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Informationen zum Dokument  BGE 142 III 599  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
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74. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. und Betreibungsamt Schaffhausen (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
5A_547/2015 vom 4. Juli 2016
 
 
Regeste
 
Art. 79 SchKG; Art. 34 ff. ATSG. Beseitigung des Rechtsvorschlags durch die Krankenversicherer; Zustellung.  
 
Sachverhalt
 
BGE 142 III, 599 (600)A. Mit Zahlungsbefehl vom 4. März 2013 betrieb die A. AG B. für Prämien der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Betrag von Fr. 718.40 nebst 5 % Zins sowie Mahnspesen und Inkassogebühren. B. erhob Rechtsvorschlag.
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Mit Verfügung vom 13. Mai 2013 beseitigte die A. AG den Rechtsvorschlag. B. holte die mit eingeschriebener Post versandte Verfügung nicht ab. Gestützt auf diese Verfügung stellte die A. AG am 16. Juli 2013 ein Fortsetzungsbegehren, das vom Betreibungsamt Schaffhausen abgewiesen wurde.
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Nachdem B. Fr. 453.60 bezahlt hatte, verfügte die A. AG am 19. November 2013 die Beseitigung des Rechtsvorschlags für Fr. 488.05 (sic!) nebst 5 % Zins auf dem Betrag von Fr. 264.80 seit 8. September 2012. Diese Verfügung versandte die A. AG mit A-Post Plus.
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B. Mit Eingabe vom 7. Januar 2014 stellte die A. AG für Fr. 264.80 nebst 5 % Zins seit 8. September 2012, die Mahnspesen, die Inkassogebühren und die bisherigen Betreibungskosten das Fortsetzungsbegehren. Das Betreibungsamt wies das Begehren mit Verfügung vom 13. Januar 2014 ab.
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C. Gegen diese Verfügung erhob die A. AG am 20. Januar 2014 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Schaffhausen. Mit Entscheid vom 7. Juli 2015 wies das Obergericht die Beschwerde ab.
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D. Am 10. Juli 2015 hat die A. AG (Beschwerdeführerin) Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt die Aufhebung des Entscheides vom 7. Juli 2015 und die Anhandnahme des Fortsetzungsbegehrens.
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Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Das Betreibungsamt hat um Abweisung der Beschwerde ersucht. B. (Beschwerdegegner) hat sich nicht geäussert.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
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Nach konstanter Rechtsprechung müssen die Betreibungsbehörden die Fortsetzung der Betreibung verweigern, wenn der Schuldner weder eine Vorladung zur Rechtsöffnungsverhandlung noch den Rechtsöffnungsentscheid bzw. vorliegend die materielle Verfügung, mit der zugleich der Rechtsvorschlag beseitigt wird, erhalten hat (BGE 130 III 396 E. 1.2.2 S. 398; BGE 102 III 133 E. 3 S. 136 f.; Urteile 5A_552/2011 vom 10. Oktober 2011 E. 2.1; 5A_859/2011 vom 21. Mai 2012 E. 3.2). Der Rechtsvorschlag bleibt dann nämlich unbeseitigt und nicht nur der nicht eröffnete Rechtsöffnungs- bzw. Rechtsvorschlagsbeseitigungsentscheid erweist sich als nichtig, sondern auch allfällige, auf diesen Entscheid gestützte Handlungen des Betreibungsamts (BGE 130 III 396 E. 1.2.2 S. 399; BGE 122 I 97 E. 3a/bb S. 99; BGE 102 III 133 E. 3 S. 136 f.; Urteil 5A_755/2011 vom 17. Januar 2012 E. 2.1). Das Betreibungsamt soll nicht Handlungen trotz eines (noch) wirksamen Rechtsvorschlages vornehmen, welche nichtig wären (BGE 130 III 396 E. 1.2.2 S. 399 mit Hinweisen). Die Beweislast für die Zustellung des Rechtsöffnungsentscheids oder der materiellen Verfügung, mit der zugleich der Rechtsvorschlag beseitigt wird, liegt beim Gläubiger bzw. vorliegend bei der Beschwerdeführerin, die die Beseitigung des Rechtsvorschlags selber verfügt hat (vgl. BGE 122 I 97 E. 3b S. 100; BGE 114 III 51 E. 3c S. 53).
