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Informationen zum Dokument  BGE 108 III 71  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid das Folgende f& ...
4. Trotz der dargelegten zürcherischen Praxis und der Festst ...
5. Damit ist aber die Berufung noch nicht vollumfänglich gut ...
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23. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1982 i.S. X. gegen S. (Berufung)
 
 
Regeste
 
Art. 5 SchKG; Haftung des Konkursbeamten.  
 
Sachverhalt
 
BGE 108 III, 71 (72)A.- H. S. übte mit schriftlicher Erklärung vom 10. September 1975 ein mit der C. AG vereinbartes und im Grundbuch vorgemerktes Kaufsrecht an einer Liegenschaft aus. Die Aktiengesellschaft verweigerte indessen die Übereignung des Grundstücks. Am 27. November 1975 wurde über sie der Konkurs eröffnet, der vom Konkursamt Y. durchzuführen war. Dieses lehnte mit Verfügung vom 11. Oktober 1977 die Aufnahme des Kaufsrechts in das Lastenverzeichnis der Liegenschaft ab mit der Begründung, der Vormerkungsschutz sei mit der Ausübung des Kaufsrechts dahingefallen. H. S. erhob dagegen Kollokationsklage, die letztlich vom Bundesgericht am 12. Oktober 1978 geschützt wurde. Das Konkursamt wurde angewiesen, das Kaufsrecht in das Lastenverzeichnis aufzunehmen. Daraufhin trat H. S. das Kaufsrecht am 12. Februar 1979 an seine Ehefrau ab, die gleichentags als Eigentümerin der Liegenschaft im Grundbuch eingetragen wurde. In der Folge kam es zwischen den Ehegatten S. und dem Konkursamt Y. zum Streit wegen der Abrechnung über die Verwaltung der Liegenschaft.
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B.- Die Ehegatten S. machten geltend, durch die Verzögerung in der Übereignung der Liegenschaft sowie durch weitere Unterlassungen des Konkursamtes sei ihnen ein beträchtlicher Schaden entstanden. Sie erhoben deshalb am 10. März 1981 beim zuständigen Bezirksgericht Klage auf Schadenersatz in der Höhe von Fr. 136'241.80 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1979. Die Klage richtete sich gegen X., den Vorsteher des Konkursamtes Y., der zugleich auch als Notar von Y. amtet.
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Der Beklagte erhob die Einrede der fehlenden Passivlegitimation. Er wandte ein, falls überhaupt ein Schaden aus der Abwicklung des Konkurses der C. AG zu verantworten sein sollte, könnte höchstens Z., der ordentliche Notar-Stellvertreter, ins Recht gefasst werden, weil dieser mit der selbständigen und alleinigen BGE 108 III, 71 (73)Durchführung des Konkurses betraut worden sei und das Verfahren auch in eigener Verantwortung geleitet habe. Als von der öffentlichen Gewalt ernannter Notar-Stellvertreter hafte Z. nach Art. 5 Abs. 2 SchKG persönlich.
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Gestützt auf diese Einrede beschränkte das Bezirksgericht das Verfahren auf die Frage der Passivlegitimation. In seinem Urteil vom 22. Dezember 1981 hiess es die Einrede der fehlenden Passivlegitimation des Vorstehers des Konkursamtes Y. gut und wies die Klage ab.
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Die Kläger erhoben Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich, worauf der Beklagte Anschlussberufung erklärte. Das Obergericht bejahte die Passivlegitimation des Beklagten, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Sache mit Beschluss vom 25. Mai 1982 zur materiellen Beurteilung an das Bezirksgericht zurück.
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C.- Der Beklagte führt beim Bundesgericht Berufung mit den Anträgen, den Beschluss des Zürcher Obergerichts aufzuheben, seine Einrede der mangelnden Passivlegitimation zu schützen und demzufolge die Klage endgültig abzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut, hebt den Rückweisungsbeschluss des Obergerichts auf und weist die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen:
 
3. Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid das Folgende für das Bundesgericht verbindlich festgehalten: Gemäss § 2 Ziff. 2 des zürcherischen Notariatsgesetzes (NotG) und § 2 EG SchKG ist im Kanton Zürich der Notar Konkursbeamter. Die Stellvertretung des Konkursbeamten richtet sich nach den für den Notar geltenden Vorschriften in § 10 NotG (siehe auch § 1 Abs. 5 der Verordnung des Zürcher Obergerichts über die Betreibungs- und Konkursämter vom 1. September 1947). Nach § 12 NotG besteht auch die Möglichkeit, Substituten zu beschäftigen. Danach bewilligt das Obergericht dem Notar einen oder mehrere Substituten, wenn er seine Arbeit nicht allein zu bewältigen vermag. Sie werden gemäss § 12 Abs. 2 NotG vom Notar ernannt. Hingegen bestellt das Obergericht in jedem Fall für den Notar unter den Notaren eines benachbarten Notariatskreises einen ordentlichen Stellvertreter, der den Notar während kürzerer Zeit wegen Krankheit BGE 108 III, 71 (74)oder Abwesenheit oder weil er sich im Ausstand befindet, zu vertreten hat. Bei längerer Verhinderung hat das Obergericht einen ausserordentlichen Stellvertreter zu ernennen. Gemäss § 10 Abs. 2 NotG hat der Stellvertreter seine Tätigkeit aber nur dann aufzunehmen, wenn nicht durch einen Substituten hinreichende Aushilfe gewährleistet ist, was allerdings voraussetzen dürfte, dass der Amtsvorsteher trotz Verhinderung die Leitung des Amtes nicht ganz aus der Hand geben muss. Dem Obergericht steht es im übrigen frei, den ausserordentlichen Stellvertreter unter den erfahrenen Substituten des gleichen oder eines andern Amtes auszuwählen.
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Die zürcherischen Notare waren seit jeher Beamte. Hingegen hat erst das Notariatsgesetz von 1907 dazu geführt, dass auch alle Angestellten eines Notariates im Dienste des Staates stehen. Dem Notar verblieb nach § 12 Abs. 2 NotG nur noch die Ernennung der Substituten unter Vorbehalt der Genehmigung durch das Obergericht. In neuerer Zeit ist indessen entgegen dem Wortlaut des Notariatsgesetzes eine Praxisänderung in dem Sinne eingetreten, als das Obergericht als den Notariaten vorgesetzte Justizverwaltungsbehörde dazu übergegangen ist, auch die Substituten auf Antrag des zuständigen Notars zu ernennen, zu befördern, zu entlassen und zu versetzen. Das Obergericht setzt auch die Besoldungen fest und trifft alle andern wesentlichen, das Dienstverhältnis der Beamten des Notariats beschlagenden Entscheidungen.
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So geschah es im vorliegenden Fall auch mit dem bisherigen Kanzleisekretär Z., der seit dem 17. Dezember 1975 im Besitze des Wahlfähigkeitszeugnisses für Notare war. Z. wurde gestützt auf den Antrag des Notars von Y. am 12. Januar 1976 von der Verwaltungskommission des Obergerichts zum Notariatssubstituten ernannt und am 26. April 1978 auf eine dreijährige Amtsdauer als Notariats-Stellvertreter im Sinne eines Notariatssubstituten beim Notariat Y. gewählt. Die Bezeichnung Notar-Stellvertreter entspricht nicht ganz der Funktion. Gestützt auf die zürcherische Beamtenverordnung vom 16. November 1970 werden nämlich die Notariatssubstituten gemäss Notariatsgesetz als "Notar-Stellvertreter (Notariatssubstitut)" oder abgekürzt als "Notar-Stellvertreter" bezeichnet (§ 19 der Beamtenverordnung), obwohl sie nicht als ordentliche oder ausserordentliche Stellvertreter im Sinne von § 10 NotG tätig sein sollen. So wurde Z. denn auch ausdrücklich in Anwendung von § 12 Abs. 2 NotG zum Notariatssubstituten ernannt bzw. gewählt. Seine Funktion entsprach unbestrittenermassen BGE 108 III, 71 (75)der in § 12 umschriebenen. Indessen erfolgte seine Wahl zwar auf Antrag des Konkursbeamten von Y., wurde aber nicht von diesem, sondern vom Obergericht vollzogen.
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4. Trotz der dargelegten zürcherischen Praxis und der Feststellung im angefochtenen Urteil, dass heute im Kanton Zürich alle Notariatsbeamten durch die öffentliche Hand ernannt bzw. gewählt werden, vertritt das Obergericht die Auffassung, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Angestellten des Konkursamtes richte sich nach § 12 NotG und damit nach Art. 5 Abs. 1 SchKG, so dass der Amtsvorsteher für den Notariatssubstituten, der bei einer amtlichen Verrichtung schuldhaft einen Schaden verursache, hafte, auch wenn er ihn tatsächlich nicht selber ernannt habe. Bei dieser Betrachtungsweise handelt es sich aber nicht um eine für das Bundesgericht verbindliche Auslegung kantonalen Rechts. Es geht vielmehr um die Anwendung von Bundesrecht, die das Bundesgericht im Rahmen einer Berufung frei überprüfen kann. Dabei ist zu beachten, dass die Regelung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des Konkursbeamten, seines Stellvertreters und seiner Angestellten in Art. 5 SchKG im wesentlichen durch die in der ständerätlichen Kommission erhobenen Anträge geprägt worden