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Informationen zum Dokument  BGE 132 III 593  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Die Ehefrau beanstandet, dass der Betrag, um den die Kinderali ...
7. Die Ehefrau macht schliesslich geltend, sie habe Anspruch auf  ...
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70. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. (Berufung)
 
 
5C.43/2006 vom 8. Juni 2006
 
 
Regeste
 
Nachehelicher Unterhalt (Art. 125 ZGB).  
 
Sachverhalt
 
BGE 132 III, 593 (593)Die Parteien heirateten am 4. Juli 1989. Aus ihrer Ehe gingen die Kinder V. (geb. 1989) und W. (geb. 1992) hervor. Seit Februar 1998 leben die Parteien getrennt.
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Das Bundesgericht hat auf Begehren beider Parteien das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 7. Dezember 2005 abgeändert und den Unterhaltsbeitrag der Gattin neu festgesetzt.
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BGE 132 III, 593 (594)Aus den Erwägungen:
 
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Der Ehemann macht geltend, dass der Abzug der erhöhten Kinderalimente beim nachehelichen Unterhalt nur für relativ kurze Zeit erfolge, und er hält im Übrigen dafür, dass die Ehefrau angesichts des hohen nachehelichen Unterhaltes (entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit) auch einen Teil an den Kindesunterhalt beizutragen habe.
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3.2 Indem das Obergericht apodiktisch festhält, Frauen- und Kinderalimente würden eine Einheit bilden, und es gestützt auf diese Aussage infolge erhöhter Kinderalimente das Frauenaliment herabgesetzt hat, übersieht es den Kontext der Ausführungen im BGE 128 III 411 E. 3.2.2 S. 415: Dort hat das Bundesgericht festgehalten, dass die beiden Unterhaltskategorien "du point de vue de la capacité contributive du débiteur", also aus Sicht des Leistungs pflichtigen ein Gesamtes ergeben, weshalb sie nicht vollständig losgelöst voneinander betrachtet bzw. festgesetzt werden könnten. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bei durchschnittlichen Verhältnissen insoweit eine Interdependenz besteht, als die verfügbaren Mittel regelmässig nicht oder nur knapp ausreichen, um den gebührenden Unterhalt beider Ehegatten (einschliesslich der scheidungsbedingten Mehrkosten) sowie den im Sinn von Art. 285 ZGB angemessenen Unterhalt der Kinder zu finanzieren. Diesfalls stellt sich denn auch die in der Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutierte Frage, ob zwischen den beiden Unterhaltskategorien eine Hierarchie bestehe oder ob diese gleichrangig seien (vgl. dazu BGE 123 III 1 BGE 132 III, 593 (595)E. 5 S. 8; BGE 128 III 411 E. 3.2.2 S. 415; HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 10 f. zu Art. 285 ZGB; SCHWENZER, FamKommentar Scheidung, 2. Aufl., Bern 2005, N. 27 zu Art. 125 ZGB; HAUSHEER/SPYCHER, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, N. 08.29).
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Erlauben es jedoch die finanziellen Verhältnisse der Parteien, dass nebst angemessenen Kinderalimenten im Sinn von Art. 285 ZGB auch der gebührende Unterhalt auf beiden Seiten abgedeckt werden kann, ja verbleibt danach immer noch eine monatliche Sparquote in fünfstelliger Höhe, darf dieser auf Seiten des ansprechenden Ehegatten nicht geschmälert und damit das Prinzip gebeugt werden, wonach bei lebensprägenden Ehen grundsätzlich beide Teile Anrecht auf Fortführung des angestammten Lebensstandards haben. Umso mehr muss die Erhöhung des Kinderunterhaltes zu Lasten der Sparquote gehen und darf sie nicht den gebührenden Unterhalt des Alimentenempfängers reduzieren, als Renten nach Art. 125 ZGB bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit des Empfängers für den Kinderunterhalt nicht zu berücksichtigen sind (Urteil 5C.48/2001 vom 28. August 2001, E. 3c).
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Die Ehefrau wendet sich damit gegen die Auffassung des Obergerichts, dass es an ihr liege, die Unterhaltslücke mit Rückstellungen aus den laufenden Alimenten, ihrem hypothetischen Erwerbseinkommen sowie dem Vermögensertrag abzudecken, und es ihr überdies zuzumuten sei, von ihrem Vermögen von Fr. 700'000.- maximal Fr. 100'000.- für die Finanzierung der Übergangszeit zu verwenden.
