BGE 119 IV 301 - Stopp dem Golfkrieg
 
57. Urteil des Kassationshofes
vom 26. November 1993
i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Nichtigkeitsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 181, Nötigung durch andere Beschränkung der Handlungsfreiheit.
Diese Generalklausel ist restriktiv auszulegen (E. 2a, Bestätigung der Rechtsprechung). Bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit sind bei politischen Aktionen auf öffentlichem Grund die verfassungsmässigen Rechte zu beachten (E. 2b).
Wer eine gesenkte Bahnschranke mit Ketten verriegelt, den Rotor mit Schnelleim lahmlegt und dadurch den Strassenverkehr rund 10 Minuten blockiert, begeht eine Nötigung (E. 3a). Diese ist nicht gerechtfertigt durch den damit bezweckten politisch-moralischen Appell (E. 3b).
 


BGE 119 IV 301 (301):

Sachverhalt
 
A.
Am Montag, den 21. Januar 1991, um ca. 06.40 Uhr, schloss X. gemeinsam mit zwei Kollegen die zu jenem Zeitpunkt aus Gründen des Bahnbetriebs gesenkten Schranken des Bahnübergangs an der Schaffhauserstrasse in Winterthur mit C-Gliederketten zusammen und sicherte die Ketten mit einem Vorhängeschloss. Sodann wurde der Rotor der Barriere mit einem Streichholz verstopft und mit einem Schnelleim verklebt. Die drei Männer stellten sich daraufhin auf den Bahnübergang und hielten ein Transparent hoch mit den

BGE 119 IV 301 (302):

Aufschriften: "Stopp dem Golfkrieg" und "Nat. Demo 26.1. Sam. 14.30 Bern". Die Schrankenanlagen respektive die damit verbundenen Sicherheitseinrichtungen schalteten, ohne dass Sachschaden entstand, während ca. 35 Minuten auf Störung, wodurch der Regionalzug Schaffhausen-Winterthur infolge der automatisch gesperrten Einfahrtssignale eine Verspätung von etwa 15 Minuten erlitt. Infolge der von X. zusammen mit den beiden Kollegen durchgeführten Aktion verlängerte sich die Schliessungsdauer der zunächst aus Bahnbetriebsgründen gesenkten Bahnschranken um ca. 10 Minuten, bis die C-Gliederketten von Polizeibeamten durchschnitten und in der Folge die Bahnschranken wieder geöffnet werden konnten. Die Aktion hatte zur Folge, dass eine unbestimmte Vielzahl von Verkehrsteilnehmern vor den Bahnschranken rund 10 Minuten länger als durch den Bahnverkehr bedingt warten oder aber unter Benützung von beidseits vor dem Bahnübergang einmündenden Querstrassen Umwegsfahrten vornehmen mussten.
 
B.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Winterthur sprach X. am 26. August 1992 vom Vorwurf der Nötigung (Art. 181 StGB) und der fahrlässigen Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen (Art. 239 Ziff. 2 StGB), frei.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 20. April 1993 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft den Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen. Es sprach X. aber der Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB schuldig und bestrafte ihn deswegen mit einer Busse von Fr. 500.--, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.
 
C.
Der Gebüsste führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts vom 20. April 1993 sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung vom Vorwurf der Nötigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
a) Der Einzelrichter begründete den Freispruch damit, dass das Vorgehen angesichts der gegebenen Umstände nicht der Anwendung von Gewalt oder der Androhung ernstlicher Nachteile gleichgestellt

