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Informationen zum Dokument  BGE 108 IV 52  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Es ist unbestritten, dass das angefochtene Bussenurteil nicht  ...
3. Gemäss Art. 32 Abs. 2 SVG hat der Bundesrat für alle ...
4. Es bleibt jedoch zu prüfen, ob der Bundesrat gestütz ...
5. In der VoBR 1978 überlässt es der Bundesrat dem EJPD ...
6. Angefochten wird auch die Gültigkeit der Signalisation vo ...
7. Gegen die Bestrafung wegen Überschreitung der signalisier ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Januar 1982 i.S. S. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 32 Abs. 2, 106 Abs. 1 SVG, Art. 115 SSV.  
 
Sachverhalt
 
BGE 108 IV, 52 (52)a) Gemäss Art. 32 Abs. 2 SVG beschränkt der Bundesrat die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen. Die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen kantonalen Behörde und auf den Nationalstrassen vom EJPD herab- oder hinaufgesetzt werden (Abs. 3 von Art. 32 SVG).
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In Art. 4a Abs. 1 VRV hat der Bundesrat in Ausführung von Art. 32 Abs. 2 SVG die zulässigen allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten festgelegt. Danach gilt zur Zeit in Ortschaften die Limite von 60 km/h, soweit nicht eine abweichende Höchstgeschwindigkeit signalisiert ist (Art. 4a Abs. 5 VRV).
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b) Gestützt auf Art. 32 Abs. 2 SVG erliess der Bundesrat am 8. November 1978 eine Verordnung über die Durchführung eines zeitlich und örtlich beschränkten Versuches mit Tempo 50 innerorts (SR 741.121.1, im folgenden als VoBR 1978 bezeichnet). In Art. 1 dieser Verordnung wird das EJPD ermächtigt, "anstelle BGE 108 IV, 52 (53)der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h innerorts, im Einvernehmen mit den Kantonen in einer beschränkten Zahl von Ortschaften und Regionen für eine beschränkte Zeit versuchsweise eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h einzuführen". Dieser Versuch ist wissenschaftlich auszuwerten. - Die Verordnung trat am 8. November 1978 in Kraft und gilt bis zum 31. Dezember 1982 (Art. 2).
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c) Gestützt auf diese "Ermächtigung", die einem eigentlichen Auftrag gleichkommt, hat das EJPD am 21. April 1980 (in einer Verordnung, SR 741.121.11) die Einzelheiten des Versuchs geregelt und insbesondere die Versuchsgebiete in einer Liste festgelegt.
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d) Für die Signalisation des Versuchs hat das EJPD gestützt auf Art. 115 Abs. 1 und 2 SSV in einem an die kantonalen Behörden gerichteten, nicht veröffentlichten Kreisschreiben vom 2. Juni 1980 folgende Anordnung getroffen:
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"Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/Std. in den Ortschaften, die sich am Versuch "Tempo 50" beteiligen, wird durch das Signal "Höchstgeschwindigkeit 50 km/Std." (2.30) angezeigt, das im oberen Feld des roten Signalrandes die Aufschrift "GENERELL" bzw. "Limite générale" in weissen, 7 cm hohen Buchstaben (Höhe des grossen Buchstabens) ... trägt."
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(Diese Regelung wird im Kreisschreiben durch Abbildungen des speziellen Signals in deutscher und französischer Sprache ergänzt.)
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Aus den Erwägungen:
 
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Innerhalb eines kurzen Zeitraumes gingen beim Bundesgericht vier Beschwerden ein, die weitgehend die gleichen rechtlichen Fragen aufwerfen und zu einem grossen Teil gleiche oder ähnliche Argumente enthalten. Die nachfolgenden Erwägungen über die Rechtsgültigkeit des Versuchs "Tempo 50" und der entsprechenden BGE 108 IV, 52 (54)Signalisierung beziehen sich sinngemäss auf alle vier Beschwerden und behandeln die Gesamtheit der vorgebrachten Einwendungen in systematischer Reihenfolge.
