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Informationen zum Dokument  BGE 107 Ia 107  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Beschwerdeführerin rügt, das Verwaltungsgericht  ...
2. Die Beschwerdeführerin rügt zudem, das Verwaltungsge ...
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21. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. September 1981 i.S. Imstepf gegen Kanton Wallis und Verwaltungsgericht des Kantons Wallis (staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 4 BV; Erbschafts- und Schenkungssteuer.  
 
Sachverhalt
 
BGE 107 Ia, 107 (107)Am 12. September 1978 verstarb Rudolf Jossen, wohnhaft gewesen in Birgisch/VS. In seinem Testament vom 27. November 1971 hatte er Marie Imstepf für den Fall, dass "Ägerten" verkauft werde und der Kaufpreis von Fr. 85'000.-- eingehe, Fr. 80'000.-- vermacht, und zwar "in erster Linie als Entgelt für ihre 30jährige Mitarbeit im Haushalt und in der Landwirtschaft", und unter der Voraussetzung, dass sie bis zu seinem oder ihrem Tode bei ihm BGE 107 Ia, 107 (108)bleibe. Für den Fall des Nichtverkaufes des Gutes hatte Rudolf Jossen Marie Imstepf das Landgut "Ägerten" vermacht. Mit Datum vom 21. November 1978 veranlagte die Steuerverwaltung des Kantons Wallis für das Vermächtnis von Fr. 80'000.-- eine Erbschafts- und Schenkungssteuer von Fr. 20'000.--. Diese Veranlagung bestritt Marie Imstepf mit der Begründung, es handle sich hier nicht um eine Schenkung, sondern um das Entgelt für rückständigen Lohn. Die Steuerverwaltung anerkannte einen Teilbetrag von Fr. 10'000.-- als Lohn für die vermehrte Hilfe und Pflege während der Krankheit des Erblassers und reduzierte die Veranlagung auf Fr. 17'500.--.
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Dagegen reichte die Steuerpflichtige bei der kantonalen Steuerrekurskommission eine Beschwerde ein, welche mit Entscheid vom 21. März 1980 abgewiesen wurde.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Wallis bestätigte diesen Entscheid am 17. Februar 1981. Der Erblasser und die Steuerpflichtige hätten über 35 Jahre lang miteinander einen gemeinsamen Haushalt geführt. Während all diesen Jahren habe die Steuerpflichtige niemals vom Erblasser ein Entgelt für ihre Arbeit im Haushalt und in der Landwirtschaft verlangt oder erwartet. Sie habe auch nie in ihrer Steuererklärung einen bar- oder Naturallohn deklariert. Daraus habe die Vorinstanz mit Recht geschlossen, dass kein Dientsverhältnis bestanden habe. Die Summe von Fr. 80'000.-- könne deshalb nicht nachträglich als Lohnzahlung anerkannt werden. Für das Nichtbestehen eines Dienstvertrages berief sich das Verwaltungsgericht auf BGE 87 II 164, BGE 90 II 443 und BGE 95 II 126.
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Die Steuerpflichtige führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Sie beantragt, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Im Urteil des Verwaltungsgerichts wird nirgends ausdrücklich von einem Konkubinatsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem Erblasser gesprochen. Die Beschwerdeführerin musste aber nach den Umständen annehmen, das Verwaltungsgericht habe seinem Entscheid gleichwohl das Vorliegen eines Konkubinatsverhältnisses zugrunde gelegt, weil es hauptsächlich auf BGE 107 Ia, 107 (109) BGE 87 II 164 verweist, dem ein Konkubinatsverhältnis zugrunde lag.
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Im vorliegenden Fall erklärt das Verwaltungsgericht aber in seiner Vernehmlassung selbst, dass nie von einem Konkubinatsverhältnis die Rede war. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass kein Konkubinatsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem Erblasser bestand.
