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Informationen zum Dokument  BGE 137 III 170  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine unzutref ...
Erwägung 2.2
3. Die Vorinstanz hat ein neues Dosierungsregime zu Unrecht als g ...
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30. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Merck & Co. Inc. gegen Mepha Pharma AG und Mepha AG (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
4A_435/2010 vom 4. März 2011
 
 
Regeste
 
Art. 52 Abs. 4 und Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c und Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000; Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG; Ausschluss von der Patentierbarkeit; Patentschutz für zweite medizinische Anwendung; Dosierungsanleitung.  
 
Sachverhalt
 
BGE 137 III, 170 (171)A. Am 28. März 2007 erteilte das Europäische Patentamt der Merck & Co., Inc., New Jersey, USA, (Beschwerdeführerin) das Streitpatent EP 1 175 904. Dieses betrifft die Verwendung des pharmazeutischen Wirkstoffs "Alendronsäure" zur Behandlung von Osteoporose.
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Alendronsäure ist zugleich der wirksame Bestandteil eines Arzneimittels der Beschwerdeführerin. Dieses Arzneimittel wurde schon früher zur Behandlung von Osteoporose verwendet. Die Beschwerdeführerin hatte zunächst eine Form des Medikaments vermarktet, bei welcher der Patient täglich 10 mg Alendronsäure zu sich nehmen musste.
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In der Zwischenzeit hat die Beschwerdeführerin eine neue Form ihres Arzneimittels auf den Markt gebracht, bei welcher der Patient wöchentlich 70 mg Alendronsäure einzunehmen hat. Anspruch 1 des entsprechenden Streitpatents lautet wie folgt:
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"Verwendung von Alendronat bei der Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Osteoporose bei einem Menschen, der eine solche Behandlung benötigt, wobei das Medikament an den Menschen als eine Einheitsdosis, die etwa 70 mg der Alendronatverbindung auf Gewichtsbasis an aktiver Alendronsäure enthält, gemäss einem Dauertherapieplan mit einem Dosierungsintervall von einmal pro Woche oral verabreicht wird."
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B. Am 29. März 2007 klagten die Mepha Pharma AG sowie die Mepha AG, beide mit Sitz in Aesch BL, (Beschwerdegegnerinnen) beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Beschwerdeführerin mit dem Rechtsbegehren, es sei der schweizerische Teil des europäischen Patents Nr. 1 175 904 für nichtig zu erklären.
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BGE 137 III, 170 (172)Mit Urteil vom 14. April 2009 hiess das Handelsgericht die Klage gut. Es gelangte im Wesentlichen zum Schluss, die beanspruchte Dosierung sei gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG und Art. 52 Abs. 4 des EPÜ 1973 von der Patentierung ausgeschlossen.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14. April 2009 aufzuheben und die Klage vom 29. März 2007 abzuweisen. Eventualiter sei die Streitsache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht hebt den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14. April 2009 in Gutheissung der Beschwerde auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
 
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"(4) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden, gelten nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinne des Absatzes 1. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren."
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2.1.1 In der Begründung ging die Vorinstanz davon aus, dass Anspruch 1 des Streitpatents die Verwendung einer bekannten Substanz (Alendronsäure) bei der Herstellung eines Medikaments für eine bekannte medizinische Indikation (Behandlung von Osteoporose) betrifft und sich von der bisherigen Anwendung lediglich durch das BGE 137 III, 170 (173)Dosierschema (Menge von 70 mg und Abgabe einmal wöchentlich) unterscheidet. Nach Ansicht der Vorinstanz ist daher zu entscheiden, ob es sich beim Streitpatent um eine erlaubte zweite medizinische Anwendung ("Swiss type claim" bzw. "schweizerische Anspruchsform") handle oder ob ein nach Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG (bei der Revision vom 22. Juni 2007 nicht verändert, SR 232.14) bzw. Art. 53 lit. c des Europäischen Patentübereinkommens vom 5. Oktober 1973, revidiert in München am 29. November 2000 (EPÜ 2000; SR 0.232. 142.2) vom Patentschutz ausgenommenes Therapieverfahren vorliege. Art. 53 lit. c EPÜ 2000 entspricht inhaltlich Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973: Nach dem ersten Satz werden europäische Patente nicht erteilt für Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden. Nach dem zweiten Satz gilt die Ausnahme von der Patentierbarkeit nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren.
