BGE 71 II 99 - Grundstückskauf Wärtli
 


BGE 71 II 99 (99):

23. Urteil der I. Zivilabteilung
vom 8. Mai 1945 i.S. Wärtli gegen Wärtli.
 
Regeste
Simulation oder fiduziarisches Rechtsgeschäft? Kriterien für die Unterscheidung.
Eine in die Form eines Kaufvertrages gekleidete fiduziarische Eigentumsübertragung an Grundstücken ist nur gültig, wenn nicht nur die Eigentumsübertragung, sondern auch der Kaufvertrag von den Parteien wirklich gewollt ist.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Zur Abklärung der Rechtslage sind vorerst die Begriffe der Simulation und des fiduziarischen Rechtsgeschäfts gegeneinander abzugrenzen.
Simulation im Sinne von Art. 18 OR liegt vor, wenn

BGE 71 II 99 (100):

beide Vertragsparteien darüber einig sind, dass die gegenseitigen Erklärungen nicht gelten, sondern nur gegenüber Dritten den Schein eines Rechtsgeschäftes erwecken sollen. Das simulierte Geschäft ist nichtig. Die Gültigkeit des möglicherweise dahinterstehenden dissimulierten Geschäftes, das dem wirklichen Willen der Parteien entspricht, hängt von der Erfüllung allfälliger Formerfordernisse ab, die das Gesetz für Geschäfte der in Frage stehenden Art aufstellt. Ist das dissimulierte Geschäft eine Liegenschaftsschenkung, so bedarf sie daher zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung. Dabei genügt es nicht, wenn auch für ein Geschäft von der Art des simulierten diese Form erforderlich ist und im konkreten Falle tatsächlich eingehalten wurde. Vielmehr muss der wirkliche und übereinstimmende Wille der Parteien, also die dissimulierte Vereinbarung, in die vom Gesetz geforderte Form gekleidet sein, um Gültigkeit zu haben. Lassen die Parteien also einen Grundstückkauf öffentlich beurkunden, während sie in Wirklichkeit eine Schenkung vornehmen wollen, so sind sowohl der Grundstückkauf wie die Schenkung nichtig, jener wegen Simulation, diese wegen Nichterfüllung der vom Gesetz vorgeschriebenen Form (vgl. BGE 41 II 361, 45 II 31, 46 II 32, 53 II 103; von Thur-Siegwart OR I § 35 III; Oser-Schönenberger N. 12 zu Art. 18 OR; ebenso für das deutsche Recht statt vieler Oertmann, Komm. zum BGB 3. Aufl., § 117 N. 4).
Das Wesen des fiduziarischen Rechtsgeschäfts liegt darin, dass der eine Vertragspartner (der Fiduziant) dem andern (dem Fiduziar) eine Rechtsstellung einräumt, die ihn Dritten gegenüber zum unbeschränkten Inhaber eines Rechtes macht, während er dem Fiduzianten gegenüber vertraglich verpflichtet ist, das übertragene Recht nicht oder nur teilweise auszuüben oder es unter bestimmten Voraussetzungen wieder zurückzuübertragen (vgl. Staudinger, Komm. zum BGB, 10. Aufl. Band I S. 495 f.). Das fiduziarische Geschäft setzt sich somit notwendigerweise aus zwei Verträgen zusammen, nämlich aus der

