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Informationen zum Dokument  BGE 113 II 283  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 50 Abs. 1 OG ist gegen einen selbständigen Vor- ...
2. Die Gläubiger bilden von Gesetzes wegen eine Gemeinschaft ...
3. Art. 1164 Abs. 1 OR bestimmt, die Gläubigergemeinschaft s ...
4. Das Bundesgesetz über die Gläubigergemeinschaft bei  ...
5. Entscheidend sind damit Sinn und Zweck der Bestimmung und die  ...
6. Die Klage ist somit mangels Aktivlegitimation der Gläubig ...
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53. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Juni 1987 i.S. St. Gallische Kantonalbank gegen Gläubigergemeinschaft der 6 1/2% Anleihe 1973-88 der Rheintalischen Gas-Gesellschaft (Berufung)
 
 
Regeste
 
Befugnisse der Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen (Art. 1164 Abs. 1 OR).  
 
Sachverhalt
 
BGE 113 II, 283 (283)A.- Im Jahre 1973 nahm die Rheintalische Gas-Gesellschaft AG, St. Margrethen (RGG) eine 6 1/2% Obligationenanleihe BGE 113 II, 283 (284)von vier Millionen Franken auf. Die Anleihe wurde einem Bankenkonsortium, in welchem die St. Gallische Kantonalbank federführend war, fest übernommen und vom 5. bis zum 12. Dezember 1973 öffentlich zur Zeichnung aufgelegt.
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1978 ersuchte die RGG um Nachlassstundung. Am 10. Januar 1979 wurde ein zwischen ihr und ihren Gläubigern abgeschlossener Liquidationsvergleich gerichtlich genehmigt. Mit Schreiben vom 11. Juli 1980 teilte der Liquidator den Gläubigern mit, es könne mit einer Dividende von rund 20% gerechnet werden. Die Liquidationsorgane hätten deshalb beschlossen, die privilegierten Gläubiger vollständig zu befriedigen und den Gläubigern der 5. Klasse eine Abschlagszahlung von 15% auszurichten. Nach der Verlustrechnung des Liquidators vom 29. Juni 1983 erbrachten die Aktiven einen Verwertungserlös von rund Fr. 5'353'000.--, welchem kollozierte Forderungen von insgesamt Fr. 13'221'000.-- gegenüberstanden. Unter den Forderungen der 5. Klasse (einschliesslich Pfandausfällen) von Fr. 9'585'000.-- befinden sich auch die vier Millionen Franken Obligationenkapital aus der erwähnten Anleihe zuzüglich Fr. 130'000.-- aufgelaufene Zinsen bis zum 30. Juni 1978.
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Am 18. März 1983 fand eine vom Liquidator einberufene Versammlung der Anleihensgläubiger statt. Sie wählte Conrad Marti zum Anleihensvertreter und beauftragte ihn mit der Erhebung einer Prospekthaftungsklage gegen die St. Gallische Kantonalbank. Als Marti während des Prozesses starb, trat sein Stellvertreter, Heinrich Schwegler, an seine Stelle.
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B.- Am 13. Juli 1983 klagte die Gläubigergemeinschaft gegen die St. Gallische Kantonalbank auf Bezahlung von drei Millionen Franken nebst 6 1/2% Zins seit dem 1. Juli 1978. Die Beklagte schloss auf Abweisung der Klage und erhob vorab die Einreden des falschen Rechtsweges (ausschliessliche Anwendbarkeit des kantonalen Verantwortlichkeitsgesetzes), der fehlenden Aktivlegitimation der Gläubigergemeinschaft sowie der Verwirkung und Verjährung. Das Bezirksgericht St. Gallen beschränkte das Verfahren auf diese Einreden und verwarf sie mit Urteil vom 21. Juni 1985. Eine dagegen erhobene kantonale Berufung der Beklagten wies das Kantonsgericht St. Gallen am 6. November 1986 ab.
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C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.
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BGE 113 II, 283 (285)Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1. Nach Art. 50 Abs. 1 OG ist gegen einen selbständigen Vor- oder Zwischenentscheid ausnahmsweise die Berufung zulässig, wenn dadurch sofort ein Endentscheid herbeigeführt und ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte Anrufung des Bundesgerichts als gerechtfertigt erscheint. Die Beklagte beruft sich nicht mehr auf die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, hält hingegen daran fest, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert und die Forderung überdies verjährt. Wird eine dieser Einreden geschützt, so ist die Klage abzuweisen und erübrigt sich die Prüfung der Prospekthaftung, die sowohl hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen wie des Schadens eines zusätzlichen, nicht einfachen Beweisverfahrens bedürfte. Die Voraussetzungen des Art. 50 Abs. 1 OG sind somit erfüllt.
