EuGH Rs. C-310/97, Slg. 1999, S. I-5363 - Kommission ./. AssiDomän Kraft Products u.a.
 
Urteil
des Gerichtshofes
vom  14. September 1999
In der Rechtssache
-- C-310/97 --
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Wils, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Centre Wagner, Kirchberg, Luxemburg, Rechtsmittelführerin,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Zweite erweiterte Kammer) vom 10. Juli 1997 in der Rechtssache T-227/95 (AssiDomän Kraft Products u.a./Kommission, Slg. 1997, II-1185) wegen Aufhebung dieses Urteils, andere Verfahrensbeteiligte: AssiDomän Kraft Products AB, Stockholm, Iggesunds Bruk AB, Örnsköldsvik (Schweden), Korsnäs AB, Gävle (Schweden), MoDo Paper AB, Örnsköldsvik (Schweden), Södra Cell AB, Växjö (Schweden), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Falun (Schweden), Svenska Cellulosa AB, Sundsvall (Schweden), vertreten durch Solicitor John E. Pheasant, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Loesch & Wolter, 11, rue Goethe, Luxemburg, Klägerinnen im ersten Rechtszug,
erläßt
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn, J.-P. Puissochet, G. Hirsch und P. Jann sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann, J. L. Murray, D. A. O. Edward, H. Ragnemalm, L. Sevón, M. Wathelet (Berichterstatter) und R. Schintgen, Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 8. Dezember 1998, in der die Kommission durch W. Wils und die anderen Verfahrensbeteiligten durch die Solicitors J. E. Pheasant und M. Levitt vertreten waren
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Januar 1999 folgendes
 
Urteil
1.Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Schriftsatz, der am 4. September 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 10. Juli 1997 in der Rechtssache T-227/95 (AssiDomän Kraft Products u.a./Kommission, Slg. 1997, II-1185; angefochtenes Urteil) eingelegt, mit dem dieses die Entscheidung der Kommission im Schreiben vom 4. Oktober 1995 (Entscheidung vom 4. Oktober 1995) für nichtig erklärt hatte, mit der der Antrag der anderen Verfahrensbeteiligten (Klägerinnen) abgelehnt worden war, im Licht des Urteils des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85 (Ahlström Osakeyhtiö u.a./Kommission, Slg. 1993, I-1307; Urteil Zellstoff) die Rechtmäßigkeit der Entscheidung 85/202/EWG der Kommission vom 19. Dezember 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/29. 725  Zellstoff; ABl. 1985, L 85, S. 1; Zellstoffentscheidung) zu überprüfen.
 
Der dem Gericht vorliegende Sachverhalt
2. Dem Rechtsmittel liegt folgender, sich aus dem angefochtenen Urteil ergebender Sachverhalt zugrunde.
3. In der Zellstoffentscheidung stellte die Kommission fest, daß ein Teil von deren 43 Adressaten gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag (dann Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag, jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG) u.a. dadurch verstoßen hatte, daß er die Preise für gebleichten Sulfatzellstoff abgestimmt hatte.
4. Artikel 1 der Zellstoffentscheidung führte die Verstöße gegen Artikel 85 auf, die die Kommission festgestellt hatte, weiter die betroffenen Adressaten und die fraglichen Zeiträume.
5. In Artikel 1 Absatz 1 der Zellstoffentscheidung stellte die Kommission fest, daß die schwedischen Adressaten mit Ausnahme von Billerud-Uddeholm und Uddeholm AB sowie finnische, amerikanische, kanadische und norwegische Erzeuger sich über die "für Lieferungen in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft angekündigten Preise für gebleichten Sulfatzellstoff" während des gesamten Zeitraums von 1975 bis 1981 oder während eines Teils dieses Zeitraums abgestimmt hatten. Nach Artikel 1 Absatz 2 hatten alle schwedischen Adressaten gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstoßen, indem sie sich über die in der Gemeinschaft jedenfalls Abnehmern von gebleichtem Sulfatzellstoff in Belgien, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich in Rechnung gestellten tatsächlichen Verkaufspreise abgestimmt hatten.
6. In Artikel 3 der Zellstoffentscheidung erlegte die Kommission nahezu allen Adressaten der Entscheidung, darunter neun der schwedischen Adressaten, Geldbußen von 50 000 bis 500 000 ECU auf.
7. Diese schwedischen Adressaten erhoben gegen die Zellstoffentscheidung keine Nichtigkeitsklage, sondern entrichteten ihre Geldbußen. Hingegen erhoben 26 andere der ursprünglich 43 Adressaten der Zellstoffentscheidung oder ihre Rechtsnachfolger nach Artikel 173 EWG-Vertrag (dann Artikel 173 EG-Vertrag, jetzt nach Änderung Artikel 230 EG) Nichtigkeitsklage beim Gerichtshof.
8. Der Gerichtshof hat mit dem Urteil Zellstoff Artikel 1 Nummern 1 und 2 der Zellstoffentscheidung für nichtig erklärt, mit denen Verstöße gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag festgestellt worden waren. Er hat weiter die Geldbußen aufgehoben oder herabgesetzt, die den klägerischen Unternehmen auferlegt worden waren.