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Bei dieser Versandmethode wird der Brief mit einer Nummer versehen und ähnlich wie ein eingeschriebener Brief mit A-Post spediert. Im Unterschied zu den eingeschriebenen Briefpostsendungen wird aber der Empfang durch den Empfänger nicht quittiert. Entsprechend wird der Adressat im Falle seiner Abwesenheit auch nicht durch Hinterlegung einer Abholungseinladung avisiert. Die Zustellung wird vielmehr elektronisch erfasst, wenn die Sendung in das Postfach oder in den Briefkasten des Empfängers gelegt wird. Auf diese Weise ist es möglich, mit Hilfe des von der Post zur Verfügung gestellten elektronischen Suchsystems "Track & Trace" die Sendung bis zum Empfangsbereich des Empfängers zu verfolgen (Urteile 9C_90/2015 vom 2. Juni 2015 E. 3.2; 2C_1126/2014 vom BGE 142 III, 599 (602)20. Februar 2015 E. 2.2; 2C_570/2011 vom 24. Januar 2012 E. 4.2, in: StR 67/2012 S. 301; 2C_430/2009 vom 14. Januar 2010 E. 2.3, in: StR 65/2010 S. 396 und RDAF 2010 II S. 458). Direkt bewiesen wird mit einem "Track & Trace"-Auszug allerdings nicht, dass die Sendung tatsächlich in den Empfangsbereich des Empfängers gelangt ist, sondern bloss, dass durch die Post ein entsprechender Eintrag in ihrem Erfassungssystem gemacht wurde. Einzig im Sinne eines Indizes lässt sich aus diesem Eintrag darauf schliessen, dass die Sendung in den Briefkasten oder in das Postfach des Adressaten gelegt wurde. Mangels Quittierung lässt sich dem "Track & Trace"-Auszug sodann nicht entnehmen, ob tatsächlich jemand die Sendung behändigt hat und um wen es sich dabei handelt (vgl. Urteil 2C_430/2009 vom 14. Januar 2010 E. 2.3 am Ende, in: StR 65/2010 S. 396 und RDAF 2010 II S. 458), geschweige denn, dass sie tatsächlich zur Kenntnis genommen worden ist.
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Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat den Krankenversicherern die Befugnis abgesprochen, ihre Verfügungen, mit denen sie den Rechtsvorschlag beseitigen, mit A-Post Plus zu verschicken. Es verlangt stattdessen in analoger Anwendung von Art. 138 Abs. 1 ZPO eine Zustellung mit eingeschriebener Post oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung. Es begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Verfügung betreibungsrechtliche Wirkung habe, die Zustellung mit A-Post Plus angesichts der für Rechtsöffnungsgerichte und der im Rahmen des SchKG geltenden Zustellvorschriften aber systemfremd erscheine und mit dem Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör nicht vereinbar sei. Das ATSG enthalte insofern eine Regelungslücke (angefochtener OGE 93/2014/1/A vom 7. Juli 2015; OGE 93/2013/20 vom 22. Mai 2015, www.obergerichtsentscheide.sh.ch/index.php?id=10187).
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Demgegenüber lässt das Obergericht des Kantons Zürich den Versand mittels A-Post Plus zu. Es geht davon aus, die Beseitigung des Rechtsvorschlags durch einen Krankenversicherer richte sich in formeller Hinsicht nach sozialversicherungsrechtlichen und nicht nach zivilprozessualen Grundsätzen (OGer ZH PS130130 vomBGE 142 III, 599 (603)27. September 2013 E. 3.3; ferner OGer ZH PS140284 vom 2. März 2015; je unter: www.gerichte-zh.ch/entscheide/entscheide-suchen.html).
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2.4.1 Im Sozialversicherungsverfahren bestehen keine Vorschriften darüber, wie die Versicherungsträger ihre Verfügungen zustellen sollen. In Art. 49 Abs. 3 ATSG ist lediglich vorgeschrieben, dass Verfügungen eine Rechtsmittelbelehrung enthalten müssen, dass sie zu begründen sind, wenn sie den Begehren der Parteien nicht voll entsprechen, und dass der betroffenen Person aus mangelhafter Eröffnung kein Nachteil erwachsen darf. Art. 38 Abs. 2bis ATSG regelt die Zustellfiktion und sieht vor, dass eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift des Adressaten überbracht wird, spätestens am siebten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt gilt, ohne jedoch vorzuschreiben, wann eine Mitteilung nur gegen Unterschrift zu versenden ist. Auch die Spezialgesetzgebung zu den Krankenversicherungen enthält keine entsprechenden Normen (vgl. Art. 64a, Art. 80 ff. KVG [SR 832.10] und Art. 105a ff. KVV [SR 832.102]). Schliesslich enthält auch das gemäss Art. 55 Abs. 1 ATSG subsidiär anwendbare Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVG; SR 172.021) insoweit keine weitergehenden Bestimmungen (vgl. Art. 20 Abs. 2bis und Art. 34 ff. VwVG).