BGE 119 IV 301 (303):

werden könne und daher nicht unter die einschränkend auszulegende "andere Beschränkung der Handlungsfreiheit" falle. Einerseits sei die Aktion aufgrund des schnellen Eingreifens der Polizei von zeitlich kurzer Dauer gewesen. Andererseits sei es gerichtsnotorisch, dass beidseits vor dem fraglichen Bahnübergang mehrere Querstrassen wegführten, so dass es den betreffenden Verkehrsteilnehmern ohne weiteres möglich gewesen wäre, mit einem kleinen Umweg ihre Fahrt fortzusetzen. Zudem seien gegen die betroffenen Verkehrsteilnehmer weder Gewalt angewendet noch Drohungen ausgestossen worden. Das üblicherweise geduldete Mass der Beeinflussung infolge von (politischen) Aktionen sei durch das unerlaubte Blockieren der Fahrbahn zwar geringfügig überschritten worden, aber bei weitem nicht derart, dass das Vorgehen der Gewaltanwendung oder der Androhung ernstlicher Nachteile gleichzusetzen und daher als Nötigung zu qualifizieren wäre.
b) Die Vorinstanz vertritt demgegenüber die Auffassung, dass der Beschwerdeführer den straflosen Bereich der Beschränkung der Handlungsfreiheit anderer überschritten und damit, auch bei der aus rechtsstaatlichen Gründen gebotenen restriktiven Auslegung der Generalklausel der "anderen Beschränkung" der Handlungsfreiheit, den Tatbestand von Art. 181 StGB erfüllt habe. Viele Verkehrsteilnehmer seien im regen morgendlichen Berufsverkehr durch die Aktion gezwungen worden, rund 10 Minuten länger als durch den Bahnverkehr bedingt vor den Bahnschranken zu warten oder aber Umwege einzuschlagen, was beides zumindest für einen Teil der betroffenen Verkehrsteilnehmer zur Folge gehabt habe, dass sie nicht rechtzeitig an ihr Ziel gelangen konnten. Es sei unerheblich, dass es den betroffenen Verkehrsteilnehmern möglich gewesen wäre, unter Benützung von einmündenden Querstrassen die Fahrt mit einem kleinen Umweg fortzusetzen; Art. 181 StGB schütze die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung und sei daher gemäss BGE 108 IV 169 auch dann anwendbar, wenn der Betroffene sein Ziel auf einem anderen als dem von ihm gewollten Wege hätte erreichen können. Rechtswidrigkeit sei gegeben, weil der Beschwerdeführer nicht berechtigt gewesen sei, auf öffentlichem Grund ein Hindernis für Fahrzeuge zu errichten und den morgendlichen Berufsverkehr ganz erheblich zu behindern. Daran ändere nichts, dass er nach seiner Darstellung mit der Aktion beabsichtigt habe, die Verkehrsteilnehmer aus dem gewohnten Denkschema hinauszustossen und ihnen klarzumachen, dass sie über den Golfkrieg nachdenken sollten, welches Ziel nach Meinung des Beschwerdeführers etwa mit

BGE 119 IV 301 (304):

einer blossen Flugblattaktion oder einer Demonstration am Bahnhof nicht in gleichem Masse hätte erreicht werden können. Der Beschwerdeführer und seine Kollegen hätten mit ihrer Botschaft auf dem Transparent - "Stopp dem Golfkrieg", "Nat. Demo 26.1. Sam. 14.30 Bern" - nur eine kleine Anzahl von Autolenkern erreichen können, nämlich diejenigen, die zuvorderst warteten, während die überwiegende Anzahl der im Stau verharrenden Automobilisten gar nicht wussten, worum es ging, da sie das Transparent nicht sehen konnten.
Die Vorinstanz betrachtet das Verschulden des Beschwerdeführers gesamthaft als leicht, auch wenn er eher provoziert als demonstriert habe, und berücksichtigt seine glaubhaft dargelegte pazifistische Grundhaltung, die sich in religiös-sozialem Umfeld entwickelt habe und sich auch in seiner beruflichen Tätigkeit als Psychiatriepfleger sowie in seinem politischen Engagement zeige, als achtenswerten Beweggrund strafmildernd.
Der Beschwerdeführer setzt sich sodann mit den "Kommunikationsbedingungen politischer Minderheiten" auseinander. Minderheiten seien "in hohem Masse auf appellative Ausdrucksformen im öffentlichen Raum angewiesen", "um überhaupt öffentlichen Anliegen, die keine institutionalisierten Funktionsträger haben, eine gewisse Aufmerksamkeit zu verschaffen". Im Lichte des Grundrechts der Meinungsäusserungsfreiheit als sogenanntes Kommunikationsgrundrecht sollen für die öffentliche Meinungsäusserung "auch durch unkonventionelle Mittel möglichst grosse Freiräume eröffnet werden". Mit der Blockadeaktion habe der Beschwerdeführer, "begleitet von Pressefotografen und im Vertrauen auf einen Multiplikatoreffekt qua Medienecho, einen expressiven Appell an eine breitere Öffentlichkeit gerichtet". Eine Fahrtbehinderung von

