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Informationen zum Dokument  BGE 137 IV 92 - Diebesbande  Materielle Begründung
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Zitiert selbst:
BGE 136 I 274 - Untersuchungshaft
BGE 133 I 270 - Prüfungspflicht für Ersatzmassnahmen

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer wurde am 1. März 2011, um 19.30 ...
Erwägung 3
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher  
 
13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau und Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
1B_153/2011 vom 5. Mai 2011
 
 
Regeste
 
Art. 31 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 224 Abs. 1 und 2, Art. 226 Abs. 1 StPO; Beschleunigungsgebot, Fristen des Haftverfahrens.  
Das Zwangsmassnahmengericht hat den Haftentscheid 86 Stunden nach der Festnahme eröffnet, was in concreto nicht zu beanstanden ist. Der Verletzung der 48-stündigen Frist durch die Staatsanwaltschaft wurde vom Obergericht im angefochtenen Entscheid bereits Rechnung getragen, indem es eine entsprechende Feststellung ins Dispositiv aufnahm und entgegen dem Ausgang des Verfahrens die gesamten Gerichtskosten auf die Staatskasse nahm (E. 3.2.2 und 3.2.3).  
Das Obergericht selber hat das Beschleunigungsgebot nicht verletzt, indem es die Sache ans Zwangsmassnahmengericht zurückwies, anstatt selber zu entscheiden (E. 3.2.4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 137 IV, 92 (94)A. X. wurde am 1. März 2011, um 19.30 Uhr, beim Grenzübertritt in Diepoldsau/SG vorläufig festgenommen wegen des Verdachts, einer international tätigen, auf Luxusautomobile spezialisierten Diebesbande anzugehören. Am 2. März 2011 wurde er der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau zugeführt, welche ihn tags darauf befragte und ihm anschliessend die Festnahme eröffnete. Am 4. März 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft Aarau-Lenzburg dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, gegen X. vorläufig bis zum 3. Juni 2011 Untersuchungshaft anzuordnen.
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Am 5. März 2011 führte das Zwangsmassnahmengericht eine Verhandlung durch und versetzte X. bis zum 3. Juni 2011 in Untersuchungshaft.
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Am 7. März 2011 erhob X. beim Obergericht des Kantons Aargau Beschwerde mit dem Antrag, ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
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Am 21. März 2001 erkannte die Beschwerdekammer des Obergerichts:
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"1. Es wird festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau das prozessuale Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt hat.
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2. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 5. März 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Haftrichterin zurückgewiesen.
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Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
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3. und 4. (Kosten- und Entschädigungsfolgen)"
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B. Am 25. März 2011 versetzte das Zwangsmassnahmengericht X. einstweilen bis zum 1. Juni 2011 in Untersuchungshaft. Die Beschwerde von X. gegen diesen Entscheid ist beim Obergericht hängig.
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C. Mit Beschwerde in Strafsachen vom 1. April 2011 beantragt X. in der Sache, Dispositiv-Ziffer 2 des Entscheids des Obergerichts vom 21. März 2011 aufzuheben und wie folgt neu zu fassen:
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BGE 137 IV, 92 (95)"Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 5. März 2011 aufgehoben. Der Beschwerdeführer wird unverzüglich aus der Haft entlassen."
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
 
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2.1 Nach Art. 224 Abs. 1 der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen (AS 2010 1881) Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0) befragt die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person unverzüglich und gibt ihr Gelegenheit, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Sie erhebt unverzüglich jene Beweise, die zur Erhärtung oder zur Entkräftung des Tatverdachts und der Haftgründe geeignet und ohne Weiteres verfügbar sind. Bestätigen sich der Tatverdacht und die Haftgründe, so beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden seit der Festnahme, die Anordnung von Untersuchungshaft oder einer Ersatzmassnahme. Sie reicht ihren Antrag schriftlich ein, begründet ihn kurz und legt die wesentlichen Akten bei (Abs. 2). Nach Art. 226 Abs. 1 StPO hat daraufhin das Zwangsmassnahmengericht unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags zu entscheiden.
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Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 224 Abs. 2 StPO statuiere eine Gültigkeits-, keine blosse Ordnungsvorschrift. Sie könne zwar im Ausnahmefall zugunsten des Festgenommenen - z.B. für die Abnahme eines Entlastungsbeweises - in engem Rahmen überschritten werden. Abgesehen davon sei sie zwingend einzuhalten, bei Verletzung der Frist müsse der Festgenommene unverzüglich auf BGE 137 IV, 92 (96)freien Fuss gesetzt werden, da die Bestimmung sonst toter Buchstabe bleibe.
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Erwägung 3
 
