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Informationen zum Dokument  BGE 122 IV 340  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. (Eintretensfrage) ...
2. Die Tatbestandserfüllung von Art. 292 StGB setzt unter an ...
3. (Kostenfolge) ...
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52. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1996 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 292 StGB; Verfügung einer unzuständigen Behörde.  
Offengelassen, wie bei einer klarerweise rechtsmissbräuchlichen Missachtung einer im Sinne von Art. 292 StGB von einer unzuständigen Behörde erlassenen Verfügung zu entscheiden wäre.  
 
Sachverhalt
 
BGE 122 IV, 340 (341)A.- Am 17. Februar 1994 klagte W. gegen S. und beantragte eine superprovisorische Verfügung. Diesem Antrag entsprechend verbot das Gerichtspräsidium Aarau (Gerichtspräsident) gleichentags im summarischen Verfahren betreffend Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ff. ZGB) S. unter Straffolge von Art. 292 StGB im Sinne einer vorläufigen Massnahme gemäss § 294 ZPO/AG mit sofortiger Wirkung, gegenüber Dritten die Behauptung, der Kläger habe sich sexuelle Übergriffe auf Jugendliche zuschulden kommen lassen, in dieser oder ähnlicher Art zu verbreiten.
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Am 22. Februar 1994 machte S. örtliche Unzuständigkeit des Gerichtspräsidiums Aarau geltend.
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Am 21. Juli 1994 entschied das Gerichtspräsidium Aarau im summarischen Verfahren betreffend Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ff. ZGB), auf die Klage werde nicht eingetreten, die vorläufige Massnahme vom 17. Februar 1994 falle dahin und W. trage die Kosten.
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B.- Am 6. Februar 1995 büsste das Bezirksamt Aarau S. im Strafbefehlsverfahren wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung (Art. 292 StGB) mit Fr. 600.-- Busse. Der Strafbefehl hat folgenden Wortlaut:
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"Am 17.02.94 verfügte der Gerichtspräsident von Aarau im Sinne einer vorläufigen Massnahme gegen [S.] wie folgt:
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1. [S.] wird mit sofortiger Wirkung richterlich verboten, gegenüber Dritten die Behauptung, [W.] habe sich sexuelle Übergriffe auf Jugendliche zuschulden kommen lassen, in dieser oder ähnlicher Art zu verbreiten.
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2. [S.] wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorsorgliche Anordnung gemäss Ziff. 1 vorstehend die Bestrafung gemäss Art. 292 StGB angedroht. Art. 292 StGB lautet: [...].
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Unter Missachtung dieser richterlichen Verfügung und in Kenntnis der angedrohten strafrechtlichen Folgen äusserte sich [S.] gegenüber dem Zeugen U. am 10.03.94 in Aarau in dem Sinne, dass [W.] in mindestens zwei Fällen strafrechtlich relevante (sexuelle) Handlungen begangen habe, infolge Verjährung aber nicht mehr belangt werden könne. Er nannte die Namen von zwei Personen, welche angeblich in sexuelle Handlungen [W.s] involviert waren und legte eine Liste von Personen vor, mit welchen [W.] angeblich Kontakt gehabt hatte."
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S. erhob Einsprache und machte vor dem Bezirksgericht Aarau geltend, der objektive Tatbestand von Art. 292 StGB sei nicht erfüllt, weil die Verfügung vom 17. Februar 1994 mangels Zuständigkeit des Gerichtspräsidiums Aarau nicht rechtmässig gewesen sei. Das Bezirksgericht Aarau verurteilte ihn am 23. August 1995 wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung zu Fr. 300.-- Busse. Eine vorläufige Massnahme nach § 294 ZPO werde im Falle BGE 122 IV, 340 (342)dringender Gefahr im summarischen Verfahren schon vor Anhören der Gegenpartei angeordnet und deren Voraussetzungen wie auch die Prozessvoraussetzungen müssten bloss glaubhaft gemacht werden. Diese bloss summarische Prüfung sei systemimmanent. Der Massnahmerichter habe seine örtliche Zuständigkeit annehmen dürfen, weil der Beschwerdeführer unter der angegebenen Adresse in Aarau tatsächlich erreichbar gewesen sei. Somit sei die Verfügung vom 17. Februar 1994 rechtens erfolgt.
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Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 21. Dezember 1995 eine Berufung des S. im Schuld- und Strafpunkt ab.
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C.- S. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, ihn vom Vorwurf der Verletzung von Art. 292 StGB freizusprechen.
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D.- Das Obergericht des Kantons Aargau verzichtet auf Gegenbemerkungen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung soweit Eintreten. W. verzichtet auf Vernehmlassung.
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Aus den Erwägungen:
 
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2. Die Tatbestandserfüllung von Art. 292 StGB setzt unter anderem eine von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten erlassene Verfügung voraus. Darunter ist die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit zu verstehen. Das Vorliegen einer von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten erlassenen Verfügung ist als Tatbestandsmerkmal eine Bundesrechtsfrage und entsprechend vom Strafrichter frei zu prüfen. Es erweist sich unter strafrechtlichen Gesichtspunkten als unerheblich, ob eine Verfügung zivilprozessual rechtens erfolgte, ob eine unzuständigerweise ausgesprochene Verfügung als nichtig oder nur anfechtbar zu beurteilen ist und ob dem Betroffenen Rechtsmittel zur Verfügung standen oder nicht. Die Bestrafung aufgrund einer unzuständigerweise erlassenen Verfügung ist nach Lehre und Rechtsprechung ausgeschlossen (BGE 98 IV 106 E. 3b; ZR 87/1988 S. 146 Nr. 58; vgl. PETER STADLER, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen [Art. 292 StGB], Zürcher Diss. 1990, S. 117 f.; WALTER EIGENMANN, Die Androhung von Ungehorsamsstrafen durch den Richter [Art. 292 StGB], Zürcher Diss. 1964, S. 34, wobei dieser Autor die Zuständigkeit als objektive Strafbarkeitsvoraussetzung betrachtet; ROLF LOEPFE, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen [Schweizerisches Strafgesetzbuch Art. 292], Zürcher Diss. 1947, BGE 122 IV, 340 (343)S. 66; ebenso HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, Berlin 1943, S. 726; MAX IMBODEN, Strafgerichtliche Verwaltungskontrolle, ZStrR 75/1959 S. 149; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, partie spéciale, tome II, Neuchâtel 1956, Art. 292 N. 2; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Auflage, Zürich 1996, S. 306; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Zürich 1964, S. 492).
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Der Beschwerdeführer erhob unverzüglich und zu Recht die Einrede der fehlenden Zuständigkeit. Es kann daher offenbleiben, wie bei einer klarerweise rechtsmissbräuchlichen Missachtung einer im Sinne von Art. 292 StGB von einer unzuständigen Behörde oder einem unzuständigen Beamten erlassenen Verfügung zu entscheiden wäre bzw. ob sich die Berufung auf die fehlende Zuständigkeit als rechtsmissbräuchlich erweisen könnte.
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Ging nach dem Gesagten die Verfügung vom 17. Februar 1994 von einer im Sinne von Art. 292 StGB unzuständigen Behörde aus, konnte auch keine Bestrafung gemäss Art. 292 StGB erfolgen. Der Schuldspruch verletzt daher Bundesrecht, so dass die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die kantonale Behörde zurückzuweisen ist.
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