BGE 125 II 265 - Opferhilfeverfahren
 
26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 17. Juni 1999
i.S. A.J. gegen Departement des Innern und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG): Opferstellung; Kosten des kantonalen Rechtsmittelverfahrens; Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege.
1. Opferstellung gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG (E. 2):
a) Die Beeinträchtigung der körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität muss von einem gewissen Gewicht sein. Die strafrechtliche Qualifikation einer Tat als einfache Körperverletzung oder als Tätlichkeit ist nicht ausschlaggebend, sondern lediglich ein Indiz für oder gegen die Opferstellung (E. 2a/aa und 2e/bb).
b) Anforderungen an den Nachweis einer die Opferstellung begründenden Straftat: Für den Anspruch auf Übernahme der Kosten einer bereits geleisteten Beratungshilfe genügt es, wenn im Zeitpunkt der Inanspruchnahme dieser Hilfe vom Vorliegen einer Straftat auszugehen war (E. 2c/bb).
2. Weder Art. 3 Abs. 4 noch Art. 16 OHG gewähren dem Opfer einen Anspruch auf ein kostenloses kantonales Rechtsmittelverfahren im Bereich der Beratungshilfe (E. 3).
3. Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im kantonalen Opferhilfeverfahren gemäss Art. 4 BV (E. 4) - im vorliegenden Fall wegen Aussichtslosigkeit des Begehrens zu verneinen (E. 4d).
 


BGE 125 II 265 (266):

Sachverhalt
Am 1. Juli 1998 ersuchte J.J. namens ihres minderjährigen Sohnes A.J. (geb. 1988) um die Gewährung von Opferhilfe, und zwar von Soforthilfe in Höhe von mindestens Fr. 1' 000.- und Langzeithilfe von mindestens Fr. 5' 000.- für die anwaltschaftliche Vertretung und Beratung sowie die nicht anderweitig gedeckten medizinischen Kosten. Sie gab an, ihr Nachbar C.U. habe ihren Sohn A.J., der durch eine Teillähmung des rechten Armes behindert ist, am 10. Mai 1998 geschüttelt und gezerrt, an den Haaren gezogen, am Kopf geschlagen und dreimal zu Boden gestossen. Ihr Sohn beklage sich über Schmerzen im Bereich des Nackens und des rechten Schulterblatts. Dr. med. W. habe am 12. Mai 1998 eine Prellung über dem Schulterblatt rechts und eine Schürfung im Bereich des Halses festgestellt, sowie eine leichte Bindehautentzündung am rechten Auge, die durch längeres Weinen verursacht sein könnte. Am 6. Juli 1998

BGE 125 II 265 (267):

stellte J.J. namens ihres Sohnes Strafantrag gegen C.U. wegen qualifizierter einfacher Körperverletzung.
Mit Verfügungen vom 7. August 1998 lehnte das Departement des Innern des Kantons Solothurn (im Folgenden: Departement) die Übernahme sowohl der Sofort- als auch der Langzeithilfe ab, weil die Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Integrität nicht in der für die Beitragsleistungen nach dem Opferhilfegesetz notwendigen Schwere stattgefunden habe. Hiergegen reichte A.J. am 20. August 1998 zwei Beschwerden beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn ein. Er beantragte die Erteilung der Kosten- gutsprache für juristische und medizinische Aufwendungen im Rah- men der Sofort- und der Langzeithilfe in Höhe von mindestens je Fr. 1' 000.-.
Am 3. September 1998 stellte die Untersuchungsrichterin das Er- mittlungsverfahren gegen C.U. ein, weil zwei Zeuginnen glaubhaft berichtet hätten, dass er lediglich die beiden tätlich streitenden, gleichaltrigen Kinder A.J. und B.U. getrennt habe. Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Obergerichts am 4. Januar 1999 ab. Eine hiergegen erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde sowie eine staatsrechtliche Be- schwerde wegen Versagung der unentgeltlichen Rechtspflege blieben erfolglos.
Am 11. Januar 1999 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn die Beschwerden von A.J. gegen die Ablehnung der Opferhilfegesuche ab. Das Verwaltungsgericht wies auch das Ge- such um Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege und Verbeiständung ab und legte A.J. die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 600.- auf.
Hiergegen erhob A.J. am 15. Februar 1999 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht.
Gleichzeitig erhob A.J. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung sowie des Willkürverbots. In beiden Verfahren ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
 
