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Informationen zum Dokument  BGE 103 Ib 144  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Im vorliegenden Verfahren hat das Bundesgericht nur zu prü ...
2. Der Regierungsrat ist auf die von Margot Korn eingereichte Bes ...
3. a) Ebenso wäre in allen jenen Fällen zu entscheiden, ...
4. Es ist demnach zu prüfen, ob der Regierungsrat die Beschw ...
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25. Auszug aus dem Urteil vom 18. März 1977 i.S. Korn gegen Fischer und Regierungsrat des Kantons Schwyz
 
 
Regeste
 
Verfahren; Art. 97 ff. OG.  
2. Nichteintreten mangels Legitimation nach kantonalem Verfahrensrecht. Sieht ein Kanton für eine Streitigkeit des Bundesverwaltungsrechts, welche mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht weitergezogen werden kann, eine Beschwerdeinstanz vor, so darf er hinsichtlich der Beschwerdebefugnis nicht strengere Anforderungen stellen als sie Art. 103 lit. a OG für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht (E. 3).  
3. Art. 103 lit. a OG. Anfechtung einer Baubewilligung durch die Eigentümerin einer benachbarten Liegenschaft. Schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Abänderung der Baubewilligung im konkreten Fall bejaht (E. 4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 103 Ib, 144 (145)Josef Fischer ist Eigentümer eines Landwirtschaftsbetriebes in der Gemeinde Greppen (LU). Das zum Betrieb gehörende Land liegt zum Teil in der Gemeinde Küssnacht (SZ). Auf diesem im Kanton Schwyz gelegenen Teil seiner Liegenschaft möchte Josef Fischer ein Einfamilienhaus erstellen. Gegen sein Baugesuch vom 6. Februar 1976 erhob Margot Korn, die Eigentümerin der Nachbarliegenschaft, Einsprache beim Bezirksrat Küssnacht. Dieser bewilligte das Bauvorhaben am 21. April 1976 und wies die Einsprache am 11. Mai 1976 ab. Hiegegen rekurrierte Margot Korn an den Regierungsrat des Kantons Schwyz. Dieser trat mit Beschluss vom 26. Juli 1976 auf die Beschwerde nicht ein, weil der Beschwerdeführerin nach kantonalem Recht die Rechtsmittelbefugnis fehle. Sie vermöge im Sinne von § 37 lit. a der schwyzerischen Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege vom 6. Juni 1974 (VRP) kein eigenes, unmittelbares und schützenswertes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids darzutun.
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Margot Korn erhebt gegen den Beschluss des Regierungsrates vom 26. Juli 1976 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie macht eine Verletzung von Art. 4 BV, Art. 20 GSchG, Art. 26 und 27 AGSchV, Art. 1 und 6 der V über Abwasserleitungen, Art. 4 BMR sowie Art. 3 VV zum BMR geltend. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und Josef Fischer sei die Baubewilligung für das geplante Einfamilienhaus zu verweigern, eventuell sei die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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BGE 103 Ib, 144 (146)Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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a) Schliesst ein auf kantonales Verfahrensrecht gestützter Nichteintretensentscheid die Anwendung von Bundesverwaltungsrecht aus, so behandelt das Bundesgericht eine Beschwerde gegen einen solchen Entscheid als Verwaltungsgerichtsbeschwerde (BGE 100 Ib 370; BGE 99 Ib 394; BGE 98 Ib 336). Dabei kann es aber die Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts nur auf eine Verletzung von Bundesrecht überprüfen (Art. 104 lit. a OG) und nicht auch auf eine solche von kantonalem Recht, weil mit einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Verletzung von kantonalem Recht nicht geltend gemacht werden kann. Dabei fällt praktisch vor allem - wie bei einer staatsrechtlichen Beschwerde - eine Prüfung der Verletzung verfassungsmässiger Rechte und Grundsätze in Betracht, wobei häufig nur die Anrufung von Art. 4 BV in Frage kommt (vgl. BGE a.a.O.; BGE 99 V 185; 56).