9. Der erhebliche Teil des Tenors des Urteils Zellstoff lautet wie folgt:
    "1) Artikel 1 Nr. 1 der Entscheidung 85/202/EWG der Kommission vom 19. Dezember 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag wird aufgehoben.
    2) Artikel 1 Nr. 2 der genannten Entscheidung wird aufgehoben.
    (...)
    7) Die gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbußen mit Ausnahme derjenigen, die die Finncell betrifft, und derjenigen, die gegen Canfor, MacMillan, St. Anne und Westar festgesetzt worden sind, werden aufgehoben; letztere werden auf 20 000 ECU herabgesetzt. (...)"
10. Im Anschluß an dieses Urteil haben die Klägerinnen, die keine Nichtigkeitsklage gegen die Zellstoffentscheidung erhoben hatten, mit Schreiben vom 24. November 1993 bei der Kommission beantragt, ihre Rechtslage im Licht des Urteils zu überprüfen, selbst wenn sie nicht Adressaten dieses Urteils seien, und die gezahlten Geldbußen zu erstatten, soweit sie jeweils über 20 000 ECU hinausgingen, den Betrag also, den der Gerichtshof bei bestimmten anderen Klägerinnen für Verstöße aufrechterhalten hatte, deren Feststellung nicht aufgehoben worden war. Sie brachten namentlich vor, daß sie sich hinsichtlich der Punkte 1 und 2 des Tenors des Urteils Zellstoff in derselben Position befänden wie die übrigen Hersteller; daß der Gerichtshof die Feststellung der Kommission aufgehoben habe, daß die Adressaten der Zellstoffentscheidung sich über die Preise für gebleichten Sulfatzellstoff sowie über die Verkaufspreise in der Gemeinschaft abgestimmt hätten, müsse auch für sie gelten.
11. Nach einem Schriftwechsel, in dessen Verlauf die Klägerinnen und die Kommission ihre jeweilige Auffassung dazu darlegten, ob die Wirkungen des Urteils Zellstoff auf diejenigen Adressaten der Zellstoffentscheidung erstreckt werden könnten, die diese nicht fristgerecht angefochten hatten, lehnte es das für Wettbewerbssachen zuständige Mitglied der Kommission mit Schreiben vom 4. Oktober 1995 ab, dem Antrag der Klägerinnen auf Erstattung nachzukommen. In diesem Schreiben heißt es:
    "I do not see any possibility to accept your request. Article 3 of the decision imposed a fine on each of the producers on an individual basis. Consequently, in point 7 of the operative part of its judgment, the Court annulled or reduced the fines imposed on each of the undertakings who were applicants before it. In the absence of an application of annulment on behalf of your clients, the Court did not and indeed could not annul the parts of Article 3 imposing a fine on them. It follows that the obligation of the Commission to comply with the judgment of the Court has been fulfilled in its entirety by the Commission reimbursing the fines paid by the successful applicants. As the judgment does not affect the decision with regard to your clients, the Commission was neither obliged nor indeed entitled to reimburse the fines paid by your clients.
    As your clients' payment is based on a decision which still stands with regard to them, and which is binding not only on your clients but also on the Commission, your request for reimbursement cannot be granted."
    [Ich kann Ihrem Verlangen nicht Folge leisten. Artikel 3 der Entscheidung legte den Herstellern jeweils für sich eine Geldbuße auf. Demgemäß hat der Gerichtshof in Nummer 7 des Tenors die Geldbußen aufgehoben oder herabgesetzt, die den Unternehmen auferlegt worden waren, die vor ihm Klage erhoben hatten. Da Ihre Mandanten keine Nichtigkeitsklage erhoben hatten, hob der Gerichtshof die Teile des Artikels 3 nicht auf, die ihnen Geldbußen auferlegt hatten; er konnte dies auch nicht tun. Die Kommission ist ihrer Verpflichtung, dem Urteil des Gerichtshofes nachzukommen, somit in vollem Umfang dadurch gerecht geworden, daß sie die von den erfolgreichen Klägerinnen gezahlten Geldbußen erstattet hat. Da das Urteil die Entscheidung insoweit nicht berührt, als sie Ihre Mandanten betrifft, war die Kommission weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, die von Ihren Mandanten gezahlten Geldbußen zu erstatten.
    Da die Zahlung durch Ihre Mandanten auf einer Entscheidung beruht, die ihnen gegenüber nach wie vor Bestand hat und nicht nur Ihre Mandanten, sondern auch die Kommission bindet, kann Ihrem Erstattungsersuchen nicht stattgegeben werden.]
12. Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 15. Dezember 1995 bei der Kanzlei des Gerichts einging, Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 4. Oktober 1995 erhoben.
 
Die Klage vor dem Gericht
13. Die Klägerinnen haben einen einzigen Klagegrund vorgebracht: Die Kommission habe mit ihrer Entscheidung vom 4. Oktober 1995 die Rechtsfolgen des Urteils Zellstoff verkannt.