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a) Nach Art. 112 Abs. 1 lit. c StG unterliegen Leistungen aus einem Dienstverhältnis, sofern sie der Einkommenssteuer unterliegen, nicht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Damit werden Vermächtnisse privilegiert, die zur nachträglichen Erfüllung einer zu Lebzeiten nicht erfüllten Entgeltzahlungspflicht ausgesetzt werden. Das Verwaltungsgericht hat zwar erkannt, dass die Unterstellung des Vermächtnisses unter diese Bestimmung von der zivilrechtlichen Vorfrage abhängt, ob der Erblasser der Beschwerdeführerin einen Lohn nach Art. 320 Abs. 2 OR schuldete. Es hat jedoch diese Frage ohne vertiefte Abklärung im Lichte von Lehre und Rechtsprechung verneint.
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b) Massgebend für die Bejahung der Erfüllung einer Lohn- oder Entgeltforderung ist nicht der Umstand, dass der Erblasser als Motiv für sein Vermächtnis die 30jährige Mitarbeit der Beschwerdeführerin angab. Dies kann lediglich ein Indiz dafür sein, welches möglicherweise mit der Bestimmung des Testamentes, dass das Vermächtnis dahingefallen wäre, wenn die Beschwerdeführerin den Erblasser verlassen hätte, abgeschwächt wird. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beschwerdeführerin dann, wenn der Erblasser ihr kein Vermächtnis ausgesetzt hätte, eine Lohnforderung im Sinne von Art. 320 Abs. 2 OR gegen die Erben hätte durchsetzen können. Dies trifft nach Art. 320 Abs. 2 OR dann zu, wenn die Beschwerdeführerin Arbeit im Dienste des Erblassers leistete, die normalerweise nach den Umständen nur gegen Lohn oder mindestens gegen eine allfällige spätere Alterssicherung zu erwarten war. Die Frage, auf welche Umstände es bei der Anwendung von Art. 320 Abs. 2 OR ankommt, beurteilt sich dabei im BGE 107 Ia, 107 (110)vorliegenden Fall nicht nach BGE 87 II 164, sondern nach BGE 90 II 443 und 95 II 126. Das Verwaltungsgericht erwähnte zwar diese beiden Entscheide, setzte sich aber mit ihnen nicht näher auseinander. Insbesondere BGE 95 II 131 mit Hinweisen auf OSER/SCHÖNENBERGER (N. 3 bis 6 zu Art. 320 OR) und VON TUHR (§ 21 Ziff. 7) geben klare Auskunft über Sinn und Tragweite von Art. 320 Abs. 2 OR. Das Bundesgericht hat dazu ausgeführt: "L'art. 320 al. 2 CO permet d'apporter, en équité, un tempérament à la rigueur de la situation de celui qui n'a pas réclamé de salaire parce qu'il comptait être rétribué ultérieurement d'une autre manière et qui voit déçue cette attente légitime à la suite d'un événement imprévu ... ; ... peu importe que les parties aient en fait renoncé momentanément de part et d'autre à une rémunération. Il faut et il suffit, pour que le salaire soit dû, qu'il s'agisse d'un travail qui, selon les circonstances objectives, devait normalement être rétribué" (BGE 95 II 131 /2; Praxis 1969 S. 510).
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Die neuere Lehre hat diese Rechtsprechung durchaus gebilligt; sie hat höchstens angenommen, sie sei noch zu engherzig. So wird etwa geschrieben: "Der Umstand, dass in unserer Zeit Arbeit, wenn nicht besondere Verhältnisse vorliegen, in der Regel nur in Erwartung des Lohnes geleistet wird, spricht im Zweifel für die Anwendung von Art. 320 Abs. 2 OR. Letztlich soll das Prinzip, dass jede Arbeit ihren Lohn wert ist, verwirklicht und die Ausnützung einer Arbeitskraft unterbunden werden" (VISCHER, Der Arbeitsvertrag, in Schweiz. Privatrecht Bd. VII/1, S. 326). Art. 320 Abs. 2 OR soll also gerade auch bei der Erbteilung zum Zuge kommen, wenn der Erblasser sein ganzes Vermögen seinen gesetzlichen oder eingesetzten Erben zukommen lässt, und die Person, die ihm Jahre lang treue Dienste geleistet hat, ohne einen Barlohn zu beziehen, leer ausgehen lässt. Im vorliegenden Fall wäre es im höchsten Masse stossend, wenn das ganze Reinvermögen an Bruder, Schwester und weitere Erben des elterlichen Stammes gegangen wären, ohne dass die Beschwerdeführerin etwas erhalten hätte.