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Auch im vorliegenden Fall ist in dieser Beziehung nur zu prüfen, ob der Regierungsrat allenfalls bei der Anwendung und Auslegung von § 37 lit. a VRP in Willkür verfallen ist.
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b) Nach § 37 lit. a VRP sind "Parteien und beiladungsberechtigte Dritte des vorinstanzlichen Verfahrens, die an der Aufhebung oder Änderung einer Verfügung oder eines Entscheides ein eigenes, unmittelbares und schützenswertes Interesse dartun", BGE 103 Ib, 144 (147)zur Einreichung eines Rechtsmittels befugt. Diese Bestimmung lässt der Auslegung durch die rechtsanwendende Verwaltungsbehörde einen erheblichen Spielraum, so dass jedenfalls im Rahmen des Willkürverbotes im vorliegenden Fall die vom Regierungsrat vorgenommene Auslegung nicht beanstandet werden kann, obschon sich wohl auch die Bejahung der Beschwerdebefugnis hätte vertreten lassen. Da keine andere Bestimmung des Bundesrechts in Frage steht, müsste dies somit zur Abweisung der Beschwerde führen.
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3. a) Ebenso wäre in allen jenen Fällen zu entscheiden, in denen das kantonale Verfahrensrecht hinsichtlich der Anforderungen an die Beschwerdebefugnis klarerweise nicht soweit geht wie Art. 103 lit. a OG für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Dies hat aber zur Folge, dass in diesen Fällen ein grösserer Personenkreis zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt ist als zur Beschwerde bei der kantonalen Rekursinstanz. Je nach dem, wer von einer Verfügung gleichen Inhalts betroffen ist, ergibt sich mithin für dieselbe Streitigkeit des Bundesverwaltungsrechts ein unterschiedlicher Instanzenzug. Angesichts dieser unbefriedigenden prozessualen Rechtslage hat sich das Eidg. Versicherungsgericht auf den Standpunkt gestellt, wer aus eigenem Recht Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen könne, müsse auch im kantonalen Beschwerdeverfahren aus eigenem Recht legitimiert sein; es hat deshalb angenommen, Art. 103 lit. a OG sei insofern auch auf das kantonale Verfahren anzuwenden und es sei in dieser Beziehung von einem bundesrechtlichen Begriff der Beschwerdelegitimation auszugehen (BGE 101 V 123 E. 1a; BGE 98 V 54 f. E. 1).
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Mit Rücksicht auf die Einheit des Prozesses und im Hinblick auf den Rechtsschutz der Betroffenen rechtfertigt es sich, diese Rechtsprechung allgemein aufzunehmen. Zwar kann der Bund nach geltendem Recht in der Regel von den Kantonen nicht verlangen, dass sie für ein bestimmtes Rechtsgebiet eine kantonale Rechtsmittelinstanz bereitstellen. Es steht demnach den Kantonen auch frei, ob sie insbesondere eine Beschwerdeinstanz vorsehen wollen für Streitigkeiten, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor Bundesgericht gebracht werden können. Hat aber ein Kanton eine Rechtsmittelinstanz für solche Streitigkeiten eingerichtet, so ist er in der Ausgestaltung des Instanzenzuges auch von Bundesrechts wegen an BGE 103 Ib, 144 (148)bestimmte Grundsätze gebunden. Er hat dabei in erster Linie zu berücksichtigen, dass der Rechtsmittelweg der Verwirklichung des materiellen Bundesrechts dienen soll; er hat aber auch zu beachten, dass die einzelnen Rechtssuchenden grundsätzlich Anspruch auf gleichen Rechtsschutz haben. Sieht ein Kanton für eine Streitigkeit des Bundesverwaltungsrechts, welche mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht weitergezogen werden kann, eine Beschwerdeinstanz vor, so darf er deshalb hinsichtlich der Beschwerdebefugnis nicht strengere Anforderungen stellen als sie Art. 103 lit. a OG für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht. Nebst der erwähnten unerwünschten Uneinheitlichkeit des Verfahrens hätte dies für diejenigen, die zwar zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt sind, nicht aber im kantonalen Rekursverfahren legitimiert sind, eine ungerechtfertigte Verkürzung des Rechtsschutzes zur Folge. Sie könnten im Vergleich zu jenen, die auch im kantonalen Verfahren legitimiert sind, den kantonalen Instanzenzug nicht voll ausschöpfen (vgl. BGE 99 Ia 322 E. 4).