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3. Gemäss Art. 32 Abs. 2 SVG hat der Bundesrat für alle Strassen Höchstgeschwindigkeiten festzusetzen. Diese Weisung des Gesetzgebers an die Vollzugsbehörde umfasst vor allem auch den Auftrag, Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit in den Ortschaften (innerorts) zu erlassen. In der frühern Fassung enthielt das Gesetz selber die Regel, dass in Ortschaften die Geschwindigkeit unter Vorbehalt besonderer Anordnungen 60 km/h nicht übersteigen dürfe. Der neue Abs. 2 von Art. 32 SVG (gemäss BG vom 20. März 1975) überlässt dem Bundesrat die Bestimmung der generellen Höchstgeschwindigkeiten, während die Anordnung örtlicher Ausnahmen von der allgemeinen Limitierung in die Kompetenz der zuständigen kantonalen Behörde bzw. für die Nationalstrassen in die Kompetenz des EJPD fällt.
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In Art. 4a VRV hat der Bundesrat gemäss dem gesetzlichen Auftrag allgemeine Höchstgeschwindigkeiten festgesetzt. Indem er im November 1978 beschloss, eine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit innerorts von 60 km/h auf 50 km/h zu prüfen, und zu diesem Zweck die versuchsweise Einführung der herabgesetzten Limite in bestimmten Gebieten anordnete, handelte er in dem ihm vom Gesetz delegierten Bereich der Festsetzung der Höchstgeschwindigkeit. Die Abgrenzung des Versuchsgebietes kann nicht einer durch die örtlichen Gegebenheiten begründeten Abweichung (Art. 32 Abs. 3 SVG) von der allgemein geltenden Limite gleichgestellt werden. Es geht dabei nicht um die Berücksichtigung der Besonderheiten bestimmter Strassenstrecken, die gemäss Art. 32 Abs. 3 SVG in die Zuständigkeit kantonaler Behörden (bzw. des EJPD) fallen würde, sondern um die Gewinnung von Entscheidungsgrundlagen für eine eventuelle Änderung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts. Die Rüge, der Bundesrat greife mit dem Versuch "Tempo 50" in die den Kantonen vorbehaltene Zuständigkeit zur Anordnung abweichender Höchstgeschwindigkeiten innerorts (auf bestimmten Strecken) ein, ist unbegründet. Die VoBR 1978 bleibt durchaus im Rahmen der dem Bundesrat übertragenen Bestimmung allgemeiner Höchstgeschwindigkeiten und verletzt die kantonale Zuständigkeit zur Anordnung lokaler Abweichungen nicht.
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4. Es bleibt jedoch zu prüfen, ob der Bundesrat gestützt auf die ihm durch Art. 32 Abs. 2 SVG übertragene Befugnis zur BGE 108 IV, 52 (55)Festsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten auch örtlich und zeitlich begrenzte Versuche durchführen darf.
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a) In diesem Zusammenhang wird von den Beschwerdeführern gerügt, der Versuch verletze die Rechtsgleichheit, auf gleichartigen Innerortsstrecken dürfe im Versuchsgebiet höchstens mit 50 km/h und in andern Ortschaften mit 60 km/h gefahren werden.
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Die Rechtsgleichheit verlangt, dass jeder Automobilist bei der Benützung der gleichen Strecke gleich beurteilt wird. Dieser Grundsatz wird durch den "Tempo 50" - Versuch nicht verletzt. Aus Art. 4 BV lässt sich nicht ableiten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit müsse auf gleichartigen Strecken gleich sein. In dieser Beziehung können sich schon durch die jeweilige Abgrenzung des Innerortsgebietes (Signalisierung) und durch die Anordnungen der zuständigen Behörden gemäss Art. 32 Abs. 3 SVG Unterschiede ergeben. Wohl ist eine möglichst einheitliche Praxis anzustreben. Wer aber eine gültig signalisierte Höchstgeschwindigkeit überschreitet, kann sich nicht mit dem Argument auf Art. 4 BV berufen, auf einer oder mehreren vergleichbaren Strecken sei die Geschwindigkeit nicht in gleicher Weise beschränkt. Rechtsungleich wäre es, wenn bei gleichen Überschreitungen der signalisierten Höchstgeschwindigkeit ohne sachlichen Grund unterschiedliche Strafen ausgefällt würden. Hingegen verstösst die unterschiedliche Festsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf vergleichbaren Strassen nicht gegen das Gebot der Rechtsgleichheit; denn dieses Gebot bezieht sich auf die Gleichbehandlung der Rechtsunterworfenen, nicht auf die Gleichheit nicht personenbezogener, sachlicher Anordnungen (wie Signalisation der Höchstgeschwindigkeit) im ganzen Staatsgebiet.