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7.2 Soweit der eine Ehegatte für den ihm zustehenden, gebührenden Unterhalt selbst nicht oder nur teilweise aufzukommen vermag, ist der andere Ehegatte bei lebensprägenden Ehen aufgrund des Prinzips der nachehelichen Solidarität verpflichtet, diese BGE 132 III, 593 (596)Eigenversorgungslücke nach Massgabe seiner eigenen Leistungsfähigkeit zu decken. Bei gegebenen Voraussetzungen können auch nach neuem Scheidungsrecht lebenslängliche Renten zur Diskussion stehen (Urteile 5C.54/2001 vom 9. April 2001, E. 2b; 5C.274/2001 vom 23. Mai 2002, E. 3.2; 5C.132/2004 vom 8. Juli 2004, E. 3.3). Häufig brechen aber die verfügbaren Mittel ein, sobald der Leistungspflichtige das Rentenalter erreicht, so dass der während der Aktivitätsphase gepflegte Lebensstandard nicht uneingeschränkt fortgesetzt werden kann und er auch bei fortgeführter Ehe sinken würde. Dem Grundsatz, dass bei der lebensprägenden Ehe beide Ehegatten Anspruch auf eine vergleichbare Lebenshaltung haben, trägt die Praxis diesfalls insoweit Rechnung, als das Ende der Unterhaltspflicht an das Erreichen des AHV-Alters des Unterhaltspflichtigen geknüpft wird.
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Ob sich diese Praxis ohne weiteres auf Verhältnisse wie die vorlie genden übertragen lässt, erscheint zweifelhaft angesichts der vom Obergericht festgestellten, ausserhalb gewöhnlicher Verhältnisse liegenden Sparquote des Ehemannes von rund Fr. 20'000.- pro Monat, die zur Äufnung eines mindestens teilweise als Vorsorgesparvermögen zu bezeichnenden Guthabens führen dürfte, was vermuten lässt, dass bei weiterbestehender Ehe die angestammte Lebenshaltung auch nach Erreichen des AHV-Alters des Ehemannes fortgeführt worden wäre. Insoweit erweckt die Auffassung des Obergerichts Bedenken, es sei Sache der Ehefrau, aus den Unterhaltszahlungen Rückstellungen zu bilden, um die "Unterhaltslücke" bis zum Erreichen ihres AHV-Alters zu finanzieren. Schliesst der Unterhaltsbeitrag nur die bisherige Lebenshaltung und keine zusätzliche Ersparnisbildung ein und verbleibt (wie vorliegend) die gesamte Sparquote dem Unterhaltsschuldner, darf der Unterhaltsberechtigte vielmehr die gesamten Zahlungen dem bestimmungsgemässen Zweck, nämlich der Finanzierung des laufenden Unterhalts, zuführen; hätte die Ehefrau aus den laufenden Zahlungen Rückstellungen zu bilden, würde ihr gebührender Unterhalt während dieser Zeit im betreffenden Umfang beschnitten mit dem Ergebnis, dass sie entgegen ihrem grundsätzlichen Anspruch nicht über den gleichen Lebensstandard wie der Ehemann verfügen würde.
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Zum einen folgt aus dem Grundsatz, wonach der Verbrauchsunterhalt für die Finanzierung des laufenden Bedarfs bestimmt ist (E. 7.2), dass unter diesem Titel keine darüber hinausgehenden Ansprüche geltend gemacht werden können; der gebührende Unterhalt bildet die Obergrenze für den angemessenen Unterhaltsbeitrag im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB und es handelt sich bei der umstrittenen Vorfinanzierung nicht um einen (zum gebührenden Unterhalt gehörenden) Beitrag an die Altersvorsorge. Zum anderen setzt der Unterhalt die Leistungsfähigkeit des Pflichtigen während der betreffenden Unterhaltsphase voraus. Dies widerspiegelt sich auch darin, dass dem Pflichtigen für den Fall, dass seine Leistungsfähigkeit nicht mehr den ursprünglichen Annahmen entspricht, ein Herabsetzungsanspruch zusteht (vgl. Art. 129 Abs. 1 ZGB). Mit der Vorfinanzierung einer bestimmten Unterhaltsperiode würde das grundsätzlich vom Ansprecher zu tragende Risiko einer verminderten Leistungsfähigkeit während dieses Zeitraumes auf den Unterhaltspflichtigen verlagert. Hinzu kommt, dass das angefochtene Urteil hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Ehemannes nach Erreichen des AHV-Alters keine Feststellungen enthält, dass aber diese Frage von der Ehefrau im kantonalen Verfahren auch nicht thematisiert worden ist.
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Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass einer Erstreckung des Unterhaltsbeitrages bis zum Erreichen des AHV-Alters der Ehefrau entgegensteht, dass sie im Berufungsantrag (wie bereits im obergerichtlichen Verfahren) ausdrücklich nur bis zu demjenigen des Ehemannes Unterhaltszahlungen verlangt hat. Aus dem gleichen Grund ist auch keine Kapitalabfindung nach Art. 126 Abs. 2 ZGB möglich, ergibt sich doch aus den Materialien, dass die Festsetzung einer Abfindung nicht im freien Ermessen des Richters steht, sondern einen entsprechenden Parteiantrag voraussetzt (SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 19 zu Art. 126 ZGB mit Hinweis).
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