BGE 142 III 257
 
34. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.A. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
5A_143/2015 vom 23. März 2016
 
Regeste
Art. 198 Ziff. 2, 197 Abs. 2 Ziff. 5 und 198 Ziff. 4 ZGB; güterrechtliche Zuordnung eines durch Erbteilung erworbenen Gegenstandes.
Grundsätze für die güterrechtliche Zuordnung eines im Zuge der Erbteilung übernommenen Erbschaftsgegenstandes, wenn der übernehmende Miterbe eine Ausgleichszahlung (soulte) zu leisten hatte (E. 4.3.3).
 
Sachverhalt


BGE 142 III 257 (258):

A.
A.a A.A. (geb. 1946) und B.A. (geb. 1945) heirateten am 20. April 1970.
A.b Mit letztwilliger Verfügung vom 2. April 1976 wurde B.A. zum Erben im Nachlass von C. eingesetzt, welcher am 23. Juni 1976 verstarb. Infolge einer Testamentsanfechtung reduzierte sich der Erbteil von B.A. von 80 % auf 60 %. Mit Kaufvertrag vom 23. Mai 1978 erwarb B.A. von der Erbengemeinschaft das sich im Nachlass befindende Grundstück Nr. v, GB T., zum Verkehrswert von Fr. 338'000.-. Hierfür leistete er eine Zahlung von Fr. 338'000.- in den Nachlass. Den Kaufpreis bezahlte er mit einem Hypothekardarlehen von Fr. 300'000.- und mit Barmitteln von Fr. 38'000.-. Später erhielt er aus dem versilberten Nachlass eine Akontozahlung von Fr. 165'000.- und nach Abzug sämtlicher Erbteilungskosten, Steuern und unter Anrechnung von erhaltenem Mobiliar eine Saldozahlung von Fr. 8'111.85.
B. Am 18. März 2008 beantragte B.A. dem Amtsgericht U., die Parteien im Hinblick auf die Scheidung zum Aussöhnungsversuch vorzuladen. Nachdem dieser erfolglos blieb, reichte B.A. am 15. Dezember 2008 die Scheidungsklage ein.
C. Im Juni 2010 wurden vom Grundstück Nr. v die Grundstücke Nr. v, w, x, y und z abparzelliert. Das Grundstück Nr. v mit Einfamilienhaus verblieb im Eigentum von B.A., die unüberbauten Grundstücke Nr. w-z wurden zu einem Preis von insgesamt Fr. 787'493.10 verkauft. Der nach der Bezahlung von Kosten, Steuern und der Tilgung der Grundpfandschulden verbliebene Restsaldo von Fr. 441'413.90 wurde auf ein Sperrkonto, lautend auf beide Parteien, überwiesen.
Der Nettowert des verbliebenen Grundstücks Nr. v wurde anlässlich des Scheidungsverfahrens auf Fr. 539'000.- festgesetzt.
D. Mit Urteil vom 5. Juni 2014 schied das Bezirksgericht U. die Ehe der Parteien. Es verpflichtete B.A. unter anderem, A.A. aus Güterrecht Fr. 1'246'260.60 zu bezahlen (Ziff. 2.5). Das Begehren von A.A. auf Gewährung einer Unterhaltsrente wies es ab.


BGE 142 III 257 (259):

E. Gegen dieses Urteil erhoben beide Parteien Berufung beim Kantonsgericht Luzern. Mit Urteil vom 20. Januar 2015 verpflichtete das Kantonsgericht B.A. in (teilweiser) Gutheissung der Berufung und Anschlussberufung von A.A., dieser ab Rechtskraft des Scheidungsurteils monatlich eine indexierte, ab Verfall zu je 5 % verzinsliche Unterhaltsrente von Fr. 1'000.- zu bezahlen (Ziff. 2). Zudem reduzierte es in teilweiser Gutheissung der Berufung von B.A. den von ihm aus Güterrecht gemäss Ziff. 2.5 des Urteils des Bezirksgerichts zu bezahlenden Betrag auf insgesamt Fr. 756'053.65 (Ziff. 3), indem es das Grundstück Nr. v dessen Eigengut zuwies, und regelte die Kostenverteilung neu (Ziff. 4).
F. Gegen dieses Urteil hat A.A. (Beschwerdeführerin) Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie verlangt die Aufhebung der Ziff. 3 und 4 des vorinstanzlichen Entscheides und die Erhöhung des ihr von B.A. (Beschwerdegegner) aus Güterrecht geschuldeten Betrages auf Fr. 1'246'260.60, entsprechend der Ziff. 2.5 des Urteils des Bezirksgerichts, sowie die Neuverteilung der kantonalen Kosten. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Vorinstanz hat sich am 20. Oktober 2015, der Beschwerdegegner am 16. November 2015 vernehmen lassen. Sie beantragen, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Eventualstandpunkt gut.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
(...)
4.3.1 Erben erwerben die Erbschaft als Ganzes mit dem Tode des Erblassers kraft Gesetzes (Universalsukzession; Art. 560 Abs. 1 ZGB). Mehrere Erben werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände (Art. 602 Abs. 2 ZGB). Bis zur Auflösung der Erbengemeinschaft haben die Miterben indes keine individuellen, selbständigen Rechte

