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Informationen zum Dokument  BGE 98 II 341  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ... ...
2. Der Zivilprozessordnung des Kantons Graubünden lässt ...
3. Das Bundesprivatrecht stellt Bestimmungen über Entstehung ...
4. Nach Art. 650 Abs. 1 ZGB hat jeder Miteigentümer das Rech ...
5. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es das Bundesrecht dem Rich ...
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50. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30 November 1972 i.S. Peretti gegen Kalberer.
 
 
Regeste
 
Ehescheidung, Aufhebung des Miteigentums unter den Ehegatten.  
 
Sachverhalt
 
BGE 98 II, 341 (342)A.- René Peretti und Rosa Kalberer heirateten am 19. Mai 1939. Rosa Peretti-Kalberer war zusammen mit ihrer Mutter Marie Kalberer und ihren Brüdern Christian und Emil Kalberer Miteigentümerin mehrerer zum landwirtschaftlichen Betrieb ihres verstorbenen Vaters gehörender Grundstücke. Am 19. August 1939 trat die Mutter ihre Miteigentumsrechte am Heimwesen an die drei Kinder ab, welche die auf den Liegenschaften lastenden Hypothekarschulden gemeinsam übernahmen. Die Eheleute Rosa und René Peretti-Kalberer schlossen hierauf am 3. Februar 1943 mit Christian und Emil Kalberer einen Vertrag, mit welchem sie das Eigentum am ganzen Heimwesen erwarben und sich verpflichteten, für alle darauflastenden Schulden aufzukommen. Am 20. Februar 1958 sahen sich die inzwischen stark verschuldeten Eheleute Peretti-Kalberer gezwungen, zur Finanzierung des ihnen gewährten Nachlassvertrages ihr Heimwesen der Bürgergemeinde Cazis zu verkaufen. Sie liessen sich jedoch ein Rückkaufs- und ein Vorkaufsrecht einräumen, so dass sie, nachdem sie für den Verkauf eines ihrer ehemaligen Grundstücke entschädigt worden waren, sich das Eigentum am landwirtschaftlichen Betrieb wieder verschaffen konnten. Sie sind heute im Grundbuch Cazis als Miteigentümer je zur Hälfte eingetragen.
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B.- Am 14. März 1968 reichte Rosa Peretti-Kalberer die Scheidungsklage ein. Ihr Ehemann verlangte widerklageweise ebenfalls die Scheidung der Ehe. Das Bezirksgericht Heinzenberg sprach in Gutheissung von Klage und Widerklage die Scheidung aus. Die güterrechtliche Auseinandersetzung verbunden mit der Teilung des Miteigentums an den Liegenschaften verwies es jedoch ad separatum, da das Beweismaterial zu wenig Aufschluss gebe, um darüber Recht sprechen zu können.
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C.- Gegen dieses Urteil erklärte der Beklagte die Berufung an das Kantonsgericht. Er beantragte die Vornahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung und die Aufteilung des Miteigentums. Im Laufe des Verfahrens zog er die Berufung jedoch zurück, soweit er damit die güterrechtliche Auseinandersetzung verlangt hatte, so dass sie lediglich für die Aufteilung des Miteigentums hängig blieb.
