BGE 141 I 9
 
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A. und Mitb. gegen Schulpflege V. und Regierungsrat des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
2C_590/2014 vom 4. Dezember 2014
 
Regeste
Art. 8 Abs. 2, Art. 19 und 62 BV sowie Art. 20 BehiG. Der ausreichende Grundschulunterricht ist zwingend unentgeltlich, auch wenn die Schule eine gesetzlich nicht vorgesehene Leistung erbringt. Kantonalrechtliche Regelungen, welche über die Zuteilung eines Kindes in die separative Sonderschulung aufgrund schematischer Grundlagen bestimmen, berücksichtigen im Einzelfall das Kindswohl nicht ausreichend.
Wenn ein integrativer Unterricht mit zusätzlichen Assistenzlektionen in den konkreten Umständen dem gebotenen Unterricht entspricht und finanziell tragbar sowie praktisch möglich ist, sind die Assistenzlektionen für die Eltern unentgeltlich, auch wenn sie gesetzlich nicht vorgesehen sind (E. 4).
Kantonalrechtliche Regelungen, welche über die Zuteilung eines behinderten Kindes in die separative Sonderschulung aufgrund schematischer Grundlagen bestimmen, berücksichtigen im Einzelfall das Kindswohl nicht ausreichend. Sie können nicht als rechtliche Grundlagen dienen, um den Besuch der Regelklasse nur bei Kostenübernahme der zusätzlichen Integrationsmassnahmen durch die Eltern zuzulassen (E. 5).
 
Sachverhalt


BGE 141 I 9 (11):

A. A.A. (geb. 1999) ist der Sohn von C.A. und B.A. Er leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung. Im Schuljahr 2007/2008 besuchte A.A. die Einschulungsklasse; zu Beginn des Schuljahres 2009/2010 trat er in die Regelklasse ein. Am 25. Juni 2012 bzw. 3. September 2012 führte die Schulpflege V. aus, A.A. werde mit (wöchentlich) 18 Stunden Assistenz unterstützt; die Eltern seien bis anhin bereit gewesen, ihrem Sohn eine Vollzeit-Betreuung zu ermöglichen und hätten hierfür finanziell die erforderlichen Stunden getragen. Ohne diese zusätzlichen Stunden sei A.A. nicht integrierbar. Die Standortbestimmung habe ergeben, dass die schulische Integration im Schuljahr 2012/2013 mit Vollzeitbetreuung durch Assistenz weitergeführt werden könne. Sie genehmigte den hierfür erforderlichen Verlängerungsantrag an das kantonale Departement Bildung, Kultur und Sport und ersuchte um verstärkte Massnahmen für A.A. im Umfang der im kantonalen Recht maximal vorgesehenen 18 Wochenstunden durch eine Assistenzlehrperson; die Eltern hätten trotz steigender Anzahl der Wochenlektionen die darüber hinausgehenden Stunden für eine Vollzeitbegleitung weiter zu finanzieren.
B. C.A. und B.A. erhoben gegen die Beschlüsse der Schulpflege Beschwerde an den Schulrat des Bezirks V., wobei sie beantragten, es sei eine Kostengutsprache für die Begleitung von A.A. für sämtliche erforderlichen Assistenzlektionen (und nicht nur für die vorgesehenen 18 Stunden) im Schuljahr 2012/2013 zu erteilen. Mit Beschluss vom 29. Oktober 2012 wies der Schulrat die Eingabe ab, ohne den Verbleib von A.A. in der Regelklasse zu bestreiten, sofern die Schulpflege dies unter Berücksichtigung aller Interessen erlaube und die Beschwerdeführer die zusätzlichen Assistenzstunden selber finanzierten. Der Regierungsrat des Kantons Aargau wies die hiergegen erhobene Beschwerde am 1. Mai 2013 ab. B.A. und A.A. blieben auch vor dem Verwaltungsgericht in der Sache ohne Erfolg.
C. A.A. (Beschwerdeführer 1), C.A. und B.A. beantragen vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 13. Mai 2014 sei aufzuheben und die Kostengutsprache bezüglich der