Auszug aus den Erwägungen:
aus folgenden Erwägungen:
 
Erwägung 2
2.- Im vorliegenden Fall ist vor allem streitig, ob der Beschwerdeführer Opfer im Sinne des Bundesgesetzes vom

BGE 125 II 265 (268):

4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz [OHG; SR 312.5]) ist.
aa) Die Beeinträchtigung muss von einem gewissen Gewicht sein: Bagatelldelikte wie zum Beispiel Tätlichkeiten, die nur unerhebliche Beeinträchtigungen bewirken, sind daher vom Anwendungsbereich des OHG grundsätzlich ausgenommen (BGE 120 Ia 157 E. 2d/aa und bb S. 162 f.; EVA WEISHAUPT, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes (OHG), unter besonderer Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf das Zürcher Verfahrensrecht, Diss. Zürich 1998, S. 30 f.; ULRICH WEDER, Das Opfer, sein Schutz und seine Rechte im Strafverfahren, ZStrR 113/1995 S. 42; BERNARD CORBOZ, Les droits procéduraux découlant de la LAVI, SJ 118/1996 S. 58; GÉRARD PIQUEREZ, La nouvelle loi sur l' aide aux victimes d' infractions: quels effets sur la RC et la procédure pénale?, Revue jurassienne de jurisprudence 6/1996 S. 21). Entscheidend ist jedoch nicht die Schwere der Straftat sondern der Grad der Betroffenheit der geschädigten Person (PETER GOMM, Der Opferbegriff gemäss OHG, Plädoyer 1995 2 S. 32; CORBOZ, a.a.O. S. 56 und 58; PIQUEREZ, a.a.O., S. 19). So kann etwa eine Tätlichkeit die Opferstellung begründen, wenn sie zu einer nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigung führt. Umgekehrt ist es denkbar, dass eine i.S. des Opferhilfegesetzes unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Integrität angenommen wird, obwohl der Eingriff strafrechtlich als leichte Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu qualifizieren ist. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung des Geschädigten in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität das legitime Bedürfnis begründet, die Hilfsangebote und die Schutzrechte des Opferhilfegesetzes - ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zu nehmen.
bb) Die Beeinträchtigung muss unmittelbare Folge einer Straftat sein. Dies setzt voraus, dass der objektive Tatbestand einer Strafnorm erfüllt ist und kein Rechtfertigungsgrund vorliegt (Botschaft zum Opferhilfegesetz vom 25. April 1990, BBl 1990 II 977; PETER GOMM/PETER STEIN/DOMINIK ZEHNTNER, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 2 N. 18; CORBOZ, a.a.O. S. 57/58).
b) Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass es am Abend des 10. Mai 1998 zu einem Streit zwischen dem damals neunjährigen

BGE 125 II 265 (269):

A.J. und der gleichaltrigen B.U. gekommen sei. Die Kinder hätten gerauft, sich gegenseitig geboxt und getreten. Dies hätten die Eltern von B.U. beobachtet. Sie hätten befürchtet, dass sich B.U., die sich wenige Tage zuvor einer Zahnkorrektur unterzogen hatte, an den Zähnen verletzen könne. Sie hätten daher zunächst versucht, die Kinder durch Zurufe zu trennen. Als dies nichts genutzt habe, habe C.U. den Buben von seiner Tochter mit Schwung weggezogen; dieser habe das Gleichgewicht verloren und sei zu Boden gefallen. Er sei aber von C.U. nicht geschlagen worden. Das Verwaltungsgericht nahm an, dass die Verletzungen höchstwahrscheinlich von der Prügelei mit der gleichaltrigen B.U. herrührten und nicht von C.U. verursacht worden seien.
An diese tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist das Bundesgericht grundsätzlich gebunden. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der festgestellte Sachverhalt offensichtlich falsch oder unvollständig sei: Er stützt sich im Wesentlichen auf die Aussage von M., einer Anwohnerin, die Zeugin der Auseinandersetzung zwischen den Kindern und des Eingreifens von C.U. war, und stimmt mit den Feststellungen der Strafbehörden überein. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Verwaltungsgericht auch nicht einfach das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens übernommen und damit in unzulässiger Weise den im Strafverfahren geltenden Grundsatz Bin dubio pro reoR auf das opferhilferechtliche Verfahren angewendet. Es ist vielmehr aufgrund der Ermittlungsakten und der darin vorhandenen Beweismittel zum selben Ergebnis gekommen wie die Strafbehörden, ohne die Maxime Bin dubio pro reoR als Beweiswürdigungsregel anzuwenden.
c) Der Beschwerdeführer macht allerdings geltend, es dürfe im vorliegenden Verfahren nicht auf Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren abgestellt werden, die im Zeitpunkt der Anhebung der Opferhilfegesuche und der Verfügungen des Departements noch nicht bekannt gewesen seien. Es sei bundesrechtswidrig, dem Be- schwerdeführer ex post, aufgrund der sich mittlerweile ergebenen Aktenlage der Untersuchungsrichterin, den Anspruch auf Opferhilfe abzusprechen. Für die Beurteilung von Gesuchen um Gewährung von Soforthilfe und weiterer Hilfe nach Art. 3 OHG sei vielmehr eine Betrachtungsweise ex ante angebracht: Massgebend sei, wie der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter die Erfolgsaussichten aufgrund der damals verfügbaren Aktenlage und aufgrund einer summarischen Vorprüfung einschätzen durften und mussten.


