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Informationen zum Dokument  BGE 126 I 76  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. Der angefochtene Entscheid betrifft die steuerrechtliche Behan ...
2. Die Beschwerdeführerin beruft sich einerseits auf Art. 4  ...
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11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. Februar 2000 i.S. Anlagestiftung X. gegen Steueramt des Kantons Aargau und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 4 aBV (Rechtsgleichheit, Allgemeinheit der Steuer), Art. 80 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) (Zulässigkeit kantonaler Grundsteuern auf Liegenschaften von Personalvorsorgeeinrichtungen); Art. 2 ÜbBest. aBV.  
 
Sachverhalt
 
BGE 126 I, 76 (76)Die in Basel domizilierte Anlagestiftung X. ist Eigentümerin verschiedener Liegenschaften in Rudolfstetten-Friedlisberg und Reinach BGE 126 I, 76 (77)(Kanton Aargau). Sie wurde für die Steuerjahre 1991/92 mit einer Grundsteuer von 2 o/oo des amtlichen Werts der Grundstücke veranlagt, wobei auf dem so ermittelten Steuerbetrag die Staatssteuer von 113% und die Gemeindesteuer von 100% bzw. 117% erhoben wurde. Die Anlagestiftung X. wandte hiergegen unter anderem ein, die Anwendung von Staats- und Gemeindesteuerfuss sei unzulässig, doch hielten die Steuerkommissionen Rudolfstetten-Friedlisberg und Reinach mit Einspracheentscheiden vom 19. März 1993 bzw. 2. Dezember 1992 an ihren Veranlagungen fest.
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Das Steuerrekursgericht und das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau wiesen die von der Anlagestiftung X. erhobenen Rechtsmittel mit Rekursentscheiden vom 24. August 1994 bzw. mit Beschwerdeentscheid vom 4. September 1996 ab.
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Das Verwaltungsgericht erwog im Wesentlichen, weder die grammatikalische noch die systematische oder die teleologische Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Steuergesetzes erlaubten es, die Frage zu beantworten, ob die Grundsteuer mit dem Staats- und Gemeindesteuerfuss zu multiplizieren sei. Doch ergebe sich dieses Auslegungsergebnis aufgrund des klaren Willens des historischen Gesetzgebers. Das derart interpretierte kantonale Recht widerspreche auch in seinen Auswirkungen nicht dem übergeordneten Bundesrecht, das Vorsorgeeinrichtungen von den direkten Steuern der Kantone und Gemeinden befreie und es diesen erlaube, von Liegenschaften solcher Einrichtungen Grundsteuern zu erheben.
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Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 4. September 1996 hat die Anlagestiftung X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 2 ÜbBest. aBV und Art. 4 aBV erhoben mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den angefochtenen Entscheid vom 4. September 1996 auf.
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Erwägungen:
 
1. Der angefochtene Entscheid betrifft die steuerrechtliche Behandlung einer Vorsorgeeinrichtung. Er stützt sich einerseits auf das kantonale Steuerrecht. Dessen Anwendung prüft das Bundesgericht grundsätzlich einzig auf seine Übereinstimmung mit dem Willkürverbot und der Rechtsgleichheit (Art. 4 aBV bzw. Art. 8 und 9 BV). Die Besteuerung der Vorsorge ist ausserdem im Bundesrecht, nämlich in den Art. 80-84 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge BGE 126 I, 76 (78)(BVG; SR 831.40) geregelt, weshalb auch der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts zu beachten ist. Der Vorrang des Bundesrechts schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, eine Rechtsetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen bzw. anwenden, die nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln (BGE 125 I 369 E. 4a; 125 II 406 E. 2a, 440 E. 2a). Ob die beanstandete kantonale Norm mit dem Bundesrecht vereinbar ist, prüft das Bundesgericht nach ständiger Praxis frei (BGE 123 I 313 E. 2b S. 317; BGE 125 II 10 E. 3 S. 15). Die Art. 80-84 BVG sind Bestimmungen, die der Steuerharmonisierung dienen; zurzeit ist deren Anwendung mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 BV) zu rügen (BGE 116 Ia 264 E. 3d S. 269 f. und E. 3g S. 272).
