BVerfGE 98, 218 - Rechtschreibreform


BVerfGE 98, 218 (218):

1. Der Staat ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, Regelungen über die richtige Schreibung der deutschen Sprache für den Unterricht in den Schulen zu treffen. Das Grundgesetz enthält auch kein generelles Verbot gestaltender Eingriffe in die Schreibung.
2. Regelungen über die richtige Schreibung für den Unterricht in den Schulen fallen in die Zuständigkeit der Länder.
3. Für die Einführung der von der Kultusministerkonferenz am 30. November/1. Dezember 1995 beschlossenen Neuregelung der deutschen Rechtschreibung an den Schulen des Landes Schleswig-Holstein bedurfte es keiner besonderen, über die allgemeinen Lernzielbestimmungen des Landesschulgesetzes hinausgehenden gesetzlichen Grundlage.
4. Grundrechte von Eltern und Schülern werden durch diese Neuregelung nicht verletzt.
 


BVerfGE 98, 218 (219):

Urteil
des Ersten Senats vom 14. Juli 1998 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 1998
-- 1 BvR 1640/97 --
In der Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn Dr. E..., 2. der Frau D.-E... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Thomas Elsner und Partner, Königstraße 91, Lübeck - gegen a) den Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. August 1997 - 3 M 17/97 -, b) den Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 12. März 1997 - 9 B 13/97 (92).
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
 
Gründe:
 
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Einführung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in den Schulen (sogenannte Rechtschreibreform).
I.
Die Rechtschreibung, der Inbegriff der Regeln über die richtige Schreibung, dient dem Ziel, im Interesse der Kommunikation die Einheitlichkeit des Schreibens sicherzustellen. In der Schule ist sie Gegenstand des Unterrichts und Maßstab der Leistungsbewertung.
1. a) Nachdem sich die Schreibung in Deutschland zunächst regional unterschiedlich entwickelt hatte, nahm das Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtschreibung mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (1400 bis 1468) und dem Erscheinen gedruckter Schriften zu (vgl. dazu und zum folgenden Drosdowski, Der Duden - Geschichte und Aufgabe eines ungewöhnlichen Buches, 1996, S. 10 ff.; Scheuringer, Geschichte der deutschen Rechtschreibung, 1996, S. 17, 47 ff.; für die Zeit ab Mitte des 18. Jahrhunderts auch Kopke, Rechtschreibreform und Verfassungsrecht, 1995, S. 1 ff.; für die Zeit seit 1902 außerdem Augst/Schaeder, Rechtschreibreform - Eine Antwort an die Kritiker, 1997, S. 4 ff.). Gezielt wurde das Vorhaben, die deutsche Orthographie zu vereinheitlichen, jedoch erst seit dem 18. Jahrhundert von den so

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genannten Grammatikern, unter ihnen Hieronymus Freyer (1675 bis 1747) und Johann Christoph Adelung (1732 bis 1806), in Angriff genommen. Beide setzten sich für eine an phonetischen und logischen Gesichtspunkten orientierte Rechtschreibung ein. Jacob Grimm (1785 bis 1863) fühlte sich dagegen dem historischen Prinzip verpflichtet und forderte die Berücksichtigung wortgeschichtlich richtiger Schreibweisen.
Nicht zuletzt wegen dieser unterschiedlichen Ansätze kam es auch im 19. Jahrhundert noch lange nicht zu einheitlichen Rechtschreibregeln, was insbesondere im Schulunterricht zu Schwierigkeiten führte. Diesen Schwierigkeiten sollte, nachdem in einigen deutschen Einzelstaaten schon amtliche Regelungen der deutschen Schreibung für den Schulgebrauch erlassen worden waren, vor allem 1876 auf der vom preußischen Kultusminister einberufenen I. Orthographischen Konferenz in Berlin abgeholfen werden. Ziel der Beratungen war die Herstellung größerer Einheitlichkeit in der deutschen Rechtschreibung, Grundlage ein von Rudolf von Raumer (1815 bis 1876) erarbeiteter Entwurf. Die Ergebnisse der Konferenz, insbesondere die weitgehende Abschaffung der Dehnungszeichen und der Verzicht auf das "th" in deutschen Wörtern, stießen auf vielfältigen Widerstand und wurden deshalb amtlich nicht umgesetzt. Es blieb folglich weiter Sache der Länder, in den sogenannten Schulorthographien verbindliche Rechtschreibregeln für den Schulunterricht zu erlassen. Besondere Bedeutung erlangten dabei die preußischen und die bayerischen Regeln. Konrad Duden (1829 bis 1911) faßte sie 1880 in seinem "Vollständigen Orthagraphischen Wörterbuch der deutschen Sprache - Nach den neuen preußischen und bayerischen Regeln" zusammen und schuf damit die Grundlage für die weitere Entwicklung und Durchsetzung der neuen Orthographie.
Die Reichsbehörden verhielten sich allerdings gegenüber den Schulorthographien und dem Dudenschen Wörterbuch vielfach noch ablehnend. Um auch sie in eine "einheitliche deutsche Rechtschreibung" einzubinden, lud das Reichsinnenministerium 1901 zur II. Orthographischen Konferenz nach Berlin. Deren Vorschläge fielen zurückhaltend aus. Einigung wurde im wesentlichen nur darüber erzielt, in allen deutschen Wörtern das "th" durch "t" zu er

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setzen und das "c" in "geläufigen Fremdwörtern" entsprechend der jeweiligen Aussprache grundsätzlich als "k" (Akkusativ) oder "z" (Porzellan) zu schreiben. Die grundsätzlichen Fragen - Kleinschreibung der Substantive, lautgetreue Schreibung, Fremdwortschreibung, Silbentrennung, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Zeichensetzung - wurden dagegen ausgespart. Die Ergebnisse der Konferenz arbeitete Konrad Duden 1902 wiederum in das "Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache" ein. Ende desselben Jahres ersuchte der Bundesrat des Deutschen Reichs die Regierungen der Länder, die einheitliche Rechtschreibung in den Schulunterricht und in den amtlichen Gebrauch der Behörden einzuführen und auf die Einführung in den kommunalen und sonstigen nichtstaatlichen Behörden hinzuwirken. Dem Ersuchen wurde relativ zügig entsprochen.
In der Folgezeit kam es nur noch zu kleineren staatlich verfügten Änderungen der für die Schulen maßgeblichen Schreibweisen. Bedeutsamer für die weitere Schreibentwicklung war dagegen die Einarbeitung des sogenannten Buchdrucker-Dudens in den für die Allgemeinheit bestimmten Duden im Jahre 1915. Bei dem Buchdrucker-Duden handelte es sich um ein spezielles Regelwerk für Drucker, Setzer und Lektoren. Es enthielt wesentlich mehr Vorschriften als der allgemeine Duden und ging auch inhaltlich über die Ergebnisse der Orthographiekonferenz von 1901 hinaus. Regelungen zu Bereichen, die - wie die Zeichensetzung - 1901 nicht durchzusetzen gewesen waren, fanden auf diesem Wege Eingang in die Duden-Rechtschreibung.
Unter dem Regime der Nationalsozialisten gab es Anfang 40er Jahre neue Bestrebungen zur Änderung der deutschen Rechtschreibung. 1944 wurden die "Regeln für die deutsche Rechtschreibung und Wörterverzeichnis" neu herausgegeben. Sie enthielten erstmals eine amtliche Normierung der Zeichensetzung, außerdem Änderungen der Silbentrennung, und sahen eine Liberalisierung der Klein- und Großschreibung sowie die Eindeutschung bestimmter Fremdwörter vor. Dieses Regelwerk setzte sich jedoch in der Folgezeit nicht durch.
b) Am 18./19. November 1955 beschloß die Ständige Konferenz

