BGE 129 I 74 - Orthodoxe Osterfeier
 
8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich sowie Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
 
2P.245/2002 / 2P.246/2002
vom 13. Januar 2003
 
Regeste
Art. 15 BV; Art. 9 EMRK; Art. 18 UNO-Pakt II; Glaubens- und Gewissensfreiheit im Strafvollzug.
Kultusfreiheit als Bestandteil und Ausfluss der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Kultusfreiheit im Strafvollzug; Beschränkung der Teilnahme an Gottesdiensten (E. 4).
Zur Befreiung von der Arbeitsverpflichtung im Strafvollzug (vgl. Art. 37 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) an religiösen Feiertagen (E. 5 und 6).
 


BGE 129 I 74 (74):

Sachverhalt
Im Rahmen des vorzeitigen Strafvollzugs wurde der des Mordes und der Vergewaltigung beschuldigte X. am 13. Februar 2002 in die Strafanstalt Pöschwies überwiesen und zunächst für die Dauer von drei Monaten in der Abteilung für Fluchtgefahr platziert. X. bekennt sich zum orthodoxen Glauben.
Am 20. April 2002 ersuchte X. um Teilnahme an der orthodoxen Osterfeier vom 5. Mai 2002 im Andachtsraum des Sozialzentrums der Strafanstalt. Dies verweigerte ihm der Direktor der Strafanstalt mit Schreiben vom 26. April 2002 mit der Begründung, er befinde sich für drei Monate auf der Abteilung für Fluchtgefahr. Ein ihm statt dessen zugesicherter Besuch eines orthodoxen Geistlichen (Popen) fand aufgrund eines Versäumnisses des Anstaltsseelsorgers nicht statt. Gegen den Ausschluss von der Osterfeier erhob X. Rekurs. Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich trat mit Verfügung vom 30. August 2002 auf den Rekurs

BGE 129 I 74 (75):

mangels Rechtsschutzinteresses nicht ein. In einem Eventualstandpunkt schützte sie den materiellen Entscheid des Direktors der Strafanstalt.
X. hat am 25. September 2002 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag (Verfahren 2P.245/2002):
    "Die Verfügung der Direktion der Justiz und des Inneren des Kantons Zürich ist aufzuheben und das verfassungsmässig garantierte Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit zu gewährleisten."
X. verweigerte im Weiteren am 3., 13., 24. und 28. Juni, 12. Juli sowie am 2. und 19. August 2002 die Arbeitsleistung mit der Begründung, es handle sich um "offizielle Feier- und Ruhetage der orthodoxen Christenheit". An diesen Tagen bete er vermehrt und befasse sich tiefer gehend mit seinem Glauben. Die Direktion der Strafanstalt Pöschwies versetzte ihn hierauf jeweils für drei Tage in Einzelhaft und entzog ihm für die gleiche Dauer das Fernsehgerät. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel wies die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich am 30. August 2002 als unbegründet ab.
Auch deshalb ist X. am 25. September 2002 - mit zusätzlicher Rechtsschrift - mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gelangt (Verfahren 2P.246/2002) und stellt den wortgleichen Antrag wie im Verfahren 2P.245/2002.
Das Bundesgericht hat beide Verfahren miteinander vereinigt. Es weist die staatsrechtlichen Beschwerden ab, soweit es darauf eintritt.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Aus den Erwägungen:
I. Verfahren 2P.245/2002
 
Erwägung 4
4.1  Dem Beschwerdeführer wurde die Teilnahme an einer Kultushandlung verwehrt. Nach Art. 15 BV ist die "Glaubens- und Gewissensfreiheit"

BGE 129 I 74 (76):

