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Informationen zum Dokument  BGE 82 IV 100  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Juni 1956 i.S. Zeller gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
 
 
Regeste
 
Unter Art. 213 StGB fällt auch der Beischlaf zwischen ausserehelichen Blutsverwandten der dort genannten Grade.  
 
Sachverhalt
 
BGE 82 IV, 100 (101)A.- Durch Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 22. November 1935 wurde Josef Zeller als ausserehelicher Vater (ohne Standesfolge) der am 23. August 1934 geborenen Marlene Siegfried erklärt und zu Beiträgen an ihren Unterhalt verpflichtet. In der Zeit vom Herbst 1953 bis Anfang März 1954 hatte Zeller mit Marlene Siegfried ungefähr 6-7 mal Geschlechtsverkehr. In der darüber angehobenen Strafuntersuchung bestritt er, der Vater des Mädchens zu sein. Es wurde deshalb über seine Vaterschaft ein Beweisverfahren mit Blutgruppenuntersuchung, anthropologisch-erbbiologischer Begutachtung usw. durchgeführt.
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Gestützt darauf sprach das Schwurgericht des Kantons Aargau am 22. Dezember 1955 Zeller der fortgesetzten qualifizierten Blutschande im Sinne des Art. 213 Abs. 2 StGB, Marlene Siegfried, nunmehr verheiratete Duttweiler, der fortgesetzten Blutschande gemäss Art. 213 Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte den Vater zu 19 Monaten Zuchthaus, die Tochter - unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges - zu zwei Monaten Gefängnis.
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B.- Zeller führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. Zur Begründung macht er geltend, er habe stets geglaubt, eine aussereheliche Tochter müsse mit Standesfolge zugesprochen worden sein, damit Blutsverwandtschaft im Sinne des Art. 213 StGB vorliege.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
 
Art. 213 StGB stellt die Blutschande unter Strafe. Abs. 1 droht auf den Beischlaf zwischen Blutsverwandten in gerader Linie und zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Gefängnis BGE 82 IV, 100 (102)nicht unter einem Monat an. Nach Abs. 2 wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft, wer mit einem unmündigen mehr als sechzehn Jahre alten Verwandten gerader Linie den Beischlaf vollzieht. Dabei wird nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kein Unterschied zwischen ehelicher oder ausserehelicher Blutsverwandtschaft gemacht. Das entspricht dem Wesen des Inzestes als einer Schändung der Bande des Blutes (HAFTER, Bes. Teil S. 427; LOGOZ, Kommentar, N. 2 lit. b und c zu Art. 213; THORMANN/v. OVERBECK, Kommentar, N. 4 zu Art. 213; COMTESSE in Festgabe Egger, S. 311/17; PFENNINGER in Festgabe Egger, S. 278/81). Zwar sind die nachteiligen Folgen der Inzucht umstritten (HAFTER, a.a.O. S. 426; COMTESSE, a.a.O. S. 312). Ob man aber das geschützte Rechtsgut mehr in der Rasseneugenik oder in der Reinheit der Beziehungen zwischen Familienangehörigen (vgl. BGE 77 IV 171) erblicken will, die Strafwürdigkeit des Beischlafes zwischen nahen ehelichen wie ausserehelichen Blutsverwandten ist in jedem Falle gegeben und auch allgemein anerkannt.
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Fällt aber unter Art. 213 auch der Beischlaf zwischen ausserehelichen Blutsverwandten der dort genannten Grade, so kommt nichts darauf an, ob das aussereheliche Kind gemäss Art. 325 ZGB anerkannt oder mit Standesfolge zugesprochen worden ist oder nicht. Die Blutschande ist kein Zivilstandsdelikt. Darüber hätte offenbar auch kein Zweifel aufkommen können, wenn BGE 39 II 504 nicht die Frage aufgeworfen, aber dahingestellt gelassen hätte, ob für das Ehehindernis des Art. 100 Ziff. 1 ZGB der Nachweis einer bestimmten natürlichen Verwandtschaft genüge oder ob nicht vielmehr unter der ausserehelichen Verwandtschaft des Art. 100 ausschliesslich eine solche im Sinne des Art. 325 zu verstehen sei. Daraus ist nichts abzuleiten. Diese Vorsicht entsprach dem Grundsatz, nicht mehr zu entscheiden, als für das Urteil nötig ist. Im vorliegenden Fall hingegen stellt sich die Frage zur Entscheidung; denn trotz Wortlaut und Sinn des BGE 82 IV, 100 (103)Art. 213 StGB wäre es kaum vereinbar, den Geschlechtsverkehr zwischen Personen, die sich heiraten können, als Blutschande zu bestrafen.
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Art. 20 ZGB umschreibt die Blutsverwandtschaft als das durch gemeinsame Abstammung, durch Blutsgemeinschaft gegebene Familienverhältnis ohne Unterschied, ob es ein bloss natürliches sei oder auch die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Familie begründe (EGGER, Kommentar, N. 2 zu Art. 20). Dafür, dass der Begriff der Blutsverwandtschaft in Art. 100 Ziff. 1 ZGB anders auszulegen wäre, liegt nichts vor. Art. 28 Ziff. 2 lit. a des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874 (AS 1874-75 S. 506) hatte für das Ehehindernis der Blutsverwandtschaft sogar ausdrücklich bestimmt, dass gleichgültig sei, ob die Verwandtschaft auf ehelicher oder ausserehelicher Zeugung beruhe. Im gleichen Sinne muss Art. 100 Ziff. 1 ZGB verstanden werden (ebenso EGGER, a.a.O. N. 4 zu Art. 100; GMÜR, Kommentar, N. 4 i. f. zu Art. 100; COMTESSE, a.a.O. S. 315). Somit begründet auch die aussereheliche Blutsverwandtschaft das Ehehindernis des Art. 100 Ziff. 1 ZGB.
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