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der Kultusminister und -senatoren der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (im folgenden: Kultusministerkonferenz), daß die in der Rechtschreibreform von 1901 und späteren Verfügungen festgelegten Schreibweisen und Regeln bis zu einer etwaigen Neuregelung weiter die Grundlage für den Unterricht in allen Schulen bilden und in auftretenden Zweifelsfällen die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln verbindlich sein sollten (vgl. Bundesanzeiger Nr. 242 vom 15. Dezember 1955, S. 4). Als Grundlage für eine solche Neuregelung verabschiedete 1958 ein vom Bundesinnenministerium und der Kultusministerkonferenz einberufener Arbeitskreis die sogenannten Wiesbadener Empfehlungen, die im wesentlichen eine gemäßigte Kleinschreibung von Substantiven, eine Einschränkung der Kommasetzung, eine Silbentrennung nach Sprechsilben und eine Beschränkung der Zusammenschreibung auf echte Zusammensetzungen vorsahen. Von diesen Neuerungen stieß die gemäßigte Kleinschreibung auf so starken Widerstand, daß eine Reform insgesamt nicht zustande kam.
Erst in den 70er Jahren belebte sich die Diskussion um eine Rechtschreibreform neu. In den vier deutschsprachigen Staaten Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik, Österreich und Schweiz wurden Arbeitsgruppen gebildet, die ab 1980 als Internationaler Arbeitskreis für Orthographie zu gemeinsamen Sitzungen zusammentraten. 1986 stellte der Arbeitskreis fest, daß grundsätzliches Einvernehmen darüber bestehe, die auf der Konferenz von 1901 erreichte einheitliche Regelung der deutschen Rechtschreibung den heutigen Erfordernissen anzupassen.
1987 beauftragten der Bundesminister des Innern und die Kultusministerkonferenz das Institut für deutsche Sprache, Reformvorschläge zu erarbeiten. Diese wurden schon 1988 vorgelegt und führten zu heftigen Diskussionen, unter anderem weil nach dem neuen Regelwerk Kaiser mit "ei", Boot mit einem "o" und Aal mit einem "a" geschrieben werden sollten. Unter dem Eindruck dieser Diskussionen wurden die Vorschläge vom Internationalen Arbeitskreis für Orthographie überarbeitet. In der Neufassung von 1992 wurde auf die am häufigsten kritisierten Neuerungen verzichtet. 1993 führte die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit dem Bun

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desministerium des Innern eine öffentliche Anhörung zu den Reformvorschlägen durch. Dreißig Verbände folgten der Einladung. Ähnliche Anhörungen gab es in Österreich und in der Schweiz. Sie führten zu einer nochmaligen Überarbeitung des Regelwerks, ehe dieses - nach weiteren Änderungen - auf der Wiener Konferenz vom 22. bis 24. November 1994 von Fachbeamten und Fachwissenschaftlern der beteiligten Staaten verabschiedet wurde. Letzte Änderungen löste ein Vorstoß des bayerischen Kultusministers aus.
Nach ihrer Annahme hat die Kultusministerkonferenz am 30. November/1. Dezember 1995 beschlossen:
    "1. ...
    2. Die Kultusminister verständigen sich darauf, den überarbeiteten Neuregelungsvorschlag "Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis" ... mit den Änderungen der Beilage 1 unter der Voraussetzung,
    daß die Ministerpräsidenten dem Neuregelungsvorschlag zustimmen,
    daß der Bund dem Neuregelungsvorschlag zustimmt und
    daß die angestrebte zwischenstaatliche Erklärung von Deutschland, Österreich, der Schweiz und gegebenenfalls weiteren interessierten Staaten rechtzeitig unterzeichnet wird,
    als verbindliche Grundlage für den Unterricht in allen Schulen einzuführen.
    3. Die Kultusministerkonferenz ermächtigt die Präsidentin - vorbehaltlich der Zustimmung durch die Ministerpräsidenten -, die zwischen den deutschsprachigen Ländern abzustimmende gemeinsame Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu unterzeichnen.
    4. Die Neuregelung tritt am 1. August 1998 mit folgenden Maßgaben in Kraft:
    a) ...
    b) Weitere Übergangsregelungen für die Zeit bis zum 1. August 1998 ... treffen die Länder in eigener Zuständigkeit.
    c) Bis zum 31. Juli 2005 werden bisherige Schreibweisen nicht als falsch, sondern als überholt gekennzeichnet und bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen ergänzt... Sollte sich herausstellen, daß die Übergangszeit zu großzügig oder zu eng bemessen ist, wird eine Veränderung

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    der Frist durch die Kultusministerkonferenz in Aussicht genommen.
    5. bis 7. ...
    8. Die Kultusministerkonferenz stimmt der Einrichtung einer international besetzten "Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung" beim Institut für deutsche Sprache ... zu...
    9. Bisherige Festlegungen zur Rechtschreibung, insbesondere der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 18. /19. November 1955 "Regeln für die deutsche Rechtschreibung", werden mit Wirkung vom 1. August 1998 aufgehoben.
    10. und 11. ..."
Die Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder hat diesem Beschluß am 14. Dezember 1995 zugestimmt und die Zustimmung in einem Umlaufbeschluß vom 5. März 1996 bestätigt. Das Bundeskabinett hat die Beschlüsse der Kultusminister- und der Ministerpräsidentenkonferenz am 17. April 1996 zur Kenntnis genommen. Daraufhin haben die Bundesrepublik Deutschland - durch den Präsidenten der Kultueministerkonferenz und den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern -, Österreich, die Schweiz und Vertreter Belgiens, Italiens, Liechtensteins, Rumäniens und Ungarns am 1. Juli 1996 die in Nr. 2 des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 30. November/1. Dezember 1995 erwähnte zwischenstaatliche Erklärung, die Gemeinsame Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung - Wiener Absichtserklärung -, unterzeichnet. Sie lautet, soweit hier von Interesse (vgl. Bundesanzeiger Nr. 205a vom 31. Oktober 1996):
    "Artikel I
    Die Unterzeichner nehmen das auf der Grundlage der ... Wiener Gespräche vom 22. bis 24. November 1994 entstandene ... Regelwerk "Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis" zustimmend zur Kenntnis.
    Artikel II
    Die Unterzeichner beabsichtigen, sich innerhalb ihres Wirkungsbereiches für die Umsetzung des in Artikel I genannten Regelwerkes einzusetzen.


    BVerfGE 98, 218 (225):

    Folgender Zeitplan wird in Aussicht genommen:
    1. Die Neuregelung der Rechtschreibung soll am 1. August 1998 wirksam werden.
    2. Für ihre Umsetzung ist eine Übergangszeit bis zum 31. Juli 2005 vorgesehen.
    Artikel III
    Die zuständigen staatlichen Stellen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz werden Experten in eine Kommission für die deutsche Rechtschreibung entsenden, ...
    Die Kommission wirkt auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum hin. Sie begleitet die Einführung der Neuregelung und beobachtet die künftige Sprachentwicklung. Soweit erforderlich erarbeitet sie Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks."
2. Die der Absichtserklärung als Anhang beigefügte neue "Amtliche Regelung" der deutschen Rechtschreibung besteht im Anschluß an ein Vorwort aus 112 - im folgenden ohne weiteren Zusatz zitierten - Paragraphen mit Unterregelungen und einem Wörterverzeichnis. Die wichtigsten Neuerungen sind:
a) Konsonanten werden nach einem betonten kurzen Vokal, auf den im Wortstamm nur ein Konsonant folgt, häufiger als bisher verdoppelt. So wird künftig Tipp und nicht mehr Tip geschrieben. Auch das "ß" wird nach kurzem betontem Vokal durch "ss" ersetzt (Fluss). Es gibt aber weiterhin Ausnahmen, etwa Club, fit, ob oder man. Für "k" und "z" gelten nach wie vor besondere Regelungen. Statt "kk" wird "ck", statt "zz" wird "tz" geschrieben. Ausnahmen bilden Fremdwörter wie Mokka, Pizza, Skizze. Die Verdopplung bleibt üblicherweise in Wörtern, die sich aufeinander beziehen lassen, auch dann erhalten, wenn sich die Betonung ändert, zum Beispiel Nummer - nummerieren statt bisher Nummer - numerieren (vgl. §§ 2 bis 5, 25).
b) Die Schreibung soll sich in Zukunft stärker nach dem sogenannten Stammprinzip, dem Grundsatz der einheitlichen Schreibung von Wortstämmen unabhängig von der Aussprache, richten. Das heißt, daß etwa für ein kurz gesprochenes "e" ein "ä" geschrieben wird, wenn es eine Grundform mit "a" gibt: Stange/Stängel