14. Zum einen haben die Klägerinnen geltend gemacht, die Kommission habe das gemeinschaftsrechtliche Prinzip verkannt, daß ein Nichtigkeitsurteil die angefochtene Entscheidung erga omnes und ex tunc vernichte.
15. Zum anderen haben die Klägerinnen geltend gemacht, die Kommission habe gegen Artikel 176 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 233 Absatz 1 EG) verstoßen. Dort heißt es: "Das oder die Organe, denen das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt oder deren Untätigkeit als vertragswidrig erklärt worden ist, haben die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergebenden Maßnahmen zu ergreifen."
16. Diese Bestimmung verpflichte die Kommission, Maßnahmen nicht nur im Hinblick auf die Prozeßparteien, sondern auch im Hinblick auf andere Betroffene zu ergreifen. Die Kommission habe daher ähnliche Fälle im Licht des Urteils Zellstoff, insbesondere seiner Begründung, überprüfen müssen. Das ergebe sich aus dem Urteil vom 26. April 1988 in den Rechtssachen 97/86, 193/86, 99/86 und 215/86, Asteris u.a./Kommission, Slg. 1988, 2181).
 
Das angefochtene Urteil
17. Das Gericht hat den ersten Teil des Klagegrundes zurückgewiesen.
18. Es hat in den Randnummern 56 und 57 zunächst entschieden, daß die Zellstoffentscheidung zwar in Form nur einer Entscheidung abgefaßt und veröffentlicht sei, gleichwohl aber ein Bündel von Individualentscheidungen darstelle, mit denen festgestellt werde, welcher Verstoß oder welche Verstöße dem jeweiligen Adressaten zur Last gelegt würden, und mit denen diesem gegebenenfalls eine Geldbuße auferlegt werde, was im übrigen auch dem Wortlaut des verfügenden Teils der Entscheidung, namentlich den Artikeln 1 und 3, entspreche.
19. Gericht hat in Randnummer 58 festgestellt, daß die Zellstoffentscheidung, soweit ein Adressat für sich keine Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 EG-Vertrag gegen sie eingereicht habe, in allen Teilen Bestand habe und verbindlich bleibe (ebenso Urteil vom 9. März 1994 in der Rechtssache C-188/92, TWD Textilwerke Deggendorf, Slg. 1994, I-833, Randnr. 13).
20. In Randnummer 60 des angefochtenen Urteils hat es daraus gefolgert, daß der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nur über den Streitgegenstand entscheiden könne, der ihm von den Parteien vorgelegt werde. Eine Entscheidung wie die Zellstoffentscheidung könne daher nur insoweit für nichtig erklärt werden, als ihre Adressaten mit ihrer Klage vor dem Gemeinschaftsrichter obsiegt hätten.
21. In Randnummer 61 heißt es dementsprechend, daß die Nummern 1 und 2 des Tenors des Urteils Zellstoff dahin zu verstehen seien, daß Artikel 1 der Zellstoffentscheidung nur insoweit für nichtig erklärt worden sei, als er die vor demGerichtshof obsiegenden Parteien betreffe. Das werde durch Nummer 7 des Tenors des Urteils bestätigt, der "die gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbußen" aufhebe oder herabsetze.
22. Hingegen hat das Gericht dem zweiten Teil des Klagegrundes stattgegeben.
23. Es hat zunächst in Randnummer 69 ausgeführt, der Wortlaut des Artikels 176 EG-Vertrag schließe es nicht aus, daß die aus einem Nichtigkeitsurteil zu ziehenden Folgen über den Kreis der Kläger hinausgingen.
24. Insoweit stützt sich das Gericht in Randnummer 70 auf das Urteil vom 22. März 1961 in den Rechtssachen 42/59 und 49/59 (Snupat/Hohe Behörde, Slg. 1961, 158, 172 ff.).
25. In den Randnummer 71 f. führt es aus, dieses Urteil könne aufgrund dreier Feststellungen auf den vorliegenden Fall übertragen werden.
26. Zum einen seien die vom Gerichtshof für nichtig erklärten und die nicht im Klageweg angefochtenen Individualentscheidungen aufgrund desselben Verwaltungsverfahrens getroffen worden.
27. Zum anderen seien gegen die Klägerinnen Geldbußen wegen Verstößen gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verhängt worden, deren Feststellung im Hinblick auf die anderen Adressaten der Handlung, die Klage gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag erhoben hätten, mit dem Urteil Zellstoff aufgehoben worden sei.
28. Zum dritten stützten sich die Individualentscheidungen gegen die Klägerinnen auf eben die Sachverhaltsfeststellungen und wirtschaftlichen und rechtlichen Erörterungen, die mit dem Urteil aufgehoben worden seien.
29. Unter Berufung auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kommt das Gericht in Randnummer 72 zu dem Schluß, daß das betroffene Organ unter diesen Umständen gemäß Artikel 176 EG-Vertrag gehalten sein könne, auf einen Antrag hin, der binnen vernünftiger Frist gestellt werde, zu prüfen, ob es Maßnahmen auch im Hinblick auf die Adressaten der Handlung treffen müsse, die keine Nichtigkeitsklage erhoben hätten.