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2. Die Gläubiger bilden von Gesetzes wegen eine Gemeinschaft, wenn die Anleihensobligationen aufgrund einheitlicher Anleihensbedingungen öffentlich zur Zeichnung aufgelegt werden (Art. 1157 Abs. 1 OR), der Anleihensschuldner Sitz oder Niederlassung in der Schweiz hat und dem privaten Recht unterstellt ist (Art. 1157 Abs. 3 OR). Die Gläubigergemeinschaft ist nicht als juristische Person ausgestaltet und damit nach herrschender Auffassung auch nicht rechtsfähig (vgl. BUCHER, N 43 ff. zu Art. 11 ZGB; hinsichtlich der Rechtsfähigkeit anderer Meinung BECK, Die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen nach der Verordnung des Bundesrates vom 20. Februar 1918, S. 51). Wie anderen nicht mit juristischer Persönlichkeit ausgestatteten Rechtsgemeinschaften (z.B. Kollektiv- und Kommanditgesellschaft, Stockwerkeigentümergemeinschaft) sind ihr durch das Gesetz bestimmte Befugnisse verliehen, welche ihr erlauben, am Rechtsverkehr selbständig, unabhängig von den in ihr zusammengefassten Obligationären, teilzunehmen (Art. 1164 Abs. 1 OR). Damit wird ihr auch als nicht rechtsfähigem Gebilde von Bundesrechts wegen in bestimmtem Umfang Parteifähigkeit zuerkannt (vgl. BUCHER, N 80 ff. zu Art. 11 ZGB; HÜPPI, Die Beschlüsse der Anleihensgläubigerversammlung, Diss. Freiburg 1950, S. 11). Insoweit ist die Gemeinschaft auch prozessfähig (BECK, a.a.O. S. 51; ZIEGLER, N 11 zu Art. 1159 OR; HÜPPI, a.a.O. S. 11; F. HUBER, Der Schutz der Obligationäre nach den Entwürfen zum OR, Diss. Bern 1936, S. 127).
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BGE 113 II, 283 (286)Der Umfang der Parteifähigkeit ist durch Auslegung insbesondere des Art. 1164 Abs. 1 OR zu bestimmen. Dabei muss das Gesetz in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen ausgelegt werden. Auch die Materialien fallen ins Gewicht, wenn sie eine klare Antwort geben; sie können allerdings durch Zeitablauf an Bedeutung verlieren (BGE 111 II 152 E. 4a mit Hinweisen).
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4. Das Bundesgesetz über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen vom 1. April 1949 ergänzte auf den 1. Januar 1950 das Obligationenrecht mit den heutigen Artikeln 1157 bis 1186. Die gesetzliche Regelung knüpft an Bestimmungen an, die bereits 1936 bei der Revision des Gesellschaftsrechts in das Obligationenrecht aufgenommen, indes nie in Kraft gesetzt wurden, weil in der Krisen- und Kriegszeit weitergehende notrechtliche Massnahmen nötig waren (Botschaft, BBl 1947 III S. 873 f.; Berichterstatter Renold im Nationalrat, Sten.Bull. Nationalrat 1948, S. 93). Der Bundesrat hatte schon am 20. Februar 1918 unter dem Druck der durch den Ersten Weltkrieg entstandenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Verordnung betreffend die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen erlassen. Diese gab der Versammlung der Obligationäre die Befugnis, mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des im Umlauf befindlichen Kapitals eine Reihe bestimmt umschriebener Eingriffe in die Gläubigerrechte für alle Obligationäre verbindlich zu beschliessen, um dadurch den notleidenden Schuldner zu entlasten (Botschaft, BBl 1947 III S. 870). Diese Befugnis war dann angesichts der verschärften Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre durch verschiedene Bundesratsbeschlüsse mehrfach erweitert worden (Botschaft, a.a.O., S. 870 ff.; Berichterstatter Renold im Nationalrat, Sten.Bull. Nationalrat 1948, S. 93).