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(statt Stengel), Hand/behände (statt behende), blau/verbläuen (statt verbleuen), grau/gräulich (statt greulich). Bei manchen Wörtern, so bei aufwendig/aufwändig (wegen aufwenden/Aufwand) oder Schenke/Schänke (wegen ausschenken/Ausschank), kommt es danach zu zwei möglichen Schreibweisen (vgl. §§ 13 bis 15).
c) Bei zusammengesetzten Wörtern sollen künftig in der Regel keine Buchstaben mehr entfallen. So wird statt "Roheit" nunmehr "Rohheit", statt "Schiffahrt" "Schifffahrt" geschrieben. Wird wie im letzten Fall ein Buchstabe durch die Zusammensetzung verdreifacht, darf das Wort auch getrennt mit Bindestrich geschrieben werden: Schiff-Fahrt (vgl. Wörterverzeichnis und § 45 Abs. 4). Neben "selbständig" ist die Schreibung "selbstständig" gestattet (vgl. Wörterverzeichnis).
d) Fremdwörter können auch in Zukunft grundsätzlich wie in der Fremdsprache geschrieben werden (vgl. § 20 Abs. 2). Es gibt aber auch hier Ausnahmen. So erhalten Fremdwörter aus dem Englischen, die auf "-y" enden und im Plural "-ies" geschrieben werden, im Deutschen im Plural ein "-s". Das betrifft Wörter wie Baby - Babys oder Party - Partys (vgl. § 21). Neben der fremdsprachigen Schreibung sind Eindeutschungen in unterschiedlicher Weise zugelassen, wobei in der Regel eine Haupt- und eine Nebenvariante vorgesehen sind. Zum Teil handelt es sich bei der Hauptvariante um das eingedeutschte Wort, zum Teil auch um die Originalschreibweise. So kann neben Drainage (Nebenvariante) Dränage (Hauptvariante) geschrieben werden (vgl. Wörterverzeichnis). Zugelassen sind etwa auch Mohär, Polonäse, Buklee, Nugat (vgl. § 20 Abs. 2).
Bei der integrierenden Schreibweise fremdsprachiger Wörter können grundsätzlich "f" neben "ph" (Delfin - Delphin), "g" neben "gh" (Spagetti - Spaghetti), "j" neben "y" (Jacht -Yacht) und "k" neben "c" (Kode - Code) verwandt werden. Weiter stehen etwa "c" und "ss" (Facette - Fassette), "ch" und "sch" (Sketch - Sketsch), "th" und "t" (Thunfisch - Tunfisch) sowie "t" und "z" (potentiell - potenziell) nebeneinander (vgl. § 32 Abs. 2).
e) Änderungen ergeben sich auch bei der Groß- und Kleinschreibung. So werden künftig die Anredepronomen Du und Ihr mit ihren jeweiligen Ableitungen stets klein geschrieben (§ 66). Bei der Höf

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lichkeitsform (Sie und Ihr) bleibt es dagegen bei der Großschreibung (§ 65).
Neben Substantiven werden auch nicht substantivische Wörter groß geschrieben, wenn sie am Anfang einer Zusammensetzung mit Bindestrich stehen, die als Ganzes die Eigenschaft eines Substantivs hat (In-den-Tag-hinein-Leben). Groß geschrieben wird weiter der erste Teil mehrteiliger Substantive aus anderen Sprachen, etwa Conditio sine qua non. Substantivische Bestandteile werden auch im Innern mehrteiliger Fügungen, die als Ganzes die Funktion eines Substantivs haben, groß geschrieben (Ultima Ratio). Das gleiche gilt für Substantive, die Bestandteile fester Fügungen sind und nicht mit anderen Bestandteilen des Gefüges zusammengeschrieben werden, zum Beispiel in Bezug auf, von Seiten, etwas außer Acht lassen (vgl. § 55).
Wörter anderer Wortarten werden groß geschrieben, wenn sie als Substantive gebraucht werden, so etwa das In-Kraft-Treten von Gesetzen oder nach langem Hin und Her (vgl. § 57 ).
Ist ein Wort, das kein Substantiv ist, Bestandteil eines Eigennamens, wird es (weiterhin) groß geschrieben, beispielsweise Der Deutsche Bundestag (vgl. § 60 Abs. 4). Ebenfalls groß schreibt man Ableitungen von geographischen Eigennamen auf "-er" (Schweizer Käse; vgl. § 61). Adjektivische Ableitungen von Eigennamen auf "-(i)sch" werden klein geschrieben, außer wenn die Grundform eines Personennamens durch Apostroph verdeutlicht wird: die goetheschen/Goethe'schen Dramen (vgl. § 62). Adjektive in substantivischen Wortgruppen, die zu festen Verbindungen geworden, aber keine Eigennamen sind, schreibt man klein: die goldene Hochzeit (§ 63). Ausnahmen bilden Schreibungen wie der Heilige Vater, die Königliche Hoheit, der Heilige Abend (§ 64).
Klein schreibt man Wörter, die ihre substantivischen Merkmale eingebüßt und die Funktion anderer Wortarten übernommen haben (vgl. § 56). So heißt es etwa: Uns ist angst und bange. Immer klein geschrieben werden Pronomen, auch wenn sie stellvertretend für Substantive gebraucht werden, zum Beispiel: Man muss mit den beiden reden (§ 58 Abs. 4).
f) Die Getrenntschreibung wird künftig zur Regel, Zusammen

BVerfGE 98, 218 (228):

schreibungen werden zur Ausnahme (vgl. §§ 33 ff.). So wird nach den neuen Regeln "Rad fahren" statt "radfahren", "kennen lernen" statt "kennenlernen", "sitzen bleiben" statt "sitzenbleiben" geschrieben (vgl. § 34 Abs. 5 und 6). Gibt es einen der Bestandteile eines Worts nicht als selbständiges Wort, wird zusammengeschrieben: schwerstbehindert (im Gegensatz zu schwer behindert), blauäugig, kleinmütig (vgl. § 36 Abs. 2).
g) In Zukunft werden Bindestriche in Zusammensetzungen von Wörtern mit Einzelbuchstaben, Abkürzungen und Ziffern verwandt: i-Punkt, dpa-Meldung, 8-Zylinder. Vor Suffixen werden Bindestriche gesetzt, wenn sie mit einem Einzelbuchstaben verbunden sind: zum x-ten Mal. Das gilt allerdings nicht bei Zahlen oder mehreren Buchstaben: 8fach, KSCler. Einen Bindestrich setzt man auch, wenn Aneinanderreihungen substantivisch gebraucht werden: das Sowohl-als-auch, das Make-up. Zudem werden Bindestriche verwendet, wenn die Zusammensetzung einen Eigennamen enthält: Foto-Müller, Kaiser-Karl-Ring (vgl. §§ 40 ff.).
h) Die Trennungsregeln werden liberalisiert. Grundsätzlich trennt man Wörter so, wie sie sich bei langsamem Sprechen in Silben zerlegen lassen (vgl. § 107). Steht in einfachen Wörtern zwischen Vokalen ein einzelner Konsonant, kommt dieser bei der Trennung auf die neue Zeile. Stehen mehrere Konsonanten dazwischen, wird nur der letzte auf die neue Zeile gesetzt: A-bend, Städ-te (vgl. § 108). Buchstabenverbindungen, die für einen Konsonanten stehen, werden wie "ck" nicht getrennt: Deut-sche, Zu-cker (vgl. § 109). Zusammensetzungen und Wörter mit Präfix trennt man ihrem Sinn entsprechend: Heim-weg, Ent-wurf (vgl. § 111). Sind sie nicht mehr als Zusammensetzungen erkennbar, sind verschiedene Trennungen möglich: wa-rum/war-um, Inter-esse/Inte-resse (vgl. § 112).
i) Von den Neuregelungen über die Zeichensetzung sind diejenigen über die Kommasetzung besonders bedeutsam. Das Komma kann künftig entfallen, wenn gleichrangige Teilsätze durch und, oder, beziehungeweise, sowie, wie, entweder - oder, sowohl - als auch oder weder - noch verbunden werden: Er ging nach Hause und er wusch sein Auto. Kommasetzung ist aber erlaubt, wenn sie der Verdeutlichung der Satzgliederung dient (vgl. §§ 72 ff.). Ent

BVerfGE 98, 218 (229):

sprechendes gilt für die Kommasetzung bei Infinitivsätzen (vgl. § 76).
3. Die neuen Rechtschreibregeln sind in der Öffentlichkeit auf vielfältige Kritik gestoßen.
a) Zahlreiche Bürgerinitiativen wenden sich gegen die Einführung. Die großen deutschsprachigen Nachrichtenagenturen haben im Dezember 1997 beschlossen, die Rechtschreibreform bis auf weiteres nicht zu berücksichtigen. In mehreren Bundesländern ist die Reform zum Gegenstand von Volksabstimmungen gemacht worden. Im Bundestag hat ein fraktionsübergreifender Antrag (vgl. BTDrucks 13/7028) zu einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuß geführt, bei der sich Sprach- und Rechtswissenschaftler kontrovers zur Neuregelung geäußert haben (vgl. Protokoll über die 86. Sitzung des Ausschusses am 2. Juni 1997). Am 26. März 1998 hat der Bundestag auf Empfehlung des Rechtsausschusses (vgl. BTDrucks 13/10183) beschlossen (vgl. BT-Plenarprotokoll 13/224, S. 20567):
    "1. Der Deutsche Bundestag nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, daß die Art und Weise der Umsetzung der Rechtschreibreform und ihre Inhalte bei den Bürgern unseres Landes ein hohes Maß an rechtlicher und sprachlicher Unsicherheit über die deutsche Rechtschreibung hervorgerufen haben. ...
    2. Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, daß sich die Sprache im Gebrauch durch die Bürgerinnen und Bürger ... ständig und behutsam, organisch und schließlich durch gemeinsame Übereinkunft weiterentwickelt. Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem Volk.
    3. Der Deutsche Bundestag bittet die Kultusminister der Länder, an der Entwicklung eines Verfahrens mitzuarbeiten, in dem die Fortentwicklung der Sprache behutsam nachgezeichnet und festgestellt wird, was als Konsens in der Sprachgemeinschaft gelten kann. An dieser Aufgabe sollten alle, die durch ihre beruflichen und wissenschaftlichen Bezüge der Sprache besonders verpflichtet sind, beteiligt werden. Dazu gehören zum Beispiel die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die Verbände der Schriftsteller und Journalisten, die Vereinigungen der Germanisten und der Sprachforscher.
    Ein für diese Aufgabe zuständiges koordinierendes Gremium sollte unter Mitwirkung der an der Wiener Absichtserklärung