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Aus dem Schweigen des Gesetzes in diesen und anderen verwaltungsrechtlichen Materien über die Art der Zustellung leitet das Bundesgericht grundsätzlich ab, dass es den Behörden freigestellt ist, auf welche Art sie ihre Verfügungen versenden. Insbesondere dürfen sie sich deshalb auch der Versandart A-Post Plus bedienen. Die Eröffnung muss bloss so erfolgen, dass sie dem Adressaten ermöglicht, von der Verfügung oder der Entscheidung Kenntnis zu erlangen, um diese gegebenenfalls sachgerecht anfechten zu können. Bei uneingeschriebenem Brief erfolgt die Zustellung bereits dadurch, dass er in den Briefkasten oder ins Postfach des Adressaten gelegt wird und damit in den Macht- bzw. Verfügungsbereich des Empfängers gelangt. Dass der Empfänger von der Verfügung tatsächlich Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich (vgl. zum Ganzen BGE 122 I 139 E. 1 S. 143; Urteile 2C_430/2009 vom 14. Januar 2010 E. 2.4, in: StR 65/2010 S. 396 und RDAF 2010 II S. 458; 2C_570/2011 vom 24. Januar 2012 E. 4.1, in: StR 67/2012 S. 301; 9C_90/2015 vom 2. Juni 2015 E. 3.4).
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BGE 142 III, 599 (604)Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die sich auch auf die Zustellungsart A-Post Plus bezieht, liegt ein Fehler bei der Postzustellung nicht ausserhalb jeder Wahrscheinlichkeit. Eine fehlerhafte Postzustellung ist allerdings nicht zu vermuten, sondern nur anzunehmen, wenn sie aufgrund der Umstände plausibel erscheint. Auf die Darstellung des Adressaten, dass eine fehlerhafte Postzustellung vorliegt, ist daher abzustellen, wenn seine Darlegung der Umstände nachvollziehbar ist und einer gewissen Wahrscheinlichkeit entspricht, wobei sein guter Glaube zu vermuten ist (Urteile 9C_90/2015 vom 2. Juni 2015 E. 3.2; 2C_570/2011 vom 24. Januar 2012 E. 4.3, in: StR 67/2012 S. 301).
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2.4.2 Anders ist die Ausgangslage im Anwendungsbereich der eidgenössischen ZPO. Nach Art. 138 Abs. 1 ZPO erfolgt die Zustellung von Vorladungen, Verfügungen und Entscheiden durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Zivilrichter einen materiellen Entscheid fällt und zugleich den Rechtsvorschlag beseitigt (Art. 79 SchKG, Art. 1 lit. a ZPO) oder wenn der Rechtsöffnungsrichter provisorische oder definitive Rechtsöffnung erteilt (Art. 80 ff. SchKG, Art. 1 lit. c ZPO). Entsprechend bestimmt auch Art. 34 Abs. 1 SchKG, dass die Zustellung von Mitteilungen, Verfügungen und Entscheiden der Betreibungs- und Konkursämter sowie der Aufsichtsbehörden durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung erfolgt, sofern das SchKG nichts anderes bestimmt.
