BGE 33 I 143 - Konkursverwalter
 
21. Urteil
vom 31. Januar 1907 in Sachen Mechanische Backsteinfabrik A.-G. gegen Konkursmasse Neuweiler.
 


BGE 33 I 143 (143):

Regeste
Aus dem Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf, folgt, dass der Konkursverwalter nicht im Prozesse der von ihm vertretenen Konkursmasse das Richteramt ausüben darf.
BV Art. 58 u. 4; thurg. KV Art. 9; thurg. ZPO von 1867, § 49 litt. d.
 
Sachverhalt:
 
A.
Nach dem thurgauischen Einführungsgesetz zum SchKG bildet jeder der 8 Bezirke des Kantons Thurgau einen Konkurskreis (§ 1) und ist das Konkursamt dem Gerichtspräsidenten übertragen; Stellvertreter des Gerichtspräsidenten als Konkursamt ist der Vizepräsident des betreffenden Bezirksgerichts (§ 2). Nach Art. 49 der thurgauischen ZPO (vom 1. Mai 1867) ist ein Richter zur Ausübung seines Amtes nicht befähigt und soll sich desselben unbedingt enthalten:
    "...
    d) wenn er in der Prozeßangelegenheit als Beamter einer anderen Instanz, oder als Anwalt, Beistand, Zeuge, Sachverständiger, Schiedsrichter, Geschäftsführer oder als Bevollmächtigter entweder selbst gehandelt oder zu Handlungen Auftrag gegeben hat. "
Ein Richter kann gemäß § 50 ibid. abgelehnt werden:
    "a) wenn zwischen ihm und einer Partei ein besonderes Abhängigkeits- oder Pflichtverhältnis waltet."
In einer Weisung über das Konkurs- und Pfändungsverfahren vom 27. Januar 1894 hat das Obergericht des Kantons Aargau unter dem Titel "Richterliche Funktionen des Konkursbeamten" ausgeführt: (§ 9 Abs. 1)
    "Die durch den Konkursbeamten verfügte Überweisung einer Konkurspendenz an das Gericht, sowie die bei Pfändungs- und Konkurspendenzen dem gerichtlichen Verfahren vorausgehende Instruktionstätigkeit des Gerichtspräsidenten (§§ 19-21 des Einführungsgesetzes) begründet für denselben keine Ausstandspflicht im Sinne von § 49 litt. d der bürgerlichen Prozessordnung."
 


BGE 33 I 143 (144):

B.
Zwischen H. Neuweiler in Dettighofen bei Illighausen als Kläger und der Rekurrentin als Beklagten schwebte vor Bezirksgericht Kreuzlingen ein Aberkennungsprozeß ob. Nach der ersten Verhandlung erklärte sich Neuweiler insolvent, und es wurde über sein Vermögen der Konkurs eröffnet, wobei als Konkursbeamter gemäß der angeführten Bestimmung des Einführungsgesetzes zum SchKG der Präsident des Bezirksgerichts Kreuzlingen, B., zu amten hatte. In der Gläubigerversammlung vom 25. Juni 1906 wurde die Konkursverwaltung dem Konkursbeamten übertragen, und es wurde -- mit Stichentscheid des Vorsitzenden Konkursbeamten -- die Fortsetzung des Aberkennungsprozesses gegen die Rekurrentin beschlossen. Der Konkursverwalter erteilte hierauf Vollmacht an Fürsprech Dr. H. in Kreuzlingen zur Weiterführung des Prozesses namens der Konkursmasse. Die Rekurrentin reichte sodann dem Bezirksgericht Kreuzlingen ein Rekusationsbegehren gegen Gerichtspräsident B. ein und begründete es mündlich in der Verhandlung vor Bezirksgericht vom 16. August 1906, unter Hinweis auf die §§ 49 und 50 der ZPO. Das Gericht wies -- entgegen dem Wunsch des Gerichtspräsidenten B. -- das Rekusationsbegehren ab und lud die Rekurrentin, nachdem deren Vertreter die Fortsetzung der Verhandlung abgelehnt hatte, auf eine nächste Tagfahrt peremptorisch vor. Die Rekurrentin beschwerte sich über den Entscheid des Bezirksgerichts beim Obergericht des Kantons Thurgau, das die Beschwerde unterm 25. September 1906 abwies. In der Begründung wird ausgeführt: Aus der Tatsache, daß Gerichtspräsident B. Konkursverwalter des Konkurses Neuweiler sei, könne kein Ausstandsgrund im Sinne der §§ 49 und 50 ZPO gegen ihn in Bezug auf den von der Konkursmasse weitergeführten Aberkennungsprozeß hergeleitet werden. Speziell treffe § 49 litt. d nicht zu, weil das Konkursamt nicht eine dem Bezirksgericht untergeordnete Instanz sei; die dem Konkursamt übergeordnete Instanz sei die kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Eventuell sei davon auszugehen, daß das Einführungsgesetz zum SchKG den Ausstand des Konkursbeamten als Richter in Streitsachen der Konkursmasse nicht wollte, weil es sonst doch gewiß nicht eine Gerichtsperson von Amtes wegen als Konkursbeamten be