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nach aussen allein in Erscheinung tretenden vollen Rechtsübertragung und der für das Innenverhältnis getroffenen Verfügungsbeschränkung des Fiduziars. Dieses Nebeneinanderbestehen zweier Rechtsverhältnisse zwischen denselben Parteien über dasselbe Recht darf nun nicht dazu verleiten, das nach aussen in Erscheinung tretende Verhältnis kurzerhand als simuliert und das Innenverhältnis als dissimuliert zu behandeln und daraus die Nichtigkeit des ersteren abzuleiten. Denn im Gegensatz zum simulierten sind beim Aussenverhältnis des fiduziarischen Geschäftes die Wirkungen von den Parteien gewollt. Da auch nicht notwendigerweise die Absicht besteht, Dritte in rechtswidriger Weise zu täuschen, ist kein Anlass vorhanden, solche fiduziarische Rechtsgeschäfte von vorneherein als unzulässig zu erklären. Entscheidend dafür, ob man es mit einer bloss simulierten und darum nichtigen oder einer fiduziarischen und daher gültigen Rechtsübertragung zu tun habe, ist somit der wirkliche Wille, von dem sich die Parteien beim Abschluss des nach aussen sichtbaren Geschäftes haben leiten lassen. Dieser wirkliche Wille muss deshalb in jedem einzelnen Falle, in dem streitig ist, ob Simulation oder fiduziarisches Geschäft vorliege, unter Berücksichtigung der gesamten Umstände ermittelt werden (über die Abgrenzung des simulierten Geschäftes gegenüber dem fiduziarischen siehe Aeby, L'acte fiduciaire dans le système du droit civil suisse, ZSR NF 31 S. 157 ff.; Fischbach, Treuhänder und Treuhandgeschäfte, S. 141 ff.; Keller, Das fiduziarische Rechtsgeschäft im schweizerischen Zivilrecht, S. 17 ff.).
Handelt es sich um die Übertragung des Eigentums an Grundstücken, so ist zu berücksichtigen, dass diese nach dem schweizerischen Recht ein kausaler Vorgang ist und somit einen gültigen Rechtsgrund erfordert. Dasselbe gilt übrigens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts auch für die Eigentumsübertragung an Fahrnis (vgl. BGE 55 II 302 f.). Für das Vorliegen einer gültigen fiduziarischen Eigentumsübertragung genügt es daher noch nicht,

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dass die Parteien die Übertragung als solche gewollt haben, sondern es ist überdies erforderlich, dass sie den Eigentumsübergang durch den kausalen Rechtsakt haben herbeiführen wollen, der als Grund für jenen genannt ist.
Wollen die Parteien eine Sache durch Übertragung des Eigentums dem Zugriff der Gläubiger des bisherigen Eigentümers entziehen und schliessen sie zu diesem Zweck einen Kaufvertrag, während ihr wirklicher Wille gar nicht auf einen solchen gerichtet ist, so ist der Kaufvertrag daher wegen Simulation nichtig; denn ernstlich gewollt ist hier nur die Eigentumsübertragung, nicht aber auch der Kauf. Dieser ist lediglich vorgeschützt, und hinter ihm ist ein anderer Vertrag versteckt, der sich vom ersten seinem Wesen nach unterscheidet. Ist dies aber der Fall, so liegt immer Simulation vor (vgl. Oertmann, Komm. zum BGB, 3. Aufl., § 117 N. 4; Warneyer, Komm. zum BGB, § 117 III; Planck, Komm. zum BGB, 4. Aufl., § 117 N. 7 S. 275). Die Wirksamkeit der von den Parteien ernstlich gewollten Eigentumsübertragung aber, die als Kausalgeschäft einen gültigen Rechtsgrund voraussetzt, ist davon abhängig, ob das dem wirklichen Willen der Parteien entsprechende Grundgeschäft, d.h. die Vereinbarung, die Sache vor den Gläubigern in Sicherheit zu bringen, gültig zustande gekommen ist. In Bezug auf Grundstücke ist für einen gültigen Eigentumsübergang die öffentliche Beurkundung des Grundgeschäftes notwendig. Fehlt diese, so ist der Vertrag wegen Formmangels ungültig und die Eigentumsübertragung wegen Fehlens eines gültigen Rechtsgrundes unwirksam.
Mit diesen Grundsätzen steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtes in Einklang. So hat das Bundesgericht in den Fällen BGE 19 S. 344, 20 S. 1084, 31 II 110 und 56 II 447 jeweils entscheidend darauf abgestellt, ob die Parteien sowohl die Übertragung des Eigentums wie die Rechtsfolgen des nach aussen in Erscheinung tretenden Kaufes gewollt hatten. Ergab sich, dass der Wille der Parteien wirklich auf ein Kaufgeschäft gerichtet war, mit

