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Informationen zum Dokument  BGE 98 V 107  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Auch auf dem Gebiete der bäuerlichen Familienzulagen ist  ...
2. a) Gemäss Art. 5 Abs. 1 FLG haben Anspruch auf Familienzu ...
3. a) Im vorliegenden Fall ist streitig, ob Franz Kamer ein gem&a ...
4. Da nach dem Gesagten eine zuverlässige Einkommensveranlag ...
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30. Urteil vom 14. April 1972 i.S. Kamer gegen Ausgleichskasse des Kantons Schwyz und Kantonale Rekursbehörde für die Sozialversicherung Schwyz
 
 
Regeste
 
Art. 5 FLG: Erwerbliche Kriterien der Eigenschaft als "Kleinbauer" im Hauptberuf.  
- Lohneinkommen, welches unmündige Kinder des Kleinbauern auswärts erwerben und zu Hause abgeben, ist dem Familienhaupt nicht als Einkommen anzurechnen.  
- Die Angaben der Steuerbehörden sind für die Ausgleichskasse im Gegensatz zur Ordnung im Beitragsrecht der AHV nicht verbindlich (Art. 6 FLV).  
 
Sachverhalt
 
BGE 98 V, 107 (108)A.- Der Beschwerdeführer Franz Kamer betreibt als Pächter einen landwirtschaftlichen Kleinbetrieb von vier Grossvieheinheiten. Er bezog bis Ende März 1970 Familienzulagen als Kleinbauer gemäss Bundesgesetz über die Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Kleinbauern (FLG). Mit Verfügung vom 28. April 1971 eröffnete ihm die Ausgleichskasse, er habe ab 1. April 1970 keinen Anspruch auf Familienzulagen mehr, weil er nicht Kleinbauer im Hauptberuf sei. Diese Verfügung stützte sich auf die Meldung der kantonalen Wehrsteuerverwaltung an die Ausgleichskasse, wonach Franz Kamer in der Berechnungsperiode 1967/1968 als selbständiger Landwirt 4200 Franken Einkommen erzielt, daneben aber 10 000 Franken Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit deklariert habe.
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B.- Franz Kamer liess beschwerdeweise beantragen, die Familienzulagen für Kleinbauern seien ihm in Aufhebung der Kassenverfügung ab 1. April 1970 weiterhin zu gewähren, aus folgenden Gründen: Das Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit sei "irrtümlicherweise" deklariert worden; in Wirklichkeit handle es sich um Erwerbseinkommen der unmündigen Kinder. Einziges Einkommen des Beschwerdeführers aus unselbständiger nebenberuflicher Tätigkeit sei dasjenige als Milchkontrolleur von Fr. 440.-- für 1967 und von Fr. 1262.50 für 1968. Er sei demzufolge im Hauptberuf Kleinbauer.
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Im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren zunächst durch die Ausgleichskasse und später durch die Rekursbehörde aufgefordert, Lohnausweise über das behauptete Erwerbseinkommen der Kinder aufzulegen, liess der Beschwerdeführer antworten, es sei heute nicht mehr möglich, die betreffenden Belege beizubringen, da es sich um verschiedene Arbeitgeber handle, die ihm nicht mehr im einzelnen bekannt seien.
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Die kantonale Rekursbehörde wies die Beschwerde mit Entscheid vom 30. Juni 1971 ab. Sie nahm zwar auf Grund von "Erkundigungen an zuständiger Amtsstelle" an, bei dem fraglichen Erwerb aus unselbständiger Tätigkeit handle es sich zum grossen Teil um Einkommen unmündiger Kinder. Jedoch gelte gemäss einem Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts vom 20. November 1953 (ZAK 1954 S. 106) das Einkommen unmündiger Kinder nur dann nicht als Einkommen der Eltern, wenn es aus der Mitarbeit der Kinder im Landwirtschaftsbetrieb BGE 98 V, 107 (109)der Eltern resultiere; das treffe hier aber nicht zu. Überdies handle es sich um einen ausgesprochenen Kleinbetrieb, der für sich allein keine ausreichende wirtschaftliche Existenz für eine sechsköpfige Familie biete.
