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Informationen zum Dokument  BGE 98 III 53  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. Die Grundpfandgläubigerin hat das Verwertungsbegehren fri ...
2. Nach Ablauf der sechsmonatigen Frist des Art. 116 bzw. 154 Abs ...
3. Die Vorinstanz nimmt an, im Falle des endgültigen Obsiege ...
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12. Entscheid vom 1. August 1972 i.S. S.
 
 
Regeste
 
Grundpfandsteigerung; Verschiebung wegen eines Prozesses über das Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG.  
 
Sachverhalt
 
BGE 98 III, 53 (53)S. verkaufte am 4. Oktober 1967 seine landwirtschaftliche Liegenschaft in Oberegg an E. Die Mutter und ein Teil der Geschwister des Verkäufers erklärten darauf, das bäuerliche Vorkaufsrecht gemäss Art. 6 EGG ausüben zu wollen, worauf es zwischen diesen Angehörigen und dem Verkäufer zum Prozess kam. Mit Urteil vom 6. Oktober 1971 schrieb das Bezirksgericht Oberegg die Klage der Mutter als durch Verzicht auf das Vorkaufsrecht gegenstandslos geworden ab und sprach die streitige Liegenschaft drei Brüdern des Verkäufers als Ge meindern zum Preise und zu den Bedmgungen gemäss Kaufvertrag vom 4. Oktober 1967 unter Vorbehalt der rechtzeitigen Hinterlegung des Kaufpreises zu Eigentum zu. Dieses Urteil ist (oder war jedenfalls am 16. Juni 1972) noch nicht rechtskräftig, da die Urteilsbegründung noch nicht erstellt werden konnte, die Frist für die Appellation an das Kantonsgericht aber erst mit der Zustellung des motivierten Urteils beginnt.
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Mit Zahlungsbefehl vom 13. Oktober 1971 leitete die Appenzell-Innerrhodische Kantonalbank gegen S. für rückständige Grundpfandzinsen von Fr. 3044,85 nebst Verzugszins Betreibung auf Grundpfandverwertung ein und stellte, nachdem der Betriebene keinen Rechtsvorschlag erhoben und die sechsmonatige Frist des Art. 154 Abs. 1 Satz 1 SchKG abgelaufen war, am 14. April 1972 das Verwertungsbegehren. Das Betreibungsamt BGE 98 III, 53 (54)verfügte hierauf am 25. April 1972 unter Hinweis auf den erwähnten Prozess über das Vorkaufsrecht, "dass die Verwertungsfristen gemäss Art. 154 SchKG nicht in Berechnung fallen, solange der Rechtsstreit andauert". Gegen diese Verfügung führte der Betriebene Beschwerde mit dem Begehren, sie sei aufzuheben und das Betreibungsamt sei anzuweisen, die Liegenschaft umgehend zur Versteigerung zu bringen. Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 16. Juni 1972 mit sehr einlässlicher Begründung ab und bestätigte die Verfügung des Betreibungsamtes in dem Sinne, dass die Versteigerung der Liegenschaft bis zur rechtskräftigen Erledigung des Prozesses über das Vorkaufsrecht eingestellt werde.
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Diesen Entscheid hat der Betriebene an das Bundesgericht weitergezogen. Er erneuert mit seinem Rekurs sein Beschwerdebegehren.
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Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
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Erwägungen:
 
