VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 115 IV 233  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Einer Verletzung des Amtsgeheimnisses macht sich nach Art. 320 ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. August 1989 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 320 StGB; Verletzung des Amtsgeheimnisses.  
Wer seine im Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit zufällig erworbenen Kenntnisse ausserhalb des Dienstes als Privatperson bereits vorher schon oder später noch einmal erlangte oder dies ohne weiteres tun könnte und sogar einen rechtlichen Anspruch darauf hat, macht sich bei deren Weitergabe nicht der Amtsgeheimnisverletzung schuldig (E. 2c/bb).  
 
Sachverhalt
 
BGE 115 IV, 233 (234)Anfangs 1987 führte der Vorstand der Sektion Chur des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) in der Kaserne der Kantonspolizei Basel mit dem leitenden Ausschuss des VSPB eine Aussprache über hängige Probleme der Sektion Chur. Für diese Reise nach Basel erhielt die unter dem Präsidium von Rechtsanwalt A. stehende Sektion Chur des VSPB von der Stadt Chur eine "Spesenentschädigung" von Fr. 500.--. Der nach Entlassung des Polizeikommandanten eingesetzte Kommandant ad interim der Stadtpolizei Chur veranlasste nach Rücksprache mit dem zuständigen Stadtratsmitglied die Auszahlung dieses Betrages. Polizeifeldweibel B. füllte ein Rechnungsformular für die Stadt Chur am 10. Juni 1987 teilweise auf Anweisung des Kommandanten mit den folgenden Angaben aus: "Dienstreise nach Basel zur Kantonspolizei Basel 5 x Fr. 100.-- = Fr. 500.--". Er visierte das Formular, liess es durch den Polizeikommandanten ad interim abstempeln und unterschreiben, worauf er den Polizeibeamten C. beauftragte, mit diesem Beleg bei der städtischen Finanzkontrolle den Betrag von Fr. 500.-- abzuholen. Die Angestellte der Finanzkontrolle ergänzte die Angaben im Rechnungsformular, indem sie die Rubrik "von ..." mit "Polizeiposten" ausfüllte, und versah das Formular mit dem Stempel "Finanzkontrolle 15. Juni 1987" und ihrem Visum. Mit diesem Beleg holte der Polizeibeamte C. bei der Stadtkasse Chur gleichentags den Betrag von Fr. 500.-- ab und quittierte hiefür auf dem Formular, auf welchem ein Kassenaufdruck für eine entsprechende Barauszahlung angebracht wurde. C.
1
BGE 115 IV, 233 (235)überbrachte die Fr. 500.-- Feldweibel B. Dieser verlangte hierauf von der Stadtkasse eine Kopie des Rechnungsformulars und brachte auf dieser den folgenden Vermerk an:
2
"iA des Kommando an Verbandskasse ausbezahlt als Spesenentschädigung an den Vorstand VSPB/Chur für Reise zum Zentralvorstand nach Basel vom Februar 1987
3
Betrag Fr. 500.-- erhalten, der Kassier ..."
4
Polizeimann D. unterzeichnete als Kassier und brachte den Stempel der Sektion Chur des VSPB an. Sodann erstellte er für sich und für den Vizepräsidenten der VSPB-Sektion Chur je eine Fotokopie des quittierten Rechnungsformulars. Den mit seiner Originalunterschrift versehenen Beleg erstattete er Feldweibel B.
5
Eine Kopie des Schriftstückes entdeckte Polizeikorporal X. zufälligerweise im Fotokopierapparat der Stadtpolizei Chur. Er sandte diese am 18. Juni 1987 dem Zentralpräsidenten des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter.
6
Der Präsident der VSPB-Sektion Chur erstattete hierauf bei der Staatsanwaltschaft Graubünden gegen X. Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses.
7
Mit einem Strafmandat des Kreispräsidenten Chur vom 24. September 1987 wurde X. wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses mit einer Busse von Fr. 600.-- bestraft. Dagegen erhob er Einsprache, worauf der Kreisgerichtsausschuss Chur ihn am 8. September 1988 von Schuld und Strafe freisprach. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin hob der Kantonsgerichtsausschuss Graubünden dieses Urteil jedoch am 7. März 1989 auf; er sprach X. der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach Art. 320 Ziff. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 300.--.
8
Gegen das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses Graubünden führt X. Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
9
 
Aus den Erwägungen:
 