30. In Randnummer 73 hat das Gericht festgestellt, es seien die Verpflichtungen zu erörtern, die sich aus dem Urteil Zellstoff ergäben; insbesondere sei im Licht der zuvor genannten Grundsätze zu ermitteln, inwieweit dieses Urteil die Kommission verpflichte, die Rechtslage der schwedischen Adressaten im Hinblick auf die Zellstoffentscheidung zu überprüfen; dabei seien sowohl der Tenor wie die Begründung zu erörtern.
31. Es hat in Randnummer 74 darauf hingewiesen, daß die Kommission nicht nur den Tenor des Urteils, sondern auch die Gründe, die zu diesem geführt hätten, beachten müsse, da diese exakt die Bestimmung benennten, die als rechtswidrig angesehen werde, und die spezifischen Gründe der im Tenor festgestellten Rechtswidrigkeit erkennen ließen (Urteil Asteris u.a./Kommission, Randnr. 27).
32. Es hat dann in Randnummer 84 ausgeführt, selbst wenn bestimmte "Unterlagen es erlaubten, gegenüber bestimmten schwedischen Adressaten die Feststellungen des verfügenden Teils der Zellstoffentscheidung ganz oder teilweise aufrechtzuerhalten (siehe hierzu die Schlußanträge des Generalanwalts Darmon in der mit Urteil vom 31. März 1993 entschiedenen Rechtssache, Nrn. 464 bis 476), so änderte dies doch nichts daran, daß der Gerichtshof den Hauptbeweis nicht anerkannt hat, den die Kommission gegen sämtliche Adressaten der Zellstoffentscheidung herangezogen hatte, um eine Preisabstimmung und damit einen Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag zu belegen". Hieraus folge, daß das Urteil Zellstoff die Feststellungen betreffend die schwedischen Adressaten offenkundig beeinflussen könne.
33. Das Gericht kam damit in Randnummer 85 zu der Auffassung, daß die Kommission nach Maßgabe des Artikels 176 EG-Vertrag und des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung gehalten gewesen sei, im Licht des Urteils Zellstoff die Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung insoweit zu überprüfen, als diese die schwedischen Adressaten betroffen habe, und auf der Grundlage einer solchen Überprüfung zu entscheiden, ob die gezahlten Geldbußen zu erstatten seien.
34. Es hat in Randnummern 86 und 87 weiter erwogen, daß das Urteil TWD Textilwerke Deggendorf dieser Lösung nicht entgegenstehe, da sie die Klägerinnen nicht in die Lage versetze, die Klagefristen und damit die Bestandskraft der Zellstoffentscheidung ihnen gegenüber zu umgehen. In der Rechtssache TWD Textilwerke Deggendorf habe dieses Unternehmen versucht, im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung geltend zu machen, die es nicht innerhalb der Frist des Artikels 173 angefochten habe. Im vorliegenden Fall betreffe die gerichtliche Kontrolle hingegen nicht die ursprüngliche Entscheidung, also die Zellstoffentscheidung, sondern eine neue, gemäß Artikel 176 EG-Vertrag getroffene Entscheidung. Die Klage gegen diese Entscheidung sei also zulässig.
35. In Randnummer 92 hat das Gericht erwogen, daß die Kommission, sollte sie auf der Grundlage einer Überprüfung der Zellstoffentscheidung im Licht der Begründung des Urteils Zellstoff zu dem Ergebnis kommen, daß bestimmte Feststellungen von Verstößen der schwedischen Adressaten gegen Artikel 85 rechtswidrig seien, berechtigt sei, die im Zusammenhang mit diesen Feststellungen gezahlten Geldbußen zu erstatten. Bei dieser Fallgestaltung sei die Kommission auch nach den Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der ordnungsgemäßen Verwaltung gehalten, diese Geldbußen, für die es keine Rechtsgrundlage gebe, zu erstatten, solle Artikel 176 nicht jede praktische Wirksamkeit verlieren.
36. Da die Entscheidung der Kommission vom 4. Oktober 1995 insofern rechtsfehlerhaft sei, als sie davon ausgehe, daß die Kommission weder verpflichtet noch berechtigt sei, die von den Klägerinnen gezahlten Geldbußen zu erstatten, hat das Gericht sie für nichtig erklärt.
 
Das Rechtsmittel
37. Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf drei Gründe: einen Verstoß gegen Artikel 176 EG-Vertrag, eine Verkennung der Artikel 173 und 189 EG-Vertrag (dieser jetzt Artikel 249 EG) sowie einen Widerspruch in der Begründung.
38. Zum ersten Rechtsmittelgrund bringt die Kommission vor, das Gericht habe die Pflichten zu weit gefaßt, die sich nach Artikel 176 aus einem Urteil des Gerichtshofes ergäben, indem es sie verpflichtet habe, die Lage von Adressaten einer Entscheidung zu überprüfen und von ihnen gezahlte Geldbußen zu erstatten, die diese Entscheidung nicht fristgerecht im Klagewege angefochten hätten.