BGE 125 II 265 (270):

aa) Die Anforderungen an den Nachweis einer die Opferstellung begründenden Straftat sind je nach dem Zeitpunkt sowie nach Art und Umfang der beanspruchten Hilfe unterschiedlich hoch (BGE 122 II 315 E. 3d S. 321). Während die Zusprechung einer Genugtuung oder einer Entschädigung gemäss Art. 11 ff. OHG den Nachweis der Opferstellung und damit auch einer tatbestandsmässigen und rechtswidrigen Straftat voraussetzt (BGE 122 II 211 E. 3d S. 216), genügt es für die Wahrnehmung der Rechte des Opfers im Strafverfahren nach den Art. 5 ff. OHG, dass eine die Opferstellung begründende Straftat in Betracht fällt (BGE 122 II 211 E. 3c S. 216, 315 E. 3d S. 321; vgl. auch BGE 121 II 116 E. 2 S. 120 betreffend Vorschuss nach Art. 15 OHG). Gleiches gilt für die Soforthilfen nach Art. 3 OHG: Damit diese ihren Zweck erfüllen können, müssen sie rasch gewährt werden, bevor endgültig feststeht, ob ein tatbestandsmässiges und rechtswidriges Verhalten des Täters zu bejahen ist oder nicht (BGE 122 II 315 E. 3d S. 321; VPB 59/1995 Nr. 32 E. 5 S. 264). Dagegen kann die Gewährung von Langzeithilfe u.U. von den ersten Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens abhängig gemacht werden (FRAN7OIS BOHNET, L'avocat, l'indigent et la victime, in: Festschrift SAV, Bern 1998, S. 168 f.). Kommt die Beratungsstelle im Verlaufe der Betreuung einer Person zum Schluss, dass das OHG im konkreten Fall - entgegen ihrer ersten Einschätzung - nicht anwendbar ist, sieht sie von weiteren Hilfeleistungen ab (VPB 59/1995 Nr. 32 E. 5 S. 264; WEISHAUPT, a.a.O. S. 44). Dagegen kann die bereits geleistete Hilfe grundsätzlich nicht zurückgefordert werden, es sei denn, der Gesuchsteller habe sich rechtsmissbräuchlich, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, als Opfer ausgegeben (BOHNET, a.a.O., S. 168/169; GOMM/STEIN/ZEHNTNER, OHG-Kommentar, Art. 3 N. 67; Entscheid des Regierungsrats des Kantons Aargau vom 20. Dezember 1995, ZBl 98/1997 E. 2b/cc S. 42; zur Parallele bei der unentgeltlichen Rechtshilfe vgl. BGE 101 Ia 34 E. 2 S. 37 f.).
bb) Dieselben Massstäbe müssen auch angelegt werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - erst nach Abschluss des Strafverfahrens über die Übernahme der Kosten einer bereits geleisteten Beratungshilfe entschieden wird. Auch hier darf nicht einfach auf den Ausgang des Straf- bzw. Ermittlungsverfahrens abgestellt werden, sondern es muss berücksichtigt werden, ob im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Beratungshilfe vom Vorliegen einer Straftat auszugehen war. Ist dies zu bejahen, besteht grundsätzlich ein Anspruch auf unentgeltliche Beratungshilfe, auch wenn sich zwischenzeitlich