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Festsetzung eines Kaufpreises, Bezahlung desselben, sei es auch nur auf dem Wege der Verrechnung, Übertragung des Besitzes an der Sache usw., so bejahte das Gericht das Vorliegen eines gültigen Kaufes und einer Eigentumsübertragung, selbst wenn der wirtschaftliche Zweck des Geschäftes in der Sicherung eines Gläubigers bestand, die durch eine Verpfändung ebenso gut hätte erreicht werden können.
Aber auch die Entscheide BGE 39 II 800 ff. und 43 III 346 ff. stehen keineswegs im Widerspruch mit den oben dargelegten Grundsätzen. In diesen beiden Fällen entschied das Bundesgericht, dass bei fiduziarischer Eigentumsübertragung dem Fiduzianten im Konkurs des Fiduziars kein Aussonderungsanspruch zustehe, da nicht zwischen einem "Eigentum nach aussen" und einem solchen "nach innen" unterschieden werden könne; als Eigentümer sei vielmehr derjenige anzusehen, der nach Gesetz Eigentum erworben habe. Dieser Standpunkt ist die logische Folge der Auffassung, dass die ernstlich gewollte und in der erforderlichen Form vorgenommene fiduziarische Übereignung gültig sei. Ob der Wille der Parteien wirklich auf den Abschluss des verurkundeten Kaufvertrags gerichtet und dieser nicht etwa bloss simuliert gewesen sei, hatte das Bundesgericht in den beiden erwähnten Fällen dagegen nicht zu prüfen, da nach dem damals geltenden OR von 1881 der Liegenschaftskauf dem kantonalen Rechte unterstand. Das Bundesgericht hatte somit die Ernstlichkeit des Kaufvertrages als gegeben hinzunehmen.
 
Erwägung 3
3. Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu folgenden Ergebnissen. Wie nicht bestritten ist, beabsichtigten die Parteien, die Liegenschaften des Klägers mit Rücksicht auf seine befürchtete Zahlungsunfähigkeit dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen, um sie, wie in der Vereinbarung vom 28. Dezember 1931 euphemistisch gesagt wird, der Familie und später den Söhnen zu erhalten. Zu diesem Zwecke schlossen sie den Kaufvertrag vom 10. Oktober 1931 ab.

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Angesichts des angestrebten Zwecks ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz anzunehmen, dass die Parteien den ernstlichen Willen hatten, das Eigentum an den streitigen Liegenschaften auf den Beklagten zu übertragen. Dies darf um so eher angenommen werden, als ja sonst das Ziel, den Zugriff der Gläubiger des Klägers auf die Liegenschaften zu verhüten, zum vorneherein nicht erreicht worden wäre.
Die weitere Frage dagegen, ob die Absicht der Parteien auch wirklich auf den Abschluss eines Kaufvertrages gerichtet gewesen sei, hat die Vorinstanz nicht geprüft. Diese Prüfung ist daher vom Bundesgericht nachzuholen. Nach den vorliegenden Umständen muss diese Frage aber ohne Zweifel verneint werden. Haben doch die Parteien in der "Vereinbarung" vom 29. Dezember 1931 ausdrücklich erklärt, dass der Verkauf der Liegenschaften an die Söhne nur pro forma erfolge, dass weder Nutzen noch Schaden auf die Käufer übergehen, dass überhaupt alles im Alten bleiben solle, als wäre die vorsichtshalber vorgenommene Überschreibung auf die Söhne nie erfolgt, und dass insbesondere auch bei einem Erbgang die Teilung so vorgenommen werden solle, als ob der pro forma-Verkauf nie stattgefunden hätte. Und im Vertrag vom 5. November 1940 wurde seitens beider Parteien erneut bestätigt, dass Vater Wärtli "tatsächlich Eigentümer" der Liegenschaften geblieben sei und bleiben solle. Hieraus ergibt sich schlüssig, dass der wirkliche Wille der Parteien nie auf den Abschluss eines Kaufvertrages gerichtet war, sondern dass ein solcher nur nach aussen, Dritten gegenüber, vorgetäuscht werden sollte, während die Parteien unter sich darüber einig waren, dass ein Austausch von Kaufpreis gegen Kaufsache mit Übergang von Nutzen und Gefahr, d.h. also die begriffswesentlichen Merkmale des Kaufes, nicht eintreten sollten. Dem entspricht denn auch, dass in all den Jahren seit 1931 es nach der übereinstimmenden Darstellung beider Parteien der Kläger war, der tatsächlich die Befugnisse eines Eigentümers ausübte. Alle Mietverträge wurden von ihm abgeschlossen und