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2.1.2 Die Vorinstanz erwog, dass bei der Beurteilung dieser Frage die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) sowie einschlägige nationale Entscheide zu berücksichtigen seien. Sie nahm zunächst auf die drei parallelen Entscheide G 1/83, G 5/83 sowie G 6/83 der Grossen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 5. Dezember 1984 (Amtsblatt, Europäisches Patentamt [nachfolgend: Amtsblatt EPA] 3/1985 S. 59 ff.) Bezug, die sich mit der Zulässigkeit von Patentansprüchen für die sogenannte zweite medizinische Indikation befassen. Die Vorinstanz hielt fest, dass damit einerseits die zweite medizinische Verwendung abgesegnet, andererseits aber auch die Patentierung eines Stoffes zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers verboten worden sei. Die genaue Tragweite dieser Entscheidungen sei indes unklar geblieben. Die Auseinandersetzung der Parteien mit der Rechtsprechung des Europäischen Patentamts (so unter anderem mit den ins Feld geführten Entscheiden T 317/95, T 56/97, T 584/97, T 4/98, T 485/99 und T 1020/03 der Technischen Beschwerdekammer) sei insoweit überholt, als inzwischen die Grosse Beschwerdekammer mit Entscheid der Technischen Beschwerdekammer vom 22. April 2008 in der Sache T 1319/04 erneut angegangen worden sei. Der entsprechende Entscheid G 2/08 (der am 19. Februar 2010 ergangen ist, vgl. dazu unten E. 2.2.2) stehe noch aus, weshalb keine Rechtsprechung des EPA vorliege, welche die Frage der BGE 137 III, 170 (174)Patentierbarkeit der Verwendung eines bekannten Stoffes zur Behandlung einer bekannten Krankheit, aber nach neuem Dosierungsschema, beantworten lasse. Zu berücksichtigen seien hingegen einzelne in Grossbritannien und Deutschland ergangene Urteile zu dieser Streitfrage.
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2.1.3 Die Vorinstanz führte weiter aus, die von der bisherigen Anwendung abweichenden Merkmale des strittigen Anspruchs 1 enthielten eine blosse Dosierungsempfehlung, die angebe, in welchen Mengen das Alendronat enthaltende Medikament zu welchen Zeiten verabreicht werden solle. Die Verabreichung einer für die Behandlung einer bestimmten Krankheit vorgesehenen Medizin als solche sei ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers. Die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten, einschliesslich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten, sei prägender Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein nach Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG dem Patentschutz entzogenes Verfahren. Würde hier Patentschutz gewährt, so die Vorinstanz weiter, wäre auch der Arzt, der etwa dem Patienten aus der mit dem Medikament gefüllten Flasche die richtige Menge abmesse, von der Gefahr einer Patentverletzungsklage bedroht.
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Die Technische Beschwerdekammer habe in ihrem Entscheid T 1020/03 vom 29. Oktober 2004 (Amtsblatt EPA 4/2007 S. 204 ff.) zwar darauf hingewiesen, die nationalen Gesetze würden für Ärzte entsprechende Ausnahmen von der Wirkung des Patents vorsehen, womit ein Arzt, der das Medikament für die zweite medizinische Indikation verordne, auf Grundlage der nationalen Verletzungsvorschriften trotz patentgemässem Verhalten kein Patentverletzer sei. Im schweizerischen Recht gebe es - abgesehen von Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG und Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 - eine solche den Arzt von Patentverletzungsklagen befreiende Vorschrift jedoch nicht. Deshalb werde der Arzt in der Schweiz bei seiner Tätigkeit nur dann vor Patentverletzungsklagen geschützt, wenn die Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten - einschliesslich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten - als dem Patentschutz entzogenes Verfahren behandelt werde. Damit erweise sich Anspruch 1 des Streitpatents als von der Patentierung ausgeschlossen, was zur Nichtigerklärung des schweizerischen Teils des europäischen Patents Nr. 1 175 904 führe, ohne dass weitere Fragen (namentlich Neuheit sowie Naheliegen) geprüft werden müssten.