gewährleistet (Abs. 1); jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen (Abs. 2). Im Gegensatz zur alten Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (Art. 50 Abs. 1 aBV) wird die Kultusfreiheit in der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 nicht mehr eigens erwähnt. Allerdings wurde der verfassungsrechtliche Schutz der Kultusfreiheit deswegen nicht in seiner Substanz verkürzt (URS JOSEF CAVELTI, in: Bernhard Ehrenzeller/Philippe Mastronardi/Rainer J. Schweizer/Klaus A. Vallender, Die schweizerische Bundesverfassung, 2002, N. 3 zu Art. 15 BV; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., 2001, S. 122 f., Rz. 404 und 409; ANDREAS KLEY, Das Religionsrecht der alten und neuen Bundesverfassung, in: René Pahud de Mortanges [Hrsg.], Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 9 und 16; FELIX HAFNER, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Daniel Thürer/Jean-FranWois Aubert/Jörg Paul Müller [Hrsg.], Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, S. 707-712; UELI FRIEDERICH, Zur neuen schweizerischen Religionsverfassung, in: Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht 1999, S. 97 f.; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 1999, S. 85 insbes. Fn. 27; vgl. auch Botschaft vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 27 und 155 f.). Die Kultusfreiheit erscheint (weiterhin) als Bestandteil und Ausfluss der Glaubens- und Gewissensfreiheit (BGE 123 I 296 E. 2b/aa S. 300; 113 Ia 304 E. 2 S. 305; 13 S. 9 E. 3). Sie hat gottesdienstliche Handlungen, also eine besondere Form der Betätigung des Glaubens, zum Gegenstand (BGE 113 Ia 304 E. 2 S. 305). Auf sie können sich auch Strafgefangene berufen. Die Kultusfreiheit gilt jedoch nicht absolut. Einschränkungen sind zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und dem Gebot der Verhältnismässigkeit entsprechen (Art. 36 BV; BGE 123 I 296 E. 2b/cc S. 302; 113 Ia 304 E. 3 S. 305). Entsprechendes gilt hier für die durch die Europäische Menschenrechtskonvention sowie durch Art. 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (SR 0.103.2) geschützte Religionsfreiheit (vgl. Art. 9 Ziff. 2 EMRK; BGE 123 I 296 E. 2b/aa und cc S. 301 und 303; 119 Ia 178 E. 3 S. 182 f.; 114 Ia 129 E. 2a S. 132; URS JOSEF CAVELTI, a.a.O., N. 10 zu Art. 15 BV; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., 1999, S. 382 ff.; ARTHUR HAEFLIGER/FRANK SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl., 1999,

BGE 129 I 74 (77):

S. 278 ff.; JOCHEN ABR. FROWEIN/VINCENT COUSSIRAT-COUSTERE, in: Louis-Edmond Pettiti/Emmanuel Decaux/Pierre-Henri Imbert [Hrsg.], La Convention européenne des droits de l'homme, 2. Aufl., Paris 1999, S. 355 ff.; JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., Kehl am Rhein 1996, S. 367 ff., insbes. N. 22 ff. zu Art. 9 EMRK).
4.2  Im Strafvollzug ergeben sich im öffentlichen Interesse liegende Freiheitsbeschränkungen aus dem Zweck dieser Institution und aus dem Erfordernis der Einhaltung eines geordneten Anstaltsbetriebes. Über das hiezu erforderliche Mass dürfen sie nicht hinausgehen. Durch die weitgehende Abschliessung des Häftlings von der Aussenwelt kann der Strafvollzug Beschränkungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit und namentlich der Kultusfreiheit mit sich bringen. Solche Beschränkungen muss eine sachgerechte Anstaltsordnung in engen Schranken halten. Sie muss Mittel und Wege finden, um die Ausübung des Glaubenslebens möglichst gut zu gewährleisten, ohne den Strafvollzug übermässig zu belasten (BGE 113 Ia 304 E. 3 S. 305 mit Hinweis; vgl. auch HÄFELIN/HALLER, a.a.O., S. 128, Rz. 439).
§ 95 der Zürcher Justizvollzugsverordnung vom 24. Oktober 2001 (JuVVO/ZH) hält fest, dass den Gefangenen für ihre seelsorgerischen Anliegen die zugelassenen Anstaltsseelsorger zur Verfügung stehen und auch Dienste, die nicht der Anstalt angehören, beigezogen werden können. Die am 11. Februar 2002 erlassene und am 1. März 2002 in Kraft getretene Hausordnung "Gefängnisse Kanton Zürich" sieht in § 48 vor, dass die Seelsorger der Landeskirchen das Gefängnis regelmässig besuchen; für Gespräche mit dem Seelsorger ebenso wie mit Vertretern anderer Religionen haben sich die Inhaftierten bei der Gefängnisleitung anzumelden. Allerdings hat das Bundesgericht zur Gewährleistung der Kultusfreiheit in Bezug auf die seinerzeit geltende und vergleichbare Bestimmungen zur Seelsorge enthaltende Zürcher Anstaltsverordnung in BGE 113 Ia 304 (E. 4d S. 307) festgehalten, eine grundrechtskonform ausgestaltete Gottesdienstordnung müsse zum Zwecke haben, möglichst vielen Häftlingen den Besuch gemeinsamer Gottesdienste zu ermöglichen.
4.3  Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage für die Beschränkung der Kultusfreiheit. Er befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug.
Der Strafvollzug fällt in die kantonale Gesetzgebungszuständigkeit (vgl. Art. 3 und Art. 42 Abs. 1 BV). Der vorzeitige Strafvollzug

