BGE 39 I 502 - Pfändung von Nutzungsrechten
 


BGE 39 I 502 (502):

91. Entscheid vom 24.September 1913 in Sachen von Dewall.
Art. 93 SchKG: Nicht bloss die einzelnen aus dem Nutzniessungsrecht fliessenden Ansprüche auf die Erträgnisse, sondern auch das Recht auf Nutzung und Gebrauch des der Nutzniessung unterworfenen Gegenstandes für die ganze Dauer des Niessbrauchs kann gepfändet werden. Dagegen lässt sich der Kompetenzanspruch des Schuldners nicht von vornherein für die ganze Zukunft festsetzen, sondern er ist jeweilen bei Verfall der einzelnen Erträgnisse des Nutzniessungsgegenstandes auf Grund der dann bestehenden Verhältnisse neu zu bestimmen. -- Art. 132 SchKG: Eine Verwertung des Nutzniessungsrechtes kann nur durch Einweisung des Gläubigers in die einzelnen aus dem Nutzniessungsrecht fliessenden Ansprüche stattfinden.
 
A.
Auf Grund eines vom Rekursgegner Paul Sickel in Zehlendorf für eine Forderung gegen die Rekurrentin Frau M. von Dewall in Wiesbaden erwirkten Arrestbefehles belegte das Betreibungsamt Basel-Stadt am 29. Juli 1913 mit Arrest das "Nutznießungsrecht der Arrestschuldnerin an dem bei Dr. Rob. Grüninger in Basel liegenden Vermögen, jedoch unter Anerkennung eines jährlichen Bezuges von 2040 Fr. aus dem Zinserträgnis als Kompetenzbetrag bis zur Deckung der Forderung".
Hiegegen erhob die Rekurrentin Beschwerde mit dem Antrage, der Arrest sei zu beschränken auf den "Zinsertrag des der Arrestschuldnerin zur Nutznießung vermachten Kapitals, verwaltet von Dr. Rob. Grüninger, soweit derselbe 170 Fr. pro Monat -- 2040 Fr. pro Jahr übersteigt, für die Dauer eines Jahres". Zur Begründung führte die Rekurrentin aus, daß das Nutznießungsrecht unübertragbar sei, daß daher nur das Recht auf die Erträgnisse und zwar wie bei der Lohnpfändung bloß auf die Dauer eines Jahres verarrestiert werden könne.
Der Rekursgegner beantragte in der Beschwerdebeantwortung die Abweisung der Beschwerde. Aus seinen Ausführungen ist folgende Bemerkung hervorzuheben: "Wir wollen nur die Einkünfte aus dem Titel, aber diese in ihrer Totalität. Dennoch mag die Aufsichtsbehörde im Bewertungsverfahren noch beliebige Verfügungen treffen und von einer Verwertung des Ganzen Um

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gang nehmen (der Gläubiger wird unvernünftige Anträge nicht stellen)... ."
Die Aufsichtsbehörde des Kantons Basel-Stadt erklärte durch Entscheid vom 4. September 1913 die Beschwerde in dem Sinne für begründet, daß an Stelle des Nutznießungsrechts der Nutznießungsanspruch als beschlagnahmt aufzuführen sei. Im übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen. Der Entscheid ist wie folgt begründet: Das in Frage stehende Nutznießungsrecht sei dem Art. 758 ZGB gemäß wenigstens seiner Ausübung nach übertragbar, da ein höchst persönliches Recht nicht in Betracht komme. Durch die genannte Gesetzesbestimmung werde nun eine Übertragung der Ausübung im ganzen Umfang nicht ausgeschlossen. So könne z.B. die Ausübung des Nießbrauches auf Jahre hinaus vermietet oder verpachtet werden (vergl. Wieland, Komm. zum Sachenrecht, Art. 758 N. 1, die bei Windscheid-Kipp zitierten deutschen Schriftsteller, Jäger, Komm. z. deutschen Konkursordnung, Anm. 39 zu § 1). Das Recht zur Ausübung, das insbesondere Jäger als Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Überlassung bezeichne, sei nun nicht gleichbedeutend mit dem Recht auf die einzelnen Erträgnisse, sondern stelle sich als Recht auf die Gesamtheit der Erträgnisse dar (vergl. Wieland, Komm. Art. 758 N. 4, Jaeger, Komm. z. SchKG Art. 93 N. 2 S. 277). Da die Ausübung des Nutznießungsrechtes in seiner Gesamtheit Gegenstand eines Rechtsgeschäftes sein könne, sei sie auch im gleichen Umfange pfändbar. Doch sei in der Arresturkunde richtigerweise statt Nutznießungsrecht Nutznießungsanspruch zu sagen, weil nicht das Recht, sondern nur der daraus fließende Anspruch gepfändet werden könne.
 
