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Informationen zum Dokument  BGE 94 I 255  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ... (Eintretensfrage). ...
2. Art. 60 bis KUVG, der durch Art. 16 des BG vom 18. Juni 1915 & ...
3. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass ihr Unternehmen i ...
4. In zweiter Linie richtet sich die Beschwerde gegen die rü ...
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38. Auszug aus dem Urteil vom 9. Februar 1968 i.S. Konkursverwaltung der Globe Air AG gegen das Bundesamt für Sozialversicherung.
 
 
Regeste
 
Unterstellung einer Fluggesellschaft unter die obligatorische Unfallversicherung:  
2. Begriff der "Fliegerstation" im Sinne von Art. 16 Ziff. 5 VO I (Erw. 3a).  
3. Rückwirkende Inkraftsetzung der obligatorischen Versicherung gemäss Art. 38 VO I; steht der SUVA eine gewisse Ermessensfreiheit zu? Frage offen gelassen (Erw. 4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 94 I, 255 (255)A.- Die Globe Air AG bezweckt die Durchführung von kommerziellen Flügen sowie aller weiteren zweckentsprechen den Geschäfte. Sie besass nach der Betriebsbeschreibung vom 7. Dezember 1966 vier eigene Flugzeuge und beschäftigte rund 250 Personen. Davon waren 212 Personen als Piloten, Bordpersonal, Mechaniker und Bodenpersonal tätig. Die Bodenorganisation BGE 94 I, 255 (256)befindet sich auf dem in Blotzheim gelegenen Flughafen Basel-Mülhausen. Dort unterhält die Gesellschaft einen Hangar und eigene Werkstätte für die Wartung ihrer Flugzeuge. Sie hat ihr Personal angeblich privat versichert. Im Herbst 1967 geriet sie in Konkurs.
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Am 27. Juli 1961 wurde zwischen der Schweiz und Frankreich eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach auf die Arbeiter der Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsniederlassung in der Schweiz, die auf dem für die Schweiz bestimmten Teil des Flugplatzes tätig sind, die schweizerische Gesetzgebung über die soziale Sicherheit Anwendung finden solle. Diese Regelung trat auf den 1. Oktober 1961 in Kraft.
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B.- Am 30. Dezember 1966 unterstellte die Schweiz. Unfallversicherungsanstalt (SUVA) den Flugbetrieb der Gesellschaft sowie das Bureau und die Verkaufsstellen der Flug-Reisedienst AG in Basel, Bern und Zürich gestützt auf Art. 13 Ziff. 4, Art. 16 Ziff. 5 und Art. 4 der Verordnung (VO) I über die Unfallversicherung vom 25. März 1916 (BS 8 S. 352) der obligatorischen Unfallversicherung. Der Beginn der Betriebsunfallversicherung wurde auf den 18. Juni 1965, jener der Nichtbetriebsunfallversicherung auf den 18. März 1966 festgesetzt.
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Ein gegen diese Verfügung ergriffener Rekurs, der sich gegen die Unterstellung als solche und deren Rückwirkung richtete, wurde am 1. September 1967 durch das Bundesamt für Sozialversicherung abgewiesen. Das Bundesamt nahm an, Art. 13 Ziff. 4 der VO I halte sich innerhalb des Rahmens von Art. 60 Ziff. 3 KUVG; der Betrieb der Rekurrentin sei überdies dem einer Fliegerstation im Sinne von Art. 16 Ziff. 5 der Verordnung gleichzusetzen. Art. 38 der VO I schreibe ausserdem den Zeitpunkt des Beginns der Wirksamkeit der Versicherung vor. Eine Abweichung von dieser Vorschrift sei nicht möglich, so dass die rückwirkende Inkraftsetzung der Versicherung auf die angegebenen Daten zu Recht erfolgt sei.
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C.- Gegen diesen Rekursentscheid richtet sich die vorliegende verwaltungsgerichtliche Beschwerde. Die Beschwerdeführerin beantragt, es sei die Verfügung der SUVA vom 30. Dezember 1966 und dementsprechend der Rekursentscheid des Bundesamtes für Sozialversicherung vom 1. September 1967 aufzuheben; allenfalls sei der Beginn der Versicherung auf den Beginn des dem rechtskräftigen Beschwerdeentscheid folgenden Kalenderquartals aufzuschieben.