BGE 129 I 74 (78):

basiert im Kanton Zürich auf §§ 36 und 37 Abs. 3 des Zürcher Gesetzes vom 4. Mai 1919 betreffend den Strafprozess (StPO/ZH) und §§ 19 ff. JuVVO/ZH. Laut § 20 Abs. 2 JuVVO/ZH erfolgt der vorzeitige Antritt in einer geschlossenen Anstalt nach den Regeln und Zuständigkeiten für den Vollzug rechtskräftiger Urteile, sofern die Strafverfolgungsbehörde keine besonderen einschränkenden Anordnungen trifft. Gemäss Art. 37 Ziff. 3 Abs. 1 Satz 1 StGB wird der Gefangene während der ersten Stufe des Vollzugs in Einzelhaft gehalten. Diese Phase dient neben anderen Abklärungen unter anderem auch der Prüfung der Gemeingefährlichkeit des Insassen. Als gemeingefährlich gelten Personen, die die körperliche oder seelische Integrität von Drittpersonen unmittelbar und schwer gefährden (vgl. Ziff. 1 der Richtlinien der Ostschweizer Strafvollzugskommission vom 16. April 1999 über den Vollzug von Freiheitsstrafen an gemeingefährlichen Straftätern und Straftäterinnen, die auch für den Kanton Zürich gelten). Gestützt auf § 55 Abs. 1 JuVVO/ZH und die erwähnten Richtlinien prüft die Vollzugsbehörde bei Vollzugsbeginn die Frage der Gemeingefährlichkeit bei Personen, die wegen schwerer Delikte - wie hier u.a. Mord - angeschuldigt bzw. verurteilt worden sind (vgl. insbes. Ziff. 2.1 der Richtlinien samt Anhang). Urlaub und andere Vollzugslockerungen werden Inhaftierten nur gewährt, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sie nicht mehr gemeingefährlich sind oder Dritte vor einer verbleibenden Gefahr durch begleitende Massnahmen ausreichend geschützt werden können (§ 55 Abs. 2 JuVVO/ZH). Dies stimmt mit den in §§ 30 und 31 des Zürcher Gesetzes vom 30. Juni 1974 über das kantonale Strafrecht und den Vollzug von Strafen und Massnahmen (StVG/ZH) für die Durchführung des Vollzugs aufgestellten Grundsätzen überein. Demnach sind unnötige Einschränkungen, die sich nicht aus dem Freiheitsentzug selbst ergeben, zwar zu unterlassen (§ 30 Ziff. 2 StVG/ZH); die Verfolgung des Straf- und Massnahmezweckes, der Schutz des Anstaltspersonals und der Miteingewiesenen sowie die Gebote der öffentlichen Sicherheit bleiben aber in jedem Falle vorbehalten (§ 31 StVG/ZH).
4.4  Damit ist vorliegend eine gesetzliche Grundlage gegeben. Mit Blick auf die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten (Mord und Vergewaltigung) durften die Behörden davon ausgehen, dass bei Aufnahme in der Anstalt Pöschwies zunächst abzuklären war, ob und inwieweit vom Beschwerdeführer eine Gefahr unter anderem für das Gefängnispersonal und die Mitinsassen ausging. In diesem Stadium beschränkte sich das öffentliche Interesse demnach

BGE 129 I 74 (79):

- entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht lediglich auf den Freiheitsentzug als solchen, sondern deckte auch seine Unterbringung in Einzelhaft in der dafür eingerichteten sog. Abteilung für Fluchtgefahr ab. Es spielt keine Rolle, dass die Kollusionsgefahr bereits verneint worden war; dies war nur der Anlass gewesen, dass die Behörden die (in einer anderen Anstalt verbrachte) Untersuchungshaft beendet und den vorzeitigen Strafvollzug bewilligt hatten. Ebenso wenig ist die für die Einzelhaft angesetzte Dauer von drei Monaten zu beanstanden, da dieser Zeitraum nach der Erfahrung als notwendig und angemessen erscheint, um die Gefährlichkeit von Straftätern wie dem Beschwerdeführer und die geeigneten Massnahmen im Vollzug abzuklären. Dass andere Häftlinge bereits nach einem früheren Zeitpunkt aus der Abteilung für Fluchtgefahr in den Normalvollzug überführt oder gar nicht in die Abteilung für Fluchtgefahr der Anstalt Pöschwies aufgenommen wurden, wird von den kantonalen Behörden zwar nicht bestritten. Der Beschwerdeführer behauptet indes selber nicht, es habe sich hierbei um vergleichbare Fälle gehandelt. Unter anderem können sich Unterschiede ergeben nach dem zur Last gelegten Delikt und danach, ob die Mitinsassen bereits andernorts im Strafvollzug waren, wo entsprechende Abklärungen stattfanden (vgl. auch Ziff. 4 der erwähnten Richtlinien, die bei Verlegung in eine andere Vollzugsinstitution entsprechende Orientierungspflichten vorsieht). Mithin führt der Beschwerdeführer zu Unrecht an, die Aufnahme in der Abteilung für Fluchtgefahr habe sich im Nachhinein "als diskriminierend und willkürlich" erwiesen.
4.5  Selbst wenn ein Mitarbeiter der Gefängnisanstalt noch vor der Osterfeier erklärt haben sollte, er halte eine Verlegung des Beschwerdeführers in den Normalvollzug für möglich, führt das zu keinem anderen Ergebnis. Es hat sich dabei nur um eine persönliche Einschätzung gehandelt. Wie die Behörden zudem richtig bemerkt haben, ist ein Angestellter des Gefängnisses nicht befugt, darüber zu entscheiden; dies obliegt grundsätzlich dem Amt für Justizvollzug (vgl. §§ 2, 5 und 54 JuVVO/ZH). Auch kann der Beschwerdeführer nichts aus dem Umstand für sich ableiten, dass er selber rund eine Woche nach der Osterfeier in den Normalvollzug überführt wurde, von wo aus er (nun) an Gruppengottesdiensten teilnehmen kann. Es würde zu weit führen, vom Amt zu fordern, die Abklärungsphase nur wegen der Osterfeier abzukürzen. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass die Behörden dem Beschwerdeführer gestatteten, Ostern zusammen mit einem orthodoxen Geistlichen zu feiern. Dass

BGE 129 I 74 (80):

der Besuch des Popen an Ostern nicht zustande kam, ging auf einen Irrtum zurück, ändert am Gesagten daher nichts und wird vom Beschwerdeführer im Übrigen auch nicht gerügt. Unbehelflich ist schliesslich das Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei nicht einzusehen, weshalb den Häftlingen der Abteilung für Fluchtgefahr der Besuch des Gottesdienstes verwehrt werde; ihnen habe immerhin der Besuchspavillon offen gestanden und im Andachtsraum sei "die Missbrauchs- und Fluchtgefahr weitaus geringer, als im Besuchspavillon". Zum einen befand sich der Beschwerdeführer nicht wegen Fluchtgefahr in der betreffenden Abteilung. Was er unter "Missbrauchsgefahr" versteht, führt er sodann nicht aus. Zum anderen legt er weder dar noch ist ersichtlich, worin und inwiefern in sicherheitstechnischer Hinsicht bei der Zulassung zum Besuchspavillon eine vergleichbare Situation bestanden haben soll. Selbst wenn er im eigens dafür eingerichteten und wohl auch entsprechend überwachten Besuchspavillon Kontakte pflegen durfte, ist daraus noch nicht zu folgern, er habe nicht (mehr) als gemeingefährlich gegolten bzw. es sei unbedenklich, wenn er andernorts mit Drittpersonen zusammentreffe.
4.6  Nach dem Gesagten erweist sich der Entscheid der kantonalen Behörden auch als verhältnismässig. Es kann offen gelassen werden, ob die vom Beschwerdeführer angeführten Bibelzitate und Regeln des ökumenischen Konzils überhaupt berücksichtigt werden können, nachdem er sie offensichtlich erstmals gegenüber dem Bundesgericht und nicht schon vor den kantonalen Behörden unterbreitet hat (vgl. BGE 120 Ia 19 E. 2c S. 24 ff.; 119 II 6 E. 4a S. 7). Aus ihnen ergibt sich vorliegend ohnehin keine andere Beurteilung. Gerade das vom Beschwerdeführer begehrte gemeinsame Gebet (vgl. Bibelzitat: "Alles was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, ...") wurde ihm nicht versagt; er hätte es mit dem Geistlichen verrichten können. Auch seine Befürchtung, wegen Fernbleibens von einer Feier aus der "Gemeinde ausgeschlossen" zu werden, ist unbegründet. Er blieb nämlich nicht "ohne triftigen Grund und ohne verhindert zu sein" dem Gottesdienst fern, was der Ausschluss nach seinen eigenen Angaben voraussetzt.
II. Verfahren 2P.246/2002
 