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BGE 137 III, 170 (175)Erwägung 2.2
 
2.2.1 Mit dem EPÜ 1973 sowie dessen Änderungen gemäss EPÜ 2000 wurde ein den Vertragsstaaten gemeinsames Recht für die Erteilung von Erfindungspatenten geschaffen (vgl. Art. 1 EPÜ 1973/EPÜ 2000). Für die nach diesem Übereinkommen erteilten europäischen Patente gelten nach Art. 52 ff. einheitliche Regeln hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen der Patentierbarkeit. Zwar enthält das Übereinkommen keine Bestimmung, wonach die Entscheidungen der Organe des Europäischen Patentamts für die Gerichte der Vertragsstaaten verbindlich wären. Im Hinblick auf das Vertragsziel der Rechtseinheit ist jedoch, was auch die Parteien nicht in Frage stellen, die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts zu berücksichtigen (BGE 133 III 229 E. 3 S. 231 f.). Gegebenenfalls sind auch einschlägige Entscheide ausländischer Gerichte bei der Auslegung zu berücksichtigen, wobei höchstrichterliche Urteile besonderes Gewicht haben, aber auch überzeugend begründete Entscheide unterer Instanzen beachtlich sind (vgl. BGE 121 III 336 E. 5c S. 338; BGE 117 II 480 E. 2b S. 486 f.; vgl. zur justiziellen Zusammenarbeit im Bereich des Patentrechts STEFAN LUGINBÜHL, Die neuen Wege zur einheitlichen Auslegung des Europäischen Patentrechts, GRUR 2/2010 S. 99 f.).
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2.2.2 Inzwischen hat die Grosse Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts die bereits von der Vorinstanz erwähnten Vorlagefragen zur Patentierbarkeit im Zusammenhang mit Dosierungsanleitungen beantwortet. Mit Entscheid G 2/08 vom 19. Februar 2010 (Amtsblatt EPA 10/2010 S. 456 ff.) entschied die Grosse Beschwerdekammer, Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 schliesse nicht aus, dass ein für die Behandlung einer Krankheit bereits bekanntes Arzneimittel zur Verwendung bei einer anderen therapeutischen Behandlung derselben Krankheit patentiert werde (Frage 1). Die Patentierbarkeit sei auch dann nicht ausgeschlossen, wenn das einzige nicht im Stand der Technik enthaltene Anspruchsmerkmal eine Dosierungsanleitung sei (Frage 2). Schliesslich hielt die Grosse Beschwerdekammer fest, dass ein Anspruch in Zukunft nicht mehr in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst werden dürfe, wie sie mit der Entscheidung G 1/83 geschaffen wurde, falls dem Gegenstand eines Anspruchs nur durch eine neue therapeutische Verwendung eines Arzneimittels Neuheit verliehen werde (Frage 3).
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Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, mit der - von der Vorinstanz nicht abgewarteten - Entscheidung G 2/08 BGE 137 III, 170 (176)werde auch für die vorliegende Streitsache Klarheit geschaffen, zumal kein Grund ersichtlich sei, von der bereits durch die Entscheidung T 1020/03 vom 29. Oktober 2004 (a.a.O., S. 204 ff.) für das EPÜ 1973 entwickelten Rechtsprechung abzuweichen, die nunmehr für das EPÜ 2000 bestätigt worden sei. Die Beschwerdegegnerinnen sind demgegenüber der Ansicht, die Grosse Beschwerdekammer habe ihre Entscheidung ausschliesslich auf der Grundlage des EPÜ 2000 getroffen, und habe es ausdrücklich abgelehnt, die Patentierbarkeit von "Swiss type claims" auf Dosierungsanleitungen unter dem EPÜ 1973 zu bestätigen, das für das Streitpatent nach wie vor allein massgebend sei.
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Das Streitpatent wurde am 28. März 2007 erteilt. Damit beurteilt sich die aufgeworfene Frage der Patentierbarkeit im zu beurteilenden Fall nach den revidierten Art. 53 lit. c sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000, wohingegen Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 nicht auf das am 13. Dezember 2007 bereits erteilte Streitpatent anwendbar ist.
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Nach Art. 53 lit. c EPÜ 2000 werden europäische Patente nicht erteilt für "Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden" (Satz 1). Dies gilt nach derselben Bestimmung jedoch nicht "für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem dieser Verfahren" (Satz 2).
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Derselbe Vorbehalt ist unter dem Titel "Neuheit" unter anderem in Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 vorgesehen zugunsten von Stoffen und Stoffgemischen, die bereits bekannt sind und damit zum Stand der Technik gehören, "sofern sie zur Anwendung in einem in Art. 53 c) BGE 137 III, 170 (177)genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung in einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört".