BGE 119 IV 301 (305):

10 Minuten vor einer geschlossenen Bahnschranke sei keine Freiheitsbehinderung, die der politisch-moralisch intendierten Freiheitsbetätigung im öffentlichen Raum an Gewicht gleichkäme.
 
Erwägung 2
2.- a) Der Tatbestand der Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB ist sehr weit umschrieben, und zwar sowohl in bezug auf den Nötigungserfolg ("etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden"), als auch vor allem hinsichtlich des in Form einer Generalklausel umschriebenen Nötigungsmittels der "anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit", welche neben der "Gewalt" und der "Androhung ernstlicher Nachteile" genannt wird. Diese "gefährlich weite Formulierung" (BGE 107 IV 116 E. 3b) der Generalklausel führt indessen nicht zur Nichtanwendung dieser Tatbestandsvariante wegen Verstosses gegen das gesetzliche und verfassungsmässige Bestimmtheitsgebot (a.A. SCHUBARTH, Kommentar Strafrecht, Bes. Teil, 3. Band, Art. 181 StGB N. 38 f.). Die Generalklausel ist nach der Rechtsprechung und nach der herrschenden Lehre aber restriktiv auszulegen (BGE 101 IV 169 E. 2, 107 IV 116 E. 3b; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil I, 4. Aufl. 1993, § 5 N. 11 mit Hinweisen). Nicht jeder noch so geringfügige Druck auf die Entscheidungsfreiheit eines andern führt zu einer Bestrafung nach Art. 181 StGB. Vielmehr muss das verwendete Zwangsmittel das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung in ähnlicher Weise eindeutig überschreiten, wie es für die vom Gesetz ausdrücklich genannte Gewalt und die Androhung ernstlicher Nachteile gilt. Dies ist mithin der Massstab, nach dem sich der Richter bei der gebotenen Konkretisierung der Generalklausel richten kann und richten muss. Bei den unter die Generalklausel fallenden "unbenannten" Nötigungsmitteln handelt es sich vor allem um solche, die dem im Gesetz ausdrücklich genannten Nötigungsmittel der Anwendung von Gewalt in ihrer Intensität beziehungsweise Wirkung ähnlich sind und die, je nach der - ebenfalls nicht einfachen - Auslegung des Gewaltbegriffs noch unter diesen subsumiert werden könnten (siehe dazu auch Stratenwerth, op.cit., § 5 N. 5 ff., 10 ff.).
b) Die problematisch weite Umschreibung des Straftatbestandes von Art. 181 StGB hat im weiteren zur Folge, dass nicht jedes tatbestandsmässige Verhalten bei Fehlen von Rechtfertigungsgründen auch rechtswidrig ist. Vielmehr bedarf die Rechtswidrigkeit bei Art. 181 StGB einer zusätzlichen, besonderen Begründung. Eine Nötigung ist dann unrechtmässig, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum angestrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen

BGE 119 IV 301 (306):

einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 115 IV 214, 108 IV 165 E. 3, 105 IV 123 mit weiteren Hinweisen; STRATENWERTH, op.cit., § 5 N. 15 ff. mit Hinweisen). Bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit sind gerade etwa bei politischen Aktionen auf öffentlichem Grund auch die verfassungsmässigen Rechte zu beachten.
 