Erwägung 5
5.1  Dieses Grundrecht schützt auch das Einhalten von religiösen Feiertagen als Bestandteil des Rechts auf Ausübung der Religion

BGE 129 I 74 (81):

(vgl. BGE 117 Ia 311; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., S. 123, Rz. 410; FELIX HAFNER/GEORG GREMMELSPACHER, Islam im Kontext des schweizerischen Verfassungsrechts, in: René Pahud de Mortanges/Erwin Tanner [Hrsg.], Muslime und schweizerische Rechtsordnung, 2002, S. 90; ANDREA BÜCHLER, Islam und Schweizerisches Arbeitsrecht, in: Pahud de Mortanges/Tanner, a.a.O., S. 445; ADRIAN HUNGERBÜHLER/MICHEL F9RAUD, Rechtsprechung der Verfassungsgerichte im Bereich der Bekenntnisfreiheit, in: Constitutional Jurisprudence, XI. Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte, Warschau 2000, S. 818 f.; MARTIN PHILIPP WYSS, Glaubens- und Religionsfreiheit zwischen Integration und Isolation, ZBl 95/1994 S. 394). Wie bei der Kultusfreiheit handelt es sich hierbei aber nicht um den unantastbaren Kernbereich (vgl. BGE 123 I 296 E. 2b/cc S. 302 mit Hinweisen; ADRIAN HUNGERBÜHLER/MICHEL F9RAUD, a.a.O., S. 818 f.; MARTIN PHILIPP WYSS, a.a.O., S. 394; PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, Diss. Zürich 1988, S. 243 ff.). Zu den Voraussetzungen für den Eingriff in das vom Beschwerdeführer angerufene Grundrecht wird auf die Ausführungen in E. 4.1 und 4.2 sowie auf Art. 36 BV verwiesen (vgl. auch BGE 117 Ia 311 E. 2b S. 315 mit Hinweisen).
5.2  Der Beschwerdeführer bestreitet auch hier, dass die Beschränkung seines Rechts auf Ausübung der Religion auf einer gesetzlichen Grundlage beruhe.
Gemäss Art. 37 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ist der Gefangene zur Arbeit verpflichtet, die ihm zugewiesen wird. Eine entsprechende Regelung enthält § 86 JuVVO/ZH, die nach § 20 Abs. 2 JuVVO/ZH ebenso für Personen gilt, die sich im vorzeitigen Vollzug befinden. Dies hält auch nochmals § 22 der erwähnten Hausordnung "Gefängnisse Kanton Zürich" fest. Die Feiertage richten sich nach dem im Kanton Zürich allgemein geltenden kantonalen Ruhetags- und Ladenöffnungsgesetz vom 26. Juni 2000. Gemäss § 134 JuVVO/ZH werden Verstösse gegen die Justizvollzugsverordnung, die Hausordnung und andere Regelungen der Vollzugseinrichtungen als Disziplinarvergehen geahndet (vgl. auch § 71 der Hausordnung "Gefängnisse Kanton Zürich"). Die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Disziplinarmassnahmen sind im Katalog des § 135 JuVVO/ZH vorgesehen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist demnach eine gesetzliche Grundlage gegeben.
 