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b) Der Satz in Art. 32 Abs. 2 SVG, dass der Bundesrat die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen beschränke, ist sinngemäss als Auftrag zu einer Regelung zu verstehen, die für gleichartige Strassen in der ganzen Schweiz gleiche allgemeine Höchstgeschwindigkeiten festlegt. Welche Strassenkategorien zu unterscheiden und wie die Limiten zu fixieren sind, bleibt dem Ermessen des Bundesrates überlassen (vgl. zur frühern Regelung BGE 100 IV 252). Eine Dauerlösung, welche nach andern Kriterien als solchen der Verkehrssicherheit differenzieren, z.B. nach Landesgegenden unterschiedliche Höchstgeschwindigkeiten einführen wollte, würde der ratio legis von Art. 32 Abs. 2 SVG nicht entsprechen; denn damit würde die (zwar nicht durch Art. 4 BV verfassungsrechtlich geforderte, aber) vom Gesetzgeber gewollte BGE 108 IV, 52 (56)Einheitlichkeit der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten nicht verwirklicht, sondern durch sachfremde Unterscheidungen verhindert. Wäre die angefochtene, örtlich begrenzte Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h - etwa im Sinne einer Konzession an die in der betroffenen Gegend herrschende Auffassung - als dauernde Sonderregelung gedacht, so würde sie zwar nicht dem Wortlaut, aber dem Sinn und Zweck von Art. 32 Abs. 2 SVG widersprechen.
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Mit der VoBR 1978 hat der Bundesrat nicht für gleichartige Verhältnisse (innerorts) eine zweite Höchstgeschwindigkeit als Dauerlösung für bestimmte Gebiete eingeführt. Dass die allgemeine Höchstgeschwindigkeit einheitlich zu regeln sei, wurde nie in Frage gestellt. Die vom geltenden Art. 4a Abs. 1 VRV abweichende, zeitlich und örtlich beschränkte Ordnung ist unmissverständlich als Versuch konzipiert, um zahlenmässige Unterlagen über die Auswirkungen einer Herabsetzung der in Ortschaften geltenden Höchstgeschwindigkeit zu gewinnen. Nach Abschluss des Versuches wird wiederum eine einheitliche Limite (wie bisher 60 km/h oder neu 50 km/h) gelten. Die Ergebnisse des Versuchs sollen einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, welche allgemeine Höchstgeschwindigkeit innerorts den praktischen Bedürfnissen (Verkehrsfluss und Sicherheit) am besten entspricht.