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BGE 94 I, 255 (257)Zur Begründung wird zur Hauptsache vorgebracht: Richtig sei zwar, dass Art. 60 bis KUVG den Bundesrat ermächtige, die Versicherungspflicht u.a. auf Unternehmungen auszudehnen, in denen explodierbare oder gesundheitsgefährdende Stoffe gewerbsmässig erzeugt, im grossen verwendet oder gelagert werden oder in denen solche Stoffe auftreten. Aus dieser Bestimmung folge aber kein erweiterter Anwendungsbereich für die obligatorische Versicherung. Hingegen sei durch Art. 16 Ziff. 5 der Verordnung I der Betrieb von Luftschiff- und Flugstationen der Versicherung unterstellt worden. Unter Flugstationen seien offensichtlich Tankstellen für Luftschiffe und Flugzeuge zu verstehen. Die Luftverkehrsgesellschaften seien dagegen nicht erfasst. Es sei zwar unbestritten, dass auf dem Flugplatz Blotzheim explodierbare Stoffe im grossen verwendet und gelagert werden; das geschehe aber durch die Benzingesellschaften, die das Auftanken der Flugzeuge besorgten. Der Ort, wo aufgetankt werde, liege von der Start- und Landepiste wie auch von der Werft der Beschwerdeführerin mehrere Kilometer entfernt. Der Betrieb falle somit nicht unter Art. 16 Ziff. 5 der Verordnung I.
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Schliesslich stelle die rückwirkende Kraft der angefochtenen Verfügung in Bezug auf die Liquidität der Beschwerdeführerin eine unüberwindliche Belastung dar. Nach Art. 38 Abs. 2 VO I über die Unfallversicherung könne zwar ein Betrieb rückwirkend der Versicherung unterstellt werden; aber dies sei nicht zwingend. Die Ablösung der privaten Versicherung durch die obligatorische stelle die Beschwerdeführerin vor Probleme, die durch die rückwirkende Unterstellung unverhältnismässig verschärft würden.
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D.- Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die SUVA trägt ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde an. Sie macht geltend, es habe dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, das gesamte Transportwesen der obligatorischen Unfallversicherung zu unterstellen. Dies sei in Art. 12 Ziff. 4 und Art. 13 Ziff. 4 der Verordnung I über die Unfallversicherung geschehen. Es stehe ausserdem fest, dass die Beschwerdeführerin für ihren Flugbetrieb explodierbare Stoffe (Benzin) im grossen verwende. Das Personal halte sich im Bereich dieser Stoffe auf. Diese Gefährdung allein rechtfertige die obligatorische Unfallversicherung. Auf die rückwirkende Bestimmung der Unterstellungsverfügung könne BGE 94 I, 255 (258)jedenfalls dann nicht verzichtet werden, wenn Ansprüche erhoben würden wegen eines Unfalles, der sich in der Zeit, auf die die Rückwirkung ausgedehnt werde, ereignet hat. Die vom 18. Juni 1966 datierte Meldung des Unfalles Hassenforder habe Anlass zur Unterstellung geboten. Obwohl dieser Unfall sich am 6. Mai 1965, also noch vor Inkraftsetzung der Versicherung, zugetragen habe, sei die Anstalt bereit, Leistungen im Rahmen des KUVG zu erbringen.
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E.- Der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde am 18. Oktober 1967 aufschiebende Wirkung erteilt.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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2. Art. 60 bis KUVG, der durch Art. 16 des BG vom 18. Juni 1915 über die Ergänzung der Kranken- und Unfallversicherung (BS 8 S. 319 ff.) eingeführt worden ist, ermächtigt den Bundesrat, die obligatorische Unfallversicherung über die in Art. 60 KUVG aufgezählten Betriebe hinaus auf bestimmte Arten anderer Unternehmungen zu erstrecken. Gemäss Art. 60 bis Ziff. 1 lit. b und d KUVG gehören zu diesen Unternehmungen auch solche, in denen explodierbare oder gesundheitsgefährliche Stoffe gewerbmässig erzeugt, im grossen verwendet oder im grossen gelagert werden, oder in denen solche Stoffe auftreten. Art. 60 ter KUVG verpflichtet den Bundesrat, in den Ausführungsvorschriften zu Art. 60 und 60 ter KUVG die Arten von Unternehmungen und Betrieben, deren Angehörige obligatorisch versichert sind, näher zu bezeichnen. Diesem Auftrag ist der Bundesrat u.a. in Art. 16 der Verordnung I über die Unfallversicherung am 25. März 1916 nachgekommen. Dies ist insbesondere der Fall in Ziff. 5, wo er den Betrieb von Luftschiff- und Fliegerstationen der Versicherungspflicht unterstellt.