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a) Die Rechtsgleichheit wird auf dem Gebiet der Steuern konkretisiert durch die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie durch den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. neuerdings explizit Art. 127 Abs. 2 BV); danach sind Steuerpflichtige in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen gleich zu besteuern (BGE 122 I 101 E. 2b/aa S. 103; BGE 124 I 145 E. 4a S. 154, 159 E. 2c S. 163 f., 193 E. 3a S. 194 f. je mit Hinweisen). Der Gesetzgeber hat aber auch im Abgaberecht innert den Schranken der Verfassung weitgehende Gestaltungsfreiheit. Die Rechtsgleichheit ist nicht schon verletzt, wenn der Gesetzgeber Lösungen trifft, die nicht in jeder Hinsicht einem bestimmten wirtschaftlichen, juristischen oder finanzwissenschaftlichen System folgen (BGE 116 Ia 321 E. 3f S. 324). Das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangt auch im horizontalen Verhältnis nicht eine absolut gleiche Besteuerung bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, da auch hier die Vergleichbarkeit beschränkt ist. Der Verfassungsrichter muss sich daher bei der Überprüfung der unvermeidlich nicht vollkommenen gesetzlichen Regelung eine gewisse Zurückhaltung auferlegen, läuft er doch stets Gefahr, neue Ungleichheiten zu schaffen, BGE 126 I, 76 (79)wenn er im Hinblick auf zwei Kategorien von Steuerpflichtigen Gleichheit erzielen will (BGE 120 Ia 329 E. 3 S. 333 f.; BGE 122 I 101 E. 5a S. 108). Hinzu kommt, dass im Interesse der Praktikabilität eine gewisse Schematisierung und Pauschalierung des Abgaberechts unausweichlich und deshalb auch zulässig ist (BGE 112 Ia 240 E. 4b S. 244; BGE 124 I 193 E. 3e S. 197). Soweit keine absolute Gleichbehandlung erzielt werden kann, genügt es, wenn die gesetzliche Regelung nicht in genereller Weise zu einer wesentlich stärkeren Belastung oder systematischen Benachteiligung bestimmter Gruppen von Steuerpflichtigen führt (BGE 124 I 193 E. 3e S. 197; Urteil des Bundesgerichts vom 23. Dezember 1998 i.S. K., E. 3c).
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b) Nach Art. 80 Abs. 2 BVG sind die mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Vorsorgeeinrichtungen des privaten und des öffentlichen Rechts, soweit ihre Einkünfte und Vermögenswerte ausschliesslich der beruflichen Vorsorge dienen, von den direkten Steuern des Bundes, der Kantone und der Gemeinden und von Erbschafts- und Schenkungssteuern der Kantone und Gemeinden befreit. Es handelt sich hiebei um eine Anweisung, die sich an den Steuergesetzgeber richtet (BGE 116 Ia 264 E. 3d S. 270). Abs. 3 von Art. 80 BVG sieht als Ausnahme von der Steuerbefreiung vor, dass Liegenschaften mit Grundsteuern, insbesondere Liegenschaftssteuern vom Bruttowert der Liegenschaft, und Handänderungssteuern belastet werden dürfen.
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c) Die von der Beschwerdeführerin erhobenen strittigen Steuern stützen sich auf § 13 Abs. 2 des aargauischen Gesetzes vom 13. Dezember 1983 über die Steuern auf Einkommen, Vermögen, Grundstückgewinnen, Erbschaften und Schenkungen (Steuergesetz; StG, SAR 651.100). § 13 Abs. l StG sieht die Steuerbefreiung vor für juristische Personen mit besonderen Zwecken (s. Marginale), zu denen nebst den Sozialversicherungskassen (lit. a), öffentlichen, kirchlichen und gemeinnützigen Institutionen (lit. b) u.a. auch die Vorsorgeeinrichtungen (lit. c und d) gehören. Die Steuer nach § 13 Abs. 2 StG wird mit einem Steuersatz von 2 o/oo auf dem nach § 39 StG festgesetzten Steuerwert von Grundstücken erhoben, die der juristischen Person in der Hauptsache nur durch den Vermögenswert und den Vermögensertrag dienen, wobei ein Schuldenabzug nicht gewährt wird und die steuerbaren Vermögenswerte mit dem übrigen Vermögen nicht zusammengerechnet werden. Ausserdem unterliegen diese Grundstücke der Grundstückgewinnsteuer (ausser bei juristischen Personen nach Abs. 1 lit. b).