    BVerfGE 98, 218 (230):

    beteiligten Unterzeichnerstaaten zudem Sorge für die Erhaltung der Einheitlichkeit der Sprache im deutschen Sprachraum tragen. In die Prüfungen und Beratungen ist die vorliegende Rechtschreibreform einschließlich der bereits in die Schulpraxis übernommenen Teile einzubeziehen, um die Verunsicherung der betroffenen Schüler, Eltern und Lehrer möglichst bald zu beenden.
    4. Der Deutsche Bundestag bittet die Bundesregierung, die behutsame Entwicklung der deutschen Sprache - einschließlich des vorstehenden Uberprüfungsverfahrens (Nummer 3) - zu begleiten und darüber den Deutschen Bundestag rechtzeitig - insbesondere im Hinblick auf Umsetzungsmaßnahmen in die Amtssprache - zu unterrichten."
b) Die Rechtschreibreform ist auch bereits Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren gewesen. Mehrere Verfassungsbeschwerden wurden von Kammern des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. insbesondere Beschluß der 3. Kammer vom 21. Juni 1996, NJW 1996, S. 2221). Anträge auf ein einstweiliges Unterlassen der Unterrichtung nach den neuen Rechtschreibregeln hatten dagegen vor den Verwaltungsgerichten teilweise Erfolg (vgl. vor allem Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, NJW 1997, S. 3456; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, DÖV 1998, S. 118); an den Schulen Niedersachsens wird infolgedessen wieder nach den alten Regeln unterrichtet. In erster Instanz ebenfalls erfolgreich waren zwei verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren, die noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind (vgl. VG Berlin, NJW 1998, S. 1243; VG Hannover, NJW 1998, S. 1250).
4. Auf die Kritik an der neuen Schreibung hat die nach Art. III der Wiener Absichtserklärung gebildete Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung in ihrem ersten Bericht vom Januar 1998 mit "Vorschlägen zur Präzisierung und Weiterentwicklung der Neuregelung" reagiert. Im Kern geht es bei diesen Vorschlägen darum, in weiten Bereichen neben der neuen die alte Schreibung zuzulassen (zum Beispiel leid tun neben Leid tun, Quentchen neben Quäntchen oder ratsuchend neben Rat suchend).
Die Amtschefskommission der Kultusministerkonferenz hat dar

BVerfGE 98, 218 (231):

aufhin nach gemeinsamer Beratung mit Vertretern Österreichs, der Schweiz, Liechtensteins und des Bundesministeriums des Innern am 6. Februar 1998 beschlossen, das neue Regelwerk derzeit nicht zu ändern, so daß seinem allgemeinen Inkrafttreten am 1. August 1998 in Schule und Verwaltung nichts entgegenstehe. Die Vertreter der deutschsprachigen Länder seien allerdings der Auffassung, daß die Arbeit der zwischenstaatlichen Kommission durch einen Beirat begleitet werden sollte, in dem etwa Schriftsteller, Journalisten und Publizisten vertreten sein könnten. Die Kultusministerkonferenz hat von dem Bericht ihrer Präsidentin über diesen Beschluß zustimmend Kenntnis genommen.
II.
1. Die Beschwerdeführer sind die Eltern zweier schulpflichtiger Kinder, die in Schleswig-Holstein eine Grundschule besuchen. Über den Auftrag der Schule im allgemeinen und die Aufgaben der Grundschule im besonderen ist in den §§ 4 und 11 des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes (SchulG) in der Fassung vom 2. August 1990 (GVOBl. Schleswig-Holstein S. 451) unter anderem folgendes geregelt:
    § 4
    Bildungs- und Erziehungsziele
    (1) Der Auftrag der Schule wird bestimmt durch das Recht des jungen Menschen auf eine seiner Begabung, seinen Fähigkeiten und seiner Neigung entsprechende Erziehung und Ausbildung, durch das Recht der Eltern auf eine Schulbildung ihres Kindes sowie durch die staatliche Aufgabe, die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler auf ihre Stellung als Bürgerin und Bürger mit den entsprechenden Rechten und Pflichten vorzubereiten.
    (2) ...
    (3) Die Schule soll dem jungen Menschen zu der Fähigkeit verhelfen, in einer ständig sich wandelnden Welt ein erfülltes Leben zu führen. Sie soll dazu befähigen, Verantwortung im privaten, familiären und öffentlichen Leben zu übernehmen und für sich und andere Leistungen zu erbringen. ...
    (4) bis (9) ...


    BVerfGE 98, 218 (232):

    § 11
    Grundschule
    (1) Die Grundschule vermittelt den Schülerinnen und Schülern, die schulpflichtig und schulreif sind, Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten und entwickelt die verschiedenen Begabungen in einem für alle Schülerinnen und Schüler gemeinsamen Bildungsgang. ...
    (2) und (3) ...
In Rechtschreibung werden die Kinder aufgrund des Runderlasses des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein vom 5. November 1996 (Nachrichtenblatt des Ministeriums S. 476) nach den neuen Rechtschreibregeln unterrichtet. Der Erlaß setzt die "Amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung" für die Schulen in Schleswig-Holstein um, indem er für die Zeit vom 1. August 1998 bis zum 31. Juli 2005 die Regelungen in Nr. 4, 5 und 9 des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 30. November/1. Dezember 1995 wörtlich übernimmt und in einer "Übergangsregelung bis zum 31. Juli 1998" folgendes bestimmt:
    "1. In allen Klassenstufen aller Schularten wird in allen Fächern die neue Schreibung neben der alten als korrekt akzeptiert und vorrangig verwendet.
    2. Generell werden überholte Regeln und Schreibungen nicht mehr neu eingeführt und nicht mehr geübt.
    3. Bei schriftlichen Leistungsnachweisen werden nur noch solche Schreibungen als Fehler gewertet, die auch nach der Neuregelung nicht zulässig sind.
    4. bis 6. ...
    7. Dieser Erlass tritt mit seiner Veröffentlichung im Nachrichtenblatt in Kraft."
2. Gegen die Erteilung des Unterrichts nach den neuen Regeln haben die Beschwerdeführer Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Ihr Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat ihre Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags durch das Verwaltungsgericht aus den folgenden Gründen zurückgewiesen (vgl. NJW 1997, S. 2536):
Der Eilantrag sei zwar zulässig, aber unbegründet, soweit die Be

BVerfGE 98, 218 (233):

schwerdeführer sinngemäß begehrten, daß ihren Kindern Rechtschreibunterricht nach der Neuregelung nicht erteilt werde.
Aus dem Schulverhältnis ihrer Kinder und ihrem Elternrecht hätten die Beschwerdeführer Anspruch darauf, daß ihren Kindern Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten vermittelt würden, die erforderlich seien, um die gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsziele zu erreichen. Daß dazu Lesen und Schreiben gehörten, verstehe sich von selbst. Ebenso klar sei, daß eine zum 1. August 1998 zu erwartende neue Schreibweise die derzeitige Rechtschreibung noch nicht präge. Der staatliche Schulauftrag sei indes darauf gerichtet, Schüler auf ein leistungsorientiertes Leben vorzubereiten. Dem entspreche auch ein an künftiger Rechtschreibung orientierter Deutschunterricht, sofern es sich um die in absehbarer Zeit geltende neue Rechtschreibung handele. Für deren schulische Einführung bedürfe es keiner Änderung des Landesschulgesetzes, weil hierdurch der Inhalt des Deutschunterrichts nicht gestaltend verändert, sondern einer auf anderer Grundlage mit Wirkung für die Zukunft normierten Sprachänderung angepaßt werde.
Die Rechtschreibreform ziele nicht nur auf eine Änderung der Schreibweise im Unterricht und in der Amtssprache. Reformiert werde zum 1. August 1998 die Schreibweise der deutschen Sprache überhaupt. Dies ergebe die Wiener Absichtserklärung, nach der das neue Regelwerk Vorbildcharakter für alle haben solle. Eines Gesetzes aller Bundesländer oder des Bundes habe es dazu nicht bedurft. Die Rechtschreibung beruhe im deutschen Sprachraum nicht auf Rechtsnormen, sondern auf sprachlichen und damit außerrechtlichen Regeln, die auf Akzeptanz angewiesen seien. Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts erforderten für sie kein parlamentarisches Gesetz.
Bei der Konkretisierung des gesetzlichen Schulauftrags habe das zuständige Ministerium sinngemäß die Prognose gestellt, daß die Rechtschreibreform die notwendige allgemeine Akzeptanz finden werde. Nach derzeitigem Kenntnisstand sei diese Prognose nicht zu beanstanden. Da die außerrechtlich normierten Regeln der Reform auch durch staatlichen Einfluß, insbesondere den der Kultusministerkonferenz, geprägt seien, hänge die Akzeptanz maßgebend von