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Art. 32 Abs. 2 SVG sieht die Möglichkeit der Anordnung unterschiedlicher Höchstgeschwindigkeiten zu Vergleichszwecken nicht ausdrücklich vor, schliesst einen derartigen Versuch jedoch auch nicht aus. Der gesetzliche Auftrag zur Festsetzung allgemeiner Höchstgeschwindigkeiten darf sinngemäss so verstanden werden, dass zwar grundsätzlich eine einheitliche Regelung getroffen werden muss, dass aber versuchsweise zur Abklärung von Änderungen das Erproben abweichender Lösungen in bestimmten Gebieten erlaubt ist. Ein derartiger Versuch dient ja der Erfüllung des in Art. 32 Abs. 2 SVG enthaltenen Auftrages. Der einzelne Verkehrsteilnehmer wird durch die versuchsweise, örtlich beschränkte Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit innerorts nicht stärker betroffen als durch eine entsprechende für das ganze Gebiet der Schweiz geltende Änderung oder durch gemäss Art. 32 Abs. 3 SVG angeordnete örtliche Reduktionen der Höchstgeschwindigkeit auf einzelnen Strassenstrecken. Es besteht daher kein Grund, die Zulässigkeit unterschiedlicher Lösungen zu Versuchszwecken von einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung abhängig zu machen. Die in Art. 32 Abs. 3 SVG umschriebene Delegation an den BGE 108 IV, 52 (57)Bundesrat umfasst sinngemäss auch die Befugnis, zu Versuchszwecken zeitlich und örtlich beschränkte Regelungen zu treffen, welche von der zur Zeit geltenden allgemeinen Norm abweichen, aber der Vorbereitung einer sachgerechten Neuordnung dienen.
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c) Von einzelnen Beschwerdeführern wird auch geltend gemacht, der in Frage stehende Versuch "Tempo 50" sei von vornherein nicht geeignet, schlüssige Resultate zu liefern, welche für oder gegen die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit zu verwerten wären.
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Ob ein temporärer Versuch in einem bestimmten Gebiet schlüssige Ergebnisse verspricht, hat der Bundesrat als zuständige Behörde zu beurteilen. Die Rechtsgültigkeit entsprechender Anordnungen (Signalisation einer abweichenden Höchstgeschwindigkeit) kann nicht mit Einwänden gegen die Schlüssigkeit der zu erwartenden Resultate angefochten werden. Die rechtliche Zulässigkeit eines Versuchs hängt nicht von der Überzeugungskraft der Resultate ab; es genügt, dass die Versuchsanordnung auf sachlich vertretbaren Überlegungen beruht und dass mit guten Gründen von den Ergebnissen eine Entscheidungshilfe erwartet werden darf. Dass der Bundesrat aus vertretbaren Gründen vom angeordneten Versuch brauchbare Resultate erwartet und nicht willkürlich die versuchsweise Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit beschlossen hat, kann nicht ernstlich bestritten werden. Die gegen die Zweckmässigkeit des Versuchs vorgebrachten Bedenken tangieren die Gültigkeit der vom Bundesrat im Rahmen seiner Zuständigkeit getroffenen Anordnungen und damit die Grundlage der Bestrafung der Beschwerdeführer nicht. Auch die Behauptung, die Mehrheit der Automobilisten sei gegen solche Versuche, ist für die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des angeordneten Versuchs ohne Belang, sondern betrifft ausschliesslich die von der Exekutive zu entscheidende Frage der Opportunität solcher Versuche, wobei noch zu bemerken wäre, dass die Festsetzung der Höchstgeschwindigkeit innerorts nicht nur die Automobilisten, sondern auch die Nicht-Automobilisten (Fussgänger, Velofahrer) in elementarer Weise berührt.
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BGE 108 IV, 52 (58)a) Art. 106 Abs. 1 SVG bestimmt ausdrücklich, dass der Bundesrat als Vollzugsbehörde "die ihm übertragenen Aufgaben, unter Vorbehalt allgemein verbindlicher Anordnungen, seinen Departementen zuweisen" kann. Diese ausdrückliche Regel macht eine generelle Erörterung des Problems der Subdelegation überflüssig. Der Bundesrat darf grundsätzlich die ihm durch das SVG übertragenen Aufgaben an seine Departemente delegieren. Ausdrücklich ausgenommen von dieser Delegationsbefugnis sind "allgemein verbindliche Anordnungen". Die Zulässigkeit des für die Durchführung des Versuchs "Tempo 50" gewählten Vorgehens hängt somit davon ab, ob der in Art. 1 VoBR 1978 enthaltene Auftrag an das EJPD allgemein verbindliche Anordnungen umfasst, die gemäss Art. 106 Abs. 1 SVG von der Delegationsmöglichkeit ausgenommen sind.