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Assistenzbegleitung von A.A. für sämtliche Lektionen des Schuljahrs 2012/2013 zu erteilen.
Das Bundesgericht hat am 4. Dezember 2014 die Beschwerde in öffentlicher Sitzung gutgeheissen und den angefochtenen Entscheid aufgehoben. Die Vollzeitassistenz für den Besuch der Regelklasse im Schuljahr 2012/13 erfolgt unentgeltlich.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.1 Niemand darf unter anderem wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung diskriminiert werden (Art. 8 Abs. 2 BV). Verboten ist eine sachlich nicht begründete Anknüpfung an das verpönte Merkmal der Behinderung, namentlich eine mit dieser verbundenen Benachteiligung, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung zu gelten hat (BGE 139 I 169 E. 7.3.2 S. 177; BGE 138 I 305 E. 3.3 S. 316 f.; BGE 135 I 49 E. 4.1 S. 53 f.; BGE 134 I 105 E. 5 S. 108). Art. 8 Abs. 2 BV begründet jedoch keinen individualrechtlichen, gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass eine faktische Gleichheit hergestellt wird (BGE 135 I 161 E. 2.3 S. 163; BGE 134 I 105 E. 5 S. 108). Für die Beseitigung faktischer Benachteiligungen behinderter Personen besteht vielmehr ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Beseitigungsauftrag (Art. 8 Abs. 4 BV), welchen der Gesetzgeber zu konkretisieren hat (BGE 139 II 289 E. 2.2.1 S. 294; BGE 134 I 105 E. 5 S. 108 mit Hinweisen).
3.2 Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig (Art. 62 Abs. 1 BV). Sie haben einen ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht zu gewähren (Art. 19 und Art. 62 Abs. 2 BV). Dieser muss angemessen und geeignet sein; er soll genügen, um die Schüler sachgerecht auf ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten (BGE 133 I 156 E. 3.1 S. 158 f.; BGE 129 I 35 E. 7.3 S. 38 f.). Behinderte haben in diesem Rahmen einen Anspruch auf geeignete Sonderschulung (BGE 130 I 352 E. 3.3 S. 354). Die Kantone sorgen für eine ausreichende Sonderschulung aller behinderten Kinder und Jugendlichen bis längstens zum vollendeten 20. Lebensjahr (Art. 62 Abs. 3 BV; BGE 140 I 153 E. 2.3.4). Gemäss Art. 20 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG; SR 151.3) sorgen die Kantone dafür, dass behinderte Kinder und Jugendliche eine Grundschulung

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erhalten, die ihren besonderen Bedürfnissen angepasst ist (Art. 20 Abs. 1 BehiG). Sie fördern, soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes oder Jugendlichen entspricht, mit entsprechenden Schulungsformen die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in die Regelschule (Art. 20 Abs. 2 BehiG). Diese Bestimmung konkretisiert die verfassungsrechtlichen Grundsätze (Art. 8 Abs. 2, Art. 19 und Art. 62 Abs. 3 BV), geht aber kaum über sie hinaus (BGE 138 I 162 E. 3.1 S. 164 f.; SCHEFER/HESS-KLEIN, Behindertengleichstellungsrecht, 2014, S. 341 f.; ANDREA AESCHLIMANN-ZIEGLER, Der Inhalt des Anspruchs auf ausreichende und unentgeltliche Sonderschulung und seine prozessuale Geltendmachung [nachfolgend: Sonderschulung], Jusletter 21. Januar 2013 Rz. 22; PETER UEBERSAX, Der Anspruch Behinderter auf ausreichende Grund- und Sonderschulung, in: Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, Gabriela Riemer-Kafka [Hrsg.], 2011, S. 36).
3.3 Im Rahmen dieser Grundsätze verfügen die Kantone praxisgemäss über einen erheblichen Gestaltungsspielraum (Art. 46 Abs. 3 BV; BGE 138 I 162 E. 3.2 und 3.3 S. 165 f.; BGE 133 I 156 E. 3.1 S. 158 f.; BGE 130 I 352 E. 3.2 S. 354). Der verfassungsrechtliche Anspruch umfasst nur ein angemessenes, erfahrungsgemäss ausreichendes Bildungsangebot an öffentlichen Schulen. Ein darüber hinausgehendes Mass an individueller Betreuung, das theoretisch immer möglich wäre, kann mit Rücksicht auf das staatliche Leistungsvermögen nicht eingefordert werden (BGE 130 I 352 E. 3.3 S. 354 f.; BGE 129 I 12 E. 6.4 S. 20). Der verfassungsmässige Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht gebietet mit anderen Worten nicht die optimale bzw. geeignetste überhaupt denkbare Schulung von behinderten Kindern (vgl. BGE 138 I 162 E. 3.2 S. 165 mit zahlreichen Hinweisen). Die Auslegung und Anwendung des einschlägigen kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht auf eine Verletzung des Willkürverbots hin (vgl. nicht publ. E. 2.1); ob das entsprechende Resultat den dargelegten bundesrechtlichen Mindestgrundsätzen entspricht, würdigt es mit freier Kognition (BGE 138 I 162 E. 3.3 S. 166; BGE 130 I 352 E. 4 S. 355).
 