Erwägung 6
6.1  Im Wesentlichen macht der Beschwerdeführer aber geltend, der geregelte Anstaltsbetrieb werde nicht gefährdet, wenn die

BGE 129 I 74 (82):

Insassen an religiösen Feiertagen ihrer Konfession von der Arbeitspflicht entbunden würden. Moslems hätten nur wenige Feiertage. Bei den Orthodoxen würden sich voraussichtlich die meisten mit Weihnachten und den Hauptpatronatsfesten begnügen. Die überwiegende Zahl sei auf das Entgelt für die Arbeit angewiesen und ziehe den Arbeitseinsatz vor, auch um dabei Kontakte zu Mithäftlingen pflegen zu können. Im Übrigen ginge es nicht an, dass konfessionsfremde Personen - wie die Angestellten der Justizdirektion - bestimmten, welche Feiertage von herausragender Bedeutung seien, und nur insoweit eine Arbeitsbefreiung in Aussicht stellten.
6.2  Schon aus dem erwähnten Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich, dass nicht jedem Insassen völlig freigestellt werden kann, an welchen Kalendertagen er unter Berufung auf einen religiösen Feiertag Befreiung von der Arbeitspflicht beanspruchen kann und will. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass dies dem Erfordernis der Einhaltung eines geordneten Anstaltsbetriebes bei 400 Insassen der unterschiedlichsten religiösen Bekenntnisse widerspräche. Insoweit lässt sich dies auch nicht mit der alle Insassen umfassenden Arbeitsbefreiung anlässlich der wichtigsten Spiele der Fussballweltmeisterschaft 2002 vergleichen; damals wurde im Interesse aller Insassen der Arbeitsbetrieb für die Häftlinge eingestellt, was erlaubte, die Anstalt wie an Wochenenden, wenn im Prinzip nicht gearbeitet wird, zu führen. Von Gewicht ist auch das Argument der kantonalen Behörden, das friedliche Zusammenleben der Häftlinge in der Anstalt würde gefährdet, wenn sich die Angehörigen einer religiösen Gruppe vermehrt auf die Befreiung von der Arbeitspflicht berufen könnten, weil sie besonders viele religiöse Feiertage haben. Wollte man zur Verhinderung von derartigen Ungleichheiten fordern, dass die betreffenden Personen ihr Arbeitspensum etwa durch Wochenendeinsätze kompensieren, würde der Strafvollzugsbetrieb übermässig belastet. Unter anderem wäre zusätzliches Personal ausserhalb der allgemeinen Arbeitszeiten aufzubieten.
6.3  Ins Leere stösst der Einwand des Beschwerdeführers, er habe während der Dauer seiner Einzelhaft nicht gearbeitet und deshalb den Anstaltsbetrieb nicht gestört. Als Häftling der Abteilung für Fluchtgefahr bzw. in Einzelhaft unterlag er einem besonderen Regime. Wie erwähnt, ist bei der grossen Zahl der im Normalvollzug befindlichen Insassen eine weitgehend gleich gehandhabte Arbeitsverpflichtung ungeachtet des religiösen Bekenntnisses unumgänglich. Den Moslems mag einmal wöchentlich ein etwas früheres Arbeitsende zugestanden werden, damit sie am Freitagsgebet

BGE 129 I 74 (83):