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BGE 98 II, 341 (343)Das Kantonsgericht wies die Berufung am 21. Februar 1972 ab. Der Begründung ist zu entnehmen, prozessrechtlich sei es zulässig, die Klage auf Scheidung mit der Klage auf Teilung des Miteigentums zu verbinden, da für beide Klagen dasselbe Gericht zuständig und dasselbe Verfahren anzuwenden sei. Indessen könne dem Begehren auf Teilung des Miteigentums nicht mehr stattgegeben werden, nachdem die güterrechtliche Auseinandersetzung infolge Rückzugs der Berufung in diesem Punkt in ein separates Verfahren verwiesen worden sei. Denn die güterrechtliche Auseinandersetzung müsse alle ehelichen Güter umfassen, unter denen sich auch die im Miteigentum stehenden Werte befänden, so dass der Antrag auf güterrechtliche Auseinandersetzung das Begehren um Teilung des Miteigentums in sich schliesse. Wohl könne dem Grundsatze nach entschieden werden, welche Miteigentumsquote jeder Partei zustehe und wie die Aufteilung durchzuführen sei; die Zuteilung der Anteile zur freien Verfügung dürfe indessen nicht erfolgen. Dies müsse dem Richter vorbehalten bleiben, der die güterrechtliche Auseinandersetzung vorzunehmen habe, da dieser sonst in seiner Entscheidung über die güterrechtliche Vermögensaufteilung allenfalls nicht mehr frei wäre und namentlich allfällige Ersatzansprüche eines Ehegatten nicht mehr durch die Zuweisung von Liegenschaften abgelten könnte. An einem Entscheid aber, der lediglich die Miteigentumsquote der Ehegatten oder die Aufteilungsart festlegen würde, ohne eine Zuweisung zu frei verfügbarem Eigentum vorzunehmen, fehle dem Beklagten das rechtliche Interesse. Die erste Instanz sei deshalb zu Recht auf den Antrag auf Teilung des Miteigentums nicht eingetreten.
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D.- Peretti hat gegen dieses Urteil Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils unter Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Vornahme der Miteigentumsteilung. Zur Begründung beruft er sich auf Art. 650 ZGB, wonach jeder Miteigentümer das Recht habe, die Teilung des Miteigentums zu verlangen.
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Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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2. Der Zivilprozessordnung des Kantons Graubünden lässt sich nicht entnehmen, welche Bedeutung der Wendung "wird ad separatum verwiesen" zukommt. Aus den Urteilen der kantonalen Instanzen und aus den Rechtsschriften ist zu schliessen, dass BGE 98 II, 341 (344)die kantonalen Gerichte die Parteien mit dieser Wendung auf den Weg einer neuen Klage verweisen wollten. Das Kantonsgericht hat dies auf Anfrage des Bundesgerichtes denn auch bestätigt.
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Der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein solches Vorgehen nicht unbekannt. Das Bundesgericht hat bereits anerkannt, dass der Richter im Scheidungsprozess die güterrechtliche Auseinandersetzung in ein besonderes Verfahren verweisen kann (vgl.BGE 62 II 167,BGE 77 II 22, BGE 95 II 66). Ob allerdings eine mit der Scheidungsklage verlangte Aufteilung des Miteigentums unter den Ehegatten auch in ein besonderes Verfahren verwiesen werden darf, musste es bisher nicht entscheiden.
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3. Das Bundesprivatrecht stellt Bestimmungen über Entstehung, Untergang und Inhalt subjektiver Rechte und der ihnen entsprechenden Pflichten auf. Sollen diese Bestimmungen wirksam sein, so müssen sie sich nötigenfalls mit Zwang durchsetzen lassen. Dies setzt aber voraus, dass diese Rechte vorher hinlänglich festgestellt werden können. Der Ansprecher eines Rechtes muss demnach die Möglichkeit haben, dem Richter die Frage des Bestandes und des Inhaltes seines behaupteten Rechtes zu unterbreiten. Dieser Anspruch entspringt mithin unmittelbar dem Bundeszivilrecht. Welchen formellen Anforderungen eine Klage zu genügen hat, um das Gericht zu Fällung einer Entscheidung in der Sache zu verpflichten, bestimmt sich indessen nach kantonalem Zivilprozessrecht. Der Richter, der sich weigert, eine nach kantonalem Prozessrecht formgerecht eingereichte Klage zu behandeln, verletzt Bundeszivilrecht (vgl. GULDENER, in ZSR 1961, II. Halbbd., S. 25; KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im Schweizerischen Recht, Bern 1954, S. 21).
