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Informationen zum Dokument  BGE 100 IV 129  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
32. Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1974 i.S. Silvestrini gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
 
 
Regeste
 
Art. 11 StGB; verminderte Zurechnungsfähigkeit.  
 
Sachverhalt
 
BGE 100 IV, 129 (129)A.- Am 3. April 1974 erklärte das Geschwornengericht des Kantons Aargau Casimiro Silvestrini des Mordes, des Raubes, des wiederholten Diebstahls, des wiederholten Betrugs, des fortgesetzten Hausfriedensbruchs sowie Widerhandlungen gegen das SVG schuldig und verurteilte ihn zu lebenslänglichem Zuchthaus und Landesverweisung für 15 Jahre.
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B.- Wegen Mordes und Raubes wurde Silvestrini verurteilt, weil er in der Nacht vom 31. Juli 1972 zusammen mit seinem Bruder Antonio in der Wohnung des ferienabwesenden Michele Oliveri in Wettingen den homosexuellen Beat Gmür tötete und beraubte.
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Durch Aufwerfen einer Münze fielen dem Bruder Antonio die eigentlichen Tötungshandlungen zu. Dieser verfolgte das fliehende Opfer durch mehrere Räume der Wohnung und versetzte ihm 27 Messerstiche am ganzen Körper, bis es im Bad tot zusammenbrach. Dabei half ihm Silvestrini, indem er das BGE 100 IV, 129 (130)Opfer aufs Bett stiess und mit der Bettdecke zu überwältigen suchte, es durch Zuhalten des Mundes am Schreien und Telefonieren hinderte und es festhielt, damit sein Bruder die Messerstiche führen konnte. Die Leiche verscharrten die beiden im Wald. Silvestrini hatte die Idee zur Tat ausgeheckt, Gmür, dem er schon gelegentlich als Strichjunge gedient hatte, telefonisch in die Wohnung Oliveri gelockt und die Türen der Wohnung verriegelt, um eine Flucht Gmürs zu verhindern.
3
C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Silvestrini Rückweisung der Sache an das Geschwornengericht zur Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit und entsprechende Herabsetzung der Strafe.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Wie in BGE 98 IV 154 ausgeführt wurde, bedeutet Psychopathie in der Sprache der Psychiater nichts anderes als vom Durchschnitt abweichende Persönlichkeitsveranlagung, weshalb nicht jede derartige Anlage das auch im rechtlichen Sinne Abnorme erreicht. Neben den banalen Typen krimineller Psychopathen, aus denen sich die Mehrheit der Rechtsbrecher zusammensetzt und die regelmässig voll zurechnungsfähig sind, gibt es Psychopathen, deren Geistesverfassung nach Art und Grad so stark vom Durchschnitt nicht nur der Rechts-, sondern auch der Verbrechensgenossen abweicht, dass ihre Träger als nicht oder nicht voll verantwortlich erscheinen. Der Beschwerdeführer macht geltend, er gehöre zur zweiten Kategorie und sei daher vermindert zurechnungsfähig.
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Das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe in alkoholisiertem Zustand gehandelt, ist irrig. Nicht er hat nach Feststellung des Geschwornengerichts vor der Tat ein halbes Glas Wein und einen Becher Bier getrunken, sondern sein Bruder Antonio.
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Die Umstände der Tat, insbesondere die Geldbeschaffung als ihr Zweck, die Ausnützung einer "Freundschaft", das Auslosen des Täters, das unbekümmerte Verhalten nach der Tat, sowie der asoziale, verwahrloste Zustand des Beschwerdeführers sollen dartun, dass er nicht ein banaler krimineller Psychopath, sondern in seiner geistigen Gesundheit beeinträchtigt BGE 100 IV, 129 (131)sei. Was Silvestrini anführt, beweist nicht einen kranken Geist, sondern Schlechtigkeit und Gewissenlosigkeit. Diese Eigenschaften mögen einen Menschen in den Augen des Psychiaters als Psychopathen, als willensschwache, gemütsarme (moralisch defekte) Person erscheinen lassen, stellen aber nicht eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit im Sinne des Art. 11 StGB dar (BGE 77 IV 215/216, BGE 98 IV 154).
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Schliesslich legt der Beschwerdeführer dar, die Vorinstanz nehme bei ihm eine "knappe Intelligenz" an; da sie sich auf das psychiatrische Gutachten stütze, sei anzunehmen, dass sie dessen Schlussfolgerung, es werde ein Intelligenzquotient von 69% errechnet, als richtig voraussetze; was unter 70% sei, bedeute aber Debilität. Es trifft zu, dass der Psychiater erklärt, mit einem Intelligenzquotienten von 69% wäre rein zahlenmässig der Beginn pathologischen Schwachsinns, der Debilität, erfüllt. Er führt indessen weiter aus, die Intelligenzprüfung sei aus sprachlichen und charakterlichen Gründen ungünstiger ausgefallen als den Tatsachen entspreche. Sodann sei der Angeschuldigte bei Arbeitgebern und Drittpersonen nirgends als schwachsinnig empfunden worden. Seine Fähigkeit, Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden, zu definieren, zu kombinieren, zu assoziieren, sei keinesfalls derart vermindert, wie dies bei regelrecht Schwachsinnigen unerlässlich zu sein pflege. Gerade die Planung der Tat und deren Durchführung, wobei sich der Angeschuldigte glaubhaft als spiritus rector bekenne, imponiere bei aller Primitivität und Brutalität nicht als das Werk eines Schwachsinnigen. Dem Angeschuldigten sei am ehesten gerecht zu werden, wenn man ihn als bis zu gewissem Grade schwachbegabt, als mässig intelligent, als in landläufigem Sprachgebrauch bei unverkennbarer Bauernschläue "dumm" bezeichne, nicht aber als schwachsinning. Nun seien aber Beraubung und Tötung eines Menschen Verbrechen, deren Gewichtigkeit auch einem möglicherweise intellektuell nicht ganz vollbegabten Menschen jederzeit gegenwärtig seien.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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