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2.2.4 Die Grosse Beschwerdekammer hielt bereits zu Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 fest, dass der Patentierungsausschluss der in dieser Bestimmung erwähnten Verfahren auf sozialethischen Überlegungen und auf Erwägungen im Zusammenhang mit der öffentlichen Gesundheit beruht, auch wenn damals die Rechtsfiktion der mangelnden gewerblichen Anwendbarkeit gewählt wurde. Ärzten sollte es nämlich freistehen, alle ihnen geeignet erscheinenden Massnahmen anzuwenden, um eine Krankheit zu verhindern oder zu heilen, ohne darin durch Patente gehindert zu werden. Der Grund für die Überführung des bisher anwendbaren Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 in Art. 53 lit. c EPÜ 2000 war somit, dass es nicht mehr gerechtfertigt erschien, den Patentierungsausschluss dieser Verfahren mit der fehlenden gewerblichen Anwendbarkeit zu begründen (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 474 f. Ziff. 5.3-5.5; G 1/04 vom 16. Dezember 2005, Amtsblatt EPA 5/2006 S. 347 Ziff. 3, S. 359 Ziff. 10; vgl. auch Entscheidung G 1/83 vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 63 Ziff. 22). Die Neufassung von Art. 53 lit. c EPÜ 2000 ist redaktioneller Natur und bezweckt keine Änderung der bisherigen Rechtslage (vgl. die Erläuterungen zu den Übergangsbestimmungen des revidierten EPÜ 2000, Amtsblatt EPA 2001, Sonderausgabe Nr. 4, S. 135 Ziff. 6; zu den Hintergründen der Neufassung siehe Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 475 f. Ziff. 5.5). Auch der revidierte Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 bewirkte im Vergleich zum früheren Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 unstrittig keine sachliche Änderung der bisherigen Rechtslage (vgl. die Erläuterungen zu den Übergangsbestimmungen des revidierten EPÜ 2000, a.a.O., S. 135 Ziff. 6 und 8; Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 477 f. Ziff. 5.8).
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Damit bleiben einerseits die unter dem EPÜ 1973 ergangenen Entscheide der Beschwerdekammern des EPA von Bedeutung. Andererseits trifft entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen nicht zu, dass die Entscheidung G 2/08 der Grossen Beschwerdekammer für das vorliegende Verfahren keine Relevanz habe, zumal sich diese sowohl mit Art. 53 lit. c sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 als auch mit der Rechtsprechung zu Art. 52 Abs. 4 und Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 auseinandersetzt.
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2.2.5 Art. 53 lit. c EPÜ 2000 unterscheidet - wie vormals Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 - zwischen nicht gewährbaren BGE 137 III, 170 (178)Verfahrensansprüchen, die auf eine therapeutische Behandlung gerichtet sind (Satz 1), und gewährbaren Ansprüchen, die sich auf Erzeugnisse zur Anwendung in solchen Verfahren beziehen (Satz 2). Die beiden Konzepte des Verfahrens zur therapeutischen Behandlung einerseits und der Erzeugnisse zur Anwendung in einem solchen Verfahren müssen je auf den ihnen rechtlich zugewiesenen Bereich begrenzt werden. Es wäre nicht angebracht, Art. 53 lit. c Satz 2 EPÜ 2000 als eng auszulegende lex specialis zu Satz 1 aufzufassen. Vielmehr kommt beiden Bestimmungen dasselbe Gewicht zu, weshalb auf eine therapeutische Behandlung gerichtete Verfahrensansprüche absolut ausgeschlossen sind, während Ansprüche, die auf Erzeugnisse zur Anwendung in einem solchen Verfahren gerichtet sind, gewährt werden, sofern ihr Gegenstand neu und erfinderisch ist (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 477 Ziff. 5.7). Damit sind Art. 53 lit. c Satz 2 sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 nicht etwa eng auszulegende Ausnahmen vom absoluten Patentierungsverbot für therapeutische Verfahren (Art. 53 lit. c Satz 1 EPÜ 2000), sondern gleichrangige Vorschriften, die darauf abzielen, Patentschutz für Arzneimittel grundsätzlich zuzulassen. Entsprechend ist die Ausnahme von der Patentierbarkeit gemäss Art. 53 lit. c Satz 1 EPÜ 2000, wonach Verfahren zur therapeutischen Behandlung vom Patentschutz ausgeschlossen sind, im Zusammenhang mit den (gleichrangigen) Bestimmungen von Art. 53 lit. c Satz 2 sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 auszulegen, die einander nicht ausschliessen, sondern vielmehr ergänzen (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 480 Ziff. 5.9.1.2 sowie S. 486 Ziff. 5.10.9).
