BGE 142 III 515
 
64. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
 
4A_100/2016 vom 13. Juli 2016
 
Regeste
Art. 6, 243 und 257 ZPO; Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Handels- und Mietgericht.
 
Sachverhalt


BGE 142 III 515 (516):

Wegen ausstehender Mietzinse kündigte die B. AG (Vermieterin, Beschwerdegegnerin) den Mietvertrag mit A. (Mieterin, Beschwerdeführerin) für das von dieser betriebene Restaurant. Während die Mieterin die Kündigung gerichtlich anfocht, leitete die Vermieterin ein Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen zur Ausweisung der Mieterin beim Regionalgericht Bern-Mittelland ein. Dieses trat nicht auf das Gesuch ein, da es einen klaren Fall im Sinne von Art. 257 Abs. 1 ZPO verneinte. Demgegenüber wies das von der Vermieterin angerufene Obergericht des Kantons Bern die Mieterin aus. Die von der Mieterin erhobene Beschwerde in Zivilsachen heisst das Bundesgericht gut und tritt nicht auf die Klage ein, weil das Handelsgericht sachlich zuständig gewesen wäre.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
Die Beschwerdeführerin bringt zudem vor, nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei bei Erfüllung der Voraussetzungen gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO im Summarexmissionsverfahren gemäss Art. 257 ZPO das Handelsgericht ausschliesslich und zwingend zuständig, sofern in einem Kanton ein Handelsgericht bestehe. Hierzu gebe es

BGE 142 III 515 (517):

im Mietrecht eine einzige Ausnahme, nämlich Streitigkeiten des sogenannten Kernbereichs des Mietrechts (u.a. Kündigungs- und Mietzinsanfechtungen). Diese seien gemäss BGE 139 III 157 (recte: BGE 139 III 457) im vereinfachten Verfahren gemäss Art. 243 ZPO zu beurteilen. Diese Ausnahme komme aber vorliegend nicht zur Anwendung, da eine Ausweisung im Summarverfahren im Rahmen des Rechtsschutzes in klaren Fällen verlangt worden sei.
2.2.4 Zu prüfen bleibt, ob wegen der mietrechtlichen Natur der Klage eine Ausnahme von der handelsgerichtlichen Zuständigkeit gegeben ist. Das Bundesgericht hat kürzlich entschieden, der Begriff "Kündigungsschutz" gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO sei weit zu verstehen. Soweit in einem Ausweisungsverfahren das Gericht die Gültigkeit einer Kündigung zu beurteilen habe, sei auch darauf das vereinfachte Verfahren anwendbar (BGE 142 III 402 E. 2.5, insb. E. 2.5.4). Wie die Beschwerdeführerin selber erkannt hat, ist gemäss BGE 139 III 457 E. 4 das Handelsgericht nicht zuständig für Streitigkeiten, die gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO im vereinfachten Verfahren zu beurteilen sind. Wäre also vorliegend die Ausweisung nicht in einem Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen verlangt worden, wäre das Handelsgericht dafür nicht zuständig.
Das Bundesgericht hat in BGE 139 III 457 die Ausnahme von der handelsgerichtlichen Zuständigkeit damit begründet, dass es aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen den Verfahrensarten und mit Blick auf die mit der ZPO angestrebte Vereinheitlichung nicht angehe, wenn je nach sachlicher Zuständigkeit ein anderes Verfahren zur Anwendung gelange (E. 4.4.3.3). Für Streitigkeiten vor dem Handelsgericht komme gemäss dem klaren Wortlaut von Art. 243 Abs. 3 ZPO das vereinfachte Verfahren nicht zur Anwendung und es sei gewichtiger, die für Mietstreitigkeiten gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO vorgesehene soziale Untersuchungsmaxime in allen diesen Fällen anzuwenden, weshalb die Regelung der Verfahrensart jener über die sachliche Zuständigkeit vorgehe (E. 4 und 5). Beim Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen handelt es sich um ein summarisches Verfahren (Art. 248 lit. b ZPO), das - anders als das vereinfachte Verfahren - auch vor dem Handelsgericht zulässig ist (Urteil

BGE 142 III 515 (518):

4A_184/2015 vom 11. August 2015 E. 1, nicht publ. in: BGE 141 III 262; vgl. auch Art. 6 Abs. 5 i.V.m. Art. 248 lit. d ZPO betr. vorsorgliche Massnahmen). Es besteht daher vorliegend kein Konflikt zwischen Verfahrensart und sachlicher Zuständigkeit, sodass bereits aus diesem Grund die Rechtsprechung gemäss BGE 139 III 457 nicht greift. Wenn, wie hier, die Kündigung angefochten und daher deren Gültigkeit im Ausweisungsverfahren als Vorfrage zu beurteilen ist, beziehen sich die Voraussetzungen von Art. 257 Abs. 1 ZPO auch darauf; sind sie nicht erfüllt, ist auf das Gesuch nicht einzutreten (BGE 141 III 262 E. 3.2 S. 265). Damit das vom Gesetzgeber mit Art. 243 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 247 Abs. 2 lit. a ZPO für den mietrechtlichen Kündigungsschutz verfolgte Ziel nicht über den Rechtsschutz in klaren Fällen unterlaufen werden kann, ist dieser nur zu gewähren, wenn keine Zweifel an der Vollständigkeit der Sachverhaltsdarstellung bestehen und die Kündigung gestützt darauf als klar berechtigt erscheint (Urteil 4A_184/2015 vom 11. August 2015 E. 4.2.2 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 141 III 262). Dass die Zuständigkeiten für die gleiche Materie aufgeteilt sind und die Mieterausweisung (inkl. der vorfrageweisen Beurteilung der Gültigkeit einer Kündigung) bei Verfahren des Rechtsschutzes in klaren Fällen bei gegebenen Voraussetzungen gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO vom Handelsgericht, in allen übrigen Fällen von den Mietgerichten bzw. den ordentlichen Gerichten beurteilt werden, erlaubt nicht, vom geltenden Recht abzuweichen. (...)