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2.5 Die Krankenversicherer folgen beim Erlass ihrer Verfügungen den einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Verfahrensregeln (insbesondere Art. 34 ff. ATSG). Dies gilt zunächst für die materielle Verfügung, mit der ein Krankenversicherer die ihm geschuldete Leistung festsetzt. Dies gilt aber auch für die Beseitigung des Rechtsvorschlags, die gleichzeitig mit der materiellen Verfügung erfolgen muss (BGE 134 III 115 E. 4.1.2 S. 121). Ist das sozialversicherungsrechtliche Verfahren anzuwenden, so folgt daraus, dass auch die sozialversicherungsrechtlichen Zustellungsregeln gelten. Wie bereits gesagt (oben E. 2.4.1), stellt das Sozialversicherungsrecht keine speziellen Regeln über die Form der Zustellung auf, so dass es den Krankenversicherern nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung freigestellt ist, auf welche Art und Weise sie ihre Verfügungen zustellen. Insbesondere ist die Zustellung mittels A-Post Plus zulässig, was dann auch für die Verfügung gelten muss, mit der ein BGE 142 III, 599 (605)Rechtsvorschlag beseitigt wird. Wie nachfolgend darzulegen ist, sind die Konsequenzen daraus und der Unterschied zur Behandlung entsprechender Entscheide im Zivilrecht nicht derart schwerwiegend, dass den Krankenversicherern eine analoge Anwendung von Art. 138 Abs. 1 ZPO vorgeschrieben werden müsste.
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Zwar trifft zu, dass in der Folge für die Zustellung von Verfügungen mit betreibungsrechtlicher Wirkung je nach anwendbarem Verfahren verschiedene Regeln gelten. Dies ist jedoch nicht systemfremd, sondern im System des SchKG angelegt. Art. 79 SchKG behandelt Zivilprozess und Verwaltungsverfahren gleich: Die Beseitigung des Rechtsvorschlags kann - je nach Materie - im einen oder im anderen Verfahren erfolgen und eine Vorrangstellung der ZPO bzw. der Zustellungsregeln der ZPO gibt es nicht. Kann der Rechtsvorschlag in verschiedenen Verfahren beseitigt werden, die sich im Übrigen in weit erheblicheren Punkten als in der Zustellung des entsprechenden Entscheides unterscheiden, so folgt daraus, dass auch die Zustellungsregeln nicht zwangsläufig einheitlich sein müssen. Die Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Zustellungsregeln ist somit eine Folge davon, dass die Beseitigung des Rechtsvorschlags gemäss Art. 79 SchKG auch in einem Verwaltungsverfahren erfolgen kann und sich der Krankenversicherer insbesondere nicht darauf beschränken muss, bloss materiell zu verfügen und anschliessend in einem - den zivilprozessualen Regeln folgenden - Rechtsöffnungsverfahren definitive Rechtsöffnung zu verlangen (Art. 80 SchKG; vgl. zu den verschiedenen Vorgehensmöglichkeiten BGE 134 III 115 E. 3 und 4 S. 118 ff.).
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Auch aus Sicht des Schuldnerschutzes und unter Berücksichtigung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ist es nicht zwingend, von den üblichen sozialversicherungsrechtlichen Zustellungsregeln abzuweichen. Zwar ist der Schuldner weniger stark geschützt, wenn der Krankenversicherer die Verfügung, mit der er den Rechtsvorschlag beseitigt, auf beliebigem Wege eröffnen kann (insbesondere mit A-Post Plus), als wenn er dies mittels eingeschriebener Post oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung tun muss. Der Schuldner muss selber tätig werden, wenn er sich gegen eine aus seiner Sicht irreguläre Zustellung wehren will, und zwar selbst dann, wenn er mangels Vorbestehens eines Prozessrechtsverhältnisses nicht mit einer Zustellung rechnen musste. Bei einem Versand mit eingeschriebener Post trägt er demgegenüber keine Nachteile, wenn er die zur Abholung gemeldete Sendung BGE 142 III, 599 (606)nicht binnen Frist abholt, da mangels Vorliegens eines Prozessrechtsverhältnisses die Zustellfiktion (Art. 38 Abs. 2bis ATSG) nicht gilt (BGE 130 III 396 E. 1.2.3 S. 399 f.; BGE 134 V 49 E. 4 S. 52; BGE 138 III 225 E. 3.1 S. 227 f.; Urteile 5A_552/2011 vom 10. Oktober 2011 E. 2.1; 5A_710/2010 vom 28. Januar 2011 E. 3.1; 5A_172/2009 vom 26. Januar 2010 E. 3.1 und 4.2, in: Pra 2010 Nr. 76 S. 546 und BlSchK 2010 S. 207). Als heikel erweisen sich bei Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Zustellungsregeln zwei Konstellationen: Einerseits kann es sein, dass der Schuldner nicht bestreitet, die fragliche Verfügung erhalten zu haben, aber geltend macht, dass er sie z.B. wegen Ferienabwesenheit nicht sofort habe zur Kenntnis nehmen können. Hat der Schuldner die Frist zur Einsprache verpasst (Art. 52 ATSG), kann er ein Fristwiederherstellungsgesuch stellen, wenn er unverschuldet davon abgehalten wurde, binnen Frist zu handeln (Art. 41 ATSG). Solange ihm die Möglichkeit zur Einsprache gewahrt bleibt, liegt keine Verletzung seines rechtlichen Gehörs vor (vgl. BGE 132 V 368 E. 4.3 S. 373). Andererseits ist denkbar, dass der Schuldner überhaupt bestreitet, die Verfügung erhalten zu haben. Wie bereits gesagt, ist dabei auf seine Darstellung abzustellen, wenn diese nachvollziehbar ist und eine gewisse Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann (oben E. 2.4.1). Auch in diesem Fall bleibt dem Schuldner - nach ordentlicher Eröffnung - die Möglichkeit zur Einsprache erhalten. Demnach verlangt auch die Berücksichtigung des rechtlichen Gehörs nicht, dass den Krankenversicherern vorgeschrieben werden müsste, ihre Verfügungen, mit denen sie den Rechtsvorschlag beseitigen, mit eingeschriebener Post zu versenden.