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2.2.6 Nach Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 (wie schon Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973) werden Stoffe oder Stoffgemische von der Patentierung nicht ausgeschlossen, obwohl sie zum Stand der Technik gehören, sofern sie zur Anwendung in einem in Art. 53 lit. c EPÜ 2000 genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung in einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört. Für ein Erzeugnis zur Anwendung in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung kann demnach nicht nur dann Patentschutz gewährt werden, wenn es an sich neu ist und damit Gegenstand eines Erzeugnisanspruchs sein kann. Vielmehr ist es als Stoff oder Stoffgemisch nach Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 auch dann patentierbar, wenn es an sich zwar bereits bekannt ist, aber noch nicht in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung angewendet wurde. Diese erste medizinische Indikation ist in der Regel Gegenstand breiter allgemeiner Ansprüche BGE 137 III, 170 (179)in Form von zweckgebundenen Stoffansprüchen (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 477 f. Ziff. 5.8; vgl. CHRISTOPH BERTSCHINGER, Patentfähige Erfindung, in: Schweizerisches und europäisches Patentrecht, 2002, § 4 Rz. 71).
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2.2.7 Unter der Geltung des EPÜ 1973 bestand noch keine Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 vergleichbare Vorschrift, die ausdrücklich einen patentrechtlichen Schutz auch für Erzeugnisse (Stoffe oder Stoffgemische) vorgesehen hätte, die bereits als Arzneimittel bekannt sind. Diese Lücke war jedoch von der Grossen Beschwerdekammer mit der Entscheidung G 1/83 (Entscheidung vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 60 ff.) und der darauf gestützten Rechtsprechung in richterlicher Rechtsfortbildung gefüllt worden (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 478 Ziff. 5.9). Danach können Patentansprüche in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform für eine zweite oder weitere medizinische Indikation gewährt werden; sie müssen auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine "bestimmte neue und erfinderische therapeutische Anwendung" gerichtet sein (Entscheidung G 1/83 vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 63 Ziff. 23 sowie Entscheidformel 2, vgl. dazu auch BERTSCHINGER, a.a.O., § 4 Rz. 72). Dies gilt selbst für den Fall, dass sich das Herstellungsverfahren als solches nicht von einem bereits bekannten Verfahren unterscheidet, bei dem der gleiche Wirkstoff verwendet wird, also wenn sich das aus der beanspruchten Verwendung hervorgehende Arzneimittel in keiner Weise von einem bekannten Arzneimittel unterscheidet (Entscheidung G 1/83 vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 63 Ziff. 20, 23).
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Den Beschwerdegegnerinnen kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Zulässigkeit der sogenannten schweizerischen Anspruchsform in Frage stellen wollen, wurde diese in der Schweiz doch mit Art. 7d PatG sogar ausdrücklich gesetzlich verankert (vgl. auch PETER HEINRICH, Kommentar zu PatG/EPÜ, 2. Aufl. 2010, N. 1 zu Art. 7d PatG, wonach diese Bestimmung nicht unbedingt nötig gewesen wäre, jedoch der Klarheit diene). Zudem ist der Entscheid der Grossen Beschwerdekammer, in der "schweizerischen Anspruchsform" abgefasste Ansprüche inskünftig nicht mehr zuzulassen, in der mit Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 neu geschaffenen Anspruchskategorie des zweckgebundenen Stoffschutzes begründet und betrifft bereits erteilte Patente nicht (Entscheidung 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 491 ff. Ziff. 7).
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BGE 137 III, 170 (180)Die im Hinblick auf die Patentierbarkeit erforderliche Neuheit und damit gegebenenfalls auch die erfinderische Tätigkeit (vgl. Art. 52 Abs. 1 EPÜ 2000) leiten sich in diesen Fällen nicht vom Stoff oder Stoffgemisch als solchem ab, sondern von seiner beabsichtigten therapeutischen Verwendung.
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2.2.8 Aufgrund der mit der Entscheidung G 1/83 der Grossen Beschwerdekammer begründeten und seither weiterentwickelten Rechtsprechung zu Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 (vgl. nunmehr Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000) kann Patentschutz in Form von "Swiss type claims" auch für eine bestimmte therapeutische Verwendung als weitere medizinische Indikation gewährt werden, sofern der Patentanspruch auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels gerichtet ist. Art. 52 Abs. 4 Satz 1 EPÜ 1973 (nunmehr Art. 53 lit. c Satz 1 EPÜ 2000) steht der Gewährung eines solchen Anspruchs nicht entgegen, vielmehr wird der Arzneimittel betreffende patentrechtliche Schutz durch Art. 52 Abs. 4 Satz 2 EPÜ 1973 (Art. 53 lit. c Satz 2 EPÜ 2000) sowie Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 (Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000) bzw. deren analoge Anwendung gerade ermöglicht (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 486 f. Ziff. 5.10.9; Entscheidung G 1/83 vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 62 f. Ziff. 21 f.; vgl. auch PEDRAZZINI/HILTI, Europäisches und schweizerisches Patent- und Patentprozessrecht, 3. Aufl. 2008, S. 129, wonach Art. 53 lit. c EPÜ 2000 bzw. Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG einer Patentierung nicht entgegenstehen, wenn eine Behandlungsmethode durch einen Erzeugnis- oder einen Verwendungsanspruch dargestellt ist).
