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Informationen zum Dokument  BGE 85 IV 89  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Juli 1959 i. S. Purtschert gegen Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt.
 
 
Regeste
 
Art. 47 MFV.  
 
Sachverhalt
 
BGE 85 IV, 89 (89)Aus dem Tatbestand:
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Purtschert fuhr in Basel, kurz vor Arbeitsbeginn, auf einem Fahrrad durch die zehn Meter breite Grenzacherstrasse, um von dieser in das auf der linken Strassenseite gelegene Fabrikareal der Firma Hoffmann-La Roche abzuschwenken. Nach Einspurung gegen die Strassenmitte bog er auf der Höhe der Einfahrt bis gegen die Mitte der linken Strassenhälfte ab, wo er anhielt, um einer Gruppe entgegenkommender Radfahrer, die gleichzeitig die Einfahrt benützten, den Vortritt zu lassen. Ein hinter dieser Gruppe mit einer Geschwindigkeit von 50 km/Std. folgendes Motorrad, das geradeaus fuhr, stiess mit dem Fahrrad Purtscherts, bevor dieser das Abbiegen fortgesetzt hatte, frontal zusammen.
2
Purtschert wurde von den kantonalen Gerichten wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs zu einer Busse verurteilt. Das Bundesgericht weist dessen Nichtigkeitsbeschwerde ab.
3
 
Aus den Erwägungen:
 
Die Vorschrift des Art. 47 MFV, die den nach links Abbiegenden verpflichtet, einem gleichzeitig entgegenkommenden BGE 85 IV, 89 (90)Fahrzeug den Vortritt zu lassen, hat der Beschwerdeführer objektiv dadurch verletzt, dass er bis zur Mitte der linken Fahrbahn abschwenkte, dort anhielt und dem von rechts kommenden Motorrad den Weg abschnitt. Seine Überlegung, dass der nach links Abbiegende sein Manöver möglichst rasch vollenden und nicht länger als nötig auf seiner Strassenhälfte verweilen soll, kann nicht dazu führen, dem Abbiegenden die Beanspruchung der linken Strassenhälfte so weit zu gestatten, als sie der entgegenkommende Vortrittsberechtigte nicht unbedingt zur Durchfahrt benötigt. Der Sinn der Vortrittsregel, die das gefahrlose Kreuzen ermöglichen soll, würde dadurch weitgehend vereitelt, namentlich dann, wenn in einer Kolonne von Vortrittsberechtigten der eine dem anderen die Sicht nach vorne verdeckt oder wenn der Abbiegende in unrichtiger Einschätzung der Verkehrslage sich auf ein schmales Fahrzeug einstellte, diesem aber unversehens andere von grösserer Bauart folgten. Die Verkehrssicherheit verlangt eine klare und einfache Ordnung, und diese kann nur darin bestehen, dass mit dem Abbiegen in die linke Strassenhälfte erst begonnen wird, wenn Gewissheit besteht, dass das Manöver ohne Beeinträchtigung des vortrittsberechtigten Gegenverkehrs durchgeführt und beendigt werden kann. Der Vortrittsberechtigte muss sich darauf verlassen können, dass er aus der ihm zukommenden Strassenhälfte nicht von einem entgegenkommenden Fahrzeug verdrängt werde. Im vorliegenden Falle hätten es die Strassen- und Verkehrsverhältnisse dem Beschwerdeführer ohne weiteres erlaubt, ohne eigene Gefährdung und ohne Störung allfälliger nachfolgender Fahrzeuge rechts der Strassenmitte anzuhalten, um dem entgegenkommenden Verkehr die Durchfahrt frei zu lassen, bevor er nach links abbog. Ob er im Zeitpunkt des Zusammenstosses in der Fahrbahn des Motorrades stille stand oder in Bewegung war, ändert nichts; so oder anders wurde der Motorradfahrer in der gleichmässigen Fortsetzung seiner Fahrt gestört und damit sein Vortrittsrecht BGE 85 IV, 89 (91)verletzt. Der Beschwerde kann auch insofern nicht gefolgt werden, als geltend gemacht werden will, übersetzte Geschwindigkeit oder ungenügendes Rechtsfahren des vortrittsberechtigten Motorradfahrers hebe eine allfällige Pflichtwidrigkeit des Beschwerdeführers auf. Ganz abgesehen davon, dass das Strafrecht eine Schuldkompensation nicht kennt, kann das Vortrittsrecht objektiv nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Fahrweise des Berechtigten in allen Teilen fehlerfrei sei, soll es als Verkehrsregel nicht völlig entwertet werden (vgl. BGE 79 II 214; BGE 82 II 538; BGE 83 IV 97). Anders verhält es sich bloss, wenn dem Vortrittsberechtigten ein Verhalten zur Last gelegt werden muss, mit dem der Nichtberechtigte schlechterdings nicht zu rechnen hat. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor.
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