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Wenn der Schuldner behauptet, die Verfügung nicht erhalten zu haben, so wird er dies üblicherweise erst im Laufe des weiteren Betreibungsverfahrens tun, z.B. wenn er die Pfändungsankündigung erhält (Art. 90 SchKG). Hat er die Verfügung tatsächlich nicht erhalten, erfährt er erst durch den Fortgang des Betreibungsverfahrens, dass sein Rechtsvorschlag in der Zwischenzeit beseitigt wurde. Dies kann zu Koordinationsproblemen zwischen dem Betreibungsverfahren und dem allenfalls noch durchzuführenden Einspracheverfahren führen. Da er jedoch mit betreibungsrechtlicher Beschwerde (Art. 17 SchKG) geltend machen kann, die den Rechtsvorschlag beseitigende Verfügung nicht erhalten zu haben, dürften keine unüberwindlichen Hindernisse bei der Koordination der Verfahren bestehen.
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BGE 142 III, 599 (607)Die Zustellung mit eingeschriebener Post oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung bietet zwar für den Schuldner wie auch für den Krankenversicherer gegenüber einer Zustellung mit gewöhnlicher Post verschiedene Vorteile: Die Übergabe an eine Person wird dokumentiert, wobei im Bestreitungsfalle mittels Unterschriftenvergleichs festgestellt werden kann, an wen diese Übergabe erfolgt ist. Der Krankenversicherer hat dadurch ein höheres Mass an Gewissheit, dass die Sendung richtig zugestellt worden ist und die Zustellung nicht noch nachträglich bestritten wird. Der Schuldner ist davor geschützt, dass die Verfügung in seiner Abwesenheit in seinen Briefkasten oder in sein Postfach gelegt wird. Letzteres kann allerdings auch widerspenstigen Schuldnern zugutekommen, da die Zustellfiktion nicht gilt. All dies rechtfertigt jedoch nicht, den Krankenversicherern entgegen dem im Bereiche des ATSG Üblichen einzig die Versendung gegen Empfangsbestätigung vorzuschreiben.
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Als Fazit ist demnach festzuhalten, dass das Bundesrecht den Krankenversicherern keine Vorgaben macht, wie sie ihre Verfügungen zuzustellen haben, mit denen sie den Rechtsvorschlag beseitigen. Da das Betreibungsamt jedoch nicht Handlungen vornehmen soll, die nichtig wären, wird es überprüfen, ob die Verfügung, die den Rechtsvorschlag beseitigt, dem Schuldner zugestellt worden ist (oben E. 2.1). Stellt der Krankenversicherer seine Verfügung mit A-Post Plus zu und legt er den entsprechenden "Track & Trace"-Auszug dem Betreibungsamt vor, aus dem die Zustellung an den Schuldner ersichtlich ist, so ist daraus im Sinne eines Indizes auf die ordnungsgemässe Zustellung zu schliessen (vgl. oben E. 2.2). Eines weitergehenden Nachweises bedarf das Betreibungsamt nicht. Es liegt alsdann am Schuldner, sich gegen die Fortsetzung der Betreibung zu wehren, wenn er geltend machen will, die fragliche Verfügung nicht erhalten zu haben.
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