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C.- Nach Abweisung eines durch die Vorinstanz als Revisionsbegehren behandelten Wiedererwägungsgesuches lässt der Beschwerdeführer mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde den Antrag auf Weitergewährung der Familienzulagen vom 1. April 1970 hinweg wiederholen. Bezüglich der streitigen Steuererklärung wird präzisiert, der Beschwerdeführer habe "die Kinderzulagen sowie die Gelegenheitseinnahmen seiner minderjährigen Kinder und Kostgeldbeiträge dererwerbstätigen Kinder als Einkommen deklarieren" wollen; der Erwerb der unmündigen Kinder gelte aber keinesfalls als Einkommen der Eltern, wie sich aus den Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherung zum Gesetz ergäbe. Der Beschwerdeführer sei hauptberuflich Landwirt; er habe 1967/1968 ein durchschnittliches Einkommen von Fr. 4200.-- aus Landwirtschaft und Fr. 851.-- als Milchkontrolleur, zusammen also Fr. 5050.-- erzielt, was mit den Kinderzulagen von jährlich Fr. 1800.-- ein zwar bescheidenes, aber in landwirtschaftlichen Verhältnissen doch existenzsicherndes Einkommen darstelle. Es wird ferner ein Protokollauszug des Gemeinderates vom 1. Juni 1971 aufgelegt, wonach - abgesehen von der Tätigkeit als Milchkontrolleur - kein weiteres Einkommen des Beschwerdeführers aus unselbständiger Erwerbstätigkeit bekannt sei.
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Die Ausgleichskasse stellt in ihrer Vernehmlassung keinen Antrag. In den von ihr aufgelegten Akten findet sich eine Notiz vom 23. September 1971 über eine telephonische Auskunft der Gemeindezweigstelle, wonach - soweit bekannt - der Beschwerdeführer nebst Landwirtschaft und Milchkontrollen keine andere Erwerbstätigkeit ausübe; die Söhne Josef (1952) und Anton (1954) arbeiteten auswärts und müssten wohl, abgesehen von einem Taschengeld, ihren Lohn zu Hause abgeben.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst sich dem vorinstanzlichen Entscheid an und lässt sich mit dem Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen.
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BGE 98 V, 107 (110)Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
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Als selbständigerwerbend gelten die Betriebsleiter, d.h. die Eigentümer, Pächter oder Nutzniesser eines landwirtschaftlichen Betriebes, und ihre mitarbeitenden Familienangehörigen, die nicht Arbeitnehmer sind (Art. 3 und 8 FLV).
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Als hauptberuflich tätig gilt ein Kleinbauer, der im Verlaufe des Jahres vorwiegend in seinem landwirtschaftlichen Betrieb tätig ist und aus dem Ertrag dieser Tätigkeit in überwiegendem Masse den Lebensunterhalt seiner Familie bestreitet (Art. 5 Abs. 2 FLG). Hauptberufliche Tätigkeit als Kleinbauer im Sinne dieser Bestimmung kann indessen nach der Gerichts- und Verwaltungspraxis in der Regel nur angenommen werden, wenn der bewirtschaftete Betrieb nicht so klein ist, dass er dem Bauern im vorneherein weder eine ausreichende wirtschaftliche Existenz zu bieten noch seine Arbeitskraft während des Jahres in überwiegendem Masse zu beanspruchen vermag; allerdings kann eine Mindestgrösse der Heimwesen nicht generell festgelegt werden (ZAK 1959 S. 447 f.). Hinsichtlich des zeitlichen Arbeitsaufwandes, der für die Qualifikation als hauptberuflicher Kleinbauer im Sinne des Gesetzes erforderlich ist, wird die Anspruchsberechtigung im allgemeinen, bei hinreichenden Nebenverdienstmöglichkeiten, bejaht, sofern die Bewirtschaftung BGE 98 V, 107 (111)des Heimwesens 165 Arbeitstage im Jahr erfordert, da in der Landwirtschaft mit 330 Arbeitstagen jährlich zu rechnen ist (ZAK 1959 S. 449; Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherung zum FLG, Ausgabe 1970, S. 40). Ein Kleinbauer im Hauptberuf im Sinne des Gesetzes muss nach der erwähnten Bestimmung neben dem zeitlichen zugleich auch das erwerbliche Erfordernis erfüllen: der Ertrag aus dem Landwirtschaftsbetrieb muss den Lebensunterhalt in überwiegendem Masse sichern. Demzufolge ist das Einkommen aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit einerseits und der Erwerb aus sonstigen Quellen anderseits getrennt zu ermitteln. Nach ständiger Rechtsprechung muss aber beim Vergleich dieser beiden Einkommensteile berücksichtigt werden, dass die aus dem Landwirtschaftsbetrieb zum Unterhalt der bäuerlichen Familie bezogenen Naturalien erheblich niedriger veranschlagt werden, als sie marktmässig wert wären; denn der Nettorohertrag aus dem Landwirtschaftsbetrieb ist nach Produzenten-, nicht nach Konsumentenpreisen berechnet (vgl. ZAK 1959 S. 444, 1958 S. 320 und 1954 S. 479 sowie die nicht veröffentlichten Urteile i.S. Feuerstein vom 24. April 1969 und i.S. Carnot vom 12. Januar 1966).