BGE 125 II 265 (271):

ergeben hat, dass keine tatbestandsmässige und rechtswidrige Straftat vorliegt (Entscheid des Regierungsrats des Kantons Aargau vom 20. Dezember 1995, ZBl 98/1997 E. 2b/cc S. 42).
cc) Im vorliegenden Fall sind jedoch im Verlauf des Ermittlungs- verfahrens keine neuen Erkenntnisse oder Beweismittel aufgetaucht, die nicht schon zuvor bekannt waren. Aus der Strafanzeige der Kantonspolizei Solothurn vom 22. Mai 1998 ergibt sich, dass Frau M. schon damals als Auskunftsperson ausgesagt hatte, C.U. habe die streitenden Kinder lediglich getrennt und habe A.J. nicht geschlagen. Es bestand somit kein Grund für das Verwaltungsgericht, diese Zeugenaussage unberücksichtigt zu lassen. Im Übrigen waren dem Beschwerdeführer alle wesentlichen Umstände von Anfang an be-  kannt und er hat, wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid festgestellt hat, bei Einreichung des Opferhilfegesuchs einen wesentlichen Teil des Sachverhaltes verschwiegen.
d) Das Verwaltungsgericht nahm an, das Verhalten von C.U. habe keinen Straftatbestand erfüllt; schon aus diesem Grund sei eine Opferstellung des Beschwerdeführers zu verneinen. Diese Schluss- folgerung ist jedoch nicht zwingend: Auch wenn C.U. keine Straftat begangen hat, können die Verletzungen des Beschwerdeführers doch von einer Straftat der B.U. herrühren, wenn ihre Beteiligung an der Balgerei als tatbestandsmässige und rechtswidrige Körperverletzung zu qualifizieren wäre. Das jugendliche Alter von B.U. führt lediglich zur Anwendung des Kinderstrafrechts (Art. 82 ff. StGB), hat aber keinen Einfluss auf Tatbestandsmässigkeit und Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich selbst an der Prügelei beteiligt hat und ihn ein - möglicherweise grobes - Mitverschulden trifft, schliesst die Opferstellung nicht aus (vgl. BGE 122 II 315 E. 4b S. 322; EVA WEISHAUPT, a.a.O. S. 32/33; RUTH BANTLI KELLER/ULRICH WEDER/KURT MEIER, Anwendungsprobleme des Opferhilfegesetzes, Plädoyer 1995 5 S. 31, wonach grundsätzlich beide Kontrahenten einer Schlägerei die gesetzlichen Opferrechte beanspruchen können). Allerdings wird weder in der Strafanzeige noch im Strafantrag von einer strafbaren Handlung des Mädchens ausgegangen. Es erscheint somit zweifelhaft, ob eine solche hier in Betracht fällt. Die Frage kann jedoch offen bleiben:
e) Entscheidend ist, ob die Blessuren des Beschwerdeführers schwerwiegend genug waren, um die Anwendung des Opferhilfegesetzes zu rechtfertigen. Dies wurde vom Departement verneint.

BGE 125 II 265 (272):