BGE 71 II 99 (105):

unterzeichnet; er bestimmte über die Vornahme von Umbauten, Neueinrichtungen und Reparaturen; ja der Beklagte bezahlte sogar für die von ihm benützten Räumlichkeiten in dem auf seinen Namen im Grundbuch eingetragenen Hause dem Kläger einen Mietzins. Bezeichnend ist ferner, dass zwischen den Parteien die Höhe des Kaufpreises nie ernstlich diskutiert und festgesetzt worden ist. Er wurde vielmehr kurzerhand auf die Höhe der Grundpfandbelastung angesetzt zu dem ausschliesslichen Zwecke, den Anschein einer völligen Tilgung des angeblichen Kaufpreises durch die Überbindung der persönlichen Schuldpflicht an den Pfandschulden zu erwecken. Der Umstand, dass das Grundbuchamt gemäss der Vorschrift von Art. 846/834 ZGB den Grundpfandgläubigern von Amteswegen die Übernahme der Pfandschulden durch den angeblichen Käufer mitteilte, vermochte im Verhältnis unter den Parteien den fehlenden Verpflichtungswillen nicht zu ersetzen. Deshalb ist für die Gültigkeit des Kaufvertrages unerheblich, ob die Grundpfandgläubiger von den Parteien darüber aufgeklärt wurden, dass in Wirklichkeit gar kein Kauf beabsichtigt sei, oder ob die Gläubiger auf Grund der vom Grundbuchamt erhaltenen Anzeige das Geschäft als ein ernsthaftes ansehen durften, worüber den Akten nichts entnommen werden kann.
Das gesamte Verhalten der Parteien lässt somit keinen Zweifel darüber bestehen, dass die von ihnen angestrebte Eigentumsübertragung in Wirklichkeit nicht auf Grund eines Kaufvertrages erfolgen sollte, sondern vielmehr lediglich gestützt auf die verschiedenen zwischen ihnen abgeschlossenen Vereinbarungen, mag man nun diese als "Treuhandvertrag", "Fiduziarischer Vertrag" oder sonstwie bezeichnen. Dieser dem wirklichen Willen der Parteien entsprechende Vertrag, der sich hinter dem Kaufvertrag verbarg, unterschied sich von diesem seinem Wesen nach, wenn er auch wie dieser auf die Übertragung von Grundeigentum gerichtet war. Der Kaufvertrag war also simuliert und deshalb nach Art. 18 OR nichtig.


BGE 71 II 99 (106):

Aber auch der hinter dem Kaufvertrag versteckte, dem wirklichen Parteiwillen entsprechende Vertrag ist nichtig, weil er nicht öffentlich beurkundet ist und nach der oben erwähnten Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Erfüllung der Form für den simulierten Vertrag die für das dissimulierte Geschäft erforderliche Form nicht zu ersetzen vermag. Ist mithin der Kaufvertrag wegen Simulation, der sogenannte Treuhandvertrag mangels Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form nichtig, so entbehrt die Eigentumsübertragung des gültigen Rechtsgrundes, dessen sie als kausaler Rechtsakt bedarf. Sie ist daher ebenfalls nichtig.
Ist somit das Eigentum an den streitigen Liegenschaften trotz dem vorgenommenen Grundbucheintrag beim Kläger verblieben, so ist dieser gemäss Art. 975 ZGB befugt, die Berichtigung des mit der wirklichen Rechtslage nicht im Einklang stehenden Grundbucheintrags und die Feststellung seines Eigentums zu verlangen.
 
Erwägung 4
4. Es könnte sich fragen, ob dem Beklagten der sich auf Simulation stützenden Klage gegenüber nicht die Einrede der Arglist zu Gebote stünde. Das Bundesgericht hat nämlich schon wiederholt entschieden, wenn bei einem Liegenschaftskauf ein niedrigerer Kaufpreis als der wirklich vereinbarte verurkundet werde, so könne nach erfolgter Erfüllung des Geschäftes keine Partei sich auf Simulation und daraus folgende Ungültigkeit der Eigentumsübertragung berufen, da dies gegen Treu und Glauben verstiesse (BGE 50 II 148). Selbst wenn man jedoch an dieser Auffassung grundsätzlich festhalten wollte, so stünde dies einem Schutz der vorliegenden Klage nicht entgegen. Denn hier verhält es sich nicht so, dass zwischen den Parteien Übereinstimmung bestünde über Inhalt und Tragweite der zwischen ihnen im Jahre 1931 abgeschlossenen Vereinbarungen und lediglich die Frage der Simulation streitig wäre. Vielmehr gehen die Auffassungen der Parteien über die erwähnten Punkte gerade auseinander, indem nach der Darstellung des

BGE 71 II 99 (107):

Klägers eine zeitlich beschränkte Eigentumsübertragung gewollt war, während der Beklagte behauptet, diese habe einen definitiven Charakter haben sollen. Unter diesen Umständen kann die Berufung des Klägers auf einen der Eigentumsübertragung anhaftenden Formmangel nicht als missbräuchlich angesehen werden. Zudem hat der Beklagte die Einrede der Arglist gar nicht erhoben.