39. Wie das Gericht in Randnummer 56 des angefochtenen Urteils selbst ausgeführt habe, sei eine Entscheidung wie die Zellstoffentscheidung "zwar in Form nur einer Entscheidung abgefaßt und veröffentlicht, stell[e] aber ein Bündel von [Individual]entscheidungen dar, mit denen festgestellt [werde], welcher Verstoß oder welche Verstöße den jeweiligen Adressaten zur Last gelegt w[ü]rden, und mit denen diesen gegebenenfalls eine Geldbuße auferlegt [werde]". Nach Randnummer 60 des angefochtenen Urteils könne eine solche Entscheidung "daher nur insoweit für nichtig erklärt werden, als ihre Adressaten mit ihrer Klage vor dem Gemeinschaftsrichter obsiegt" hätten; nach Randnummer 58 habe sie für die Adressaten Bestand, die keine Nichtigkeitsklage eingereicht hätten, und bleibe für sie verbindlich.
40. Hieraus folge zwangsläufig, daß "die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergebenden Maßnahmen" im Sinne des Artikels 176 EG-Vertrag nur in der Erstattung der Geldbußen bestünden, die denjenigen Adressaten auferlegt worden seien, die vor dem Gemeinschaftsrichter obsiegt hätten. Die Kommission sei darüber hinaus nicht verpflichtet, die Entscheidungen für die Adressaten zu überprüfen, die keine Nichtigkeitsklage eingereicht hätten, da diese Entscheidungen vom Urteil des Gerichtshofes nicht betroffen seien.
41. Jede andere Auslegung des Artikels 176 verstoße im übrigen gegen den Gleichheitssatz, da die Klägerinnen im Verhältnis zu den Unternehmen einen ungerechtfertigten Vorteil zögen, die anders als sie das insbesondere finanzielle Risiko eingegangen seien, eine Nichtigkeitsklage zu erheben. Hätten diese Unternehmen nicht obsiegt, so hätten die Klägerinnen ihnen sicher nicht vorgeschlagen, die Kosten zu teilen; da sie nunmehr obsiegt hätten, wollten sich die Klägerinnen als Trittbrettfahrer betätigen.
42. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, das Gericht habe gegen Artikel 173 EG-Vertrag zweifach sowie gegen Artikel 189 EG-Vertrag verstoßen.
43. Zum einen werde nach dem Urteil TWD Textilwerke Deggendorf eine Entscheidung, die von ihrem Adressaten nicht innerhalb der Frist des Artikels 173 EG-Vertrag angefochten werde, ihm gegenüber bestandskräftig.
44. Das angefochtene Urteil erlaube es dem Adressaten einer beschwerenden Entscheidung, die nicht fristgerecht angefochten worden sei, sie nach mehreren Jahren in der Folge eines Urteils in Frage zu stellen, mit dem eine aufgrund desselben Verwaltungsverfahrens ergangene ähnliche Entscheidung für nichtig erklärt worden sei. Damit werde die Zweimonatsfrist des Artikels 173 ihres Inhalts entleert.
45. Zum anderen verkenne das angefochtene Urteil den stillschweigend in Artikel 173 EG-Vertrag enthaltenen Grundsatz, daß niemand eine Klage für Rechnung eines anderen erheben könne. Nach Artikel 173 könne eine natürliche oder juristische Person nur gegen Entscheidungen Klage erheben, die gegen sie ergangen seien oder sie unmittelbar und individuell beträfen.
46. Schließlich verstoße das angefochtene Urteil gegen Artikel 189 EG-Vertrag, da es den Einzelfallcharakter der Entscheidungen verkenne. Eine Verordnung habe Rechtswirkungen nicht nur gegenüber den Parteien vor dem Gerichtshof, sondern auch gegenüber allen Personen, auf die sie Anwendung finde. Anders verhalte es sich bei einer Entscheidung, die ein Verwaltungsakt sei. Fechte ein Adressat eine an ihn gerichtete Entscheidung erfolgreich an, so betreffe dies nur seine Rechtslage.
47. Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, die Begründung in den Randnummern 55 bis 63 des angefochtenen Urteils widerspreche derjenigen in den Randnummern 64 bis 95.
48. Es sei widersprüchlich, einerseits festzustellen, daß die Entscheidungen, mit denen den schwedischen Adressaten Geldbußen auferlegt worden seien, vom Urteil Zellstoff nicht für nichtig erklärt worden seien, so daß sie Bestand hätten und verbindlich blieben, und zum anderen festzustellen, daß diese Entscheidungen infolge der Verkündung dieses Urteils keine Rechtsgrundlage hätten, so daß diese Geldbußen den Adressaten zu erstatten seien.