Das Verwaltungsgericht liess diese Frage zwar formell offen; es führte an anderer Stelle aber aus, dass eine Balgerei zwischen zwei gleichaltrigen Kindern mit den daraus resultierenden, nicht sonderlich schwerwiegenden Blessuren nicht nach der Anwendung des Opferhilfegesetzes rufe und der Beeinträchtigung der psychischen und physischen Integrität des Beschwerdeführers kaum die Intensi- tät zugebilligt werden könne, welche eine Hilfeleistung nach OHG erforderlich mache.
aa) Aufgrund des Arztzeugnisses steht fest, dass noch zwei Tage nach der Auseinandersetzung eine Prellung über dem rechten Schulterblatt und eine Schürfung im Bereich des Halses feststellbar waren. Dieser Befund wurde von Dr. W. am 11. September 1998 wie folgt präzisiert: BÜber dem Schulterblatt bestand eine lokale Druckschmerzhaftigkeit, ein Bluterguss und eine Umgebungsrötung (im ersten Arztzeugnis als Prellung bezeichnet), daneben eine Schürfung im Bereiche des Halses, entsprechend dem Abdruck des Hemdkragens infolge heftigen Zerrens desselbenR. Damit lag eine gewisse, wenn auch nicht schwerwiegende, physische Beeinträchtigung vor.
bb) Bei derartigen Beeinträchtigungen ist die Abgrenzung zwischen der blossen Tätlichkeit i.S.v. Art. 126 StGB und der einfachen Körperverletzung i.S.v. Art. 123 StGB schwierig (vgl. BGE 117 IV 14 E. 2a/bb und cc S. 16 f.; 119 IV 1 E. 4 S. 2 ff., 25 E. 2a S. 26 f. mit Beispielen). In Grenzfällen legt sich das Bundesgericht eine gewisse Zurückhaltung auf und anerkennt einen Beurteilungsspielraum der kantonalen Behörden (BGE 119 IV 1 E. 4a S. 2, 25 E. 2a S. 27). Ein derartiger Beurteilungsspielraum ist den kantonalen Instanzen auch bei der Frage zuzugestehen, ob die Intensität der körperlichen und psychischen Beeinträchtigung für die Anwendung des Opferhilfegesetzes genügt. Hierbei ist die strafrechtliche Qualifikation der Tat als einfache Körperverletzung oder als Tätlichkeit nicht allein ausschlaggebend, sondern lediglich ein Indiz für oder gegen die Opferstellung (vgl. oben, E. 2a/aa).
cc) Der Beschwerdeführer erlitt leichte Blessuren an Hals und Schulter. Immerhin kam es zu einem Bluterguss, was für die Qualifikation als Körperverletzung sprechen könnte (vgl. BGE 119 IV 25 E. 2a S. 27). Im zitierten Gerichtsentscheid ging es allerdings um ein Hämatom infolge eines Faustschlags im Gesicht, der erfahrungsgemäss mit besonderen Schmerzen verbunden ist, während es hier um eine Prellung am rechten Schulterblatt und eine leichte Schürfung am Hals geht. Der Kassationshof nahm an, dass es

BGE 125 II 265 (273):

sich bei diesen Blessuren um blosse Tätlichkeiten handeln dürfte (nicht publizierter Entscheid vom 29. März 1999 [6S.65/1999] E. 2b). Ferner ist zu berücksichtigen, dass es um die Folgen einer Prügelei zwischen Kindern geht, einem alltäglichen Verhalten, das - wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - in aller Regel nicht nach der Anwendung des Opferhilfegesetzes ruft. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte für eine psychische Beeinträchtigung des Beschwerdeführers durch den Vorfall; insbesondere hat seine Teilbehinderung bei der Auseinandersetzung keine Rolle gespielt. Die kantonalen Instanzen haben somit ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten, als sie davon ausgingen, der Beschwerdeführer sei nicht Opfer i.S.v. Art. 2 OHG.
 
Erwägung 3
a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers besteht jedoch eine derartige kantonale Gesetzesgrundlage: Gemäss § 77 des Gesetzes vom 15. November 1970 über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (Verwaltungsrechtspflegegesetz; VRG/SO) werden die Gerichts- und Parteikosten im Verfahren vor Verwaltungsgericht nach den Grundsätzen der Zivilprozessordnung den Parteien auferlegt. § 101 Abs. 1 der Zivilprozessordnung vom 11. September 1966 (ZPO/SO) sieht vor, dass die unterlegene Partei sämtliche Gerichtskosten trägt. § 28 der kantonalen Verordnung zur Einführung des Opferhilfegesetzes vom 17. März 1993 bestimmt, dass Verfügungen des Departements mittels Beschwerde an das Verwaltungsgericht weitergezogen werden können, ohne die Kostenlosigkeit dieses Verfahrens anzuordnen. Damit bleibt es bei der üblichen Kostenregelung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch für Beschwerden über Opferhilfeansprüche. Fraglich kann somit nur sein, ob diese kantonale Regelung mit dem eidgenössischem Opferhilfegesetz vereinbar ist bzw. ob eine bundesrechtliche Regelung vorgeht.
b) Gemäss Art. 3 Abs. 4 Satz 1 OHG sind die Leistungen der Beratungsstellen kostenlos; diese Bestimmung bezieht sich jedoch nicht auf das Rechtsmittelverfahren (so auch Botschaft, BBl 1990 II 979 a.E.). Art. 16 OHG bestimmt, dass die Kantone ein einfaches,