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a) Die Verordnung umschreibt den Begriff der "Fliegerstation" nicht näher. Das Wort Fliegerstation ist dem Wort "Bahnstation" nachgebildet. Schon nach dem Sprachgebrauch sind demnach unter Fliegerstation Anlagen zu verstehen, auf BGE 94 I, 255 (259)denen Flugzeuge landen und starten, auf denen sie mit Treibstoff versehen und überholt werden. Ist die Bezeichnung auch auf die Verhältnisse der Luftfahrt zugeschnitten, die zur Zeit des Erlasses der Verordnung (März 1916) bestanden haben, so ist ihr Sinn dennoch klar. Es sind mit ihr alle technischen Anlagen gemeint, die direkt dem Flugverkehr dienen und dem Flugplatz funktionell eingegliedert sind. Auf diesen Anlagen werden Benzinvorräte im grossen verwendet und gelagert. Daraus ergibt sich die Gefährlichkeit dieser Anlagen und die Notwendigkeit eines besonderen versicherungsrechtlichen Schutzes, wie ihn das KUVG anstrebt. Belanglos ist, ob alle Anlagen im Eigentum einer einzigen Person stehen.
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Die Beschwerdeführerin unterhält in Blotzheim Anlagen, die zum Flughafen gehören. Insbesondere besitzt sie einen Hangar und Werkstätten zur Wartung ihrer Flugzeuge; sie lässt auf dem Flughafen auch ihre Tanks auffüllen. Wie wichtig dieser Teil des Unternehmens ist, geht schon aus der Tatsache hervor, dass dort 127 Personen eingesetzt sind. Nicht entscheidend ist, dass die von der Beschwerdeführerin betriebenen Anlagen für sich genommen keine vollständige Flugplatzorganisation darstellen. Unerheblich ist überdies, dass die Tankanlagen - nach der Darstellung der Beschwerdeführerin - abseits von den Hangars und Werkstätten der Gesellschaft gebaut sind und von Benzinfirmen bedient werden. Auch ihre Anlagen und ihr Personal schaffen Betriebsgefahren und sind solchen ausgesetzt. Daraus folgt, dass ihr Betrieb unter den Begriff "Fliegerstation" fällt und dass die obligatorische Unfallversicherung mit Recht auf ihr Personal ausgedehnt worden ist.
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b) Ist die Unterstellung unter die Versicherungspflicht gestützt auf Art. 16 Ziff. 5 VO I gegeben, kann offen bleiben, ob die Beschwerdeführerin auch in Anwendung von Art. 13 Ziff. 4 VO als pflichtig zu erklären wäre und wie es sich mit der - von der Beschwerdeführerin bestrittenen - Gesetzmässigkeit dieser Bestimmung verhält.
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Das Bundesamt für Sozialversicherung geht davon aus, Art. 38 Abs. 2 VO I lasse dem Ermessen der Anstalt hinsichtlich der Anordnung des Beginnes der Versicherung keinen Raum. Die Anstalt beansprucht dagegen eine gewisse Ermessensfreiheit (vgl. VEB 1946/47 Nr. 114). Wie es sich damit verhält, muss nicht entschieden werden. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht. Das Bundesgericht kann daher nicht frei prüfen, ob die Verwaltung von dem ihr allenfalls zustehenden Ermessen einen richtigen Gebrauch gemacht habe (BGE 89 I 340 Erw.11). Es kann auch im vorliegenden Falle nur bei Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens durch die SUVA eingreifen. Von einer Überschreitung oder einem Missbrauch kann hier keine Rede sein. Die Voraussetzungen für die Unterstellung waren schon am 1. Oktober 1961 gegeben. Dann aber war es angezeigt, die Unterstellungsverfügung soweit mit rückwirkender Kraft auszustatten, als das die Verordnung erlaubt. Hiezu kommt, dass die SUVA als öffentliche Anstalt des Bundes bei der Erfüllung der von der Schweiz gegenüber Frankreich übernommenen Verpflichtung, wonach das schweizerische Sozialrecht in den von der Übereinkunft (vom 27. Juli 1961) erfassten Fällen anzuwenden ist, mitzuwirken hatte. Wenn die Beschwerdeführerin tatsächlich eine private Versicherung für ihr Personal abgeschlossen hat, ist diese nach Art. 4 des Ergänzungsgesetzes zum KUVG vom 18. Juni 1915 bei der Festsetzung der Prämien zu berücksichtigen. Die Beschwerdeführerin wird demnach nicht unbillig belastet, auch wenn sie in finanziellen Schwierigkeiten steckt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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