BVerfGE 98, 218 (234):

der innerstaatlichen und fachlichen Kompetenz dieses Normgebers ab. Rechtschreibreformen würden in Deutschland seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts als letztlich staatliche Aufgabe verstanden. Träger dieser Aufgabe seien nach Art. 30 GG grundsätzlich die Bundesländer. Zwar erfasse die Rechtschreibreform den deutschen Sprachraum insgesamt, so daß die auswärtige Gewalt des Bundes zu beachten sei. Nach Art. 32 Abs. 3 GG könnten die Länder jedoch im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz mit Zustimmung des Bundes Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen. Dies gelte auch für die Wiener Absichtserklärung. Die Zustimmung des Bundes zu dieser Maßnahme gehe aus der förmlichen Kenntnisnahme der Länderabsicht durch die Bundesregierung und aus der anschließenden Unterzeichnung der Wiener Erklärung durch den parlamentarischen Vertreter des Bundesministers des Innern hervor. Eine gegenüber derjenigen der Länder vorrangige Aufgabenkompetenz des Bundes enthalte das Grundgesetz für die Normierung von Rechtschreibregeln nicht. Eine ungeschriebene Kompetenz aus der Natur der Sache käme erst in Betracht, wenn sie zur Wahrung der deutschsprachigen Einheit zwingend erforderlich wäre. Das sei bisher nicht der Fall.
III.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Verwaltungs- und des Oberverwaltungsgerichts. Sie rügen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ihrer Kinder und ihrer eigenen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 1 Abs. 1 GG sowie aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Der Staat dürfe die Rechtschreitung nicht zum Gegenstand staatlicher Normierung machen, wenn dabei nicht nur die allgemein übliche Schreibung nachgezeichnet, sondern verändernd in den Schreibgebrauch eingegriffen werde. Jedenfalls bedürfe es für eine Rechtschreibreform einer spezialgesetzlichen Regelung. Nach dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Bei

BVerfGE 98, 218 (235):

der Einführung der neuen Schreibweise in den Schulunterricht, der ersten Reform in der Geschichte der deutschen Rechtschreibung überhaupt, handele es sich um eine solche Entscheidung. Bisher würden die Schüler im Rechtschreibunterricht mit dem allgemein üblichen Schreibgebrauch vertraut gemacht, der dem ihrer Eltern entspreche. Nunmehr sollten sie bislang ungebräuchliche Schreibweisen lernen, damit die Rechtschreibung einfacher werde. Die Vermittlung einer am "Reißbrett der Linguisten" entworfenen neuen Orthographie stelle keine Wissensvermittlung im klassischen Sinne dar. Es handele sich bei der Rechtschreibreform nicht nur um eine Fortentwicklung der bisherigen Bildungsziele und Unterrichtsinhalte, sondern um eine Neueinführung. Dabei gehe es um eine Entscheidung von bildungs- und schulpolitischer Grundsätzlichkeit. Darüber hinaus sei mit der Reform eine Verringerung des Bildungsniveaus und damit eine weitere Änderung des bisherigen Bildungsziels beabsichtigt. Die Schulbücher verwendeten nur noch die Kommata, die nach der Neuregelung zwingend erforderlich seien, ließen aber die alternativ möglichen Kommata weg. Damit werde deutlich, daß das bisherige Bildungsziel, die Schriftsprache umfassend zu vermitteln, aufgegeben werde.
Das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung, das sie über Art. 2 Abs. 1 GG geltend machen könnten, ergebe sich auch daraus, daß die Festlegung von Unterrichtsinhalten durch das schleswig-holsteinische Schulgesetz im Hinblick auf rechtsstaatliche Anforderungen zu unbestimmt sei. Bei verfassungskonformer Auslequng ermächtige das Gesetz nur zu einer Fortentwicklung der Bildungs- und Erziehungsziele in den herkömmlichen Bahnen. Diese würden bei Einführung ungebräuchlicher Schreibweisen verlassen. Insoweit handele es sich nicht um die Bestimmung sogenannter Feinlernziele, sondern um die Veränderung des herkömmlichen Groblernziels "Schreibenlernen".
Im übrigen stelle die Rechtschreibreform eine Entscheidung von allgemeiner Bedeutung dar. Wie das Oberverwaltungsgericht ausgeführt habe, ziele sie auf eine Änderung der Schreibweise nicht nur im Unterricht und in der Amtssprache, sondern im deutschen Sprachraum überhaupt.


BVerfGE 98, 218 (236):

2. Das erforderliche Gesetz brauche inhaltlich keine Festlegungen über die richtige Schreibung zu treffen. Es könne sich vielmehr darauf beschränken, Zuständigkeit und Verfahren für die Anpassung der Rechtschreibregeln und Schreibweisen an die Schreibentwicklung zu regeln. Die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen griffen des weiteren in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ein.
Das Persönlichkeitsrecht ihrer Kinder werde verletzt, weil der Unterricht nach der neuen Schreibung mangels gesetzlicher Grundlage verfassungswidrig und die Rechtschreibreform ihrem Inhalt nach unverhältnismäßig sei. Sie selbst würden in ihrem Recht auf sprachliche Integrität beeinträchtigt. Dieses Recht sei Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die menschliche Persönlichkeit zeichne sich durch Selbstbestimmungsfähigkeit aus, so daß sich der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf solche persönlichkeitskonstitutiven Faktoren erstrecken müsse, die Voraussetzung für die Umsetzung von geistigen Lebensentwürfen in konkrete Handlungen seien. Daß dazu auch die sprachliche Integrität zähle, könne nicht zweifelhaft sein, weil Sprache Entfaltungsbedingung für individuelle Freiheit sei. Mit der Rechtschreibreform solle, auch wenn sie für niemanden außerhalb von Schule und Verwaltung Verbindliches vorschreibe, eine gezielte Sprachlenkung auch gegen die Ausdrucksbedürfnisse der Sprachgemeinschaft bewirkt werden. Damit werde in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden Sprachteilhabers eingegriffen.
3. Verkannt werde weiter die Bedeutung des elterlichen Erziehungsrechts bei der Bestimmung des schulischen Bildungsauftrags.
Die Rechtschreibreform mache es unmöglich, daß sich der schulische Rechtschreibunterricht und die elterliche Erziehung ergänzten. Während bisher die Eltern den Grundschulstoff beherrscht hätten und entsprechende Hilfestellung hätten leisten können, werde dies bei der Rechtschreibung künftig nicht mehr der Fall sein. Die Eltern könnten ihren Kindern auch nicht mehr ihre Bücher überlassen, damit deren Lektüre die Beherrschung der Orthographie fördere. Die Konfrontation mit der alten Orthographie würde Kinder verunsichern. Würden diese die in den alten Büchern enthaltenen

BVerfGE 98, 218 (237):