 
Rechtliche Würdigung
49. Das Rechtsmittel wirft die Frage auf, ob das Organ, das im Rahmen eines gemeinsamen Verfahrens mehrere ähnliche Individualentscheidungen erlassen hat, mit denen Geldbußen auferlegt wurden, dann, wenn nur einige der Adressaten eine Nichtigkeitsklage erhoben und mit ihr obsiegt haben, auf Antrag anderer Adressaten im Licht der Begründung des Nichtigkeitsurteils die Rechtmäßigkeit der nicht angefochtenen Entscheidungen zu überprüfen und zu entscheiden hat, ob auf der Grundlage dieser Überprüfung die entrichteten Geldbußen zu erstatten sind.
50. Die Klägerinnen haben sich vor dem Gericht nur auf Artikel 176 EG-Vertrag berufen; diese Bestimmung liegt dem angefochtenen Urteil zugrunde. Sie verpflichtet das Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, nur dazu, die sich aus dem Nichtigkeitsurteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.
51. Die Wirkung dieses Urteils ist in zweierlei Hinsicht beschränkt.
52. Zum einen darf der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nicht ultra petita entscheiden (siehe Urteile vom 14. Dezember 1962 in den Rechtssachen 46/59 und 47/59, Meroni/Hohe Behörde, Slg. 1962, 837, 854, und vom 28. Juni 1972 in der Rechtssache 37/71, Jamet/Kommission, Slg. 1972, 483, Randnr. 12); die Nichtigerklärung darf daher nicht über den Antrag des Klägers hinausgehen.
53. Erhebt also ein Adressat einer Entscheidung Nichtigkeitsklage, so wird der Gemeinschaftsrichter nur mit den Teilen der Entscheidung befaßt, die diesen Adressaten betreffen. Diejenigen Teile, die andere Adressaten betreffen, die die Entscheidung nicht angefochten haben, sind nicht Teil des Streitgegenstands, über den der Gemeinschaftsrichter zu entscheiden hat.
54. Zum anderen erfaßt die absolute Verbindlichkeit eines Nichtigkeitsurteils eines Gemeinschaftsgerichts (vgl. insbesondere Urteile vom 21. Dezember 1954 in denRechtssachen 1/54, Frankreich/Hohe Behörde, Slg. 19541955, 7, 36, und 2/54, Italien/Hohe Behörde, Slg. 19541955, 81, 113, sowie vom 11. Februar 1955 in der Rechtssache 3/54, Assider/Hohe Behörde, Slg. 19541955, 132) zwar sowohl den Tenor als auch die tragenden Gründe der Entscheidung, hat aber nicht die Nichtigkeit einer Handlung zur Folge, die zwar aus demselben Grund rechtswidrig sein soll, vor dem Gemeinschaftsrichter aber nicht angefochten ist.
55. Die Berücksichtigung der Begründung, die die spezifischen Gründe der vom Gemeinschaftsrichter festgestellten Rechtswidrigkeit erkennen läßt (siehe u.a. Urteil vom 12. November 1998 in der Rechtssache C-415/96, Spanien/Kommission, Slg. 1998, I-6993, Randnr. 31), hat nämlich nur den Zweck, die genaue Bedeutung des Tenors zu bestimmen. Ein Punkt der Begründung eines Nichtigkeitsurteils hat keine Verbindlichkeit für Personen, die nicht Partei des Verfahrens waren und für die das Urteil daher keine wie auch immer geartete Entscheidung enthalten kann.
56. Auch wenn Artikel 176 das betreffende Organ verpflichtet, anstelle der für nichtig erklärten Handlung keine Handlung zu setzen, die eben die Fehler aufweist, die im Nichtigkeitsurteil festgestellt wurden, besagt diese Bestimmung somit entgegen dem, was das Gericht in den Randnummern 69, 72 und 85 festgestellt hat, nicht, daß das Organ auf Antrag von Betroffenen identische oder ähnliche, an andere Adressaten als den Kläger gerichtete Entscheidungen überprüfen müßte, die denselben Fehler aufweisen sollen.
57. Weiter wird nach ständiger Rechtsprechung eine Entscheidung, die vom Adressaten nicht innerhalb der Fristen des Artikels 173 EG-Vertrag angefochten worden ist, ihm gegenüber bestandskräftig (siehe u.a. Urteil vom 17. November 1965 in der Rechtssache 20/65, Collotti/Gerichtshof, Slg. 1965, 1112, und TWD Textilwerke Deggendorf, Randnr. 13).
58. In Anwendung dieses Grundsatzes hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, daß ein Mitgliedstaat anläßlich eines von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens auf dem Umweg über Artikel 184 EG-Vertrag (jetzt Artikel 241 EG) nicht die Gültigkeit einer auf der Grundlage des Artikels 93 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 2 EG) an ihn gerichteten Entscheidung bestreiten könne, wenn er die Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage habe verstreichen lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Oktober 1978 in der Rechtssache 156/77, Kommission/Belgien, Slg. 1978, 1881, Randnr. 20, und vom 10. Juni 1993 in der Rechtssache C-183/91, Kommission/Griechenland, Slg. 1993, I-3131, Randnr. 10).