Erwägung 3
a) Das Vorgehen des Beschwerdeführers ist ein der Anwendung von Gewalt im Sinne von Art. 181 StGB ähnliches Nötigungsmittel. Er hat die aus Bahnbetriebsgründen gesenkten Bahnschranken mit Ketten verriegelt und den Rotor mit Schnelleim lahmgelegt. Dieses Vorgehen kommt der Gewalt näher als das unbefugte Verweilen von Personen in einem Sitzungsraum (BGE 107 IV 113 ff.) und selbst als die Bildung eines sogenannten Menschenteppichs (BGE 108 IV 165 ff.). Allerdings spielt auch die Dauer der Behinderung eine Rolle, und reicht eine nur kurzfristige Hinderung an der Weiterfahrt (dazu BGE 108 IV 169 Mitte) nicht aus. Eine Blockierung des Verkehrs während rund 10 Minuten genügt indessen zur Tatbestandserfüllung (siehe auch BGE 108 IV 165 ff.), wenn die Aktion im Sinne einer Blockade gerade auf die Behinderung des Verkehrs abzielt. Dass es den betroffenen Verkehrsteilnehmern möglich gewesen wäre, unter Benützung der beidseits des Bahnübergangs einmündenden Querstrassen mit einem kleinen Umweg an ihr Ziel zu gelangen, ist unerheblich. Art. 181 StGB schützt die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung und ist auch dann anwendbar, wenn der Betroffene sein Ziel auf einem anderen als dem von ihm gewollten Wege hätte erreichen können (BGE 108 IV 169). Im übrigen ging es dem Beschwerdeführer ja gerade auch darum, dass sich ein möglichst grosser Stau bildete, auf dass darüber und damit auch über sein mit der Aktion vertretenes Anliegen in den Medien berichtet werde.
b) Nur die wenigen an der Spitze der Fahrzeugkolonne wartenden Verkehrsteilnehmer konnten das vom Beschwerdeführer hochgehaltene Transparent, auf dem "Stopp dem Golfkrieg" gefordert und auf eine nationale Demonstration in Bern aufmerksam gemacht wurde, überhaupt wahrnehmen. Die Aktion verfehlte damit gegenüber

BGE 119 IV 301 (307):

den von ihr betroffenen Personen weitgehend die vom Beschwerdeführer gewünschte Appellwirkung. Die im Stau verharrenden Verkehrsteilnehmer waren, ganz ähnlich wie die Betroffenen im BGE 108 IV 165 ff. zugrunde liegenden "Menschenteppich"-Fall, weitgehend bloss Marionetten in der vom Beschwerdeführer inszenierten Schau, gleichsam Bestandteile der von ihm durch Versperren der Bahnschranken mediengerecht und medienwirksam provozierten Autoschlange. Der Beschwerdeführer suchte mit seinem hier in Frage stehenden Verhalten weniger den Dialog und die Kommunikation mit anderen Menschen im öffentlichen Raum als vielmehr, begleitet von Pressefotografen, die Aufmerksamkeit der Medien, in der Erwartung, dass diese über die Aktion und damit auch über deren Zweck informierten, der vor allem im Hinweis auf die in Bern stattfindende Demonstration gegen den Golfkrieg bestand. Dass er, wie übrigens die meisten anderen Menschen auch, nur beschränkt Zugang zu den Medien hat, um seine Anliegen über diese einem grösseren Personenkreis bekanntzumachen, rechtfertigt seine Aktion nicht. Er konnte an der angekündigten Demonstration im öffentlichen Raum gegen den Golfkrieg protestieren; er hatte mannigfache Gelegenheiten, etwa durch Verteilung von Flugblättern etc., auf diese Demonstration aufmerksam zu machen, und er konnte dabei den seines Erachtens für eine lebendige Demokratie wichtigen Dialog mit anderen im öffentlichen Raum unter Respektierung von deren Handlungsfreiheit suchen.
aa) BGE 108 IV 165 ff., der die Behinderung der Besucher einer Waffenschau in Winterthur durch Bildung eines sogenannten "Menschenteppichs" zum Gegenstand hat, ist teilweise auf Zustimmung, teilweise auf Kritik und Ablehnung gestossen (Übersicht bei NICCOLB RASELLI, Menschenteppich: Grundrecht oder Nötigung? in: plädoyer 1990 Heft 6 S. 44 ff.; sehr eingehend zum "Menschenteppich"-Fall und kritisch zu den Entscheiden des Zürcher Obergerichts und des Bundesgerichts MARC SPESCHA, Rechtsbruch und sozialer Wandel, Diss. Zürich 1988, S. 187 ff., 202 ff.). Das Bundesgericht hat in BGE 108 IV 165 ff. die Verurteilung wegen Nötigung entgegen den Bemerkungen des Beschwerdeführers nicht massgeblich mit der "Prangerwirkung" der von den Verantwortlichen des "Menschenteppichs" auf Plakaten herausgegebenen Parole "Wer über uns geht, geht auch über Leichen" bestätigt. Gegenstand jenes