Schreibweisen in der Schule verwenden, würden sie dort dafür kritisiert werden. Weiter sei zu befürchten, daß ihre Kinder die elterlichen Bücher wegen der antiquierten Schreibung künftig weniger gern lesen würden, womit ihr grundlegendes Erziehungssiel, ihre Kinder an die klassische deutsche Literatur heranzuführen, gefährdet werde. Darüber hinaus hätten sie Anspruch darauf, daß ihren schulpflichtigen Kindern an staatlichen Schulen nur solcher Unterricht erteilt werde, der sich auf eine hinreichende gesetzliche Ermächtigung stützen könne.
In kompetenzieller Hinsicht sei im Hinblick auf die Deutschen Schulen im Ausland und wegen der Goethe-Institute von der Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundestags zur Durchführung der Rechtschreibreform auszugehen. Für die Schreibweise im Bundesgesetzblatt dürfte die Unzuständigkeit der Kultusministerkonferenz evident sein.
4. Schließlich sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil das Oberverwaltungsgericht ohne vorherigen Hinweis auf einen für sie überraschenden Gesichtspunkt abgestellt habe. In dem Beschluß über die Zulassung der Beschwerde habe es ausgeführt, daß sie einen Anspruch auf Unterlassung des Unterrichts nach den neuen Rechtschreibregeln hätten, wenn man eine zentrale Bedeutung der Rechtschreibreform für die Spracherziehung bejahe. Sie hätten daher erwarten dürfen, daß sich das Gericht im Beschwerdebeschluß mit der Bedeutung der Rechtschreibreform für die Spracherziehung auseinandersetzen werde. Völlig überraschend habe es dies jedoch nicht getan, sondern dargelegt, daß durch die schulische Einführung einer künftig geltenden Schreibweise der Inhalt des Deutschunterrichts nicht verändert, sondern einer auf anderer Grundlage normierten Sprachänderung angepaßt werde. Damit habe es auf Gesichtspunkte abgestellt, die im Ausgangsverfahren nicht einmal von der Gegenseite vorgetragen worden seien. Das Oberverwaltungsgericht hätte daher insoweit den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Auch die Erwägung, daß auf eine gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, weil Rechtschreibung im deutschen Sprachraum auf außerrechtlichen Regeln beruhe, sei überraschend gewesen.


BVerfGE 98, 218 (238):

IV.
Von der Gelegenheit zur Stellungnahme haben Gebrauch gemacht: die Landesregierung Schleswig-Holstein, der Bayerische Landtag, die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die Niedersächsische Staatskanzlei für die Niedersächsische Landesregierung, namens der Landesregierung Rheinland-Pfalz das Ministerium der Justiz, für die Regierung des Saarlands das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft, ferner das Sächsische Staatsministerium der Justiz, die Kultusministerkonferenz, das Institut für deutsche Sprache, die Gesellschaft für deutsche Sprache, die Dudenredaktion, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Deutsche Beamtenbund, der Deutsche Philologenverband, der Bundeselternrat, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege, die Bundesweite Initiative "Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform", der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Verband der Schulbuchverlage und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger.
1. Die Landesregierung Schleswig-Holstein hält die Verfassungsbeschwerde jedenfalls für unbegründet. Für die Umsetzung der Rechtschreibreform im Schulbereich mit dem Ziel, die seit Beginn des Jahrhunderts immer komplizierter gewordenen Rechtschrelbregeln vorsichtig zu vereinfachen, bedürfe es keines Gesetzes, weil die Entscheidung, ob die reformierte oder die bisherige Rechtschreibung unterrichtet werde, für Schüler und Eltern nicht sehr bedeutsam sei. Da die Pflege der deutschen Sprache und ihrer Rechtschreibung zum Bereich der Kultur gehöre, seien für diese Entscheidung nach Art. 30 GG die Länder zuständig. Gegen die Herleitung ihrer Kompetenz zur Beteiligung an der Wiener Absichtserklärung aus Art. 32 Abs. 3 GG sei verfassungsrechtlich ebenfalls nichts zu erinnern. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen auch weder gegen Art. 2 Abs. 1 GG, der im wesentlichen ohnehin von Art. 6 Abs. 2 GG verdrängt werde, noch gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
2. Nach Auffassung des Bayerischen Landtags ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz weisen darauf hin, daß sie mit der Problematik

BVerfGE 98, 218 (239):

der Einführung der neuen Rechtschreibregeln in den Schulunterricht mehrfach befaßt gewesen seien. Eine gesetzliche Regelung sei hierfür, so der Landtag Rheinland-Pfalz, nicht für erforderlich gehalten worden.
3. Die Niedersächsische Staatskanzlei, das Ministerium der Justiz von Rheinland-Pfalz, das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlands und das Sächsische Staatsministerium der Justiz beziehen sich im wesentlichen auf die Stellungnahme der Kultusministerkonferenz. Diese hat sich insbesondere zu Inhalt und Ziel der Rechtschreibreform geäußert:
Durch die Integration des Buchdrucker-Dudens in den für die Allgemeinheit bestimmten Duden im Jahre 1915 und die laufende Überarbeitung des Dudens in der Folgezeit, bei der dieser die Rechtschreibentwicklung in der Gesellschaft nicht nur nachvollzogen, sondern die Schreibung der Sprache selbst auch normiert habe, sei ein Geflecht von unübersichtlichen Regeln, Ausnahmen und Ausnahmen von Ausnahmen entstanden, das im Interesse der Schüler vereinfacht werden müsse. Der Neuregelung gehe es deshalb vor allem um eine Bereinigung, bessere Systematisierung der Regeln und die Beseitigung von Ausnahmen, ohne daß die Tradition des Schriftbilds und die Lesbarkeit von Texten wesentlich beeinträchtigt würden. Die bisherigen Grundregeln blieben weitgehend unangetastet. Der Änderungsumfang der Neuregelung sei gering. Sehe man von der Änderung der ß-Schreibung ab, betreffe die Neuregelung nur rund 0,5 vom Hundert des Wortschatzes. Schon angesichts dieses Umfangs bedürfe es für die Einführung der neuen Rechtschreibregeln in den Schulunterricht keiner speziellen gesetzlichen Grundlage.
Während die Sprache selbst vorstaatlich sei, habe es für den Rechtschreibunterricht an den Schulen immer Vorgaben gegeben. Sie seien erforderlich, weil Rechtschreibunterricht voraussetze, daß Lehrer und Schüler wüßten, was sie zu unterrichten und zu lernen hätten.
4. Auch das Institut für deutsche Sprache betont - wie die Gesellschaft für deutsche Sprache - das Ziel der Rechtschreibreform, das Schreiben zu erleichtern, ohne das Lesen zu erschweren. Das zeit

BVerfGE 98, 218 (240):

weilige Nebeneinander von alter und neuer Rechtschreibung im Unterricht erweise sich als erheblich weniger störend als zunächst befürchtet. Lehrerinnen und Lehrer machten immer wieder die Erfahrung, daß sich aus der "Konkurrenz" verschiedener Schreibweisen motivierende Anlässe für die Sprachreflexion im Unterricht gewinnen ließen.
5. Nach Einschätzung der Dudenredaktion bestehen die mit der Rechtschreibreform verbundenen Neuerungen oft nur darin, daß aus bislang verbindlichen Regeln fakultative würden. Von der seit 1902 amtlichen, im Erlaßwege normierten und über die Schulen vermittelten Schreibkonvention werde im allgemein üblichen Schreibgebrauch häufig abgewichen. Die Rechtschreibreform greife einige der gegen die herkömmliche Rechtschreibung verstoßenden Schreibgewohnheiten auf und führe damit den amtlich vorgegebenen Schreibgebrauch mit ungeregelten Tendenzen wieder zusammen. Daß durch die Reform die einheitliche deutsche Rechtschreibung verloren gehe, sei nicht zu befürchten. Das Ziel des Rechtschreibunterrichts, die Fähigkeit zu korrektem Schreiben zu vermitteln, werde nicht angetastet.
6. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Deutsche Beamtenbund und der Deutsche Philologenverband haben sich positiv zur Rechtschreibreform geäußert. Die Reform, die eine Systematisierung der bisherigen Regeln ohne nachhaltige Veränderung des vertrauten Schriftbilds und ohne Beeinträchtigung der Lesbarkeit von Texten bewirken solle, sei fachlich und pädagogisch zu begrüßen. Die deutsche Rechtschreibung sei nach den neuen Regeln, die lediglich zu Korrekturen in Randbereichen führten, wegen der größeren Regelhaftigkeit leichter zu erlernen und zu handhaben.
7. Der Bundeselternrat hat sich ebenfalls für die weitere Unterrichtung nach den neuen Rechtschreibregeln ausgesprochen. Aus den Schulen, die bereits nach diesen Regeln unterrichteten, lägen zumeist positive Rückmeldungen vor.
8. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hält staatliche Eingriffe in die Rechtschreibung grundsätzlich für unzulässig. Dies gelte jedenfalls dann, wenn es sich um wesentliche Eingriffe handele. Bei der gegenwärtigen Rechtschreibreform sei dies der

BVerfGE 98, 218 (241):