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Mit der Grossen Beschwerdekammer ist zudem davon auszugehen, dass die beschriebene Regelung nicht auf eine neue Indikation im Sinne einer neuen Krankheit beschränkt ist, sondern selbst dann gilt, wenn die Verwendung eines bekannten Arzneimittels auf die Behandlung einer Krankheit gerichtet ist, die mit diesem Stoffgemisch bereits behandelt wurde, sofern diese Behandlung neu und erfinderisch ist. Dies entsprach bereits unter dem EPÜ 1973 einer ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, etwa in Fällen, die eine neue Gruppe von behandelten Subjekten (T 19/86 vom 15. Oktober 1987, Amtsblatt EPA 1-2/1989 S. 28 Ziff. 8; T 893/90 vom 22. Juli 1993 Ziff. 4.1/4.2; T 233/96 vom 4. Mai 2000 Ziff. 8.7), einen neuen Verabreichungsweg bzw. eine neue Verabreichungsart (T 51/93 vom 8. Juni 1994 Ziff. 3.1.2; T 138/95 vom 12. Oktober 1999 Ziff. 4 f.; vgl. auch T 120/03 vom 29. Oktober 2004, BGE 137 III, 170 (181)a.a.O., Ziff. 51) oder eine andere technische Wirkung (T 290/86 vom 13. November 1990, Amtsblatt EPA 8/1992 S. 425 Ziff. 6.1; T 254/93 vom 14. Mai 1997, Amtsblatt EPA 6/1998 S. 291 Ziff. 3) betrafen (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 485 f. Ziff. 5.10.5-7 mit weiteren Hinweisen; BENKARD/MELULLIS, in: Europäisches Patentübereinkommen, 2002, N. 231 ff. zu Art. 54 EPÜ 1973; vgl. auch BERTSCHINGER, a.a.O., § 4 Rz. 87 ff.; HEINRICH, a.a.O., N. 55 zu Art. 2 PatG/Art. 53 EPÜ 2000). Von diesen Grundsätzen abzuweichen besteht für das Bundesgericht kein Anlass.
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2.2.9 Es ergibt sich somit, dass Patentansprüche in entsprechender Anwendung von Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 (nunmehr Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000) für eine zweite oder weitere medizinische Indikation zulässig sind, sofern sie sich auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine bestimmte neue und erfinderische therapeutische Anwendung richten. Diese Anwendung muss nach der bisherigen, von der Lehre nicht kritisierten Rechtsprechung des EPA nicht eine andere Krankheit betreffen, sondern es reicht etwa aus, dass sie sich auf eine neue Gruppe von behandelten Subjekten oder eine neue Verabreichungsart bezieht (vgl. etwa BENKARD/MELULLIS, a.a.O., N. 231 ff. zu Art. 54 EPÜ 1973; HEINRICH, a.a.O., N. 55 zu Art. 2 PatG/Art. 53 EPÜ 2000, N. 7 zu Art. 7d PatG/Art. 54 EPÜ 2000; REINHARD SPANGENBERG, in: Europäisches Patentübereinkommen, Singer/Stauder [Hrsg.], 5. Aufl. 2010, N. 94 f. zu Art. 54 EPÜ 2000; RAINER MOUFANG, in: Patentgesetz mit EPÜ, Rainer Schulte [Hrsg.], 8. Aufl. 2008, N. 270 zu Art. 52 EPÜ 2000). Es ist daher kein Grund ersichtlich, weshalb ein angeblich neues Dosierungsregime bzw. eine bestimmte Dosierungsanleitung für ein bekanntes Arzneimittel anders zu behandeln wäre als diese anerkannten Merkmale. Die Patentierbarkeit ist demnach nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das einzige nicht zum Stand der Technik gehörende Anspruchsmerkmal eine Dosierungsanleitung ist.
