stützt sich dabei auf eine Bestätigung der Hörmittelzentrale des Schwerhörigen-Vereins Bern vom 30. Dezember 1981, wonach im Normalfall das Innere von Hörgeräten selten, sicher nicht in jährlichen Abständen, gereinigt werden müsse; bei einer Reparatur würden die Geräte dagegen jeweils gleichzeitig gereinigt; der Kostenanteil für die Reinigung betrage höchstens Fr. 5.--. Der Beschwerdegegner macht schliesslich geltend, die Weisung des BSV laufe darauf hinaus, dass jede Rechnung unter Fr. 50.-- vom Versicherten zu bezahlen sei; erst darüber reduziere sich seine Leistung auf den eigentlichen Selbstbehalt von Fr. 30.--. Daraus folge, dass kein Versicherter mehr Interesse an möglichst niedrigen Reparaturkosten haben könne.
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b) Die Vorinstanz schliesst aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 HVI sowie aus Rz. 22 der Wegleitung ("Reparaturen gehen soweit zu Lasten der Invalidenversicherung, als es sich nicht um geringfügige Kosten handelt"), dass Reparaturkosten, sofern sie nicht geringfügig sind, von der Invalidenversicherung ganz zu übernehmen sind.
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Diese Auffassung ist zutreffend. Art. 7 Abs. 2 HVI schliesst einen Selbstbehalt im Sinne einer betraglich fixierten und für alle Versicherten geltenden Selbstbeteiligung aus. Das BSV bestreitet denn auch nicht, dass ein Selbstbehalt in diesem Sinne nicht zulässig ist. Es macht indessen geltend, es handle sich nicht um Selbstbehalte im eigentlichen Sinne, sondern nur - bei Motorfahrzeugen und orthopädischen Massschuhen - um eine Kostenbeteiligung BGE 109 V, 18 (22)für nicht der Invalidenversicherung anzulastende Abnützungen eines Hilfsmittels oder - wie bei den Hörgeräten - um eine pauschale Überwälzung von Unterhaltskosten.
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Dieser Einwand ist unbegründet. Der über den Betrag von Fr. 20.-- hinaus bei orthopädischen Massschuhen pro Kalenderjahr erhobene Selbstbehalt (Rz. 23.1 Nachtrag 2 zur Wegleitung) ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil laut Art. 21 Abs. 3 letzter Satz IVG dem Versicherten eine Kostenbeteiligung auferlegt werden kann, wenn ein Hilfsmittel Gegenstände ersetzt, die auch ohne Invalidität angeschafft werden müssten. Dies gilt im Sinne der Ausführungen des BSV auch für Reparaturkosten. Ähnlich verhält es sich bei Motorfahrzeugen, weil sie in einem gewissen Umfang auch für Privatfahrten benützt werden dürfen und Art. 7 Abs. 2 HVI bestimmt, dass die Kosten nur übernommen werden, soweit die Reparatur- oder Erneuerungsbedürftigkeit auf Fahrten an den Arbeitsort zurückzuführen ist. Es geht in beiden Fällen - wie das BSV richtig darlegt - um eine Kostenbeteiligung für nicht der Invalidenversicherung anzulastende Abnützungen eines Hilfsmittels. Anders sind indessen die Verhältnisse bei Hörapparaten. Es treffen keine der für Motorfahrzeuge und orthopädische Massschuhe geltend gemachten Gründe zu. Vielmehr handelt es sich bei Hörmitteln nach den Ausführungen des BSV ausschliesslich um eine Ausscheidung der Reparaturkosten (die grundsätzlich zu Lasten der Versicherung gehen) von den Unterhalts- und Betriebskosten, die - mit Ausnahme in Härtefällen - der Versicherte zu tragen hat. Eine solche Überwälzung von Unterhalts- und Betriebskosten in Form eines Selbstbehaltes bei Reparaturkosten ist verordnungswidrig. Damit werden in unzulässiger Weise Art. 7 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 3 HVI miteinander vermischt. Die Auffassung der Vorinstanz, wonach ein Selbstbehalt bei Reparaturkosten gegen Art. 7 Abs. 2 HVI verstösst, erweist sich mithin auch unter Berücksichtigung der Argumentation des BSV als richtig.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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