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Art. 650 Abs. 3 ZGB schreibt vor, die Aufhebung des Miteigentums dürfe nicht zur Unzeit verlangt werden. Diese Bestimmung BGE 98 II, 341 (345)steht einer Aufhebung dann entgegen, wenn eine solche für die übrigen Miteigentümer oder einzelne von ihnen eine übermässige Belastung oder erhebliche Nachteile zur Folge haben müsste (vgl.BGE 47 II 57Erw. 2; MEIER-HAYOZ, N. 23 zu Art. 650 ZGB). Dabei können jedoch bloss Umstände berücksichtigt werden, die mit dem Teilungsobjekt im Zusammenhang stehen. Die Befürchtungen der Klägerin, der Beklagte könnte bei einer sofortigen Teilung seinen Teil verschleudern und wäre dann im Zeitpunkt der güterrechtlichen Auseinandersetzung ausserstande, ihre Ersatzansprüche zu befriedigen, lässt die sofortige Aufhebung des Miteigentums nicht als unzeitig erscheinen. Die Argumentation der Klägerin vermag überdies auch deshalb nicht zu überzeugen, da der Beklagte schon vor der Aufhebung des Miteigentums über seinen Anteil verfügen kann (vgl. Art. 646 Abs. 3 ZGB).
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Der Beklagte war infolgedessen berechtigt, die Aufhebung des Miteigentums zu verlangen und die kantonalen Instanzen wären grundsätzlich verpflichtet gewesen, die Klage, die nach ihren Angaben den formellen Anforderungen des kantonalen Zivilprozessrechtes genügt, materiell zu entscheiden.
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Nach konstanter Rechtsprechung (BGE 62 II 167/168,BGE 77 II 22, BGE 80 II 8, BGE 95 II 68) kann der Richter im Scheidungsprozess das Begehren um güterrechtliche Auseinandersetzung in ein besonderes Verfahren verweisen, sofern das Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung für die Beurteilung der Ansprüche auf Entschädigung oder Unterhalt nicht präjudiziell ist. Durch eine solche Verweisung ad separatum wird das Bundesrecht nicht verletzt. Es ist darin eine Ausnahme vom Grundsatz zu erblicken, nach dem der Richter ein Begehren materiell beurteilen muss, wenn es den prozessrechtlichen Anforderungen genügt und der Kläger an dessen Beurteilung ein berechtigtes Interesse hat. Diese Ausnahme rechtfertigt sich aus Zweckmässigkeitsgründen. Die Ausnahmeregelung erweist sich vor allem dann als nützlich, wenn der Scheidungspunkt umfangreicher Abklärungen bedarf, so dass die Fragen der güterrechtlichen Auseinandersetzung in den Hintergrund gedrängt werden.
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Im vorliegenden Fall bedurfte die Scheidungsfrage umfangreicher BGE 98 II, 341 (346)Abklärungen. Es wurden keine Ansprüche auf Entschädigung oder Unterhalt geltend gemacht, für die das Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der Aufteilung des Miteigentums präjudiziell wirken könnte. Die Begehren um güterrechtliche Auseinandersetzung und um Teilung des Miteigentums hängen sehr eng zusammen, was der Beklagte durch deren Verbindung vor erster Instanz selbst zum Ausdruck brachte. In der Berufungsschrift deutet er sogar an, dass er allenfalls gewillt wäre, auf die gerichtliche Ausscheidung des Vermögens zu verzichten, falls das Miteigentum geteilt werde. Besteht ein derart enger Zusammenhang zwischen beiden Begehren, dass die Beurteilung des einen das andere hinfällig werden lässt, so muss es dem Richter offen stehen, beide Begehren gleich zu behandeln. Daran vermag der Umstand,dass die Aufhebung des Miteigentums bereits früher als die güterrechtliche Auseinandersetzung hätte verlangt werden können, nichts zu ändern. War es im vorliegenden Scheidungsprozess zulässig, das Begehren um güterrechtliche Auseinandersetzung in ein besonderes Verfahren zu verweisen, so muss dies auch für das Begehren um Teilung des Miteigentums gelten. Die Vorinstanz hat demnach Bundesrecht nicht verletzt, als sie das Begehren um Teilung des Miteigentums in ein besonderes Verfahren verwies. Eine Bundesrechtsverletzung würde hingegen dann vorliegen, wenn sich die Vorinstanz geweigert hätte, das Begehren um Teilung des Miteigentums überhaupt zu beurteilen. Dies ist aber nicht der Fall. Die Verweisung ad separatum galt nur für den Scheidungsprozess. Die Berufung erweist sich somit als unbegründet.
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