B.
Diesen Entscheid hat die Rekurrentin unter Erneuerung ihres Begehrens an das Bundesgericht weitergezogen. Ihren Ausführungen ist folgendes zu entnehmen: Die Auslegung des Art. 758 ZGB, wonach ein Nutznießungsrecht in seiner Gesamtheit der Ausübung nach übertragen und daher auch gepfändet werden könne, entspreche kaum dem Willen des Gesetzgebers. Der Zweck der genannten Gesetzesbestimmung gehe dahin, zu verhindern, daß der Berechtigte sich um ein Linsengericht des Nutznießungsrechtes entäußere. Diesem Zwecke werde die Aus

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legung der Vorinstanz nicht gerecht und zudem wäre Art. 758 ZGB danach sinnlos, weil die Übertragung eines Nutznießungsrechtes zur Ausübung in seiner Gesamtheit der Übertragung des Nutznießungsrechtes als solchem im Erfolg vollständig gleichkomme. Art. 758 habe also den Sinn, daß die Übertragung des Nutznießungsrechtes in seiner Gesamtheit zwar ausgeschlossen, die Übertragung des Rechts auf die einzelnen Erträgnisse dagegen zulässig sei. Folglich könne auch nur dieses Recht auf die einzelnen Erträgnisse gepfändet werden. Eine solche Pfändung müsse nun wie die Lohnpfändung auf die Dauer eines Jahres beschränkt sein (Jaeger, Komm. Art. 93 N. 2); denn es handle sich nicht um einen schon bestehenden, sondern um einen erst in der Zukunft periodisch zur Entstehung gelangenden Vermögenswert. Dies gelte übrigens auch dann, wenn die Ausübung des Nutznießungsrechtes in seiner Gesamtheit Gegenstand der Pfändung sei.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht
in Erwägung:
1. Art 758 ZGB bestimmt, daß die Nutznießung, wenn es sich nicht um ein höchst persönliches Recht handle, zur Ausübung auf einen andern übertragen werden könne. Dies kann bedeuten, daß das Nutznießungsrecht, von der genannten Ausnahme abgesehen, als solches übertragen werden könne, dabei aber auf alle Fälle mit dem Tode des Übertragenden, zu dessen Gunsten die Nutznießung bestellt worden ist, erlösche (vergl. v. Blume, Übertragung des Nießbrauchs in Jherings Jahrb. 34 S. 281 ff.). Oder man kann annehmen, daß der Nutznießer nach Art. 758 ZGB einem andern nur ein persönliches Recht auf Ausübung der im Nießbrauch liegenden Befugnisse bestellen könne (Wieland, Komm. z. Sachenrecht, Art. 758 ZGB N. 1). Welche der beiden Auslegungen richtig sei, braucht hier nicht entschieden zu werden. Maßgebend für den vorliegenden Fall ist, daß derjenige, zu dessen Gunsten der Nießbrauch bestellt ist, einem andern das Recht verschaffen kann, den Gegenstand der Nutznießung für die ganze Dauer des Nießbrauches in gleicher Weise zu nutzen und zu gebrauchen, wie er es selbst hätte tun können. Für die Auslegung, die die Rekurrentin dem Art. 758 ZGB gibt, wonach der Nutznießer nur die einzelnen aus dem Nutznießungsrecht

