VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 97 IV 36  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. April 1971 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen Prince.
 
 
Regeste
 
Art. 35 Abs. 5 SVG.  
 
Sachverhalt
 
BGE 97 IV, 36 (36)A.- Frau Vogel fuhr am 1. November 1969 am Steuer eines Kombiwagens auf der 7 m breiten Hauptstrasse von BGE 97 IV, 36 (37)Nottwil Richtung Sursee. Sie beabsichtigte, ausserhalb des Dorfes Nottwil nach links auf den Vorplatz der von ihr bewohnten Liegenschaft Ei abzubiegen. Sie betätigte deshalb den linken Blinker, verlangsamte die Geschwindigkeit und fuhr der Leitlinie entlang. Weber, der mit seinem Personenwagen Frau Vogel gefolgt war, hielt nach rechts und bremste leicht ab, um den Kombiwagen abbiegen zu lassen. In diesem Augenblick nahte von hinten der einen Fiat-Personenwagen lenkende Prince in der Absicht, die Fahrzeuge Vogel und Weber links zu überholen. Als er Frau Vogel abbiegen sah, bremste er stark. Er konnte es jedoch nicht mehr verhindern, dass es zu einer Kollision zwischen seinem Auto und dem Kombiwagen kam.
1
B.- Prince reichte gegen die ihm auferlegte Busse von Fr. 60.-wegen vorschriftswidrigen Überholens im Sinne von Art. 35 Abs. 5 SVG Kassationsbeschwerde ein.
2
Mit Entscheid vom 30. September 1970 sprach das Obergericht des Kantons Luzern Prince von Schuld und Strafe frei. Es ging davon aus, dieser sei vortrittsberechtigt gewesen und habe nicht damit rechnen müssen, dass ein vorausfahrendes Fahrzeug nach links auf einen Hausvorplatz abbiegen und ihm dadurch den Vortritt verweigern werde.
3
C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung von Prince im Sinne von Art. 35 Abs. 5 SVG an das Obergericht zurückzuweisen.
4
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
5
 
Aus den Erwägungen:
 
Nach Art. 35 Abs. 5 SVG dürfen Fahrzeuge, deren Führer die Absicht anzeigt, nach links abzubiegen, nicht überholt werden. Damit ist ausgesprochen, dass der Führer, der nach links abbiegen will und die Richtungsänderung ankündigt, entgegen der Auffassung des Obergerichts vor demjenigen, der überholen will, den Vortritt hat. Das in dieser Bestimmung enthaltene Verbot des Linksüberholens von Linksabbiegern gilt unbekümmert darum, ob in oder ausserhalb einer Strassenverzweigung abgebogen wird (vgl. BGE 91 IV 12 /13 und 206). Der Fahrer, der nach links abbiegen will, ist auch ausserhalb von Strassenverzweigungen verpflichtet, gegen die Strassenmitte zu halten (Art. 36 Abs. 1 SVG und Art. 13 Abs. 1 VRV). Das wäre BGE 97 IV, 36 (38)unverständlich, wenn ihn ein nachfolgendes Fahrzeug gleichwohl vor dem Abbiegen noch links überholen könnte. Das den Linksabbiegern auferlegte Gebot, frühzeitig gegen die Strassenmitte einzuspuren, ist ja gerade aufgestellt worden, um nachfolgenden Fahrzeugen das Rechtsüberholen zu ermöglichen. Wo dies die örtlichen Verhältnisse nicht erlauben, hat das nachfolgende Fahrzeug zu warten, bis ihm der Linksabbieger die rechte Fahrbahn freigibt. Damit stimmt überein, dass gemäss Art. 35 Abs. 6 SVG Fahrzeuge, die zum Abbiegen nach links eingespurt haben, nur noch rechts überholt werden dürfen. Die im Kommentar BADERTSCHER/SCHLEGEL vertretene Auffassung (2. Auflage, S. 110), wonach das Linksüberholverbot gegenüber Linksabbiegern auf Strassenverzweigungen beschränkt sein soll, findet in der gesetzlichen Ordnung keine Stütze (vgl. unveröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 13. Juni 1969 i.S. Berger und vom 9. Januar 1968 i.S. Rihm). Daraus folgt, dass die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, wenn sie erklärt, Art. 35 Abs. 5 SVG habe die unter dem MFG geltende Regelung nicht geändert und demzufolge Prince das Vortrittsrecht einräumt.
6
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).