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Im Hinblick auf die Patentierbarkeit ist allerdings erforderlich, dass dieses Dosierungsregime neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art. 52 Abs. 1 EPÜ 2000). Es reicht daher nicht aus, dass die Definition der Dosierungsanleitung im Anspruch bloss anders formuliert ist, sie muss vielmehr eine vom Stand der Technik abweichende technische Lehre beinhalten. Dabei ist zu betonten, dass ein Dosierungsregime in den allermeisten Fällen naheliegend BGE 137 III, 170 (182)sein wird, zumal es bei der Entwicklung von Arzneimitteln auf der Hand liegt, verschiedene Dosierungen zu untersuchen.
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2.2.10 Zum gleichen Ergebnis hinsichtlich der patentrechtlichen Beurteilung von Dosierungsanleitungen wie das Bundesgericht ist der England and Wales Court of Appeal in einem Urteil vom 21. Mai 2008 gelangt (in der Streitsache Actavis vs. Merck ([2008] EWCACiv 444; dazu THIERRY CALAME, Court of Appeal stellt gefestigte EPA- Praxis über eigenes Präjudiz: Patentschutz für zweite medizinische Indikation aufgrund neuen Dosierungsregimes bejaht, sic! 12/2008 S. 925 ff.). Dieser - noch vor der Entscheidung G 2/08 der Grossen Beschwerdekammer des EPA ergangene - Entscheid wurde von der Vorinstanz zwar berücksichtigt, jedoch zu Unrecht mit der Begründung als nicht einschlägig erachtet, das Merkmal des Einnahmeintervalls scheine in diesem Entscheid nicht auf, während es in der vorliegenden Streitsache von massgeblicher Bedeutung sei. Die Vorinstanz verkennt damit, dass der Court of Appeal mit dem erwähnten Entscheid - noch unter dem EPÜ 1973 - seine bisherige Rechtsprechung in Bezug auf Dosierungsregimes nach gründlicher Auseinandersetzung mit der europäischen Rechtsprechung grundlegend geändert hat und nunmehr Patentschutz für eine zweite medizinische Indikation zufolge eines neuen Dosierungsregimes bejaht. Insbesondere stiess er das Präjudiz gemäss dem Entscheid Bristol-Myers Squibb vs. Baker Norton um, an den sich sowohl der High Court als auch der Court of Appeal in den von der Vorinstanz aufgeführten Urteilen im Zusammenhang mit dem Stammpatent zum vorliegenden Streitpatent noch gebunden erachtet hatten. Die Bedeutsamkeit dieser Praxisänderung wird unterstrichen durch den Umstand, dass der Court of Appeal in diesem Urteil eine neue Ausnahme von der Bindung an eigene Entscheide begründete. Damit kommt den beiden von der Vorinstanz berücksichtigten englischen Entscheiden für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung zu, während die neuste Rechtsprechung eindeutig derjenigen der Beschwerdekammern des EPA folgt.
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Das abweichende Urteil 07/16296 des Tribunal de Grande Instance de Paris vom 28. September 2010 erwähnt demgegenüber zwar den Entscheid G 2/08 der Grossen Beschwerdekammer, setzt sich damit jedoch nicht auseinander, in der Meinung, den Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA komme keine Bindungswirkung zu. Der Entscheid dieses erstinstanzlichen Gerichtes ist daher für das vorliegende Verfahren ebenso wie der von der Vorinstanz erwähnte BGE 137 III, 170 (183) Entscheid Carvedilol II (X ZR 236/01) des Bundesgerichtshofs vom 19. Dezember 2006, der hinsichtlich der Beurteilung von Dosierungsregimes nicht auf die europäische Rechtsprechung zur Behandlung von "Swiss type claims" eingeht, von beschränkter Aussagekraft.