Erwägung 4
4.1 Art. 19 BV garantiert - wie soeben dargelegt (oben E. 3.2) - einen ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht. Gemäss Art. 62 Abs. 2 BV müssen die Kantone für einen Grundschulunterricht sorgen, der allen Kindern offensteht und an den öffentlichen Schulen unentgeltlich erfolgt. Unabhängig davon, welche Lösung

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die Kantone bzw. die ausführenden Gemeinden zur Erfüllung dieser Pflicht bei behinderten Kindern wählen, sei es die integrative oder die separative Sonderschulung, sind hierfür keine finanziellen Beteiligungen der Eltern zulässig. Von diesem Prinzip darf nicht abgewichen werden, selbst wenn eine Schule zum Wohle des behinderten Kindes eine gesetzlich nicht vorgesehene Leistung erbringt; womit es nicht darauf ankommt, ob die Integration in die Regelschule mit einer Vollzeitassistenz - wie hier - auf Wunsch der Eltern oder durch die zuständigen Behörden selber erfolgt. Dies gilt auch im Lichte von Art. 8 Abs. 2 BV: Der Beschwerdeführer 1 hätte nach dem angefochtenen Entscheid im Gegensatz zu seinen Mitschülern wegen seiner Behinderung und damit eines verpönten Merkmals die Schulkosten für seinen ausreichenden Grundschulunterricht zumindest teilweise selber zu tragen, was nach dem Gesagten unzulässig erscheint.
 
Erwägung 4.2
4.2.1 In früheren Urteilen erachtete das Bundesgericht die Übernahme von Kosten für den Grundschulunterricht durch die Eltern teilweise als zulässig und mit dem Anspruch auf einen ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht vereinbar. Diese Fälle können allerdings nicht mit der vorliegend zu beurteilenden Problematik verglichen werden: In BGE 122 I 236 ff. z.B. wollte ein Kind mit französischer Muttersprache, welches in einer deutschsprachigen Gemeinde wohnte, die französischsprachige Grundschule in der Nachbarsgemeinde besuchen. Dabei erkannte das Bundesgericht, dass das Kind an seinem Wohnort zwar keinen Anspruch auf einen unentgeltlichen Schulunterricht in französischer Sprache habe, aber die französischsprachige Grundschule in einer anderen Gemeinde besuchen dürfe, wenn die Eltern die daraus entstehenden finanziellen Verpflichtungen übernähmen. Die Eltern hatten damit lediglich Kosten eines Grundschulunterrichts zu tragen, der über die verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen des ausreichenden Unterrichts hinausging. Dieselbe Überlegung galt im Zusammenhang mit BGE 133 I 156 ff.; in diesem Fall verweigerte die Gemeinde einem Schüler, der ein Untergymnasium absolvierte, die vollständige Übernahme der Transportkosten, da es dem Schüler zumutbar gewesen wäre, die Vorbereitung zur Gymnasialausbildung an der Sekundarschule zu absolvieren, weshalb der Besuch des Untergymnasiums über den ausreichenden Grundschulunterricht hinausging und nicht mehr unentgeltlich gewährleistet werden musste.