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Die Vorlage von 1936 enthielt eine dem Art. 1164 OR entsprechende Bestimmung. Berichterstatter Zust führte dazu im Ständerat aus, die Notlage des Schuldners sei der wichtigste Fall, für den BGE 113 II, 283 (287)die Gläubigergemeinschaft in Funktion trete. Indes solle die Gläubigerversammlung auch sonst Beschlüsse fassen können, die im gemeinsamen Interesse der Gläubiger lägen. Darin komme gerade die Eigenart dieses Rechtsinstituts gegenüber dem Nachlassverfahren zum Ausdruck. Es sei etwa an den Fall zu denken, wo bei einer durch Grundpfand sichergestellten Anleihe der Verkauf einzelner belasteter Objekte und im Anschluss daran deren Pfandentlassung in Frage stehe und das Zustandekommen des Geschäfts im Interesse der Gläubiger liege, ohne dass deshalb eine Notlage des Schuldners vorliegen müsse (Sten.Bull. Ständerat 1932, S. 50). Bei der Beratung des geltenden Gesetzes führte Berichterstatter Schmuki im Ständerat aus, grundsätzliche Neuerungen bringe die Vorlage nicht. Zweck der Bestimmungen bleibe nach wie vor, die Sanierung von Wirtschaftsunternehmungen dadurch zu ermöglichen, dass eine bestimmte Mehrheit von Anleihensgläubigern mit Wirkung auch für die nicht zustimmende Minderheit auf gewisse Gläubigerrechte verzichte (Sten.Bull. Ständerat 1948, S. 296). In der Botschaft von 1928 wird ebenfalls hervorgehoben, dass die Bestimmungen der Gläubigergemeinschaft sich als Notwendigkeit erwiesen hätten, da ohne sie Sanierungen verunmöglicht worden wären, deren Scheitern geradezu wirtschaftliche Katastrophen herbeigeführt hätte (BBl 1928 I S. 346). Hinsichtlich der Befugnisse der Gläubigerversammlung hält der Bundesrat fest, diese könne im Rahmen des Gesetzes die Massnahmen treffen, die zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der ihr angehörenden Gläubiger geeignet seien. Der Gesetzesentwurf hebe insbesondere die Beschlüsse hervor, die gegenüber einer Notlage des Schuldners getroffen werden müssten. Daneben gebe es aber Beschlüsse, die von einer solchen Notlage unabhängig seien (BBl 1928 I S. 348). Die Botschaft von 1947 unterstreicht, dass der Bundesrat schon 1905 das Bedürfnis hervorgehoben habe, unter den zahlreichen Gläubigern aus dem gesamten Forderungsverhältnis eine nähere Verbindung herzustellen, die es ermögliche, gemeinsame Massregeln gegenüber dem Schuldner zu treffen (BBl 1947 III S. 874).
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Die Materialien lassen somit erkennen, dass die Zuständigkeit der Gläubigergemeinschaft als eine begrenzte empfunden wurde, vorab auf die Notlage des Schuldners, auf allfällige Sanierungen ausgerichtet, darüber hinaus aber auch für andere Massnahmen begründet, die sich aus den gemeinsamen Anliegen der Gläubiger rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die Äusserungen ohnehin zum Teil zeitlich weit zurückliegen, lassen die Materialien indes BGE 113 II, 283 (288)keinen eindeutigen Schluss zu. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass Vorkehren wie die gemeinsame Anhebung einer Prospekthaftungsklage nicht erwähnt werden, nicht geschlossen werden, diese sei von vornherein von der Zuständigkeit der Gläubigergemeinschaft ausgeschlossen; denn bei Erlass des Gesetzes und der früheren Vorschriften stand die Sanierung des notleidenden Schuldners angesichts der damaligen Wirtschaftslage und der Erfahrungen der Kriegs- und Krisenzeit verständlicherweise im Vordergrund.