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b) Der Bundesrat hat in der VoBR 1978 selber bestimmt, dass in einem örtlich und zeitlich beschränkten Versuch die Auswirkungen einer Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h untersucht werden sollen. Das Wesentliche wurde damit festgelegt: abweichende Höchstgeschwindigkeit innerorts, Prinzip der räumlichen Begrenzung, zeitliche Begrenzung bis 31. Dezember 1982. Dem EJPD übertragen wurde die Durchführung des Versuchs, insbesondere die Abgrenzung des Versuchsgebietes im Einvernehmen mit den betroffenen Kantonen, die Regelung der speziellen Signalisierung sowie die wissenschaftliche Auswertung. Es geht dabei ausschliesslich um den konkreten Vollzug des vom Bundesrat angeordneten Versuchs, nicht um allgemein verbindliche Anordnungen, welche unter den Vorbehalt des Art. 106 Abs. 1 SVG fallen. Die Zuweisung von Aufgaben an Departemente kann sich sinngemäss nicht nur auf konkrete Verfügungen gegen Einzelpersonen beziehen. Soweit allgemein verbindliche Anordnungen - wie hier die Abklärung der Folgen unterschiedlicher Höchstgeschwindigkeiten - beim Vollzug Allgemeinverfügungen erfordern - etwa zur örtlichen Abgrenzung des Versuchsgebietes oder betreffend Signalisierung -, darf auch der Erlass der notwendigen Allgemeinverfügungen an das Departement delegiert werden. Der Begriff der "allgemein verbindlichen Anordnungen" ist sachgerecht dahin abzugrenzen, dass die dem Bundesrat übertragene Kompetenz zur Aufstellung allgemeiner Regeln (Verkehrsregeln, Höchstgeschwindigkeiten, Zulassungsvorschriften, Signalisationsvorschriften usw.) nicht an ein Departement delegiert werden kann, dass aber ein Departement mit der Durchführung der vom BGE 108 IV, 52 (59)Bundesrat getroffenen Anordnungen betraut werden darf und in diesem Rahmen dann auch befugt ist, konkretisierende Allgemeinverfügungen zu erlassen.
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Die VoBR 1978 enthält alle wesentlichen Entscheidungen allgemeiner Natur und überträgt dem Departement lediglich die Ausführung. Diese Regelung verletzt Art. 106 Abs. 1 SVG nicht.
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a) Art. 5 Abs. 1 SVG schreibt vor, dass Beschränkungen und Anordnungen für den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr durch Signale oder Markierungen angezeigt werden müssen, sofern sie nicht für das ganze Gebiet der Schweiz gelten (vgl. BGE 100 IV 74). Die Einführung der Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in den Versuchsgebieten bedurfte also der Bekanntmachung durch Signale. Gemäss Art. 5 Abs. 3 SVG dürfen nur die vom Bundesrat vorgesehenen Signale und Markierungen verwendet werden. In der Signalisationsverordnung (Verordnung des Bundesrates vom 5. September 1979 - SSV) ist kein spezielles Signal zum Anzeigen von Beginn und Ende der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts vorgesehen. Beginn und Ende der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h sind gemäss Art. 22 Abs. 3 SSV mit den entsprechenden Signalen zur Begrenzung der Geschwindigkeit auf einer Strassenstrecke jeweilen am Eingang bzw. Ausgang einer Siedlung anzuzeigen. Nach dem Kreisschreiben des EJPD sind in den Versuchs-Ortschaften diese 60 km-Tafeln durch 50 km-Tafeln ersetzt worden. Um klar anzuzeigen, dass es sich um die versuchsweise in der betreffenden Ortschaft geltende, allgemeine Höchstgeschwindigkeit und nicht etwa um eine nur auf dem anschliessenden Strassenstück bis zur nächsten Verzweigung geltende lokale Beschränkung handelt, wurde das 50 km-Signal im roten Rand durch das Wort "generell" ("Limite générale") ergänzt. Diese spezielle Signalisierung ordnete nicht der Bundesrat an, sondern das EJPD gestützt auf den Vollzugsauftrag und die in Art. 115 SSV enthaltene Ermächtigung.