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4.2.2 Für behinderte Kinder ist es im Rahmen des ausreichenden Grundschulunterrichts regelmässig erforderlich, einen höheren Aufwand zu betreiben, um ihre behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen und eine möglichst weitgehende gesellschaftliche Chancengleichheit herzustellen (vgl. BGE 138 I 162 E. 4.6.2 S. 169; BGE 134 I 105 E. 5 S. 108; BGE 130 I 352 E. 3.2 S. 354; BGE 130 V 441 E. 6.2 S. 443 f.; BGE 129 I 35 E. 7.3 S. 39; Urteil 2C_864/2010 vom 24. März 2011 E. 4.4). Es besteht aber kein verfassungsmässiger Anspruch auf die bestmögliche individuelle Lösung unabhängig von finanziellen Überlegungen, d.h. auch für Kinder mit einer Behinderung sind die jeweiligen staatlichen Betreuungspflichten aufwandmässig nicht unbegrenzt (vgl. AESCHLIMANN-ZIEGLER, Sonderschulung, a.a.O., Rz. 26 f.): Eine Abweichung vom "idealen" Bildungsangebot ist zulässig, wenn sie der Vermeidung einer erheblichen Störung des Unterrichts, der Berücksichtigung der finanziellen Interessen des Gemeinwesens oder dem Bedürfnis der Schule an der Vereinfachung der organisatorischen Abläufe dient und die entsprechenden Massnahmen verhältnismässig bleiben (vgl. ANDREA AESCHLIMMAN-ZIEGLER, Der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung [nachfolgend: Grundschulunterricht], 2011, S. 169; COPUR/NAGUIB, Bildung, in: Diskriminierungsrecht, Naguib und andere [Hrsg.], 2014, S. 100).
 
Erwägung 4.3
4.3.2 Die Integration ist unbestrittenermassen sowohl personell wie organisatorisch möglich und die Mitschüler haben keine Beeinträchtigung ihrer Bildungsrechte beklagt. Im Bereich der Finanzen belegen die kantonalen Behörden nicht, dass der Besuch einer Sonderschule günstiger wäre als die Gewährung der notwendigen Assistenzlektionen. Der BGE 138 I 162 ff. zugrunde liegende Sachverhalt deutet vielmehr darauf hin, dass die integrative Schulung üblicherweise weniger Kosten verursacht als der Unterricht an einer

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Sonderschule. Der Beschwerdeführer 1 geniesst somit bei der Integration mit zusätzlichen Assistenzlektionen "nur" einen den konkreten Umständen entsprechenden ausreichenden Grundschulunterricht; dieser hat zwingend unentgeltlich zu sein. Der Umstand, dass der ausreichende Unterricht im vorliegenden Fall mit dem "idealen" übereinstimmt, ändert hieran nichts. Es besteht im Übrigen auch keine unzulässige Bevorzugung gegenüber seinen Mitschülern, weil eine Abweichung von der "idealen" Leistung vorliegend sachlich nicht geboten erscheint (vgl. dazu AESCHLIMMANN-ZIEGLER, Sonderschulung, a.a.O., Rz. 27).
4.3.3 Gegen die Gutheissung spricht auch nicht, dass eine solche die Kantone allgemein dazu verleiten könnte, für individuelle Lösungen keine Hand mehr zu bieten, um dadurch entstehende Zusatzkosten in der Regelschule zu verhindern. Dies widerspräche der Vorgabe, dass die Behörden bei jeder Ein- resp. Umschulung sowie bei der Ausgestaltung des Unterrichts eines behinderten Kindes von Verfassungs bzw. Gesetzes wegen dessen Bedürfnisse eingehend und umfassend zu prüfen haben (AESCHLIMANN-ZIEGLER, Grundschulunterricht, a.a.O., S. 111; COPUL/NAGUIB, a.a.O., S. 100). Eine starre Vorgehensweise wie sie die kantonale Regelung von § 7 Abs. 2 der Verordnung vom 8. November 2006 über die integrative Schulung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die Sonderschulung sowie die besonderen Förder- und Stützmassnahmen (V Sonderschulung; SAR 428.513), in der hier massgebenden Fassung vom 27. April 2011 (AGS 2011/3-22) vorsieht, steht diesem Anspruch eines behinderten Kindes im Weg (sogleich E. 5).
5.1 Gemäss § 3 Abs. 1 lit. d V Sonderschulung erfolgt die Schulung eines Kindes oder Jugendlichen mit einer Behinderung gemäss § 2a integrativ im Regelkindergarten, in der Regel-, Einschulungs- oder Kleinklasse, sofern (u.a.) mit den verstärkten Massnahmen gemäss den §§ 5-7 eine angemessene Unterstützung gewährleistet ist. Für Kinder und Jugendliche mit einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung sind (zusätzlich zu der Beratung und Begleitung gemäss §§ 27

