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Informationen zum Dokument  BGE 128 II 107  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
3. Der Beschwerdeführer verlangt ferner Hilfe bei der psychi ...
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14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Januar 2002in Sachen K. gegen Kantonale Opferhilfestelle und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
1A.128/2001 vom 18. Januar 2002
 
 
Regeste
 
Art. 3 Abs. 3 und 4 OHG; Anspruch eines zum Tatzeitpunkt im Ausland wohnhaften Schweizer Opfers auf weitere Opferhilfe.  
 
Sachverhalt
 
BGE 128 II, 107 (108)A.- K. stellte am 12. Januar 1998 bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg, Deutschland, Strafanzeige gegen L. wegen gefährlicher Körperverletzung, da dieser ihn auf der Insel Sylt, in der Zeit vom 15. bis 24. Juli 1997, in Kenntnis seiner Aids-Erkrankung mit dem HI-Virus infiziert habe. Mit Bescheid vom 28. Juli 2000 teilte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg K. mit, dass das Ermittlungsverfahren gegen L. eingestellt werden müsse, weil dieser zum Tatzeitpunkt schuldunfähig gewesen sei.
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B.- Am 27. Januar 2001 stellte K. bei der Direktion der Justiz des Kantons Zürich, Opferhilfe, ein Gesuch um finanzielle Leistungen. Die kantonale Opferhilfestelle wies das Gesuch ab, weil der Gesuchsteller zum Zeitpunkt der Tat keinen Wohnsitz in der Schweiz gehabt habe und der Anspruch auf Opferhilfe ohnehin gemäss Art. 16 Abs. 3 des Opferhilfegesetzes vom 4. Oktober 1991 (OHG; SR 312.5) verwirkt sei.
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C.- Hiergegen erhob K. Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, ihm sei eine Entschädigung und eine Genugtuung in Höhe von Fr. 150'000.- bis 200'000.- zu zahlen. Zudem beantragte er weitere Opferhilfe in Form einer intensiven psychotherapeutischen Behandlung, um die psychischen und seelischen Folgeschäden der Tat aufzuarbeiten, sowie Wiedereingliederungsmassnahmen und Umschulungsbeihilfen zum Wiedereinstieg in das Berufsleben. Das Sozialversicherungsgericht wies die Beschwerde am 5. Juli 2001 ab.
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BGE 128 II, 107 (109)D.- Hiergegen erhob K. am 10. August 2001 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, soweit darauf einzutreten ist.
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Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
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3.1 Nach seinem Wortlaut ist der Anspruch auf Beratung und auf Kostenübernahme durch die Beratungsstelle gemäss Art. 3 OHG weder vom Wohnsitz oder der Nationalität des Opfers noch vom Begehungs- und Erfolgsort der Straftat abhängig. Auch Art. 2 OHG, der den Geltungsbereich des Opferhilfegesetzes umschreibt, enthält keine derartige Einschränkung. Das Bundesgericht folgerte jedoch aus der Systematik, der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des Opferhilfegesetzes, dass das Opfer einer im Ausland begangenen Straftat Leistungen gemäss Art. 3 OHG nur in Anspruch nehmen könne, wenn es schon im Tatzeitpunkt eine hinreichende Beziehung zur Schweiz unterhalten habe (BGE 126 II 228 E. 2d-f S. 234 ff.). Dies sei anzunehmen, wenn das Opfer im Zeitpunkt der BGE 128 II, 107 (110)Tat Wohnsitz in der Schweiz hatte; war dies nicht der Fall, könnten in der Regel keine Hilfeleistungen nach Art. 3 OHG beansprucht werden. Ob allenfalls eine andere persönliche Beziehung des Opfers zur Schweiz genügen könne, liess das Bundesgericht ausdrücklich offen (a.a.O., E. 2f S. 236). Diese müsste jedenfalls so geartet sein, dass sie eine ähnlich enge Beziehung wie der Wohnsitz darstellt.
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3.2 Das Bundesgericht hat im zitierten Entscheid u.a. auf Art. 11 Abs. 3 OHG Bezug genommen, weil die Kosten weiterer Hilfsmassnahmen gemäss Art. 3 Abs. 4 OHG regelmässig auch unter den Begriff des Schadens nach Art. 41 OR fallen und deshalb auch mit der Entschädigung abgegolten werden können (BGE 126 II 228 E. 2c/bb S. 233/234). Es liege deshalb nahe, auch für die Inanspruchnahme weiterer Hilfe gemäss Art. 3 Abs. 4 OHG das Bestehen einer persönlichen Beziehung zur Schweiz im Tatzeitpunkt zu verlangen (a.a.O., E. 2f S. 236/237). Allerdings verlangt Art. 11 Abs. 3 OHG kumulativ die schweizerische Staatsangehörigkeit und den Wohnsitz in der Schweiz, während das Bundesgericht im Entscheid BGE 126 II 228 eines dieser Elemente - den Wohnsitz in der Schweiz - genügen liess. Dann aber sollte auch das Vorliegen des anderen Elements - der Staatsangehörigkeit - im Tatzeitpunkt genügen, um Beratungshilfe i.S.v. Art. 3 ff. OHG in Anspruch nehmen zu können (so DOMINIK ZEHNTNER, Anmerkung zum Bundesgerichtsentscheid vom 19. Mai 2000, in: AJP 2000 S. 1574).
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3.4 Gegen das Genügen der schweizerischen Staatsangehörigkeit lassen sich Praktikabilitätserwägungen anführen. In der Tat kann es schwierig sein, mehrere Jahre nach der Tatbegehung im Ausland zu ermitteln, ob der Gesuchsteller tatsächlich Opfer i.S. des OHG und somit anspruchsberechtigt ist. lmmerhin kann die Behörde bei der BGE 128 II, 107 (111)Gewährung von längerfristiger Hilfe - im Gegensatz zur Soforthilfe - hohe Anforderungen an den Nachweis einer Straftat stellen (vgl. BGE 125 II 265 E. 2c/aa S. 270), und wird sich in der Regel auf die Ergebnisse des ausländischen Straf- oder Ermittlungsverfahrens stützen können. Der vorliegende Fall zeigt, dass die Schwierigkeiten nicht überschätzt werden dürfen: Aufgrund der Strafanzeige des Beschwerdeführers bei den deutschen Behörden und des Bescheids der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Flensburg ist erstellt, dass der Beschwerdeführer durch eine Straftat in seiner körperlichen Integrität beeinträchtigt worden und hilfsbedürftig geworden ist.
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