teilnehmen können. Dies ist jedoch nicht mit dem Begehren des Beschwerdeführers vergleichbar, welches darauf hinausläuft, dass jeder Insasse unter Berufung auf Feiertage seiner Konfession überhaupt nicht zu arbeiten braucht. Ausserdem handelt es sich beim Freitagsgebet der Moslems um eine einerseits regelmässig und anderseits zeitlich beschränkte Arbeitsbefreiung, auf die sich die Anstalt entsprechend besser einstellen kann. Abgesehen davon hätte die Gefängnisleitung dem Beschwerdeführer - wie sie ausgeführt hat - für allfällige während der Arbeitszeiten stattfindende Gottesdienste ebenfalls Arbeitsbefreiung eingeräumt.
6.4  Mit Blick auf die Besonderheiten des Strafvollzugs kann sich der Beschwerdeführer nicht darauf berufen, gewissen Schülern im Kanton Zürich würde samstags aus religiösen Gründen Unterrichtsbefreiung gewährt (dazu BGE 117 Ia 311; vgl. auch BGE 114 Ia 129; JEAN-FRAN7OIS AUBERT, L'islam à l'école publique, in: Bernhard Ehrenzeller u.a. [Hrsg.], Der Verfassungsstaat vor neuen Herausforderungen, Festschrift für Yvo Hangartner, 1998, S. 479 ff., insbes. S. 490 f.). Eine unterschiedliche Gewichtung der Interessen ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass in beiden Fällen von unterschiedlichen Grundvoraussetzungen auszugehen ist. Während sämtliche Kinder der Schulpflicht unterliegen, trifft die Arbeitspflicht nur diejenigen, die sich wegen der Begehung von Delikten in Unfreiheit befinden. Dabei wird anderseits durchaus nicht verkannt, dass die Ermöglichung der religiösen Betätigung positive Auswirkungen auf die Resozialisierung von (mutmasslichen) Straftätern haben kann.
6.5  Zwar ist dem Beschwerdeführer insoweit Recht zu geben, dass ein Häftling nicht unmittelbar mit jemanden verglichen werden kann, der im freien Erwerbsleben tätig ist. Letzterer untersteht nicht einer gesetzlichen Arbeitspflicht und kann unter Umständen Urlaub nehmen bzw. die Arbeit aussetzen, um an religiösen Feiertagen seiner Konfession nicht arbeiten zu müssen (vgl. Art. 11 und Art. 20a Abs. 2 des Arbeitsgeseztes vom 13. März 1964 [ArG; SR 822.11]). Dies rechtfertigt es vorliegend aber nicht, dass der Beschwerdeführer eine eigene Feiertagsordnung beanspruchen kann, indem er an den "offiziellen Feiertagen der orthodoxen Kirche (...), welche rot im Kalender eingetragen sind", jeweils vollständig von der Arbeitspflicht zu befreien ist (in diesem Sinne wohl auch HAFNER/GREMMELSPACHER, a.a.O., S. 90). Zum einen haben die Behörden erklärt, ein entsprechender Seelsorger zelebriere - allenfalls etwas später - die interessierenden Feiertage; dem Beschwerdeführer ist die Teilnahme daran bzw. - soweit er in Einzelhaft ist - der persönliche

BGE 129 I 74 (84):

Kontakt mit dem Seelsorger grundsätzlich möglich. Zum anderen kann er seiner zur Begründung vorgebrachten Absicht, an diesen Tagen vermehrt zu beten und sich tiefer gehend mit seiner Religion zu befassen, ausserhalb der Arbeitszeiten nachleben. Ausserdem gesteht der Beschwerdeführer letztlich selber ein, die genannten Feiertage stellten für die Angehörigen seiner Religion grundsätzlich kein Hindernis dar, trotzdem zu arbeiten.
6.6  Die Direktion der Justiz und des Innern hat bereits erwogen, dass für die höchsten religiösen Feiertage etwas anderes gelten könnte. Dem mag insbesondere dann zuzustimmen sein, wenn die Religion des Inhaftierten das Arbeiten an diesen Feiertagen verbietet und sich der Betroffene ausdrücklich auf diese religiöse Verhaltensmassregel beruft. Insoweit wäre wohl grundsätzlich unmassgeblich, ob das religiöse Gebot der Arbeitseinstellung von allen, von einer Mehrheit oder allenfalls von einer Minderheit der Glaubensangehörigen befolgt wird (vgl. BGE 119 Ia 178 E. 4d S. 186). Nachdem der Beschwerdeführer indes schon im kantonalen Verfahren nichts dergleichen geltend gemacht hat, ist darauf nicht weiter einzugehen und kommt eine Gutheissung der Beschwerde unter diesem Gesichtspunkt vorliegend nicht in Betracht (vgl. auch zum Verbot von neuem Vorbringen im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde: BGE 119 II 6 E. 4a S. 7; 118 Ia 20 E. 5a S. 26, je mit Hinweis). Aus der Kennzeichnung von "Feiertagen" im Kalender ist nicht bereits zu folgern, dass die Religion selber das Arbeiten an diesen Tagen untersagt. Im Übrigen hat sich der Beschwerdeführer auch vor dem Bundesgericht nicht auf das Bestehen eines solchen Gebotes berufen.
6.7  Nach dem Gesagten wird der gesetzlich abgestützte Entscheid der kantonalen Direktion der Justiz und des Innern von hinreichenden öffentlichen Interessen gedeckt und erweist sich als verhältnismässig. Damit ist eine (verfassungswidrige) Verletzung des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit zu verneinen.