VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 111 IV 37  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. a) Mit dem Einwand, es fehle eine nach VG erforderliche Verfol ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. März 1985 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 320 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, Art. 15 Abs. 1 VG; Verfolgungsermächtigung.  
 
Sachverhalt
 
BGE 111 IV, 37 (37)A.- B. war in den Jahren 1975-1980 Mitglied der Eidgenössischen Konsultativ-Kommission für die Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung (=KKMHV). Nach seinem Ausscheiden aus der Kommission veröffentlichte er in einer Fachzeitschrift einen Artikel, in welchem er sich über ein versicherungstechnisches Problem und die diesbezügliche Haltung der Vertreter der Strassenverkehrsverbände in der Kommission äusserte. In der Folge wurde ihm zur Last gelegt, er habe mit dieser Äusserung sein Wissen um die Stellungnahme der Vertreter der Strassenverkehrsverbände bekanntgegeben; dieses Wissen habe er nur als ehemaliges Mitglied der KKMHV besessen, und er sei zur Geheimhaltung verpflichtet gewesen.
1
BGE 111 IV, 37 (38)B.- Das Amtsgericht Luzern-Land verurteilte B. am 12. April 1983 wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses gemäss Art. 320 StGB zu einer Busse von Fr. 80.--.
2
Eine hiegegen eingereichte Kassationsbeschwerde hat das Obergericht des Kantons Luzern am 15. November 1984 abgewiesen.
3
C.- B. führt gegen das Urteil des Obergerichtes eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Angelegenheit sei zur Einstellung, eventuell zur Freisprechung, subeventuell zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
4
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
5
b) Dass KKMHV-Mitglieder in bezug auf die Strafverfolgung wegen Handlungen, die sich auf die Kommissionstätigkeit beziehen, gemäss Art. 1 und 2 VG den Beamten gleichgestellt sind und dass folglich Art. 15 VG sinngemäss zur Anwendung kommen muss, ist unbestritten.
6
Die Bundesanwaltschaft und das EJPD haben jedoch in ihrer Stellungnahme gegenüber den kantonalen Behörden die Auffassung vertreten, das Ermächtigungserfordernis gelte nur für "während der Dauer des amtlichen Verhältnisses" begangene Verfehlungen, nicht aber für Handlungen, die nach dem Ausscheiden aus dem Amt oder der Behörde begangen wurden.
7
In BGE 106 Ib 273 hat das Bundesgericht gemäss dem der publizierten Entscheidung vorangestellten Leitsatz entschieden, dass das Ermächtigungserfordernis im Sinne von Art. 15 VG auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt gelte. Im konkreten Fall handelte es sich jedoch um eine Verfehlung während der Amtszeit; BGE 111 IV, 37 (39)nur die Frage der Strafverfolgung stellte sich erst nach dem Ausscheiden aus dem Bundesdienst. Es ist jetzt zu prüfen, ob die dort geäusserte Auffassung insofern einschränkend zu präzisieren ist, als die Strafverfolgung wegen Handlungen nach dem Ausscheiden aus der amtlichen oder behördlichen Funktion ohne Ermächtigung möglich sein soll, auch wenn sich der Vorwurf strafbaren Verhaltens auf die amtliche Tätigkeit oder Stellung bezieht.