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Der aargauische Steuergesetzgeber sieht für andere juristische Personen keine solche Grundsteuer vor (vgl. BAUR/KLÖTI-WEBER/KOCH/MEIER/URSPRUNG, BGE 126 I, 76 (80)Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, N. 97 zu § 13), weder im Steuergesetz noch im Gesetz über die Besteuerung der Kapitalgesellschaften vom 5. Oktober 1971 (Aktiensteuergesetz; SAR 653.100). Nach dem Aktiensteuergesetz besteht eine Steuer vom Reinertrag und vom Eigenkapital (§ 9), nicht aber eine mit der vorliegenden Steuer vergleichbare Grundsteuer. Die Grundsteuer nach § 13 Abs. 2 StG ist somit eine besondere Steuer, die nur von denjenigen juristischen Personen erhoben wird, die nach Abs. 1 von § 13 StG steuerbefreit sind. Da die fragliche Grundsteuer nicht von allen Grundeigentum besitzenden juristischen Personen erhoben wird, sondern einzig von solchen, die grundsätzlich steuerbefreit sind, widerspricht diese Steuer dem Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung. Die blosse Tatsache, dass eine bestimmte Kategorie von juristischen Personen von der Besteuerung des Einkommens und Vermögens ausgenommen ist, ist kein sachlicher Grund, sie als einzige einer Grundsteuer zu unterwerfen. Wenn Art. 80 Abs. 3 BVG den Kantonen erlaubt, Liegenschaften von Vorsorgeeinrichtungen mit Grundsteuern zu belasten, steht diese Ermächtigung unter dem Vorbehalt der rechtsgleichen Besteuerung von Art. 4 aBV bzw. Art. 127 Abs. 2 BV. Der Sinn von Art. 80 Abs. 2 BVG ist, Vorsorgeeinrichtungen von den direkten Steuern des Bundes, der Kantone und der Gemeinden sowie von den Erbschafts- und Schenkungssteuern der Kantone und Gemeinden zu befreien. Wenn die Kantone eine Steuer einführen, die in rechtsungleicher Weise ausschliesslich die Liegenschaften der nach Bundesrecht steuerbefreiten Personalvorsorgeeinrichtungen erfasst, widerspricht dies dem Sinn des Bundesrechts und lässt sich dies nicht auf Art. 80 Abs. 3 BVG abstützen. Die fragliche Sondersteuer auf Liegenschaften von Personalvorsorgeeinrichtungen ist daher bundesrechtswidrig.
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In gleichem Sinne hat das Bundesgericht in Bezug auf die Schweizerischen Bundesbahnen im Kanton Bern entschieden, der auf deren Grundstücken nach Art. 217 Abs. 2 des bernischen Steuergesetzes vom 29. Oktober 1944 bei den Liegenschaftssteuern eine Verdoppelung des Steuersatzes vorgenommen hat: es hat erkannt, dass durch einen solchen rechtsungleichen Steuersatz nicht der allgemeinen Steuerpflicht unterliegende Grundeigentümer mittelbar doch zu allgemeinen Steuern herangezogen werden (nicht veröffentlichtes Urteil vom 30. Oktober 1986 i.S. Schweizerische Bundesbahnen c. Bern, E. 3c; vgl. in diesem Sinne auch RETO KUSTER, Steuerbefreiung von Institutionen mit öffentlichen Zwecken, Diss. Zürich 1997, S. 260 f., insbes. Fussnote 264).
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