Fall, weil sie die Ausdrucksmöglichkeiten der Schreibenden, insbesondere bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, einschränke. Die Verantwortung für eine gute Lesbarkeit von Texten wie für die Einheit und Verläßlichkeit der deutschen Rechtschreibung - zahlreiche Schriftsteller, Zeitungen und Verlage hätten angekündigt, die neuen Regeln nicht zu befolgen - spreche dafür, orthographische Normen möglichst stabil zu halten. Das sei auch für Ausländer wichtig, die die deutsche Sprache lernen wollten.
9. Ebenfalls gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen haben sich in ihrer gemeinsamen Stellungnahme der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege und die Bundesweite Initiative "Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform", die sich nach ihrem Vortrag aus zehn Lehrerinitiativen zusammensetzt. Beide sind der Ansicht, daß die Rechtschreibreform die Rechtschreibung nicht vereinfacht, sondern neue Fehlerquellen schafft. Auch werde durch die Einführung der Reform die Einheitlichkeit der Schreibung zerstört.
10. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels weist in seiner Stellungnahme darauf hin, daß bei den Kinder- und Jugendbuchverlagen alle Neuerscheinungen und die meisten Neuauflagen älterer Titel in reformierter Schreibung erschienen seien. Wenn man von dem Mehraufwand an Arbeit für das Lektorat durch die Einarbeitung in die neue Rechtschreibung absehe, seien es vor allem die Neuauflagen, die den Verlagen zusätzliche Kosten verursachten. Bei etwa 7.500 Neuauflagen und durchschnittlich 4.000 DM Kosten pro Band sei von Mehrkosten für die Umstellung in Höhe von rund 30 Mio. DM auszugehen. Ein Reformstopp würde den Verlust dieser Investitionen bedeuten. Hinzu kämen die Kosten für die Umstellung der in der neuen Rechtschreibung gedruckten Neuerscheinungen auf die bisher gültige Schreibung in Höhe von etwa 12 Mio. DM. Auch die Wörterbuchverlage müßten bei einem Reformstopp große Verluste hinnehmen.
11. Der Verband der Schulbuchverlage teilt mit, daß die Schulbuchverlage, bedingt durch die Rechtschreibreform, bis Ende 1997 etwa 100 Mio. DM an zusätzlichen technischen Kosten aufgewandt hätten. Ein Reformstopp lasse diese Kosten sinnlos werden. Hinzu kämen unverkäufliche Lagerbestände im Wert von ungefähr 130

BVerfGE 98, 218 (242):

Mio. DM sowie erneute Umstellungskosten von rund 100 Mio. DM. Diesen erneuten Investitionsbedarf könnten die Schulbuchverlage in so kurzer Zeit nicht aufbringen.
12. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger teilt mit, daß die Zeitungsbranche durch die Umsetzung der Rechtschreibreform mit Investitionskosten von rund fünf Mio. DM belastet werde. Dieser Betrag sei, bezogen auf den Gesamtumsatz der Branche, nicht sehr hoch.
V.
In der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 1998 haben sich geäußert: die Beschwerdeführer, die Landesregierung Schleswig-Holstein, die Bundesregierung, die Niedersächsische Landesregierung, die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, die Kultusministerkonferenz, das Institut für deutsche Sprache, die Gesellschaft für deutsche Sprache, die Dudenredaktion, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Deutsche Beamtenbund, der Deutsche Philologenverband, der Bundeselternrat, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Verband der Schulbuchverlage.
VI.
Mit Schriftsatz vom 6. Juli 1998 haben die Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde zurückgenommen.
 
B. -- I.
Über die Verfassungsbeschwerde ist trotz der Rücknahme zu entscheiden. Denn die Rücknahme ist unwirksam.
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, daß ein Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde nachträglich zurücknehmen kann. Auch hat dies grundsätzlich zur Folge, daß das Beschwerdebegehren nicht mehr zur Entscheidung steht (vgl. BVerfGE 85, 109 [113]). Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos. Er kommt jedenfalls dann nicht zum Tragen, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde vor Ab

BVerfGE 98, 218 (243):

schluß des fachgerichtlichen Hauptsacheverfahrens nach § 93a BVerfGG im Hinblick darauf zur Entscheidung angenommen hat, daß die Beschwerde im Sinne des § 90 II 2 BVerfGG von allgemeiner Bedeutung ist, wenn deswegen über sie mündlich verhandelt worden ist und wenn die allgemeine Bedeutung auch in der Zeit bis zur Urteilsverkündung nicht entfallen ist. In einem solchen Fall liegt die Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens nicht mehr in der alleinigen Dispositionsbefugnis des Beschwerdeführers (vgl. zur Einschränkung der Rücknahmebefugnis im fortgeschrittenen Verfahrensstadium auch § 269 I ZPO, § 92 I 2 VwGO, § 102 S. 1 SGG und § 72 I 2 FGO). Vielmehr steht unter diesen Umständen die Funktion der Verfassungsbeschwerde, das objektive Verfassungsrecht zu wahren sowie seiner Auslegung und Fortbildung zu dienen (vgl. BVerfGE 79, 365 [367]; 85, 109 [113]), gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers an verfassungsgerichtlichem Individualrechtsschutz derart im Vordergrund, daß es geboten ist, im öffentlichen Interesse trotz der Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zur Sache zu entscheiden und den Ausgang des Verfahrens nicht von Verfahrenshandlungen des Beschwerdeführers abhängig zu machen (vgl. auch zur Antragsrücknahme im Normenkontroll- und im Organstreitverfahren BVerfGE 1, 396 [414 f.]; 8, 183 [184]; 24, 299 [300]; 25, 308 [309]).
Die genannten Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Senat hat, als er Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hat, in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beschwerdeführer die allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde mit Rücksicht darauf bejaht, daß diese grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen aufwirft und die erstrebte Entscheidung Klarheit über die Rechtslage nicht nur für eine Vielzahl gleichliegender Fälle (vgl. BVerfGE 19, 268 [273]; 84, 133 [144]), sondern auch für den gesamten Schulunterricht schaffen wird. An dieser Einschätzung hat sich seitdem ersichtlich nichts geändert.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Insbesondere steht ihrer Zulässigkeit nicht der Grundsatz der

BVerfGE 98, 218 (244):

Subsidiarität entgegen. Die Beschwerdeführer haben den Rechtsweg im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erschöpft (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO). Die Erschöpfung des Rechtswegs auch in der Hauptsache ist hier nicht geboten. Mit der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird ein Verfassungsverstoß durch die Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts selbst geltend gemacht (vgl. BVerfGE 79, 275 [279]; 93, 1 [12]). Die Entscheidung im übrigen hängt nicht von weiterer tatsächlicher oder einfachrechtlicher Vorklärung ab. Auch sind die Voraussetzungen gegeben, unter denen gemäß § 90 II 2 BVerfGG vom Erfordernis einer Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 69, 315 [340]; 86, 15 [22 f.]). Wie bereits unter B I ausgeführt, hat die Verfassungsbeschwerde allgemeine Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift.
 
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.
I.
Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
1. Die Eltern haben danach das Recht und die Pflicht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen frei und, vorbehaltlich des Bildungs- und Erziehungsauftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG, mit Vorrang vor anderen Erziehungsträgern zu gestalten (vgl. BVerfGE 31, 194 [204]; 47, 46 [69 f.]). Sie sind deswegen für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich und grundsätzlich befugt, darauf auch insoweit Einfluß zu nehmen, als es um Gegenstände des Schulunterrichts geht. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gibt den Eltern allerdings keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch. Im Bereich der Schule treffen Erziehungsrecht und Erziehungsverantwortung der Eltern vielmehr auf den Erziehungsauftrag des Staates. Dieser Auftrag ist dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet (vgl. BVerfGE 34, 165 [183]; 52, 223 [236]). Die Erziehung von Kindern ist danach, soweit sie Schulen besuchen, die gemeinsame Aufgabe von Eltern und Schule. Sie ist in

BVerfGE 98, 218 (245):

einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen. Der Staat muß deshalb in der Schule die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen so weit offen sein, wie es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt (vgl. BVerfGE 34, 165 [183]). Die dafür notwendige Abgrenzung von elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Erziehungsauftrag ist Aufgabe des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 47, 46 [80]).
2. Gemessen daran wird das elterliche Erziehungsrecht der Beschwerdeführer nicht verletzt. Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem das Ausgangsverfahren beendenden Beschluß im Ergebnis zu Recht angenommen, daß der Runderlaß des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein vom 5. November 1996, durch den die von der Kultusministerkonferenz beschlossene und in der Wiener Absichtserklärung gebilligte Neuregelung der deutschen Rechtschreitung für die Schulen dieses Landes nach Maßgabe von Übergangsvorschriften auch schon für die Zeit vor dem 1. August 1998 umgesetzt worden ist, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
a) Notwendigkeit und Inhalt, Güte und Nutzen der Rechtschreibreform, die Gegenstand der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit und der Fachwelt sind, können nicht nach verfassungsrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. Das Grundgesetz enthält keine Vorschriften über die sprachwissenschaftlich richtige Schreibung der deutschen Sprache und die korrekte Gliederung geschriebener Texte durch Satzzeichen. Ebensowenig läBt sich dem Grundgesetz etwas dafür entnehmen, wie bestimmte im Schulunterricht verwendete Schreibweisen aus pädagogischer Sicht zu bewerten sind (vgl. auch BVerfGE 34, 165 [185]). Eine Verletzung des elterlichen Erziehungsrechts durch die Umsetzung der Rechtschreibreform in den Schulen wäre deshalb nur dann möglich, wenn der Staat die Rechtschreibung überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in gestaltender Absicht regeln dürfte, wenn eine solche Regelung im Fall ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit einer spezialgesetzlichen Grundlage bedürfte oder wenn die Reform die Betroffenen unverhältnismäßig in Grundrechten beeinträchtigte. Die von den Beschwerdeführern