BGE 125 II 265 (274):

rasches und kostenloses Verfahren vorsehen. Diese Bestimmung, die auch die Kostenlosigkeit des Rechtsmittelverfahrens umfasst (vgl. BGE 122 II 211 E. 4 S. 217 ff.), gehört jedoch zum vierten Abschnitt BEntschädigung und GenugtuungR und bezieht sich ihrem Wortlaut (vgl. Abs. 3) und ihrer systematischen Stellung nach lediglich auf das Entschädigungs- und Genugtuungsverfahren.
c) Gomm/Stein/Zehntner vertreten allerdings die Auffassung, vom Zweck des Gesetzes her, wirksame Hilfe an die Opfer von Straftaten zu leisten, sollte Art. 16 OHG für alle Verfahren nach dem Opferhilfegesetz gelten (OHG-Kommentar, Art. 16 N. 1-3). Dies entspricht jedoch nicht den Intentionen des Gesetzgebers, der im 3. Abschnitt des OHG bewusst auf Bestimmungen über die Kosten und Entschädigung im Strafverfahren verzichtet hat (Votum Bundesrat Koller, AB 1991 N 15 oben) und sich im 2. Abschnitt des OHG (Beratung) auf eine rudimentäre Regelung beschränkt hat, um den Kantonen einen möglichst grossen Spielraum bei der Organi- sation dieser Hilfe zu belassen (Votum Bundesrat Koller, AB 1991 N 14; Botschaft, BBl 1990 II 967 Ziff. 122). Im Bereich der Beratung verfügt der Bund auch, worauf das Bundesamt für Justiz in seiner Vernehmlassung hinweist, über weniger Kompetenzen als im Bereich der Entschädigung (vgl. Botschaft, BBl 1990 II 967 Ziff. 122 und 968 Ziff. 124). Angesichts dieser bewusst differenzierten Regelung gibt es keinen Grund, Art. 16 OHG auch auf die Beratungshilfe nach Art. 3 OHG auszudehnen. Hierzu besteht auch insofern kein zwingender Grund, als das Opfer, sofern es bedürftig ist und sein Begehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege hat.
 
Erwägung 4
a) Art. 4 BV verschafft einer bedürftigen Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Verfahren den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, der auch die Vertretung durch einen unentgeltlichen Rechtsbeistand umfasst, sofern ein solcher zur gehörigen Interessenwahrung erforderlich ist. Es ist unstreitig, dass der Beschwerdeführer bedürftig ist. Das Verwaltungsgericht nahm jedoch an, seine Beschwerde sei von Anfang an aussichtslos gewesen: Der Beschwerdeführer habe sich bewusst sein müssen, dass er bei der

BGE 125 II 265 (275):

Einreichung des Gesuchs um Opferhilfe einen wesentlichen Teil des Sachverhaltes verschwiegen habe: Bevor C.U. Hand an ihn gelegt habe, habe er sich mit dessen Tochter geprügelt und auf Zurufe nicht von dieser abgelassen. Es habe ihm und seiner Mutter klar sein müssen, dass er unter diesen Voraussetzungen nicht als Opfer einer Straftat gelten könne. Auch der Beeinträchtigung seiner psychischen oder physischen Integrität könne kaum die Intensität zugebilligt werden, welche eine Hilfeleistung nach OHG erforderlich machten. Die Gewinnchancen des Beschwerdeführers könnten unter diesen Gesichtspunkten als minim bezeichnet und das Beschwerdeverfahren als aussichtslos bezeichnet werden.
b) Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 124 I 304 E. 2c S. 306; 122 I 267 E. 2b mit Hinweisen). Die Rüge einer bedürftigen Partei, ihr verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege sei verletzt, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei, in tatsächlicher dagegen nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (BGE 124 I 304 E. 2c S. 306 f. mit Hinweisen). Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt, in welchem das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wurde (BGE 124 I 304 E. 3c S. 307; 101 Ia 34 E. 2 S. 37 f.).
c) Im vorliegenden Fall hatte das Departement das Opferhilfe-gesuch abgelehnt, weil die Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Integrität nicht die für Beitragsleistungen nach dem OHG notwendige Schwere gehabt habe. Hiergegen führte der Beschwerdeführer Beschwerde an das Verwaltungsgericht. Wie oben (E. 2e/bb) dargelegt worden ist, ist die Abgrenzung zwischen der im Sinne des OHG erheblichen und der nicht erheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität nicht leicht; bei dieser Beurteilung steht den kantonalen Instanzen ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Es bestand somit bei Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege durchaus die Möglichkeit, das Verwaltungsgericht werde die vom Beschwerdeführer erlittenen

BGE 125 II 265 (276):