BGE 33 I 143 (145):

stellt hätte; sollte sich das Einführungsgesetz in dieser Beziehung mit der ZPO in Widerspruch befinden, so müßte es als jüngeres Gesetz vorgehen. Deshalb sei auch an § 9 Abs. 1 der obergerichtlichen Weisung vom 27. Januar 1894 festzuhalten.
 
C.
Gegen den Entscheid des Obergerichts hat die Mechanische Backsteinfabrik A.-G. in Bürglen den staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung ergriffen. Es wird angebracht, Gerichtspräsident B. sei als Konkursverwalter Geschäftsführer der Konkursmasse Neuweiler, der Gegenpartei der Rekurrentin im fraglichen Aberkennungsprozeß. Er sei also Vertreter der Gegenpartei. Nun sei es ein fundamentaler, allgemein geltender Rechtssatz, der zudem für den Kanton Thurgau in § 49 ZPO positiv Ausdruck gefunden habe, daß jedermann Anspruch auf Zuweisung eines unparteiischen Richters habe, und daß speziell niemand in eigener Sache, oder in der Sache des von ihm -- gleichgültig ob auf Grund von Vertrag oder Gesetz -- Vertretenen Richter sein könne. Dieser Satz sei durch Art. 58 BV und Art. 9 der KV ("Niemand darf seinem ordentlichen, durch die Verfassung aufgestellten Richter entzogen werden") gewährleistet, und hiegegen verstoße der angefochtene Entscheid, nach welchem der Konkursverwalter Richter in Sachen der Konkursmasse sein dürfe. Es könne keine Rede davon sein, daß § 49 litt. d ZPO durch das Einführungsgesetz zum SchKG modifiziert worden wäre, ganz abgesehen davon, daß eine solche Modifikation nach dem gesagten verfassungswidrig wäre. Nach Inkrafttreten des Einführungsgesetzes sei die Gerichtspraxis korrekt dahin gegangen, daß der Gerichtspräsident in seiner Eigenschaft als Konkursbeamter die Masse vor Gericht vertrete (SchKG Art. 240) und nicht in Streitigkeiten der Konkursmasse als Richter amte. Erst infolge der in dieser Beziehung verfassungswidrigen obergerichtlichen Weisung vom 27. Januar 1894 sei die genannte Praxis geändert worden. (...)
 
D.
Das Obergericht des Kantons Thurgau hat auf Abweisung des Rekurses angetragen und auf die Begründung des angefochtenen Entscheides verwiesen.
Die Konkursmasse Neuweiler hat ebenfalls Abweisung des Rekurses beantragt.
 


BGE 33 I 143 (146):

Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
 
Erwägung 2
Dem Fall, daß jemand in eigener Sache als Richter amtet, ist derjenige gleichzustellen, da der Richter allgemein oder speziell in Bezug auf den Gegenstand des Rechtsstreites Vertreter einer Partei ist. Auch hier steht der Richter nicht über den Parteien und ist nicht geeignet, ein rechter Mittler zwischen diesen zu sein. Ob die Vertretung auf Vertrag oder Gesetz beruht, kann dabei keinen Unterschied machen. Wesentlich ist, daß der Vertreter in beiden Fällen die Rechte und Interessen des Vertretenen wie seine eigenen wahrzunehmen hat und deshalb unmöglich gleichzeitig ein unbefangener Richter sein kann. Demnach verstößt die Mitwirkung des Konkursverwalters B. als Richter im Prozesse der Konkursmasse Neuweiler gegen den allgemeinen Rechtssatz, daß niemand in eigener Sache Richter sein kann.
 