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b) Art. 115 SSV gibt dem EJPD eine sehr weitgehende Kompetenz, in besondern Situationen Abweichungen von den Signalisationsvorschriften des Bundesrates zu bewilligen; insbesondere ist das Departement nach dieser Vorschrift befugt, "für besondere Fälle veränderte Symbole sowie versuchsweise neue Symbole, Signale und Markierungen zu bewilligen, ebenso Tafeln für Flussnamen, BGE 108 IV, 52 (60)Wanderwege und dergleichen". Die zur praktischen Durchführung des Versuchs "Tempo 50" in durchaus zweckmässiger Weise angeordnete Verwendung eines ergänzten Signals "Höchstgeschwindigkeit 50 km/h" überschreitet den weiten Rahmen der durch Art. 115 SSV dem EJPD eingeräumten Befugnisse offensichtlich nicht.
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c) Zu prüfen bleibt, ob Art. 115 SSV den Bestimmungen des SVG entspricht oder ob darin eine unzulässige Subdelegation liegt.
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Art. 5 Abs. 3 SVG bestimmt, dass nur die Verwendung der vom Bundesrat vorgesehenen Signale und Markierungen zulässig sei. Mit dieser Bestimmung werden im Sinne der Einheitlichkeit private, kommunale oder kantonale Schöpfungen auf dem Gebiete der Strassensignalisation untersagt. Hingegen ist aus dieser Formulierung nicht abzuleiten, jedes zulässige Signal schlechthin müsse vom Bundesrat direkt bewilligt sein. Die in Art. 115 SSV enthaltene Ermächtigung des Departementes zur Bewilligung von Abweichungen und Neuerungen für besondere Zwecke oder zur Erprobung steht zur Grundregel von Art. 5 Abs. 3 SVG nicht im Widerspruch. Letztere Vorschrift verbietet nicht-bewilligte Signale, sie bezweckt jedoch nicht den Ausschluss jeder Subdelegation im Bereich der Bewilligung sachlich begründeter Abweichungen und Ausnahmen.
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Auch zu Art. 106 Abs. 1 SVG steht Art. 115 SSV nicht im Widerspruch; denn die dem EJPD übertragene Befugnis zur Bewilligung von Abweichungen, Neuerungen und speziellen Lösungen betrifft nicht die dauernde, allgemein verbindliche Ordnung der Strassensignalisation, sondern erlaubt lediglich gewisse sachlich begründete Sonderregelungen (zu Versuchszwecken oder um zeitlich begrenzten, speziellen Bedürfnissen entsprechen zu können). Mit der den Erfordernissen des beschlossenen Versuchs entsprechenden Ergänzung des Signals "Höchstgeschwindigkeit 50 km/h" hat das EJPD nicht in die durch Art. 106 Abs. 1 SVG dem Bundesrat zwingend vorbehaltene Zuständigkeit für allgemein verbindliche Anordnungen eingegriffen, sondern gestützt auf eine zulässige Subdelegation eine den besondern Bedürfnissen des Versuchs "Tempo 50" entsprechende Lösung getroffen.
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d) Der Versuch "Tempo 50" wurde nicht nur durch die Signale, sondern auch durch Mitteilungen in der Presse hinreichend in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Dass in den Versuchsgebieten die reduzierte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h an die Stelle der ordentlichen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h tritt und für die BGE 108 IV, 52 (61)ganze Ortschaft gilt (vgl. Art. 16 Abs. 2/Art. 22 SSV), konnte und kann aufgrund der Information für einen in der Schweiz wohnenden Motorfahrzeugführer nicht zweifelhaft sein. Dementsprechend war auch stets klar, dass das Signal "Tempo 50 generell" nicht eine Beschränkung anzeigt, die nur bis zur nächsten Verzweigung gilt, sondern die Grenze des Innerortsbereichs markiert.