ist. Dem Protokoll über die dritte Session der ständerätlichen Kommission vom 21. bis 24. Oktober 1886 ist zu entnehmen, dass die Kommission vorerst noch die Meinung vertreten hatte, die Betreibungs- und Konkursbeamten seien für ihre sämtlichen Angestellten verantwortlich zu erklären, dass aber nun auf Vorschlag der Redaktionskommission eine differenziertere Lösung in das Gesetz Eingang finden sollte. Denn "es wäre unbillig, den Beamten auch für solche Angestellten haftbar zu erklären, die er gar nicht selber ernannt hat, die ihm vielmehr vom Staate aufgenötigt worden sind. Solche Angestellte sollten nach Ansicht der Kommission direkt verantwortlich, dafür aber, wie ihre Chefs, zur Kautionsleistung verpflichtet sein. Daher der (neue) Absatz 3 dieses Artikels. Dieser Absatz bezieht sich nur auf die vom Staat wirklich ernannten Beamten, nicht auf diejenigen, deren Wahl bloss seiner Bestätigung unterliegt" (siehe Verhandlungen betreffend den Bundesgesetz-Entwurf vom 23. Februar 1886 über Schuldbetreibung und Konkurs, S. 141). Im übrigen gibt dieses Protokoll auch darüber Aufschluss, dass mit der Wendung "Ernennung durch die öffentliche Gewalt" die Wahl durch einen öffentlichen Wahlkörper gemeint war.
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Die Gesetzesmaterialien lassen somit keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Vorsteher des Konkursamtes nur dann für seine BGE 108 III, 71 (76)Angestellten haften muss, wenn ihn für sie auch die cura in eligendo trifft. Trägt der Konkursbeamte die Sorgfaltspflicht bei der Auswahl seiner Gehilfen selber, soll er auch für deren schuldhaftes Verhalten im Bereiche der Amtstätigkeit einstehen müssen. Ist er indessen für die Auswahl des Angestellten nicht verantwortlich, soll er auch keine zusätzliche Haftung übernehmen müssen. Das gleiche muss billigerweise auch dort gelten, wo dem Konkursbeamten zwar nicht gemäss geltendem Rechtssatz, jedoch zufolge der Praxis der ihm vorgesetzten Behörde die Möglichkeit genommen ist, seine Angestellten weitgehend selbst auszuwählen. Das dem Vorsteher eines zürcherischen Konkursamtes tatsächlich verbliebene blosse Antragsrecht ist mit dem Genehmigungsvorbehalt einer vorgesetzten Behörde zu vergleichen, das nach dem Willen des historischen Gesetzgebers noch nicht dazu führen sollte, die Verantwortung für das schuldhafte Fehlverhalten eines Angestellten vom Konkursbeamten auf die Genehmigungsbehörde zu übertragen. Z. ist daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 SchKG als von der öffentlichen Gewalt ernannter Angestellter anzusehen, der für schuldhaftes Verhalten bei der Amtsführung selber gerichtlich belangt werden kann, so dass die Haftung des Vorstehers des Konkursamtes Y. unter diesem Gesichtspunkt entfällt.
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5. Damit ist aber die Berufung noch nicht vollumfänglich gutzuheissen. Die Vorinstanz hat die Passivlegitimation des Beklagten als Konkursbeamten von Thalwil nämlich nicht nur im Hinblick auf das ihm fälschlicherweise angerechnete Verhalten des Notariatssubstituten Z. bejaht. Sie hat vielmehr die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass der Beklagte je nach Ausgang des vom Bezirksgericht noch durchzuführenden Beweisverfahrens von den Klägern auch für eigenes Verschulden im Zusammenhang mit der beanstandeten Amtsführung zur Verantwortung gezogen werden könnte. Gegen eine solche Betrachtungsweise lässt sich entgegen der Meinung des Beklagten nicht einwenden, sie beruhe auf blossen Parteibehauptungen. Nachdem die Kläger auch ein eigenes schuldhaftes Verhalten des Beklagten als Vorsteher des Konkursamtes Y. zum Gegenstand des Rechtsstreites gemacht haben, ist es Aufgabe der kantonalen Gerichte, in einem Beweisverfahren die tatsächlichen Grundlagen dieser Behauptungen zu überprüfen. Ohne die Vorwürfe der Kläger an die Adresse des Beklagten, er hafte auch aus eigenem Verschulden gemäss Art. 5 Abs. 1 SchKG für einen angeblichen Schaden, abzuklären, darf die Passivlegitimation des Beklagten nicht völlig ausgeschlossen werden.
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BGE 108 III, 71 (77)Es ist somit die Berufung insoweit gutzuheissen, als die Vorinstanz die Passivlegitimation des Beklagten im Hinblick auf ein eventuelles schuldhaftes Verhalten des Notariatssubstituten Z. bejaht hat. Hingegen ist die Berufung abzuweisen, soweit der Beklagte auch ein eigenes Verschulden zum vornherein ausschliesst. Dieses Ergebnis führt zur Aufhebung des Beschlusses des Obergerichts vom 25. Mai 1982 und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Prüfung der Frage, ob den Beklagten bei seiner Amtsführung im Zusammenhang mit dem Konkurs der C. AG ein eigenes Verschulden treffe, das allenfalls zu einer Haftung nach Art. 5 Abs. 1 SchKG führe, und ob demzufolge in dieser Hinsicht seine Passivlegitimation zu bejahen sei.
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