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b) Für die Bemessung des Einkommens sind die Vorschriften der eidgenössischen Wehrsteuergesetzgebung massgebend (Art. 4 FLV). Das reine Einkommen der Kleinbauern ist durch die Ausgleichskasse auf Grund eines einheitlichen Fragebogens zu veranlagen (Art. 5 Abs. 1 FLV). Gemäss Art. 6 Abs. 1 FLV können aber die Ausgleichskassen auch auf die letzte Veranlagung oder Zwischenveranlagung der Wehrsteuer oder der kantonalen Steuer abstellen, sofern diese nach gleichen oder ähnlichen Grundsätzen erfolgte wie die Wehrsteuerveranlagung. Nach der Gerichts- und Verwaltungspraxis soll grundsätzlich in allen Fällen, in denen die Steuerveranlagung eine brauchbare Grundlage darstellt, gestützt auf diese veranlagt werden (EVGE 1963 S. 226); allerdings ist zu beachten, dass im Gebiete der bäuerlichen Familienzulagen die Angaben der Steuerbehörden - im Gegensatz zur Ordnung im Beitragsrecht der AHV (Art. 23 Abs. 4 AHVV) - für die Ausgleichskassen nicht verbindlich sind (nicht veröffentlichtes Urteil i.S. Chassot vom 19. September 1969).
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BGE 98 V, 107 (112)Unbestritten ist, dass sein Einkommen keinesfalls die leistungsbegründende Einkommensgrenze überschreitet, gleichgültig, ob die Veranlagung der Verwaltung oder die Angaben des Beschwerdeführers alsmassgeblich erachtet werden. Zu entscheiden ist dagegen, ob das Einkommen des Beschwerdeführers in überwiegendem Masse Ertrag aus seiner landwirtschaftlichen Tätigkeitdarstelle, ober also den Lebensunterhalt seiner Familie in überwiegendem Masse aus dem Ertrag des kleinen Heimwesens zu bestreiten vermöge.
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b) Die Kleinbauerneigenschaft kann jedenfalls - entgegen der vorinstanzlichen Auffassung - dem Beschwerdeführer nicht schon deshalb abgesprochen werden, weil sein Betrieb mit nur vier Grossvieheinheiten im vorneherein weder hinsichtlich des Arbeitsaufwandes noch des Ertrages als hinreichend gross zu gelten hätte. Das fragliche Heimwesen wird verschiedentlich als arbeitsaufwendig bezeichnet; überdies hat das Eidg. Versicherungsgericht u.a. schon Bergbauernbetriebe von 3,3 Grossvieheinheiten (vgl. ZAK 1954 S. 479) und 22 1/2 Aren (in über 30 Parzellen zerstückelt, vgl. ZAK 1959 S. 444) sowie ein Rebbaugelände von rund 48 Aren (vgl. ZAK 1959 S. 447) als genügend gross erachtet. Der Beschwerdeführer erzielte 1967 und 1968 im Jahresdurchschnitt 4200 Franken Einkommen aus der Landwirtschaft (Nettorohertrag) und verdiente daneben mit der unselbständigen Tätigkeit als Milchkontrolleur im Jahr 850 Franken; diese Angaben sind unbestritten. Auf Grund dieser Zahlen läge das Schwergewicht im Sinne des Art. 5 Abs. 2 FLG offensichtlich auf der Tätigkeit als selbständigerwerbender Landwirt, namentlich wenn berücksichtigt wird, dass der Nettorohertrag des Bauerngutes nach dem Gesagten in Produzentenpreisen ausgedrückt ist und noch aufzuwerten wäre.