59. Ebenso hat der Gerichtshof entschieden, daß eine Partei mit einer Schadensersatzklage vorgehen könne, ohne durch irgendeine Vorschrift dazu gezwungen zu sein, die Nichtigerklärung der rechtswidrigen Maßnahme, die ihr einen Schaden verursacht habe, zu betreiben, daß sie auf diesem Weg aber nicht die Unzulässigkeit eines Nichtigkeitsantrags umgehen könne, der sich auf dieselbe Rechtswidrigkeit beziehe und dieselben finanziellen Zwecke verfolge (vgl. u.a. Urteile vom 12. November 1981 in der Rechtssache 543/79, Birke/Kommission und Rat, Slg. 1981, 2669, Randnr. 28, und in der Rechtssache 799/79, Bruckner/Kommission und Rat, Slg. 1981, 2697, Randnr. 19, sowie vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 175/84, Krohn/Kommission, Slg. 1986, 753, Randnr. 33).
60. Weiter hat der Gerichtshof im Urteil TWD Textilwerke Deggendorf entschieden, daß es gegen Artikel 173 EG-Vertrag verstieße, wenn der Empfänger einer staatlichen Beihilfe, der eine Entscheidung der Kommission, nach der diese Beihilfe rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, im Wege der Nichtigkeitsklage innerhalb der Frist des Artikels 173 Absatz 5 EG-Vertrag hätte anfechten können, dies aber unterlassen hat, vor den nationalen Gerichten unter Berufung auf die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung gegen deren Durchführung vorgehen könnte. Damit könnte er sich nämlich der Bestandskraft entziehen, die die Entscheidung nach Ablauf der Klagefrist ihm gegenüber erlangt hat.
61. Diese Rechtsprechung beruht namentlich auf der Erwägung, daß die Klagefristen die Rechtssicherheit gewährleisten sollen, indem sie verhindern, daß Gemeinschaftshandlungen mit Rechtswirkungen zeitlich unbeschränkt in Frage gestellt werden können, sowie auf den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege und der Verfahrensökonomie.
62. Schließlich stellt ein Nichtigkeitsurteil des Gerichtshofes oder des Gerichts nach ständiger Rechtsprechung nur für die Verfahrensparteien und für andere Personen, die von der für nichtig erklärten Handlung unmittelbar betroffen sind, einen neuen Umstand dar, der die Klagefristen erneut in Gang setzt (Urteile vom 17. Juni 1965 in der Rechtssache 43/64, Müller/Räte der EWG, EAG und EGKS, Slg. 1965, 520, 537, vom 14. Dezember 1965 in der Rechtssache 52/64, Pfloeschner/Kommission, Slg. 1965, 1290, 1299, vom 21. Februar 1974 in den Rechtssachen 15/73 bis 33/73, 52/73, 53/73, 57/73 bis 109/73, 116/73, 117/73, 123/73, 132/73 und 135/73 bis 137/73, Kortner u.a./Rat, Kommission und Parlament, Slg. 1974, 177, Randnr. 38, und vom 8. März 1988 in der Rechtssache 125/87, Brown/Gerichtshof, Slg. 1988, 1619, Randnr. 13).
63. Der Grundsatz der Rechtssicherheit, der den in den Randnummern 57 bis 62 zitierten Entscheidungen zugrunde liegt, erlaubt somit nicht die Annahme, daß das Organ, das im Rahmen eines gemeinsamen Verfahrens mehrere ähnliche Individualentscheidungen erlassen hat, mit denen Geldbußen auferlegt wurden, dann, wenn nur einige Adressaten eine Klage auf Nichtigerklärung der sie betreffenden Entscheidungen erhoben und mit ihr obsiegt haben, auf Antrag anderer Adressaten im Licht der Begründung des Nichtigkeitsurteils die Rechtmäßigkeit der nicht angefochtenen Entscheidungen zu überprüfen und zu entscheiden hat, ob auf der Grundlage dieser Überprüfung die entrichteten Geldbußen zu erstatten sind.
64. Die Klägerinnen sind jedoch der Auffassung, daß das Gericht die Grundsätze richtig angewandt hat, die sich aus den Urteilen vom 22. März 1961, Snupat/Hohe Behörde und Asteris u.a./Kommission, ergeben.
65. Die Rechtssachen Snupat/Hohe Behörde und Asteris u.a./Kommission betrafen jedoch Fallgestaltungen, die sich von der des vorliegenden Verfahrens unterscheiden.
66. Im Urteil vom 22. März 1961, Snupat/Hohe Behörde, hat der Gerichtshof aufgrund einer ganz außergewöhnlichen Fallgestaltung die Verpflichtungen der Hohen Behörde extensiv ausgelegt, die diese infolge des Urteils vom 17. Juli 1959 in den Rechtssachen 32/58 und 33/58 (Snupat/Hohe Behörde, Slg. 19581959, 289) trafen.