BGE 119 IV 301 (308):

Verfahrens bildete einzig die Hinderung eines VW-Busses mit vier Insassen an der Wegfahrt vom Ausstellungsgelände der "W 81" (S. 166 E. 1) für die Dauer von ca. 15 Minuten. Diese nicht nur kurzfristige Behinderung der Weiterfahrt (S. 169 Mitte) war entscheidend. Wohl hat sich der Kassationshof im genannten Urteil ausführlich auch mit der vom Zürcher Obergericht festgehaltenen "Prangerwirkung" (S. 166/167) der von den Veranstaltern des "Menschenteppichs" herausgegebenen Parole befasst. Damit wurde indessen lediglich dargelegt, dass erstens der "Menschenteppich" selbst für Fussgänger ein wirkungsvolles Hindernis darstellte und dass es zweitens den Veranstaltern des "Menschenteppichs" offensichtlich nicht um ein Gespräch mit den Insassen des VW-Busses ging. Inwiefern aber das in jenem Entscheid zu beurteilende Verhalten bei verfassungskonformer Auslegung, etwa unter Berücksichtigung der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit, nicht strafbar gewesen sein sollte, war von vornherein nicht ersichtlich und daher nicht zu erörtern, da nicht die fragliche Parole die strafbare Handlung darstellte und der Hauptzweck des "Menschenteppichs" darin bestand, in Verletzung von Freiheitsrechten der Ausstellungsbesucher den Zugang zur "W 81" und das Verlassen des Geländes zu behindern.
bb) In der Intensität des Nötigungsmittels "Menschenteppich" liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu dem in BGE 107 IV 113 ff. beurteilten Fall betreffend das unrechtmässige Verweilen von 20 Studenten in einem Besprechungsraum, in dem eine Fakultätssitzung abgehalten werden sollte, die in der Folge entsprechend den getroffenen Vorbereitungen in einen anderen Raum verlegt wurde. Das Bundesgericht erachtete in jenem Fall das eingesetzte Mittel nicht als hinreichend intensiv, um Nötigung anzunehmen, hielt aber den Tatbestand der Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) für erfüllt.
cc) Allerdings hat das Bundesgericht in beiden Entscheidungen auch auf die Dauer der Behinderung hingewiesen. Dabei kann der Eindruck entstehen, dass es eine Behinderung von 10-15 Minuten in BGE 107 IV 113 ff. als nicht ausreichend, in BGE 108 IV 165 ff. im Widerspruch dazu aber als genügend erachtet habe. Die Dauer der Behinderung ist indessen nur von Bedeutung, soweit sie erstens Rückschlüsse auf die Intensität des eingesetzten Nötigungsmittels zulässt und sie zweitens das behindernde Verhalten noch als Bagatelle oder als sozialadäquat erscheinen lässt, was wiederum wesentlich einerseits von der Art des eingesetzten Mittels und andererseits

BGE 119 IV 301 (309):

vom Zweck der Behinderung (siehe dazu auch BGE 108 IV 168 unten) abhängt.