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Demnach hat das Bundesgericht bei einer Beschwerde gegen einen Nichteintretensentscheid mangels Legitimation nach kantonalem Recht diesen Nichteintretensentscheid auch auf eine Verletzung von Art. 103 lit. a OG zu überprüfen. Art. 103 lit. a OG gilt mithin als Minimalvorschrift für das kantonale Rechtsmittelverfahren in Streitigkeiten des Bundesverwaltungsrechts, die der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht unterliegen.
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b) Dem steht auch die Regelung des Art. 1 Abs. 3 VwVG nicht entgegen, wonach auf das Verfahren letzter kantonaler Instanzen, die gestützt auf öffentliches Recht des Bundes nicht endgültig verfügen, nur einige wenige Bestimmungen des VwVG ausdrücklich als anwendbar erklärt werden. Das Eidg. Versicherungsgericht hat bereits in anderem Zusammenhang auf die Lückenhaftigkeit dieser Regelung hingewiesen (BGE 96 V 142 E. 1). Allerdings hat das Bundesgericht diese in einem bestimmten Fall verneint und aus der in Art. 1 Abs. 3 VwVG enthaltenen Aufzählung abgeleitet, dass über die dort genannten Fälle hinaus die Kantone von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet seien, einer Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen (BGE 102 Ib 225 f.). Damit lässt sich indessen der vorliegende Fall nicht vergleichen. Aus BGE 103 Ib, 144 (149)der in Art. 1 Abs. 3 VwVG enthaltenen abschliessenden Aufzählung lässt sich inbezug auf die Frage der Beschwerdebefugnis nichts Schlüssiges ableiten.
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c) Schliesslich ist festzuhalten, dass sich die Frage einer erweiterten Anwendung bundesrechtlicher Verfahrensvorschriften auf das kantonale Rechtsmittelverfahren im Rahmen dieser Beschwerde nur inbezug auf Art. 103 lit. a OG stellt. Ob sich allenfalls eine entsprechende Folgerung auch für andere verfahrensrechtliche Bestimmungen oder Begriffe - wie beispielsweise die Kognition - aufdrängt, ist hier nicht zu prüfen und kann daher offenbleiben.
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a) Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, "wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat". Danach steht die Beschwerdebefugnis ausser Zweifel, wenn der Beschwerdeführer sich gegen eine Verfügung wendet, die ihm selber eine Verpflichtung auferlegt oder ein Recht abspricht. Das Rechtsschutzinteresse des im vorausgegangenen Verfahren benachteiligten Beschwerdeführers liegt dort auf der Hand. Er ist durch derartige Verfügungen berührt und hat ein schutzwürdiges, anerkanntes Interesse an ihrer Anfechtung, weil sie einen praktischen, wirtschaftlichen oder anders gearteten Nachteil für ihn bedeutet. Der Rechtsschutz steht ihm offen, damit er versuchen kann, die Aufhebung oder Änderung der für ihn unvorteilhaften Verfügung zu erreichen (BGE 99 Ib 106 E. 1a mit weiteren Hinweisen). Schwierigkeiten bereitet die Anwendung von Art. 103 lit. a OG aber namentlich dann, wenn jemand - wie hier - eine Verfügung anficht, durch die ein anderer begünstigt wird (vgl. BGE a.a.O.).