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2.2.11 Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen ist der Umstand nicht entscheidend, dass der Grundsatzentscheid G 2/08 der Grossen Beschwerdekammer des EPA letztlich den neuen Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 betrifft, der auf das Streitpatent noch nicht anwendbar ist. Die Grosse Beschwerdekammer hat zur Auslegung dieser Bestimmung massgeblich auf das bisherige Verständnis der Art. 52 Abs. 4 sowie Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 abgestellt und mit eingehender Begründung dargelegt, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Patentierbarkeit mit der Einführung von Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 weiterhin gelten, da der Gesetzgeber in dieser Hinsicht keine Änderung bezweckte (Entscheidung 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 478 ff. Ziff. 5.9 f., siehe insb. S. 480 Ziff. 5.9.12, S. 486 Ziff. 5.10.8; vgl. auch ANDRÉ ESCHER, Der Entscheid "dosage regime", sic! 7-8/2010 S. 549 f.). Sie bejahte die Möglichkeit des Patentschutzes infolge eines neuen Anspruchsmerkmals, das in einer bestimmten Dosierungsanleitung eines bekannten Arzneimittels besteht, gerade auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zum EPÜ 1973. Indem Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 eine "spezifische" Anwendung voraussetzt, bewirkt die Bestimmung - abgesehen vom voraussichtlich unterschiedlichen Schutzbereich - keine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage unter der Herrschaft des EPÜ 1973, wonach gemäss der Entscheidformel von G 1/83 eine "bestimmte" neue und erfinderische therapeutische Anwendung gefordert wurde (Entscheidung 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 486 f. Ziff. 5.10.9; vgl. bereits die Entscheidung T 1020/03 vom 29. Oktober 2004, a.a.O., S. 246 Ziff. 51). Die neuste Rechtsprechung des EPA ist demnach auch für die Rechtslage unter dem EPÜ 1973 von Bedeutung.
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2.2.12 Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass sich unter dem revidierten EPÜ 2000 Unterschiede hinsichtlich des Schutzumfangs ergeben werden. Nach dem neuen Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 können nunmehr zweckgebundene Stoffansprüche gewährt werden, die auf den Stoff selbst gerichtet sind, während unter der Herrschaft des EPÜ 1973 nur Ansprüche in der "schweizerischen Anspruchsform" zugelassen wurden, also solche, die auf die Verwendung eines BGE 137 III, 170 (184)Stoffes zur Herstellung eines Arzneimittels für eine therapeutische Anwendung gerichtet waren. Es ist zu erwarten, dass sich aus der neuen Anspruchskategorie des zweckgebundenen Stoffschutzes gemäss Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 für die Patentinhaber breitere Rechte als bisher ergeben, was nach Ansicht der Grossen Beschwerdekammer insbesondere dazu führen könnte, dass die Freiheit der Ärzte eingeschränkt wird, Generika zu verschreiben oder zu verabreichen (Entscheidung 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 490 Ziff. 6.5).
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Entsprechende Bedenken, die Ärzteschaft werde der Gefahr von Patentverletzungsklagen ausgesetzt, zumal eine besondere Vorschrift fehle, die den Arzt gegen Patentverletzungsklagen schützen würde, waren letztlich ausschlaggebend für den angefochtenen Entscheid der Vorinstanz, Anspruch 1 des Streitpatents von der Patentierung auszuschliessen. Dabei ist zu bedenken, dass der hier zur Diskussion stehende Anspruch in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst und damit auf die Verwendung von Alendronat zur Herstellung eines Arzneimittels gerichtet ist, womit sich die Frage einer möglichen Patentverletzung nicht in gleicher Weise stellt wie beim von der Grossen Beschwerdekammer erwarteten breiteren Schutzumfang der nach Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 nunmehr zulässigen zweckbezogenen Stoffansprüche. Insbesondere gilt es jedoch zu beachten, dass die Unterzeichnerstaaten mit Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c EPÜ 2000 einheitliche Regeln zur Frage der Patentierbarkeit geschaffen haben, während sich die Frage, ob eine Verletzung des europäischen Patents vorliegt, nach nationalem Patentrecht richtet (vgl. Art. 64 Abs. 3 EPÜ 1973/EPÜ 2000). Es kann daher nicht angehen, die einheitlichen Bestimmungen zur Patentierbarkeit sowie deren Ausnahmen aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts und vor dem Hintergrund des Fehlens nationaler Bestimmungen auszulegen, die bestimmte - als besonders schützenswert zu erachtende - Handlungen von der Wirkung des Patents ausnehmen würden. Sollte in diesem Zusammenhang zum Schutz der ärztlichen Freiheit tatsächlich Handlungsbedarf bestehen, so wäre auf dem Gesetzgebungsweg eine entsprechende Ausnahme von der Wirkung des Patents (vgl. Art. 9 PatG) vorzusehen. Es erscheint daher angebracht, den schweizerischen Gesetzgeber auf die entsprechende Problematik hinzuweisen. Das Fehlen einer nationalen Sonderbestimmung, nach der die Behandlungstätigkeit des Arztes generell nicht als Patentverletzung erachtet würde, kann aber nicht als Argument für eine abweichende Auslegung des Europäischen BGE 137 III, 170 (185)Patentübereinkommens und eine Erweiterung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit nach den vereinheitlichten Regeln des EPÜ dienen.
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