8
Der Wortlaut des Gesetzes (Art. 15 VG) erfasst jede Strafverfolgung wegen Delikten, die sich auf die amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen. Dass aus der Wendung "Strafverfolgung von Beamten" nicht abgeleitet werden darf, im Zeitpunkt der Verfolgung müsse die Beamteneigenschaft bzw. die das Erfordernis begründende Funktion (als Behördemitglied) noch bestehen, wurde in BGE 106 Ib 273 einlässlich dargetan. Wenn es bei Art. 15 VG nur darum ginge, "durch den Schutz von Beamten und Behördemitgliedern vor unbegründeten, insbesondere trölerischen oder mutwilligen Strafanzeigen den reibungslosen Gang der Verwaltung sicherzustellen" (BGE 106 Ib 277), dann wäre es wohl folgerichtig, diesen Schutz nicht zu gewähren, sobald es sich um eine Verfehlung nach dem Ausscheiden aus der betreffenden Funktion handelt und die in Frage stehende Strafverfolgung den Gang der Verwaltungs- oder Behördenarbeit nicht zu tangieren vermöchte. Schon in BGE 106 Ib 277 hat das Bundesgericht aber festgehalten, das Ermächtigungsverfahren sei, "wenn auch nur in zweiter Linie, im Interesse der mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betrauten Personen selber aufgestellt". Von dieser Auffassung abzuweichen besteht kein Grund. Art. 15 VG schützt auch die Funktionsträger (Beamter, Behördemitglied) persönlich vor unnötigen Strafverfahren, die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen. Dieser Schutz hört mit dem Ausscheiden aus der öffentlichen Funktion nicht auf. Soweit eine spätere Strafverfolgung sich auf die amtliche Tätigkeit oder Stellung bezieht, gilt das Ermächtigungserfordernis ebenfalls. Geheimnisverletzungen durch Beamte und Behördemitglieder während der Dauer der Funktion nur mit Ermächtigung zu verfolgen, nach Beendigung des amtlichen oder dienstlichen Verhältnisses aber bei Verletzung der weiterdauernden Schweigepflicht (Art. 320 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) einen Wegfall des Ermächtigungserfordernisses anzunehmen, lässt sich nicht überzeugend begründen. In der Beschwerdeschrift wird mit Recht darauf hingewiesen, dass es besonders stossend wäre, wenn von zwei Mittätern der nicht mehr im Amt befindliche ohne weiteres BGE 111 IV, 37 (40)verfolgt werden könnte, während der noch im Amt befindliche durch das Ermächtigungsverfahren geschützt wäre. Viel naheliegender als eine solche Differenzierung zwischen Verfehlungen während der Amtszeit und späteren Verstössen gegen Nachwirkungen der Amtspflicht ist der Schluss, dass Art. 15 VG das Ermächtigungsverfahren stets verlangt, wenn die Strafverfolgung sich auf die durch das Verantwortlichkeitsgesetz erfasste Funktion (als Beamter oder Behördemitglied) bezieht, unabhängig davon, ob der Betroffene bereits aus dieser Funktion ausgeschieden ist.
9
Ob der geäusserte Verdacht einer strafbaren Handlung unter Abwägung aller Interessen die Untersuchung der betreffenden amtlichen oder behördlichen Tätigkeit im Rahmen eines Strafverfahrens rechtfertigt, ist im übrigen oft auch eine Frage des Ermessens, die nach der ratio legis von Art. 15 VG - unabhängig vom Zeitpunkt des inkriminierten Verhaltens - in der Hand der Ermächtigungsinstanz bleiben sollte.
10
c) Die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verletzung seiner Geheimhaltungspflicht als KKMHV-Mitglied ist eine Verfehlung, die sich auf seine behördliche Tätigkeit bezieht. Für die Strafverfolgung ist daher die Ermächtigung des EJPD notwendig. Diese wurde nicht eingeholt. Ob sie angesichts der Geringfügigkeit einer eventuellen Geheimnisverletzung zu erteilen wäre, kann hier offen bleiben. Das EJPD beschränkte sich auf die Verneinung des Ermächtigungserfordernisses und zog die allfällige vorsorgliche Erteilung der Ermächtigung gar nicht in Erwägung. Das zeigt, dass die von der Vorinstanz mit einer Busse von Fr. 80.-- geahndete Äusserung nicht etwa einen klaren Anlass zur Bewilligung der Strafverfolgung darstellt.
11
Das ohne die erforderliche Ermächtigung ergangene Strafurteil verstösst gegen Art. 15 VG und ist aufzuheben. Die Vorinstanz hat unter Berücksichtigung des kantonalen Prozessrechts darüber zu befinden, ob das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung (vgl. O. BEHRINGER, Ermächtigung und Ermächtigungsdelikte, Diss. Zürich 1933, S. 21 ff.) durch Einstellung abzuschliessen oder ob das unterlassene Ermächtigungsverfahren nachträglich noch einzuleiten sei.
12
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).