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b) Die in Art. 103 lit. a OG gestellten Anforderungen sollen die Popularbeschwerde ausschliessen. Deshalb kann sich auf diese Bestimmung nicht berufen, wer durch die angefochtene Verfügung nicht mehr als irgend jemand oder die Allgemeinheit betroffen wird. Der Beschwerdeführer muss durch die Verfügung in höherem Mass als jedermann besonders oder unmittelbar berührt sein, und sein Interesse an der Aufhebung oder Abänderung der Verfügung muss sich aus einer nahen BGE 103 Ib, 144 (150)Beziehung zum Gegenstand des Streites ergeben (BGE 100 Ib 337 E. 2c mit weiteren Hinweisen).
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c) Nach diesen Grundsätzen würde es im vorliegenden Fall für die Legitimation der Beschwerdeführerin nicht genügen, lediglich auf die Tatsache abzustellen, dass Margot Korn Nachbarin von Josef Fischer ist. Es muss ein zusätzlicher, konkreter Anhaltspunkt vorliegen für einen praktischen Nachteil, der ihr aus der angefochtenen Verfügung erwächst, damit ihr inbezug auf die Anfechtung der in Frage stehenden Verfügung die Beschwerdelegitimation zuerkannt werden kann. Ein solcher Anhaltspunkt ist hier gegeben, indem die Beschwerdeführerin Unterliegerin am Scheidbach ist, in den die Abwässer der geplanten Baute eingeleitet werden sollen. Der Scheidbach führt unmittelbar neben dem Haus "Juch" der Beschwerdeführerin vorbei, und es sind Immissionen - nicht zuletzt durch den Gestank des Baches - nicht auszuschliessen. Der Regierungsrat wendet demgegenüber allerdings ein, die Beschwerdeführerin habe sich im kantonalen Verfahren ausschliesslich auf ihre Eigenschaft als Nachbarin berufen und eine besondere Legitimation nicht dargetan. Dieser Einwand vermag indessen nicht durchzudringen. Zwar ist eine solche Darlegung gemäss § 37 lit. a VRP erforderlich. Inbezug auf Art. 103 lit. a OG ist indessen die Legitimation als Prozessvoraussetzung von Amtes wegen abzuklären. Im übrigen hat der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin anlässlich des vom Regierungsrat durchgeführten Augenscheins ausdrücklich auf die zu befürchtende Überlastung des Scheidbaches hingewiesen, wie dem den kantonalen Akten beigelegten Protokoll zu entnehmen ist.
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Angesichts der praktischen Auswirkung, die die angefochtene Verfügung des Bezirksrates Küssnacht auf die Beschwerdeführerin hat, muss ihr ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Abänderung der Baubewilligung an Josef Fischer zugebilligt werden. Der Regierungsrat ist somit zu Unrecht auf die Beschwerde von Margot Korn nicht eingetreten.
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d) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach gutzuheissen, und die Sache ist zur materiellen Entscheidung an den Regierungsrat zurückzuweisen. Es ist für die Beschwerdebefugnis gemäss Art. 103 lit. a OG und für den Erfolg der Beschwerde unerheblich, ob der Beschwerdeführerin inbezug BGE 103 Ib, 144 (151)auf das anzuwendende Bundesrecht subjektiv ein Recht zusteht. Ist ein hinreichendes prozessuales Rechtsschutzinteresse nachgewiesen, aufgrund dessen die Beschwerdebefugnis zu bejahen ist, so ist anschliessend ohne Rücksicht auf die Stellung der Beschwerdeführerin zum materiellen Recht zu untersuchen, ob die angefochtene Verfügung auf richtiger Anwendung des objektiven Rechts beruht. Die Verfügung ist mithin auf ihre Rechtmässigkeit zu überprüfen unabhängig davon, ob die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzt worden ist bzw. ob ein Verstoss gegen bundesrechtliche Normen vorliegt, denen in gewisser Hinsicht eine Schutzwirkung zugunsten der Beschwerdeführerin zukommt (BGE 99 Ib 108 E. 1c; BGE 101 Ib 109 ff.; GYGI, Eidgenössische und kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZBJV 112/1976, S. 289 f.; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, 2. A., S. 101)...
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Schwyz vom 26. Juli 1976 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an den Regierungsrat zurückgewiesen.
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