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und 35) bis zu sechs Wochenlektionen Förderunterricht gemäss § 5 vorgesehen (§ 7 Abs. 2 V Sonderschulung). Gemäss § 5 Abs. 2 V Sonderschulung können anstelle einer Wochenlektion Förderunterricht drei Wochenstunden Assistenz bewilligt werden. Somit sind maximal 18 Wochenstunden Assistenz möglich.
5.2 Die entsprechende kantonalrechtliche Grundlage geht davon aus, dass Kinder, welche die Regelschule besuchen, in der Lage sein müssen, sich während einer gewissen Zeit ohne zusätzliche Unterstützung in der Klasse aufzuhalten. Sie sieht deshalb eine Begrenzung der Unterrichtsassistenz vor. Konzeptionell sollen Kinder, bei denen die Assistenz im rechtlich vorgesehenen Maximalumfang nicht ausreicht, um die Integration in die Regelschule zu ermöglichen, in einer Sonderschule unterrichtet werden. Der Beschwerdeführer 1 hat jedoch mit Zustimmung der Behörde im Schuljahr 2012/2013 die Regelschule besucht, wo er aufgrund seiner Behinderung eine Vollzeitbegleitung (Assistenz) erhielt. Davon wurden 18 Wochenstunden (nach Auffassung des Regierungsrates entspricht dies ca. 21 Wochenlektionen) von der Schule bezahlt, während der Rest zu Lasten der Eltern ging. Diese Beschränkung entspricht den dargelegten kantonalen Verordnungsbestimmungen. Sie widersprechen indessen in Folge der verfassungsrechtlich gebotenen fehlenden Flexibilität mit Blick auf den Einzelfall den bundesrechtlichen Vorgaben.
 
Erwägung 5.3
5.3.1 Die Kantone sind nicht vollständig frei, wie sie den Grundschulunterricht ausgestalten wollen: Aus Art. 8 Abs. 2 BV und Art. 20 Abs. 2 BehiG, der die Kantone verpflichtet, die integrative Schulung zu fördern, soweit dies möglich ist und dem Wohl des behinderten Kindes dient, ergibt sich eine (gewisse) Präferenz für die integrierte Sonderschulung (BGE 138 I 162 E. 4.2 S. 166 mit weiteren Hinweisen). Der Grundsatz lag bereits der Botschaft zur Neugestaltung des Finanzausgleichs zugrunde, womit die Kantone verfassungsrechtlich die Möglichkeit erhielten, das Schulwesen integrativ anzugehen, d.h. eigentliche Spezialschulen nur dann vorzusehen, wenn selbst bei Umsetzung individueller Sondermassnahmen eine Integration in der Grundschule nicht möglich oder sinnvoll erschien (BBl 2002 2467 zu Art. 62 Abs. 3). Der Vorrang der integrierten gegenüber der separierten Sonderschulung bildet Grundgedanke des Behindertengleichstellungsgesetzes: Dieses will es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich

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aus- und fortzubilden sowie eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können (Art. 1 Abs. 2 BehiG). Eine durch angemessene Fördermassnahmen begleitete Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in der Regelschule trägt dieser Vorgabe - unter Vorbehalt allenfalls gegenläufiger öffentlicher Interessen (vgl. oben E. 4.2.2.) - soweit möglich am zweckmässigsten Rechnung; es wird dadurch der Kontakt zu nichtbehinderten Gleichaltrigen erleichtert, der Ausgrenzung behinderter Kinder diesen gegenüber entgegengewirkt, das wechselseitige Verständnis bzw. die schulische Vielfältigkeit gefördert und damit die gesellschaftliche Eingliederung behinderter Personen frühzeitig gesellschaftlich erleichtert (vgl. BGE 138 I 162 E. 4.2 S. 166).
5.3.2 Diese Wertung entspricht Art. 24 Abs. 1 des Übereinkommens vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (SR 0.109), welches vorsieht, dass die Vertragsstaaten ein "inklusives Bildungssystem" gewährleisten. Dieser Begriff wurde erstmals in der Erklärung von Salamanca (UNESCO, Salamanca Erklärung und Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse, angenommen von der Weltkonferenz "Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität", Spanien, 7. bis 10. Juni 1994) in die Bildungspolitik eingebracht. Er geht vom Konzept einer "Schule für alle" aus. Sämtliche Kinder, unabhängig davon, ob sie behindert sind oder nicht, sollen dieselbe Schule besuchen, die so ausgestaltet ist, dass alle unterschiedlichen Bedürfnisse befriedigt werden können. Die Schulung in der Regelschule soll - soweit möglich - den Normalfall bilden. Die inklusive Schulung in diesem Sinn geht nicht über die dargelegten bundesrechtlichen Garantien hinaus und vermittelt einem behinderten Grundschüler keine absoluten Ansprüche (ausführlich dazu AESCHLIMANN-ZIEGLER, Sonderschulung, a.a.O., Rz. 19). In Bezug auf das hier zu beurteilende Schuljahr 2012/13 ist das für die Schweiz erst am 15. Mai 2014 in Kraft getretene Übereinkommen noch nicht massgebend.
5.3.3 Die darin zugunsten eines inklusiven Ansatzes enthaltene Wertung kommt ebenfalls in Art. 2 lit. b der Interkantonalen Vereinbarung vom 25. Oktober 2007 über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik (in Kraft seit dem 1. Januar 2011) zum Ausdruck, wonach unter Beachtung des Wohles und der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes sowie unter Berücksichtigung des schulischen Umfeldes und der Schulorganisation integrativen Lösungen gegenüber separierenden der Vorzug gegeben werden soll. Zur Umsetzung dieser Vorgabe ist ein Leitfaden entwickelt worden, welcher