3.1 Der Anspruch des Festgenommenen auf einen unverzüglichen richterlichen Entscheid über die Anordnung von Untersuchungshaft bzw. die entsprechende Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, einen Haftantrag mit besonderer Beschleunigung dem zuständigen Haftrichter vorzulegen, ergeben sich unabhängig vom anwendbaren Prozessrecht aus den entsprechenden verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien von Art. 31 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK; eine übermässige Haftdauer oder ungerechtfertigte, von den Strafverfolgungsbehörden zu vertretende Verzögerungen im Haftanordnungsverfahren stellen unverhältnismässige Beschränkungen dieser Grundrechte dar (BGE 133 I 270 E. 1.2.2; BGE 128 I 149 E. 2.2.1; je mit Hinweisen). Die Rechtsprechung zum Beschleunigungsgebot geht zwar davon aus, dass die Frist zwischen Festnahme und haftrichterlicher Anhörung 48 Stunden grundsätzlich nicht überschreiten sollte (BGE 136 I 274 E. 2.2; BGE 131 I 36 E. 2.6 S. 44). Diese Zeitspanne ist allerdings nicht als starre Frist zu verstehen; vielmehr ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob die Zeitspanne zwischen Festnahme und haftrichterlicher Verhandlung unter Berücksichtigung aller massgeblicher Umstände noch als "unverzüglich" im Sinn der verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien gelten kann oder nicht. Die Verletzung des Beschleunigungsgebotes kann im Weiteren nur zur Haftentlassung führen, wenn die Verfahrensverzögerung geeignet ist, die Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft in Frage zu stellen. Das ist nur der Fall, wenn sie besonders schwer wiegt und die Strafverfolgungsbehörden erkennen lassen, dass sie nicht gewillt oder in der Lage sind, das Verfahren nunmehr mit der für Haftfälle verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Beschleunigung voranzutreiben (BGE 128 I 149 E. 2.2.1; Urteil 1B_63/2007 vom 11. Mai 2007 E. 4.3, nicht publ. in: BGE 133 I 168).
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BGE 137 IV, 92 (97)3.2.1 Diese gesetzlichen Fristen sollen offensichtlich die oben in E. 3.1 dargestellten verfassungs- und konventionsrechtlichen Vorgaben konkretisieren. Bereits daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass es sich dabei nicht um reine Ordnungsfristen handelt, aus deren Überschreitung der Betroffene in der Regel nichts zu seinen Gunsten ableiten kann. Für den Festgenommenen entscheidend ist allerdings nur die Zeitspanne zwischen Festnahme und Haftentscheid. Von untergeordneter Bedeutung ist für ihn hingegen, wie sich die einzelnen Verfahrensschritte vor dem Haftentscheid zeitlich verteilen. Insofern richtet sich die Frist von Art. 224 Abs. 2 StPO in erster Linie an die Staatsanwaltschaft, die durch deren Einhaltung gezwungen werden soll, dem Haftrichter ausreichend Zeit für die Prüfung des Haftantrags einzuräumen. Es handelt sich damit um eine vor allem die inneren Abläufe der Strafverfolgungsbehörden betreffende Frist, deren Einhaltung grundsätzlich auch im Interesse der festgenommenen Person liegt. Daraus ergibt sich, dass die Aufrechterhaltung der Haft nicht schon dann gesetzwidrig wird, wenn die Staatsanwaltschaft den Haftantrag nicht innert 48 Stunden nach der Festnahme dem Haftrichter einreicht, sondern erst, wenn der Haftrichter den Haftentscheid dem Festgenommenen nicht innert 96 Stunden nach der Festnahme eröffnet hat.
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Allerdings ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass das verfassungs- und konventionsrechtliche ebenso wie das strafprozessuale Beschleunigungsgebot eine besonders beförderliche Behandlung des Haftverfahrens verlangen, was bedeutet, dass diese gesetzlichen Maximalfristen im Normalfall weit unterschritten werden müssen und höchstens in begründeten Einzelfällen ausgeschöpft werden dürfen.
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Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau führte mit dem Beschwerdeführer am 3. März 2011, um 08.25 Uhr, eine Einvernahme durch. Sie erstellte gleichentags den Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft und faxte diesen unbestrittenermassen um 17.45 Uhr dem Verteidiger des Beschwerdeführers. Dem BGE 137 IV, 92 (98)Zwangsmassnahmengericht stellte sie den Antrag am 4. März 2011, um 07.36 Uhr, zu. Das Obergericht hat zu Recht beanstandet, dass die Staatsanwaltschaft die Zustellung an das Zwangsmassnahmengericht ohne zwingenden Grund über Nacht hinausschob. Dieses hat den Haftentscheid dann innert 26 Stunden gefällt und eröffnet. Dieser Zeitbedarf erscheint unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebots nicht übermässig, insbesondere weil auch noch eine Dolmetscherin aufgeboten werden musste.
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3.2.3 Eine zusammenfassende Würdigung der Verfahrensführung in zeitlicher Hinsicht ergibt somit, dass zwar der Staatsanwaltschaft vorzuwerfen ist, dass sie den Antrag auf Haftanordnung dem Zwangsmassnahmengericht nicht am Abend des 3., sondern erst am frühen Morgen des 4. März 2011 zustellte und damit die Frist von Art. 224 Abs. 2 StPO verletzte. Die richterliche Eröffnung der Untersuchungshaft erfolgte indessen 86 Stunden nach der Festnahme und damit innerhalb der gesetzlichen Maximalfrist von 96 Stunden. Das ist insbesondere mit Blick auf die Schwierigkeiten des Verfahrens - Zuführung des Beschwerdeführers aus einem anderen Kanton und Notwendigkeit, eine Dolmetscherin für eine in der Schweiz wenig gängige Sprache aufzubieten - gerade noch akzeptabel. Die Rüge, der Beschwerdeführer hätte wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots umgehend auf freien Fuss gesetzt werden müssen, ist unbegründet. Das Obergericht hat zudem der Verletzung der Frist von Art. 224 Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft bereits Rechnung getragen, indem es die Verletzung des Beschleunigungsgebots feststellte und entgegen dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens die gesamten Gerichtskosten auf die Staatskasse nahm, obwohl es die Beschwerde nur teilweise guthiess und damit der Beschwerdeführer an sich einen Teil der Verfahrenskosten hätte übernehmen müssen.
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