67. Zum einen hatte die Snupat die ihr eröffneten Klagewege systematisch ausgeschöpft; hingegen haben die Klägerinnen die in Artikel 173 Absatz 5 EG-Vertrag vorgesehene Zweimonatsfrist verstreichen lassen. Die Snupat hatte zunächst eine Freistellung von der Verpflichtung zu Beiträgen zu einer Ausgleichskasse beantragt und sich dabei auf Freistellungen berufen, die die Hohe Behörde zwei anderen Erzeugern gewährt hatte; gegen die Ablehnung hat sie Nichtigkeitsklage erhoben. Nachdem der Gerichtshof diese Klage mit Urteil vom 17. Juli 1959 abgewiesen hatte, hat sie bei der Hohen Behörde beantragt, die den beiden anderen Erzeugern gewährten Freistellungen mit rückwirkender Kraft zu widerrufen, und gegen die ablehnende Entscheidung der Hohen Behörde über diesen zweiten Antrag eine weitere Klage vor dem Gerichtshof erhoben, der stattgegeben wurde.
68. Zum anderen verursachten die den beiden anderen Erzeugern gewährten Freistellungen der Snupat einen direkten Schaden im Rahmen des damaligen Ausgleichssystems, da sie deren Produktionskosten verringerten und diejenigen der Snupat in Anbetracht der Neufestsetzung ihres Beitrags erhöhten. Bei dem Betrag der Geldbußen, die den einzelnen Adressaten der Zellstoffentscheidung jeweils auferlegt wurden, verhält es sich anders, da die Nichtigerklärung bestimmter Geldbußen keinen Einfluß auf den Betrag der nicht angefochtenen Geldbußen hat.
69. Die Klägerinnen können sich auch nicht auf das Urteil Asteris u.a./Kommission stützen, in dem der Gerichtshof entschieden hat, daß das betroffene Organ im Anschluß an ein Urteil, mit dem eine für ein Wirtschaftsjahr anwendbare landwirtschaftliche Verordnung für nichtig erklärt wurde, verpflichtet sei, aus den im Zeitpunkt dieses Urteils bereits erlassenen Verordnungen für spätere Wirtschaftsjahre diejenigen Bestimmungen zu entfernen, die der für rechtswidrig erklärten inhaltsgleich waren.
70. In jener Rechtssache ging es nämlich um die Nichtigerklärung von befristeten, aufeinanderfolgenden Verordnungen, so daß die Nichtigerklärung einer früheren Verordnung das Organ, das sie erlassen hatte, zwangsläufig dazu verpflichtete, bei der Erarbeitung der späteren Verordnungen das Urteil des Gerichtshofes zu beachten.
71. Das Gericht hat somit rechtsirrig entschieden, daß Artikel 176 EG-Vertrag die Kommission verpflichte, die Rechtmäßigkeit der Zellstoffentscheidung auf Antrag der Betroffenen im Licht des Urteils Zellstoff insoweit zu überprüfen, als sie sie betraf, und auf der Grundlage dieser Prüfung zu beurteilen, ob die entrichteten Geldbußen zu erstatten seien. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben.
72. Gemäß Artikel 54 Absatz 1 Satz 2 seiner EG-Satzung kann der Gerichtshof im Falle der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall.
 
Die beim Gericht erhobene Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung vom 4. Oktober 1995
73. In ihrer Nichtigkeitsklage haben die Klägerinnen einen einzigen Klagegrund vorgebracht: Die Kommission habe mit ihrer Entscheidung vom 4. Oktober 1995 die Rechtsfolgen des Urteils Zellstoff verkannt.
74. Zum einen haben die Klägerinnen geltend gemacht, die Kommission habe das gemeinschaftsrechtliche Prinzip verkannt, daß ein Nichtigkeitsurteil die angefochtene Entscheidung erga omnes und ex tunc vernichte.
75. Zum anderen haben die Klägerinnen geltend gemacht, die Kommission habe gegen Artikel 176 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßen.
76. Der erste Teil des Klagegrundes ist aus den in den Randnummern 19, 20, 54 und 55 dieses Urteils, der zweite Teil aus den in den Randnummern 50 bis 56 dieses Urteils dargelegten Gründen nicht begründet. Daher ist die von den Klägerinnen am 15. Dezember 1995 beim Gericht eingelegte Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung vom 4. Oktober 1995, mit der ihr Antrag auf Überprüfung im Licht des Urteils Zellstoff abgelehnt wurde, abzuweisen.
 
Kosten
77. Nach Artikel 122 Absatz 1 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
78. Da das Rechtsmittel begründet und die Klage unbegründet ist, haben die Klägerinnen sämtliche vor dem Gericht und dem Gerichtshof angefallenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 10. Juli 1997 in der Rechtssache T-227/95 (AssiDomän Kraft Products u.a./Kommission) wird aufgehoben.
2. Die Nichtigkeitsklage, die AssiDomän Kraft Products AB u.a. am 15. Dezember 1995 beim Gericht erhoben haben, wird abgewiesen.
3. AssiDomän Kraft Products AB u.a. tragen sämtliche vor dem Gericht und vor dem Gerichtshof angefallenen Kosten.
Rodriguez Iglesias, Kapteyn, Puissochet, Hirsch, Jann, Moitinho de Almeida, Gulmann, Murray, Edward, Ragnemalm, Sevon, Wathelet, Schintgen
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. September 1999.
R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodríguez Iglesias (Der Präsident)