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für behinderte Kinder eine grösstmögliche Partizipation im Umfeld der Regelschule ("Schule für alle") anstrebt (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion, Standardisiertes Abklärungsverfahren [SAV], Instrument des Sonderpädagogik-Konkordats als Entscheidungsgrundlage für die Anordnung verstärkter individueller Massnahmen, 2014, S. 9 [www.edk.ch/dyn/28060.php]). Der Kanton Aargau ist dieser Vereinbarung nicht beigetreten.
5.3.4 Auch wenn die zitierten Grundlagen im vorliegenden Fall nicht verbindlich sind ("soft law"), ergibt sich daraus doch eine Tendenz zur integrativen Sonderschulung. Ein Recht auf Integration in die Regelschule besteht jedoch nicht (COPUL/NAGUIB, a.a.O., S. 100). Im Einzelfall geht es darum, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen (Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes [SR 0.107]; BGE 130 I 352 E. 6.1.2 S. 358; HARDY LANDOLT, Das behinderte Kind im Schul- und Ausbildungsrecht, in: Das behinderte Kind im schweizerischen Recht, Sprecher/Sutter [Hrsg.], 2006, S. 193 ff.; UEBERSAX, a.a.O., S. 48). Seine besonderen Bedürfnisse definieren die "richtige" Lösung im Einzelfall (SCHEFER/HESS-KLEIN, a.a.O., 2014, S. 343; AESCHLIMANN-ZIEGLER, Sonderschulung, a.a.O., Rz. 25), von der nur abgewichen werden soll, wenn und soweit ein überwiegendes öffentliche Interesse besteht und die Verhältnismässigkeit gewahrt bleibt (siehe oben E. 4.2.2).
5.3.5 Dieser Vorgabe entspricht die schematisierende Lösung von § 7 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 V Sonderschulung nicht, da sie ausschliesslich auf ein zahlenmässiges Kriterium (Beschränkung auf maximal 18 Wochenstunden Assistenz) abstellt, um darüber zu entscheiden, ob ein Kind integrativ oder separativ von Sonderschulungsleistungen profitieren soll. Sie stellt schematisierend organisatorische Gründe und die Rücksichtnahme auf die Rechte der übrigen Schulkinder auf einen ausreichenden Grundschulunterricht in den Vordergrund, um die Zuweisung eines Kindes in die Sonderschule zu begründen. Eine solche pauschale Regelung ist nicht geeignet, um vorrangig dem Kindeswohl bzw. den allfälligen besonderen Umständen des Einzelfalls in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Dies gilt auch im vorliegenden Fall: Bis anhin war es unbestritten möglich, dass der Beschwerdeführer 1 trotz des zusätzlichen Organisationsaufwandes die Regelschule ohne Beeinträchtigung der Rechte seiner Mitschüler besucht. Gleiches gilt in Bezug auf die finanziellen Aspekte, welche gemäss Vorinstanz ebenfalls eine Rolle für die

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starre Obergrenze der Assistenzlektionen spielen. Eine separative Sonderschulung kann durchaus mehr Kosten verursachen als eine über das Maximum von 18 Wochenstunden hinausgehende Assistenz. Die Verordnungsregelung, auf die sich der negative Entscheid stützt, erweist sich als zu wenig differenziert. Sie kann nicht als rechtliche Grundlage dazu dienen, den Besuch der Regelschule zu verhindern, bzw. diesen nur bei - anteiliger - Kostenübernahme durch die Eltern zuzulassen und dadurch die bundesrechtlich geförderte integrative Schulung zu erschweren.