Blessuren für erheblich halten und ihn als Opfer i.S. des Opferhilfegesetzes anerkennen. Die Beschwerde konnte daher unter diesem Blickwinkel nicht von vornherein als aussichtslos betrachtet werden, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Blessuren von der Prügelei mit B.U. oder der Auseinandersetzung mit ihrem Vater stammten.
aa) Zunächst ist klarzustellen, dass es im vorliegenden Fall ausschliesslich um die Übernahme der Anwaltskosten für die erste Be- ratung des Beschwerdeführers (Soforthilfe) sowie seine anwaltliche Vertretung im Ermittlungsverfahren bzw. im Rechtsmittelverfahren gegen den Einstellungsbeschluss (Langzeithilfe) geht. Medizinische Kosten, für die ursprünglich ebenfalls um Kostenübernahme ersucht wurde, sind anscheinend nicht entstanden oder sie wurden anderweitig gedeckt. Jedenfalls hat der Beschwerdeführer derartige Kosten weder geltend gemacht noch dargelegt.
bb) Die von der Beratungsstelle erbrachte oder vermittelte und finanzierte Hilfe soll den Bedürfnissen des Opfers und seiner jeweiligen Situation entsprechen; dies gilt nicht nur für die Langzeit- sondern auch für die Soforthilfe (BOHNET, a.a.O. S. 170/171). Im vorliegenden Fall ist schwer ersichtlich, welchen Nutzen der minderjährige Beschwerdeführer und seine Mutter aus der Einleitung eines Strafverfahrens und der Anfechtung des Einstellungsbeschlusses durch alle Instanzen, verbunden mit einem Prozess um die dadurch entstandenen Anwaltskosten bis vor Bundesgericht, haben sollten. Zwar ist anerkannt, dass das Opfer eines Gewaltverbrechens ein eigenes schützenswertes Interesse an der Überführung des Täters hat, weil dessen Ermittlung und Bestrafung zur besseren und schnelleren psychischen Verarbeitung von Verbrechenstraumata beim Opfer beitragen können und die Eruierung des Täters auch

BGE 125 II 265 (277):

Auswirkungen auf die Zusprechung von allfälligen Entschädigungs- und Genugtuungsansprüchen haben kann. Bei nur geringfügigen, folgenlosen Verletzungen durch eine alltägliche Auseinandersetzung - zumal zwischen Kindern - kann hiervon jedoch keine Rede sein. Hinzu kommt, dass die strafrechtlichen Schritte des Beschwerdeführers von vornherein kaum Aussicht auf Erfolg hatten. Das Bundesgericht hat aus diesem Grund schon die staatsrechtliche Beschwerde gegen die Versagung der unentgeltlichen Rechtspflege im obergerichtlichen Verfahren abgewiesen. Hätte der Beschwerdeführer sich zunächst an eine staatliche Beratungsstelle gewendet, wie dies Art. 3 Abs. 2 OHG an sich vorsieht, hätte diese sicher keine juristische Hilfe durch einen Rechtsanwalt empfohlen und vermittelt. Die Beratungsstelle durfte deshalb auch das Gesuch auf Übernahme der Anwaltskosten mit dem Argument ablehnen, dass diese offensichtlich nutzlos aufgewendet erschienen (vgl. BGE 121 II 209 E. 3b S. 212/213). Eine hiergegen gerichtete Beschwerde hätte kaum Aussicht auf Erfolg gehabt.
cc) Auf dieses rechtliche Argument hat sich zwar weder das Departement in seinen Verfügungen noch das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid gestützt. Dennoch handelt es sich nicht um einen völlig neuen, für den Beschwerdeführer überraschenden Rechtsstandpunkt, zu dem er nochmals angehört werden müsste (BGE 124 I 49 E. 3c S. 52; 123 I 63 E. 2d S. 69; je mit Hinweisen). Das Departement hat nämlich schon in seiner Vernehmlassung vor Verwaltungsgericht zum Ausdruck gebracht, dass es die Einleitung eines Strafverfahrens als für den Beschwerdeführer und für dessen Mutter wenig hilfreich erachte; das strafrechtliche Vorgehen der Kindsmutter sei keine adäquate Lösung der nachbarschaftlichen Probleme und trage - entgegen der Auffassung des Anwalts - auch kaum zur BRehabilitierung, materiellen und seelischen Wiedergutmachung und Überwindung des HilflosentraumasR bei.