10
BGE 115 IV, 233 (236)a) (Frage, ob ein Geheimnis vorliegt, offengelassen.)
11
c) aa) Die dem Amtsgeheimnis unterstehende Kenntnis muss sich auf Tatsachen beziehen, die mit den dienstlichen Aufgaben des betreffenden Beamten zusammenhängen, wobei jede so erlangte Kenntnis eingeschlossen ist (SCHULTZ, Die Verletzung des Amtsgeheimnisses gemäss Art. 320 StGB, in Kriminalistik 33/1979, S. 370).
12
bb) Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des Verwaltungsaktes, den die Auszahlung von Fr. 500.-- durch die Stadt Chur darstellt, dem Empfänger die nach dem angefochtenen Urteil als geheimhaltungsbedürftig in Frage kommenden Fakten mitgeteilt wurden. Dies erfolgte dadurch, dass D. als Kassier der VSPB-Sektion Chur nicht auf einer separaten Urkunde für den Zahlungsvorgang zwischen Polizeikommando und VSPB quittierte, sondern auf einer Kopie des Beleges für die Auszahlung der Stadtkasse an das Polizeikommando zu unterzeichnen hatte; ferner auch dadurch, dass der für die Stadt handelnde Feldweibel B. ihm erlaubte, für Vereinszwecke Fotokopien des Schriftstücks zu erstellen. Es handelte sich also nicht nur bei der Tatsache der Zahlung an die VSPB-Sektion Chur, sondern auch in bezug auf den für den Vorgang zwischen Polizeikommando und Stadtkasse angegebenen Zahlungsgrund um Kenntnisse, deren Träger nach erfolgter Mitteilung nicht nur die Stadt Chur, sondern gleichzeitig auch die VSPB-Sektion Chur war.
13
Entscheidend ist, dass sich der Beschwerdeführer als Mitglied des Vereins VSPB Chur vom ganzen Sachverhalt und vom Inhalt des Zahlungsbelegs hätte Kenntnis verschaffen können und darauf auch einen rechtlichen Anspruch gehabt hätte (vgl. Art. 65 Abs. 2 ZGB, wonach die Vereinsversammlung die Aufsicht über die Tätigkeit der Organe ausübt). Die auf diesem Wege oder allenfalls auf informelle Weise vom Vereinsvizepräsidenten oder dem Kassier D. direkt oder indirekt erlangten Kenntnisse hätte der Beschwerdeführer ohne Verletzung eines Amtsgeheimnisses weitergeben dürfen, weil er sie in diesem Fall zweifellos nicht als Beamter oder in dienstlicher Stellung wahrgenommen hätte.
14
Nach der in der Literatur vertretenen und zweifellos zutreffenden Ansicht darf der Betroffene seine im Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit erfahrenen Kenntnisse weitergeben, wenn er davon bereits vorher als Privatperson Kunde erhalten hat oder wenn er sie ausserhalb des Dienstes noch einmal erfährt (FRANZ-MARTIN SPILLMANN, Begriff und Unrechtstatbestand der BGE 115 IV, 233 (237)Verletzung der Amtsgeheimnisse nach Artikel 320 des Strafgesetzbuches, Diss. Zürich 1984, S. 31 mit Hinweisen). Es sprechen nun aber keine sachlichen Gründe dafür, den Fall, in welchem der Betroffene mutmasslich geheimzuhaltende Tatsachen ohne weiteres auch noch ausserhalb des Dienstes in Erfahrung bringen könnte und - wie im vorliegenden Fall - darauf sogar einen rechtlichen Anspruch hätte, anders zu beurteilen. Es würde einen überspitzten Formalismus bedeuten, zu verlangen, dass sich der Betroffene in einem solchen Fall die im Dienst erlangten Kenntnisse zunächst noch auf die ihm ohne weiteres offenstehende andere Weise aneignen müsste, bevor er sie weitergibt.
15
cc) Selbst wenn man dieser Auffassung in dieser allgemeinen Form nicht folgen wollte, ist wegen der gesamten Umstände des vorliegenden Falles das Tatbestandselement der Wahrnehmung in dienstlicher Stellung nicht erfüllt. Auszugehen ist davon, dass der Beschwerdeführer bei der Auszahlung der Fr. 500.-- seitens der Stadt Chur bzw. des Polizeikommandos Chur in keiner Art und Weise mitzuwirken hatte. Wenn er zufälligerweise im Fotokopierapparat der Stadtpolizei eine Kopie des streitigen Schriftstückes fand, erlangte er seine Kenntnisse nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen dienstlichen Aufgaben. Erstens besteht nur ein entfernter und zufälliger Zusammenhang zwischen der dienstlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers und der Kenntniserlangung des Schriftstücks. Zweitens stellt das in Frage stehende Dokument zugleich einen wichtigen Vereinsbeleg dar, von welchem der Beschwerdeführer als Vereinsmitglied jederzeit auch ausserdienstlich hätte Kenntnis erlangen können. Drittens handelte es sich nicht nur bei der Tatsache der Zahlung an die VSPB-Sektion Chur, sondern auch beim für den Vorgang zwischen Polizeikommando und Stadtkasse angegebenen Zahlungsgrund um Kenntnisse, deren Träger nach erfolgter entsprechender Mitteilung nicht nur die Stadt Chur, sondern gleichzeitig auch die VSPB-Sektion Chur war. Es würde eine allzu formalistische und daher nicht zu rechtfertigende Betrachtungsweise darstellen, wollte man die allgemeine Verschwiegenheitspflicht eines Beamten (hier gemäss Art. 21 Abs. 2 des Dienstreglementes für das Polizeikorps der Stadt Chur) auch unter diesen Voraussetzungen bejahen. Unter Berücksichtigung aller Umstände kann nicht davon gesprochen werden, der Beschwerdeführer habe Kenntnisse weitergegeben, die er im Sinne von Art. 320 StGB in dienstlicher Stellung wahrgenommen habe.
16
BGE 115 IV, 233 (238)d) Fehlt es nach dem Gesagten an der Voraussetzung der Wahrnehmung in dienstlicher Stellung, so hat der Beschwerdeführer den Tatbestand des Art. 320 Ziff. 1 StGB nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer begründete die Nichtigkeitsbeschwerde lediglich damit, es habe kein Geheimnis vorgelegen bzw. die Stadt Chur hätte den Geheimhaltungswillen aufgegeben; ausserdem machte er Sachverhaltsirrtum geltend, führte dazu aber Gründe an, die allenfalls auf einen Rechtsirrtum schliessen lassen. Der Kassationshof ist jedoch nicht an die Begründung der Rechtsbegehren der Parteien gebunden (Art. 277bis Abs. 2 BStP), sondern hat das Recht von Amtes wegen anzuwenden (iura novit curia). Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
17
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).