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a) Die Anleihe ist ein in Teilbeträge aufgeteiltes Grossdarlehen auf einheitlicher Rechtsgrundlage (Zinssatz, Ausgabepreis, Laufzeit, Zeichnungsfrist und Liberierungsdatum). Gestützt auf seine Anleihensbedingungen schliesst der Anleihensnehmer mit einer Vielzahl von Darleihern selbständige Einzelverträge ab, wobei er für die Rückforderung jedes Teilbetrags dem Darleiher ein Wertpapier (Anleihensobligation) begibt (MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, Wertpapierrecht, S. 269 Rz. 3; GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 872). Die Gläubiger sind weder untereinander verbunden noch in der Regel dem Emittenten bekannt. Das wirkt sich nachteilig aus, namentlich wenn sich eine Änderung der Anleihensbedingungen aufdrängt. Die Gläubigergemeinschaft ermöglicht deshalb unter bestimmten Voraussetzungen ein gemeinsames Vorgehen der Gläubiger. Einerseits bezweckt sie die gemeinsame Wahrung der Gläubigerinteressen; andererseits ermöglicht sie dem Schuldner Sanierungsmassnahmen, ohne dass ein Nachlassverfahren eingeleitet werden muss (MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, a.a.O., S. 289 Rz. 103; GUHL/ MERZ/KUMMER, a.a.O., S. 872; JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, Wertpapierrecht, S. 92; MERZ, Obligationenrecht, Allg. Teil, in: Schweiz. Privatrecht, Bd. VI/1, S. 91). Das dürfte hauptsächlich bei finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners nötig sein, worauf Art. 1164 Abs. 1 OR ausdrücklich hinweist. Eine Anpassung an veränderte Verhältnisse kann sich aber auch sonst etwa bei unerwarteten Wertverminderungen eines zugunsten der Anleihensgläubiger bestellten Grundpfands aufdrängen (JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, a.a.O., S. 92). Auch wenn die Massnahmen im einzelnen nicht festgelegt sind, ist doch ihr Rahmen insoweit abgesteckt, als die Gläubigergemeinschaft wesensgemäss auf das Anleihensverhältnis beschränkt ist. Gemeinsame Interessen der Obligationäre im Sinn von Art. 1164 BGE 113 II, 283 (289)Abs. 1 OR liegen deshalb nur vor, wenn sie auf das Anleihensverhältnis Bezug haben (STRAESSLE, Die Vorschriften über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen (Art. 1157-1186 OR) in ihrer Anwendbarkeit auf die Gläubigergemeinschaft bei Genussscheinen nach Art. 657 OR, Diss. Freiburg 1961, S. 70 mit Hinweisen). Daraus folgt, dass die Gläubigergemeinschaft darauf beschränkt ist, auf eine Änderung der Anleihensbedingungen hinzuwirken oder Massnahmen zu treffen, die für die Erhaltung des Haftungssubstrats des Anleihensschuldners geboten erscheinen. In diesem Sinn ist sie auch befugt, die Rechte der Obligationäre im Konkurs des Schuldners wahrzunehmen (Art. 1183 OR), nicht dagegen im Nachlassvertrag (Art. 1184 OR). Nicht auf das Anleihensverhältnis gerichtete Gläubigerinteressen, selbst wenn sie gemeinsame sein sollten, kann die Gläubigergemeinschaft demnach nicht in eigenem Namen wahrnehmen.
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Diese Beschränkung ergibt sich für die im Gesetz abschliessend genannten Möglichkeiten, in die Rechte der Gläubiger einzugreifen (Art. 1170 OR; BGE 96 II 202 E. 2), ohne weiteres. Aber auch für die sogenannten übrigen Befugnisse, d.h. die Beschlüsse betreffend das Rechtsverhältnis zum Schuldner ohne Eingriffe in die Gläubigerrechte (Art. 1181 OR), kann nichts anderes gelten, da sie im Verhältnis zu jenen von untergeordneter Bedeutung sind, wobei vorab an administrative Belange gedacht ist (MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, a.a.O., S. 290 Rz. 114), und so Gewähr besteht, dass die Gewichte der Kompetenzenordnung nicht verschoben werden.