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Dass einer der Beschwerdeführer geltend macht, zwischen dem Signal und dem Ort seiner Geschwindigkeitsüberschreitung befinde sich eine Verzweigung, ist daher unbehelflich. Selbst dieser Beschwerdeführer behauptet nicht, er habe das Signal "Tempo 50 generell" falsch verstanden und gemeint, die Beschränkung gelte nach der Verzweigung nicht mehr. Die Argumentation ist vielmehr rein formalistisch. Wenn es aber in Art. 16 Abs. 2 letzter Satz SSV heisst, das Signal "Höchstgeschwindigkeit" (2.30), das den Beginn der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h innerorts anzeige (Art. 22 Abs. 3 SSV), gelte in der ganzen Ortschaft, so kann daraus gewiss nicht der unsinnige Schluss gezogen werden, bei versuchsweiser Reduktion der Höchstgeschwindigkeit innerorts auf 50 km/h sei diese Regel nicht analog anzuwenden, sondern - e contrario - anzunehmen, die nächste Verzweigung hebe (wie bei andern Geschwindigkeitssignalen) die Wirkung der Beschränkung "Tempo 50 generell" auf. Es ist selbstverständlich und dürfte aufgrund der Orientierung durch die Medien jedem Fahrzeugführer klar sein, dass mit der Ergänzung "generell" die Geltung der signalisierten Beschränkung für die ganze Ortschaft angezeigt wird.
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e) Ob ausländische Fahrzeugführer dieses ergänzte Signal ohne weiteres richtig verstehen oder durch zusätzliche Orientierung an der Grenze auf dessen Bedeutung hingewiesen werden (bzw. werden sollten), ist hier nicht zu untersuchen. Auch wenn einzelnen (ausländischen) Automobilisten zugute gehalten werden müsste, dass sie die Bedeutung des Signals "Tempo 50 generell" nicht erfassen konnten, so würde dies die Rechtsgültigkeit der signalisierten Höchstgeschwindigkeit nicht in Frage stellen und die Bestrafung von Übertretungen in den hier zu beurteilenden Fällen nicht hindern.
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Die Bestrafung erfolgte richtigerweise wegen Verletzung der gesetzlichen Regel von Art. 27 Abs. 1 SVG, nicht wegen eines Verstosses gegen die Verordnung des EJPD vom 21. April 1980. Verletzt wurde das Gebot der Beachtung von Signalen, Markierungen und Weisungen. Gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG ist wegen Verletzung dieser grundsätzlichen, im SVG selber statuierten Regel jeder strafbar, der eine rechtmässig getroffene, durch Signal, Markierung oder Weisung bekannt gegebene Anordnung missachtet; jeder derartige Verstoss verletzt eine gesetzliche Verkehrsregel (Beachtung der Signale usw.). Die dem missachteten Signal zugrunde liegende Anordnung (z.B. Geschwindigkeitsbeschränkung, Einbahnverkehr usw.) wird meistens nicht von einer Bundesbehörde (vermutlich nie vom Bundesrat), sondern von den zuständigen kantonalen Instanzen getroffen worden sein. Der Wortlaut von Art. 90 Ziff. 1 SVG nimmt Bezug auf die allgemeine Regel, die verletzt worden ist (hier: Art. 27 Abs. 1 SVG), und schliesst selbstverständlich die Strafbarkeit jener häufigen Fälle nicht aus, in denen die Verletzung der Verkehrsregel in der Nichtbeachtung einer Vollzugsmassnahme (z.B. Signalisierung) liegt, welche kantonale Behörden oder das EJPD getroffen haben. Mit dem Begriff "Vollziehungsvorschriften" in Art. 90 Ziff. 1 SVG sind die in den Ausführungserlassen enthaltenen Rechtssätze gemeint, nicht die konkretisierenden Vollzugsmassnahmen (wie die Signalisierung von Geschwindigkeitslimiten), die selbstverständlich nicht vom Bundesrat getroffen werden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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