BGE 142 III 257 (260):

an den Erbschaftsgegenständen, und bei der Teilung haben die Miterben alle den gleichen Anspruch auf die Gegenstände der Erbschaft (Art. 610 Abs. 1 ZGB); vorbehalten bleiben einzig hier nicht massgebliche Sonderbestimmungen (Art. 612a, 613 und 613a ZGB). Können sich die Miterben hinsichtlich der Teilung nicht einigen, sind entweder Lose zu bilden (sog. Realteilung; Art. 611 Abs. 2 ZGB) oder ist die Sache zu verkaufen und der Erlös zu teilen (Art. 612 Abs. 2 ZGB). Mithin besteht der Erbteil einer noch ungeteilten Erbschaft formell zwar aus Gesamteigentum an den Erbschaftsgegenständen, materiell hingegen aus einem Anspruch auf eine Quote des Nachlassvermögens bzw. auf einen Anteil an der Liquidation der Erbengemeinschaft (BGE 91 II 86 E. 3 S. 90 f.; BGE 101 II 222 E. 6e S. 233 und Urteil 5A.12/1992 vom 16. Dezember 1992 E. 2b, bestätigt in Urteil 5A_530/2012 vom 30. Oktober 2012 E. 3.2.3; vgl. JÜRG WICHTERMANN, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 5. Aufl. 2015, N. 14 zu Art. 652 ZGB; RUTH ARNET, Erbengemeinschaft im sachenrechtlichen Umfeld, in: Nachlassplanung und Nachlassteilung, 2014, S. 385 ff., 389; zum Gesamteigentum im Allgemeinen ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 1981, N. 3 zu Art. 652 ZGB). Diese Betrachtungsweise steht im Übrigen im Einklang mit der Regelung im Vollstreckungsrecht, wonach sich die Pfändung am Vermögen einer ungeteilten Erbschaft nicht auf einzelne Erbschaftsgegenstände, sondern nur auf den dem Schuldner "bei der Liquidation der Gemeinschaft zufallenden Liquidationsanteil erstrecken" kann (vgl. Art. 1 der Verordnung des Bundesgerichts vom 17. Januar 1923 über die Pfändung und Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen [VVAG; SR 281.41]).
Liefert das Institut der Ersatzanschaffung einen Lösungsansatz, verliert die in der Doktrin kontrovers diskutierte Frage an Bedeutung, ob bei der Überführung einer im Gesamteigentum stehenden Sache in das Alleineigentum eines Miterben ein (zweiter) Eigentumsübergang stattfindet oder aber ob - mit der Begründung, dass ein Eigentümer nicht noch einmal Eigentum an der gleichen Sache erwerben

BGE 142 III 257 (261):