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b) Während offensichtlich ist, dass Ansprüche der Gläubiger im Verhältnis zum Anleihensschuldner auf das Anleihensverhältnis gerichtet sind, ist fraglich, wieweit das für Ansprüche gegenüber Dritten gilt. In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, die Gläubigergemeinschaft könne ausschliesslich im Rahmen der Rechtsbeziehungen zwischen den Gläubigern und dem Schuldner tätig werden; soweit ihr eine Prozessführungsbefugnis zustehe, könne sich diese lediglich auf die Erfüllungsklage beziehen (OULEVEY, Le statut juridique des obligataires, Diss. Lausanne 1929, S. 114 f.; GUBLER, Vertretung und Treuhand bei Anleihen nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1938, S. 11 und 50). Andere Autoren bejahen auch die Möglichkeit, gegen Dritte vorzugehen, so etwa ZIEGLER (N 4 zu Art. 1181 OR) im Rahmen eines Verantwortlichkeitsprozesses gegen einen Anleihensvertreter oder Pfandhalter, BECK (a.a.O. N 14 zu Art. 24 der Verordnung des Bundesrats vom 20. Februar 1918) für die Anhebung der Verantwortlichkeitsklage BGE 113 II, 283 (290)gegen Verwaltungsräte der schuldnerischen Gesellschaft oder HÜPPI (a.a.O., S. 32), welcher allgemein von der Prozessführung gegen den Schuldner oder gegen Dritte spricht. Folgt man dieser Auffassung, so kann sich nach dem Dargelegten die Anspruchsberechtigung und Prozessführungsbefugnis gegenüber Dritten nur auf Forderungen beziehen, die ihrerseits zum Anleihensverhältnis in einem unmittelbaren, rechtlichen Zusammenhang stehen, insbesondere darauf ausgerichtet sind, das Haftungssubstrat für die Anleihe zu erhalten. Dies trifft beispielsweise für eine Klage gegen den Pfandeigentümer aus Art. 808 ZGB zu. Es gilt auch für Verantwortlichkeitsansprüche aus Art. 754 f. OR, soweit diese den mittelbaren, aus dem Schaden der schuldnerischen Gesellschaft abgeleiteten Schaden betreffen (Art. 755 f. OR; BGE 110 II 393 E. 1). In diesem Fall wird durch die Verantwortlichkeitsklage unmittelbar das Vermögen der Gesellschaft und damit das Haftungssubstrat der Gesellschaftsgläubiger berührt. Soweit hingegen eine direkte Schädigung der Gläubiger in Frage steht, fehlt dieser Bezug. Gleiches gilt für die Klage aus Prospekthaftung; bei dieser kommt von vornherein nur eine direkte Schädigung der Gläubiger in Frage (Art. 752, Art. 1156 Abs. 3 OR).
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Hinzu kommt, dass das Gebot der Gleichbehandlung die Berücksichtigung bloss einzelner Gläubiger oder Gläubigergruppen ausschliesst (STRAESSLE, a.a.O., S. 108). Verantwortlichkeitsansprüche müssen sich daher in gleichem Mass in jedem einzelnen Gläubigerverhältnis verwirklichen, was nur bei mittelbaren, nicht aber bei unmittelbaren, von den individuellen Haftungsvoraussetzungen abhängenden Ansprüchen zutrifft (dazu HUREAU, Les pouvoirs des assemblées d'obligataires, Paris 1948, S. 54 f.).
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Schliesslich ist zu beachten, dass der Schutz des Anleihensobligationärs sich in drei Phasen abwickelt. Zu unterscheiden sind der vorvertragliche Schutz der Obligationäre durch den Prospektzwang, sein Schutz während der Anleihensdauer, welcher auf den vertraglichen Beziehungen zum Schuldner und den daraus fliessenden Nebenrechten, insbesondere den Kontrollrechten, gründet, sowie der verantwortlichkeitsrechtliche Schutz bei Nichterfüllung (CARRY, La protection des obligataires, in: Semaine internationale de droit, Paris 1937, Diskussionsvotum S. 152 ff.). Dabei liegt die Bedeutung der Gläubigergemeinschaft im wesentlichen im Schutz der Gläubigerrechte während der laufenden Anleihe. Prospekt- und Verantwortlichkeitsschutz (jedenfalls im Bereiche direkter Schädigung) dagegen realisieren sich individuell, in der Regel auch BGE 113 II, 283 (291)für die Gläubiger unterschiedlich, da sie von den individuell erforderlichen Haftungsvoraussetzungen abhängen (CARRY, a.a.O., S. 153 ff. Ziff. 2).
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Aus diesen Gründen ist es ausgeschlossen, dass die Gläubigergemeinschaft die Ansprüche aus Prospekthaftung gegenüber der Beklagten in eigenem Namen geltend macht. Dem steht die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Aktivlegitimation des Sachwalters eines in Liquidation stehenden Anlagefonds (BGE 100 II 52 ff.) nicht entgegen. Das Bundesgericht hat diese nur insoweit bejaht, als der Sachwalter unmittelbar zum Fondsvermögen gehörende Forderungen und damit bloss mittelbare Ansprüche der Anleger geltend macht (BGE 100 II 62). Auch aus dem zwischen den Parteien ergangenen Entscheid BGE 107 III 49 ff. ergibt sich nichts anderes, da das Bundesgericht damals nur zu entscheiden hatte, ob gültig Betreibung angehoben worden war und sich zum Umfang der Kompetenzen der Gläubigergemeinschaft nicht äusserte.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen (II. Zivilkammer) vom 6. November 1986 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
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