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c) Entscheidend für die Anspruchsberechtigung des Beschwerdeführers auf Familienzulagen für Kleinbauern ist nun aber, ob die von ihm in der Steuererklärung angegebenen weiteren Einkünfte von jährlich 10 000 Franken während der massgebenden Berechnungsperiode Einkommen aus eigener unselbständiger Erwerbstätigkeit oder aber Einkommen der erwerbstätigen Söhne darstellen.
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Die Vorinstanz nimmt an, diese Einkünfte seien grösstenteils Erwerbseinkünfte der unmündigen Kinder, rechnet diese aber BGE 98 V, 107 (113)dennoch dem Beschwerdeführer als nicht landwirtschaftliches Einkommen an. Sie glaubt, sich hiefür auf das Urteil in ZAK 1954 S. 106 stützen zu können. Dieser Auffassung kann jedoch nicht beigetreten werden. Denn das erwähnte Urteil betraf die Rechtsfrage, ob der Betriebsleiter Naturalleistungen an seine im Bauernbetrieb mitarbeitenden Kinder im Rahmen der Einkommensveranlagung gemäss Art. 4 bis 6 FLV als Gewinnungskosten (im Sinne des Art. 22 Abs. 1 lit. a WStB) vom rohen Einkommen abziehen dürfe. Diese Frage ist jedoch im gegenwärtigen Fall nicht streitig. Zu entscheiden bleibt vielmehr, ob das von den Kindern durch unselbständige Erwerbstätigkeit auswärts erworbene Einkommen, soweit es zu Hause abgegeben wird, als nichtlandwirtschaftliches Erwerbseinkommen des Familienhauptes zu gelten habe und folglich die rechtliche Qualifikation des letzteren als Kleinbauer im Hauptberuf zu beeinflussen vermöge oder nicht. Die Frage ist zu verneinen, weil das Gesetz hiefür ausschliesslich auf die vorwiegende Tätigkeit und auf die überwiegende Erwerbsquelle des Leistungsansprechers selber abstellt.
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Jedoch kann auf Grund der vorliegenden Akten die Herkunft des fraglichen Einkommensbestandteiles nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Die Ausgleichskasse hat für die Einkommensveranlagung auf die Steuererklärung und die Meldung der Steuerbehörde abgestellt. Diese Unterlagen sind aber bezüglich der massgebenden Frage offensichtlich unzuverlässig. Schon die Steuererklärung ist sehr unbeholfen ausgefüllt. Ferner ist die Angabe des "Nebenerwerbs" von 10 000 Franken durch die Steuerbehörde offenbar nicht überprüft und in der Meldung an die Ausgleichskasse weitergegeben worden. Die Kasse traf ihrerseits zunächst keinerlei Abklärungen, obwohl sie schon aus beitragsrechtlichen Überlegungen Grund gehabt hätte, dieser Erwerbsquelle nachzugehen. Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens ist nun die Behandlung dieser Einkünfte als Erwerbseinkommen des Beschwerdeführers durch dessen Vorbringen einerseits und die ergänzenden behördlichen Abklärungen anderseits noch fragwürdiger geworden. Die Vorinstanz beruft sich auf "Erkundigungen an zuständiger Amtsstelle", wonach es sich bei den streitigen Einkünften tatsächlich zu einem grossen Teil um Einkommen unmündiger Kinder handle. Ferner führt der Gemeinderat in seiner Vernehmlassung zum BGE 98 V, 107 (114)Steuererlassgesuch des Beschwerdeführers unter anderem aus, weitere Einkünfte ausunselbständiger Erwerbstätigkeit-ausser denjenigen als Milchkontrolleur - seien nicht bekannt. Allerdings bezieht sich diese Feststellung offenbar aufeinen späteren Zeitabschnitt; sie darfaber als Indiz auch für die Verhältnisse in den Jahren 1967 und 1968 gelten. Schliesslich weist die Aktennotiz betreffend die telephonischen Angaben der Gemeindezweigstelle, welche zwar zeitlich nicht festgelegt sind, in die gleiche Richtung. Unter diesen Umständen bietet die Steuermeldung keine zuverlässige Grundlage für die Prüfung des Anspruches auf bäuerliche Familienzulagen. Daher hätte die Ausgleichskasse in Anwendung des Art. 5 FLV eigene Veranlagungsmassnahmen für ihre Zwecke vornehmen sollen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird insoweit gutgeheissen, als der vorinstanzliche Entscheid sowie die angefochtene Kassenverfügung aufgehoben und die Akten im Sinne der Erwägungen an die Ausgleichskasse zurückgewiesen werden.
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