könne - das im Rahmen der Gesamthand bestehende Eigentumsrecht durch Rechtsaufgabe der ausscheidenden Miterben in das Alleineigentum eines Miterben umgewandelt wird (vgl. für eine Übersicht mit Hinweisen ARNET, a.a.O., S. 394 ff. und STEPHAN WOLF, Erbschaftserwerb durch mehrere Erben und Erbteilungsrecht - Erbengemeinschaft - Erbteilung, ZSR, 125/2006 II S. 211 ff., 266 ff.; vgl. auch WICHTERMANN, a.a.O., N. 5 zu Art. 654 ZGB mit Hinweisen; eher für einen Rechtsübergang BGE 86 II 347 E. 3a S. 351 f. und BGE 102 II 197 E. 3b S. 204; für eine Rechtsaufgabe hingegen BGE 95 II 426 E. 3a S. 431 f., wo aber im Zusammenhang mit dem Beginn der Sperrwirkung nach aArt. 218 OR auf die Erbteilung als Eigentumserwerb abgestellt wurde, sowie BGE 116 II 174 E. 6 S. 181 f.).
4.3.3 Der Anspruch auf eine Quote des Nachlassvermögens bzw. auf einen Anteil an der Liquidation der Erbengemeinschaft wird durch Erbgang erworben; er stellt Eigengut dar (Art. 198 Ziff. 2 ZGB). Erwirbt der Miterbe im Rahmen der Erbteilung Alleineigentum an einem Erbschaftsgegenstand, ist wie folgt zu unterscheiden: Ist der Wert des übernommenen Erbschaftsgegenstandes kleiner oder gleich gross wie der Wert des Liquidationsanteils, verbleibt dieser aufgrund der vermögensrechtlichen Surrogation dem Eigengut (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, 1992, N. 31 zu Art. 198 ZGB; vgl. zu aArt. 195 ZGB auch BGE 91 II 86 E. 3 S. 91, bestätigt in BGE 116 II 225 E. 3b S. 229). Übersteigt der Wert des übernommenen Erbschaftsgegenstandes aber den Wert des Liquidationsanteils und muss der Miterbe eine Ausgleichszahlung (soulte) leisten, handelt es sich um zwei Ersatzanschaffungen: die eine im Verhältnis zum Anspruch auf den Liquidationsanteil und die andere im Verhältnis zur Ausgleichszahlung. Es gelten auch hier die Grundsätze der vermögensrechtlichen Surrogation. Das Ergebnis hängt letztlich davon ab, welcher Vermögensmasse die beitragenden Vermögenswerte entstammen. Sind beide Beiträge aus dem Eigengut, ist auch die Ersatzanschaffung Eigengut. Wirken demgegenüber Errungenschaft und Eigengut eines Ehegatten zusammen, fällt der Vermögenswert jener Vermögensmasse zu, die am meisten zum Erwerb beigetragen hat (BGE 132 III 145 E. 2.2.2 S. 149; vgl. auch HAUSHEER/REUSSER/ GEISER, a.a.O., N. 31 ff. zu Art. 198 ZGB). Der anderen Vermögensmasse steht eine variable Ersatzforderung zu (Art. 209 Abs. 3 ZGB; vgl. BGE 132 III 145 E. 2.2.2 S. 149 und BGE 131 III 559 E. 2.3 S. 562). Sind beide Gütermassen im gleichen Ausmass beteiligt, ist der fragliche Vermögenswert der Errungenschaft zuzuweisen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 47 zu Art. 196 ZGB).


BGE 142 III 257 (262):

Diese Lösung führt zum selben Ergebnis wie die in der Lehre vertretene Meinung, wonach die Regeln der gemischten Schenkung anzuwenden seien (nicht publ. E. 4.2.2). Da der Vermögenswert jedoch bereits zu einem früheren Zeitpunkt unentgeltlich anfällt, ist bei der Übertragung zu Alleineigentum nach den Regeln der Ersatzanschaffung (Art. 197 Abs. 2 Ziff. 5 und Art. 198 Ziff. 4 ZGB) und nicht der gemischten Schenkung zu verfahren.
Aufgrund der unangefochten gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen hat der Beschwerdegegner nun aber die Liegenschaft formell nicht gestützt auf einen (einfach schriftlichen) Erbteilungsvertrag, sondern aufgrund eines (öffentlich beurkundeten) Kaufvertrages erworben. Der Beschwerdegegner stellte sich allerdings auf den Standpunkt, auf die Bezeichnung des Rechtsgeschäftes könne es nicht ankommen; es hätte sich um reine Teilungs- respektive Zahlungsmodalitäten gehandelt. Da die Vorinstanz für die güterrechtliche Zuteilung fälschlicherweise den Zeitpunkt des Erbanfalls für massgebend erachtete, hielt sie den konkreten Vorgang des Erwerbs zu Alleineigentum für irrelevant. An dieser Auffassung kann nach dem Gesagten nicht festgehalten werden. Ziff. 3 des Entscheids des Kantonsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)