BGE 68 IV 145 - Kommunistische Propaganda
 
33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes
vom 20. November 1942
i.S. Singer und Mitangeklagte gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
 
Regeste


BGE 68 IV 145 (145):

Art. 1 und 2 BRB vom 6. August 1940 über Massnahmen gegen die kommunistische und anarchistische Tätigkeit. Bedeutung des Verbots, wonach der kommunistischen Partei und ihren Hilfs-, Neben- und Ersatzorganisationen jede Tätigkeit untersagt ist. Begriff der kommunistischen Propaganda.
 
Erwägungen


BGE 68 IV 145 (146):

Aus den Erw
ägungen :
 
Erwägung 1
1. Der Bundesratsbeschluss vom 6. August 1940 über Massnahmen gegen die kommunistische und anarchistische Tätigkeit verbietet der kommunistischen Partei und ihren Hilfs- und Nebenorganisationen jede Tätigkeit. Das Verbot bezieht sich auch auf Organisationen, die an Stelle der mit Verbot betroffenen Partei treten (Art. 1). Durch Bundesratsbeschluss vom 26. November 1940 betreffend die Auflösung der kommunistischen Partei der Schweiz wurden sodann sämtliche in der Schweiz bestehenden kommunistischen Organisationen und die an ihre Stelle tretenden Vereinigungen aufgelöst. Die Organisationen, welche wegen ihres kommunistischen Charakters unter diesen Bundesratsbeschluss fallen, werden vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und in wichtigen Fällen vom Bundesrat bezeichnet (BRB vom 17. Dezember 1940 über den Vollzug des Bundesratsbeschlusses betreffend die Auflösung der kommunistischen Partei der Schweiz).
Der Grund dieser Massnahmen liegt darin, dass die kommunistische Partei und ihre Hilfs-, Neben- und Ersatzorganisationen ihre Ideale durch gewaltsamen Umsturz der verfassungsmässigen Ordnung zu verwirklichen trachten. Nicht um ihrer Ideale, sondern um ihrer Staatsgefährlichkeit willen sind diese Partei und ihre Organisationen aufgelöst und ist ihnen jede Tätigkeit verboten worden. Es ist daher nicht richtig, wie die Staatsanwaltschaft glaubt, dass jede politische Tätigkeit mit Zielen, welche mit der Verfassung in Widerspruch stehen, verboten sei ; denn sonst könnte die Verfassung nie revidiert werden. Hätte die kommunistische Partei ihre Ziele nur auf verfassungsmässigem, demokratischem Wege zu erreichen versucht, so wären sie und ihre Organisationen nicht ver

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boten worden. Das heisst indessen nicht, dass das Verbot, so wie es nun gilt, bloss die auf gewaltsamen Umsturz gerichtete Tätigkeit dieser Partei und ihrer Organisationen erfasse. Vielmehr ist ihnen jede Tätigkeit unter Strafe verboten.
 
Erwägung 2
Dieses Verbot richtet sich an den einzelnen, unbekümmert darum, ob er der verbotenen Partei oder einer ihrer Organisationen angehöre. Es geht weniger weit als das Verbot, welches sich gegen die Tätigkeit in der Partei oder in einer ihrer Organisationen richtet. Verboten ist nur, kommunistische Propaganda zu betreiben oder einer solchen Vorschub zu leisten.
Propaganda kann objektiv in irgendwelchen von den Mitmenschen wahrnehmbaren Handlungen liegen, z.B. im Halten von Vorträgen, Ausleihen oder Verteilen von Schriften, Ausstellen von Bildern, Tragen von Abzeichen, sogar in blossen Gebärden. Handlungen, welche von Mitmenschen nicht wahrnehmbar sind, fallen dagegen zum vornherein ausser Betracht, z.B. der verborgene Besitz kommunistischer Schriften, das Lesen solcher, das Lernen kommunistischer Lieder. Subjektiv erfordert die Propaganda nicht nur das Bewusstsein, dass eine bestimmte Handlung von Mitmenschen wahrgenommen werde, sondern auch die Absicht, durch sie nicht nur Gedanken zu äussern, sondern zu werben, d.h. so auf die Mitmenschen einzuwirken, dass sie für die geäusserten Gedanken gewonnen oder, falls sie ihnen bereits zugetan sind, in ihrer Überzeugung gefestigt werden. Handlungen, welche nicht in der Absicht des Werbens vorgenommen werden, sind nicht Propaganda, so das passive Verhalten dessen, der sich beeinflussen lässt, z.B. das Anhören einer Rede oder das Lesen einer Schrift, ferner die bloss belehrende Tätig

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keit z.B. eines Professors, und überhaupt der Gedankenaustausch, welcher einem anderen Zweck als dem der werbenden Beeinflussung dient, z.B. die Mitteilung zur Unterhaltung.
Verboten ist sodann nicht jede Propaganda, sondern nur die kommunistische. Kommunistisch in diesem Sinne ist nur das, um dessetwillen die kommunistische Partei aufgelöst und ihr jede Tätigkeit verboten worden ist, nämlich das Hinarbeiten auf den gewaltsamen Umsturz. Nicht verboten ist dagegen dem einzelnen die Propagierung von Idealen, die zwar von der kommunistischen Partei erstrebt wurden, die aber nicht der Grund ihrer Auflösung sind ; denn der Bundesrat wollte nicht die Ideale, sondern ihre Verwirklichung auf dem Wege des gewaltsamen Umsturzes unterdrücken. Dies ergibt sich schon daraus, dass Ideen des ökonomischen Kommunismus nicht bloss von der kommunistischen Partei und ihren Hilfs- und Nebenorganisationen vertreten wurden, sondern auch in den Lehren anderer Bewegungen und Parteien zu finden sind, z.B. in Platos Philosophie, in der christlichen Religion und im Programm der Sozialdemokraten. Der einzelne darf daher z.B. der Verstaatlichung der Produktionsmittel, der Aufhebung des Privateigentums überhaupt oder der Abschaffung des Erbrechts das Wort reden, ohne dadurch das Verbot kommunistischer Propaganda zu übertreten.