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c) Weil zwischen der Beschwerdeführerin und dem Erblasser ein Dienstverhältnis im Sinne von Art. 320 Abs. 2 OR bestand, unterliegt das Vermächtnis des Erblassers nach Art. 112 Abs. 1 lit. c StG nicht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Auch die steuerrechtliche Literatur anerkennt, dass dann, wenn das Vermächtnis als Erfüllung einer Lohnschuld anzusehen ist, die Zuwendung der Einkommenssteuer und nicht der Erbschaftssteuer untersteht; ebenso anerkennt sie, dass Vermächtnisse zur Erfüllung BGE 107 Ia, 107 (111)einer Naturalobligation nicht unter die Erbschaftssteuer fallen (SIEVEKING, La nature et l'objet de l'impôt sur les successions en Suisse, Thèse Lausanne 1970, S. 44). Weiter wird erklärt, es sei stossend, wenn man den Arbeitnehmer bei derartigen Vermächtnissen in die schärfste Progressionsklasse verweise. Es müsse streng auf die Causa abgestellt werden; wenn die Zuwendung gesamthaft als nachträgliche Anerkennung für geleistete Dienste zu werten sei, stehe die Leistung von der Causa her der Gratifikation oder der Kapitalabfindung näher als den Vermächtnissen; neben der Einkommenssteuer seien gegebenenfalls auch die Sozialabgaben zu bezahlen (BÖCKLI, Indirekte Steuern und Lenkungssteuern, 1975, S. 365).
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Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Es ist deshalb nicht entscheidend, dass die Beschwerdeführerin selber nie einen Naturallohn deklariert und sich gegenüber den Steuerbehörden bisher nicht als Arbeitgeberin des Erblassers bekannt hatte. Zwar darf eine solche Steuererklärung von den Steuerbehörden als Hinweis gewertet werden, wonach vom Steuerpflichtigen bezogene Bar- und Naturalleistungen nicht im Rahmen eines Arbeitsvertrags vereinbart wurden und auch nicht Gegenleistungen für Dienste darstellen, welche nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten sind (Art. 320 Abs. 2 OR), so etwa wenn sie in einem familienrechtlichen Verhältnis (oder nach der Praxis von BGE 87 II 164 in einem Konkubinat) geleistet wurden. Im Falle der Beschwerdeführerin durfte sich die Veranlagungsbehörde auf ihre Steuererklärung nicht verlassen. Auch die Steuerbehörden haben, wenn die objektiven Voraussetzungen des Art. 320 Abs. 2 OR gegeben sind, vom gesetzlichen Bestehen eines Arbeitsvertrags und von dem daraus folgenden gesetzlichen Lohnanspruch (VISCHER, a.a.O., S. 326) auszugehen.
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d) Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die von der Lehre gebilligte Rechtsprechung des Bundesgerichts im vorliegenden Falle davon absehe, Art. 320 Abs. 2 OR zum Zuge kommen zu lassen. Diese These ist angesichts der klaren Äusserungen in der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur schlechthin unhaltbar und muss als willkürlich qualifiziert werden. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.
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e) Die Frage, ob und wieweit die Beschwerdeführerin noch für Einkommenssteuern und Sozialabgaben früherer Jahre belangt werden kann, muss in diesem Verfahren nicht geprüft werden.
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BGE 107 Ia, 107 (112)Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Wallis vom 17. Februar 1981 wird aufgehoben.
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