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fließenden Ansprüche auf die Erträgnisse einem andern abtreten könne, bietet der Wortlaut des Gesetzes keinen Anhaltspunkt und es liegt dafür auch kein zwingender Grund in der Natur der Sache. Somit können nicht bloß die einzelnen Ansprüche auf die Erträgnisse gepfändet werden, sondern auch das Recht auf Nutzung und Gebrauch des Nutznießungsgegenstandes für die Dauer des Nießbrauchs ist pfändbar. Das Begehren der Rekurrentin, der Arrest sei auf die während der Dauer eines Jahres aus dem Nutznießungsrecht hervorgehenden Ansprüche auf die Erträgnisse zu beschränken, ist daher, da das Pfändungsbegehren des Gläubigers weiter geht, unbegründet. Der Hinweis auf die Praxis bei der Pfändung künftigen Lohnes ist nicht stichhaltig, weil es sich dort um eine bloße Anwartschaft auf möglicherweise künftig entstehende Forderungen handelt, während hier der Gegenstand des Arrestes und der Pfändung, das Recht auf Nutzung und Gebrauch der der Nutznießung unterworfenen Sache, bereits existiert, wenn auch die Dauer der Nutznießung und damit der Wert des Rechtes unsicher ist. In gleichem Sinne hat sich das Bundesgericht bereits in Beziehung auf die Pfändung eines Rentenrechtes ausgesprochen (AS Sep.-Ausg. 4 Nr. 19 S. 88 Erw. 3 [Fn. *: Ges.-Ausg. 27 I S. 258 [= BGE 27 I 252 (258)]]), und da es sich dabei wesentlich um die gleiche Sachlage handelt, so treffen die dort enthaltenen Ausführungen analog auch auf den vorliegenden Fall zu.
2. Das Recht auf Nutzung und Gebrauch des Nutznießungsgegenstandes kann nun aber, wenn nicht die Stellung des Nutznießungsberechtigten in durchaus unbilliger Weise und ohne Not verschlechtert werden soll, nicht etwa durch Verkauf verwertet werden. Der Schuldner hat einen Anspruch darauf, daß seine Kompetenzansprüche, wie Art. 93 SchKG sie ihm garantiert, für jede Verfallsperiode separat und neu auf Grund der alsdann vorhandenen tatsächlichen Verhältnisse beurteilt werden, was bei einem Totalverkauf ja ausgeschlossen wäre. Die Verwertung muß vielmehr, um dies zu ermöglichen, in der Weise stattfinden, daß der Rekursgegner in die aus dem Nutznießungsrecht fließenden Ansprüche eingewiesen wird, bis er für seine Forderung befriedigt ist. Der Rekurrentin bleibt alsdann das Recht vorbehalten, je

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weilen bei Verfall der einzelnen Erträgnisse des der Nutznießung unterworfenen Kapitals ihren Kompetenzanspruch von neuem geltend zu machen. Auch in dieser Beziehung ist auf den schon erwähnten Entscheid des Bundesgerichtes (AS Sep.-Ausg. 4 Nr. 19 S. 88 ff. Erw. 4 [Fn. *: Ges.-Ausg. 27 I S. 258ff. [= BGE 27 I 252 (258)]]) hinzuweisen. Übrigens hat sich der Rekursgegner mit der erwähnten Art und Weise der Verwertung in seiner Beschwerdebeantwortung vor der kantonalen Aufsichtsbehörde einverstanden erklärt.
 
Demnach hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
erkannt:
Der Rekurs wird im Sinne der Motive abgewiesen.