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3. Die Vorinstanz nimmt an, im Falle des endgültigen Obsiegens der das bäuerliche Vorkaufsrecht beanspruchenden Brüder des Rekurrenten im noch hängigen Prozess wäre davon auszugehen, dass sie durch die Ausübung dieses Rechts vor der Einleitung der Grundpfandbetreibung einen Rechtsanspruch BGE 98 III, 53 (55)auf Übereignung der streitigen Liegenschaft erworben haben. Dieser Anspruch dürfe nicht dadurch übergangen werden, dass die Liegenschaft vor der rechtskräftigen Erledigung des Prozesses in der Grundpfandbetreibung versteigert und so den Vorkaufsberechtigten, die gegenüber dem Ersteigerer nicht auf Grundbuchberichtigung klagen könnten, endgültig entzogen werde. Nach Art. 41 Abs. 1 VZG sei die Versteigerung im Falle des Streits über einen in das Lastenverzeichnis aufgenommenen Anspruch bis zum Austrag der Sache zu verschieben, "sofern der Streit die Festsetzung des Zuschlagspreises beeinflusst oder durch eine vorherige Steigerung sonst berechtigte Interessen verletzt würden". Diese Bestimmung sei im vorliegenden Falle entsprechend anzuwenden, weil die berechtigten Interessen der das Vorkaufsrecht beanspruchenden Kläger durch eine vor der rechtskräftigen Erledigung des Prozesses durchgeführte Versteigerung aufs schwerste verletzt würden. Die angeordnete Verschiebung der Steigerung wahre den Klägern für den Fall der endgültigen Gutheissung ihrer Klage und des dadurch bewirkten Übergangs des Eigentums an der Liegenschaft auf sie die ihnen ohne solche Verschiebung entgehende Möglichkeit, die in Betreibung gesetzte Grundpfandforderung mit der Wirkung der Subrogation nach Art. 110 Ziff. 1 OR zu zahlen.
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Kann das bäuerliche Vorkaufsrecht, das durch einen vor Einleitung der Grundpfandbetreibung erfolgten Verkauf ausgelöst und auch vor Einleitung dieser Betreibung ausgeübt wurde, gegenüber einem allfälligen Ersteigerer der Liegenschaft nicht durchgesetzt werden, wie das die Vorinstanz annimmt, so lässt sich bezweifeln, ob der Streit über dieses Recht eine Verschiebung der Versteigerung rechtfertigen könne. Ansprüche auf in ein Zwangsvollstreckungsverfahren einbezogene Sachen, die bloss gegenüber dem Schuldner wirken, sind bei der Zwangsvollstreckung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.
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Es ist jedoch fraglich, ob die eben erwähnte Annahme der Vorinstanz zutreffe. In der neuern Lehre und Rechtsprechung wird nämlich die Auffassung vertreten, das Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG stelle eine sog. Realobligation dar, was bedeuten würde, dass die diesem Recht entsprechende Verpflichtung mit dem Eigentum am Grundstück verbunden wäre, so dass sich der Anspruch auf gerichtliche Zusprechung des Eigentums gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks richten würde (BGE 97 II 280 /81 Erw. 2, mit Hinweis auf ein nicht veröffentlichtes BGE 98 III, 53 (56)Urteil des Bundesgerichts vom 1. März 1971; MEIER-HAYOZ, Kommentar zum Sachenrecht, 4. Aufl., N. 157 a des Systematischen Teils; zu den Realobligationen im allgemeinen und zur Frage der realobligatorischen Natur des vorgemerkten vertraglichen Vorkaufsrechts vgl. BGE 92 II 155 ff. Erw. 4, wo u.a. auf LIVER, Kommentar zu Art. 730-744 ZGB, Einleitung N. 148 ff. hingewiesen wird, sowie MEIER-HAYOZ, a.a.O. N. 152 ff. und 3. Aufl., N. 255 zu Art. 681 ZGB). Fasst man das bäuerliche Vorkaufsrecht als derartige Realobligation auf, so liegt die Annahme nahe, dass die mit der Ausübung dieses Rechts entstandene Verpflichtung des Verkäufers der Liegenschaft auch beim Eigentumsübergang infolge einer Zwangsvollstreckung, welche die Liegenschaft nach der Ausübung des Vorkaufsrechtes erfasst, auf den Erwerber übergehe und dass folglich der Anspruch auf Zusprechung des Eigentums auch diesem gegenüber geltend gemacht werden könne (vgl. MEIER-HAYOZ, 4. Aufl., N. 177 des Systemat. Teils). Art. 6 Abs. 3 lit. c EGG, wonach der Eigentumserwerb bei Zwangsversteigerungen gegenüber den Bestimmungen von Art. 6 Abs. 1 und 2 EGG "vorbehalten" bleibt, d.h. keinen Vorkaufsfall darstellt, steht dieser Annahme entgegen der Auffassung, die dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegt, nicht entgegen.
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Es ist indessen nicht nötig, diese zivilrechtliche Frage, die an sich in den Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte fällt, im vorliegenden Falle als Vorfrage näher zu prüfen. Vielmehr bildet schon die nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit, dass das vor Einleitung der Grundpfandbetreibung ausgeübte bäuerliche Vorkaufsrecht im Falle seiner Begründetheit als gegenüber einem Ersteigerer durchsetzbar befunden werden könnte, einen zureichenden Grund für die Verschiebung der Steigerung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Prozesses über das Vorkaufsrecht. Der Steigerungsleiter müsste nämlich die Interessenten auf diese Möglichkeit hinweisen (vgl.BGE 79 III 118, BGE 95 III 24 Erw. 3). Der Hinweis auf das Risiko, dass die Kläger bei endgültiger Gutheissung ihrer Klage ihr Vorkaufsrecht gegenüber dem Ersteigerer durchsetzen könnten, würde sich aber zweifellos äusserst ungünstig auf den Erfolg der Versteigerung auswirken. Im Interesse des betreibenden Gläubigers und wohl auch im richtig verstandenen Interesse des Schuldners ist es daher unerlässlich, die Versteigerung bis zum erwähnten Zeitpunkte zu verschieben.
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