Erwägung 3
3. Die als Fundamentalsatz jeder geordneten Rechtspflege be

BGE 33 I 143 (147):

zeichnete Regel, daß niemand in eigener Sache Richter sein kann, ist sowohl durch die BV, wie auch durch die KV von Thurgau speziell garantiert, insofern sie als in der Gewährleistung des ordentlichen, verfassungsmäßigen Richters (BV Art. 58, KV Art. 9) mit inbegriffen erscheint. Unter verfassungsmäßigem Richter (französischer Text des Art. 58 BV: "juge naturel") ist nach feststehender Auslegung gemäß dem Sinn und Geist dieser Verfassungsnorm nicht bloß ein Richter zu verstehen, dessen amtliche Betätigung keine ausdrücklichen Verfassungsbestimmungen verletzt (s. AS 16 S. 487), sondern auch ein Richter, der durch Gesetz oder allgemein geltende Rechtsgrundsätze gewährleistet ist. Eine Persönlichkeit, die in Wahrheit Partei ist, die deshalb unfähig ist, des Richteramts zu walten und geradezu der Jurisdiktionsgewalt für den fraglichen Rechtsstreit ermangelt, ist kein ordentlicher, natürlicher, verfassungsmäßiger Richter im Sinne jener Garantie, sondern ein Ausnahmerichter, gegen den der Schutz des Art. 58 BV und ähnlich lautender kantonaler Verfassungsvorschriften muß angerufen werden können (vergl. auch AS 10 S . 510, 15 S. 729).
Daß derselbe Schutz auch aus der allgemeinen Garantie der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) zu folgern wäre, soll hier nicht näher ausgeführt werden (s. AS 32 I S. 36 f.).
 
Erwägung 4
4. Nach dem gesagten ist der angefochtene Entscheid des Obergerichts Thurgau, der die Mitwirkung des Konkursverwalters B. als Richter bei einem Prozesse der Konkursmasse für zulässig erklärt, verfassungswidrig, und zwar ohne Rücksicht auf die Frage, ob er nicht zugleich auch eine ausdrückliche Bestimmung kantonalen Prozeßrechts verletzt. Das letztere ist aber zudem der Fall. Schon aus § 49 itt. d der ZPO ergibt sich zwingend, daß der Gerichtspräsident als Konkursverwalter den Ausstand in Prozessen der Konkursmasse zu beobachten hat. Das Obergericht hat in der Begründung seines Entscheides nur geprüft, ob der Konkursbeamte im Verhältnis zum Bezirksgericht Beamter einer untern Instanz ist und dies verneint, während die Untersuchung der Frage, ob man es beim Konkursverwalter nicht mit einem Geschäftsführer zu tun hat, der in der Prozeßangelegenheit zu Handlungen Auftrag gegeben hat, nach den Ausführungen in Erwägung 1 und 2 ohne weiteres

BGE 33 I 143 (148):

zur Gutheißung der Beschwerde der Rekurrentin hätte führen müssen. § 49 litt. d der ZPO kann auch nicht, wie das Obergericht andeutet, in Ansehung der Gerichtspräsidenten, die Konkursverwalter sind, durch das Einführungsgesetz zum SchKG aufgehoben sein; der hiedurch geschaffene Rechtszustand würde, wie dargelegt, elementaren prozeßrechtlichen Grundsätzen, sowie der Bundes- und Kantonsverfassung widerstreiten. Die Meinung des Einführungsgesetzes kann deshalb nur die sein, daß der Gerichtspräsident und Konkursverwalter in Kollisionsfällen als Richter den Ausstand zu nehmen hat. Was schließlich § 9 Abs. 1 der obergerichtlichen Weisung vom 27. Januar 1894 anbetrifft, so bedarf keiner Ausführung, daß sie dem angefochtenen Entscheid nicht zur Stütze dienen kann, da die betreffende Vorschrift nach dem gesagten sich als verfassungs- und gesetzeswidrig darstellt.
 
Dispositiv
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird als begründet erklärt und es wird der Beschluß des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 25. September 1906 aufgehoben.