BVerfGE 98, 218 (246):

insoweit erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken greifen indessen nicht durch.
b) Die Rechtschreibung ist einer staatlichen Regelung nicht von vornherein unzugänglich.
Das Grundgesetz enthält kein Verbot, die Rechtschreibung zum Gegenstand staatlicher Regelung zu machen. Ein solches Verbot folgt auch nicht daraus, daß der Staat zur Regelung der Rechtschreibung nicht ausdrücklich ermächtigt worden ist. Dem Grundgesetz liegt nicht die Vorstellung zugrunde, daß sich jede vom Staat ergriffene Maßnahme auf eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zurückführen lassen müsse. Es geht vielmehr von der generellen Befugnis des Staates zum Handeln im Gemeinwohlinteresse aus, erlegt ihm dabei aber sowohl formell als auch materiell bestimmte Beschränkungen auf. Ein Regelungsverbot kann sich unter diesen Umständen nicht schon aus einer fehlenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung, sondern nur aus den verfassungsrechtlichen Schranken staatlicher Entscheidungen ergeben.
Auch aus der Eigenart der Sprache folgt kein absolutes Regelungsverbot. Die Annahme, die Sprache "gehöre" dem Volk, kann ein solches Verbot nicht begründen; denn weder bringt das "Gehören" eine Zuordnung im Rechtssinn zum Ausdruck noch könnte die der Annahme zugrunde liegende These, falls ihr rechtlicher Gehalt zukäme, eine staatliche Befassung verhindern. Daß ein Gegenstand dem Staat nicht "gehört", hindert diesen nicht daran, seinen Gebrauch bestimmten Regeln zu unterwerfen. Auch der Umstand, daß die Sprache nicht aus einer staatlichen Quelle fließt und sich im gesellschaftlichen Gebrauch von selbst entwickelt, steht einer staatlichen Regelung nicht entgegen. Diese Eigenschaften teilt die Sprache mit zahlreichen Regelungsgegenständen. Die Sprache unterscheidet sich von anderen Regelungsgegenständen auch nicht dadurch, daß bei ihr korrekturbedürftige Fehlentwicklungen - etwa im Sinn erschwerter Lehr- und Lernbarkeit - von vornherein ausgeschlossen wären. Der Staat kann die Sprache deswegen aber nicht beliebig regeln. Begrenzende Wirkungen ergeben sich aus der Eigenart der Sprache jedoch nur für Art und Ausmaß einer Regelung, nicht dagegen für eine Regelung überhaupt.


BVerfGE 98, 218 (247):

Auch ein generelles Verbot gestaltender Eingriffe in die Schreibung läßt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Der Staat ist nicht darauf beschränkt, nur nachzuzeichnen, was in der Schreibgemeinschaft ohne seinen Einfluß im Lauf der Zeit an allgemein anerkannter Schreibung entstanden ist. Regulierende Eingriffe, die Widersprüche im Schreibusus und Zweifel an der richtigen Schreibung beseitigen oder - etwa aus Vereinfachungsgründen - bestimmte Schreibweisen erstmals festlegen, sind ihm ebenfalls grundsätzlich erlaubt. Für den Bereich der Schulen kann er sich zudem auf Art. 7 Abs. 1 GG berufen, der dem Staat mit der Aufsicht über das Schulwesen auch die Befugnis zuweist, Bestimmungen über Art und Inhalt des Schulunterrichts zu treffen (vgl. BVerfGE 34, 165 [182]; 47, 46 [71 f., 80 f.]; 52, 223 [236]). Die Festlegung der Regeln und Schreibweisen der deutschen Rechtschreibung ist davon nicht ausgenommen. Lehrer wie Schüler benötigen möglichst sichere, verbindliche, aber auch verständliche Grundlagen für richtiges Lehren und Lernen der deutschen Schreibung sowie zuverlässige Maßstäbe für die Benotung der insbesondere im Rechtschreibunterricht geforderten schulischen Leistungen.
Mit Rücksicht darauf waren Regelungen über die richtige Schreibung in der deutschen Orthographiegeschichte zumindest seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer auch, wenn nicht zuvörderst, eine Sache von Staat und Schule. Dabei bestanden die für die Schule aufgestellten Rechtschreibregeln nicht nur aus einer Wiedergabe dessen, was sich im außerstaatlichen Bereich auf gewissermaßen natürlichem Wege an Schreibkonventionen herausgebildet hatte. Die im Schulunterricht vermittelten Regeln und Schreibweisen waren vielmehr - zumindest teilweise - auch das Ergebnis normierender staatlicher Entscheidung. Schon die Schulorthographien des 19. Jahrhunderts stellten, soweit sie in dem Bestreben um eine einheitliche Schreibung in dem jeweiligen Land bestimmte Schreibweisen von der Anerkennung durch die amtlichen Regeln ausschlossen, eine bewußte und gezielte staatliche Einflußnahme auf Art und Inhalt der Rechtschreibung dar. Gleiches galt für die Ergebnisse der staatlichen Orthographiekonferenz von 1901. Daß und in welchem Umfang der Staat die Befugnis für sich in Anspruch nahm, auch verän

BVerfGE 98, 218 (248):

dernd in den Schreibusus einzugreifen, zeigen im übrigen Reformvorschläge wie die Wiesbadener Empfehlungen von 1958, auch wenn sich diese nicht durchsetzen konnten.
Selbst der Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 18./19. November 1955, der für Zweifelsfälle die im Duden jeweils gebrauchten Schreibweisen und Regeln für verbindlich erklärte, führte schwerlich nur zum Nachvollzug außerstaatlicher Schreibentwicklung. Nach den Worten des früheren Leiters der Dudenredaktion tradieren deren Mitarbeiter bei der von ihnen betriebenen "Sprachpflege" "nicht blind überkommene sprachliche Normen, sondern überprüfen sie und bestimmen sie gegebenenfalls neu" (vgl. Drosdowski, a.a.O., S. 30 f.). Auch wenn man diese Bewertung der Tätigkeit der Dudenredaktion für zu weitgehend hält, wie dies in der mündlichen Verhandlung eingewandt worden ist, läßt sich eine normative Einflußnahme des Dudens auf die deutsche Schriftsprache jedenfalls im Grundsatz nicht ausschließen, zumal eine scharfe Grenzziehung zwischen reiner Deskription und regulierender Präskription schon angesichts der Uneinheitlichkeit und Wandelbarkeit des Schreibgebrauchs kaum möglich sein dürfte. Nahm der Duden eine Änderung auf, wechselte mit diesem Vorgang die betroffene Schreibung aus dem Status des Fehlers in den der Norm.
c) Der Runderlaß des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums ist auch nicht deshalb von Verfassungs wegen zu beanstanden, weil Regelungen dieser Art nicht von den Ländern getroffen werden könnten.
Der Erlaß dient der Umsetzung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung "an den Schulen in Schleswig-Holstein". Er berücksichtigt damit, daß das neue Regelwerk nach Nr. 2 des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 30. November/1. Dezember 1995 die "verbindliche Grundlage für den Unterricht in allen Schulen" sein soll. In dieser Funktion beziehen sich Regelwerk und Erlaß auf einen Gegenstand des Schulwesens, das vom Grundgesetz - vorbehaltlich eines Zusammenwirkens von Bund und Ländern gemäß Art. 91b GG - der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder zugewiesen ist (vgl. BVerfGE 53, 185 [195 f.]; 59, 360 [377]).
An dieser Zuordnung ändert es nichts, daß die Neuregelung der

BVerfGE 98, 218 (249):

deutschen Rechtschreibung nach Nr. 1 ihres Vorworts "zur Sicherung einer einheitlichen Rechtschreibung Vorbildcharakter für alle" haben soll, "die sich an einer allgemein gültigen Rechtschreibung orientieren möchten". Zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gehört es nach der Formulierung in § 4 Abs. 1 und 3 SchulG, Schülerinnen und Schüler durch Vermittlung der dafür benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten zu befähigen, in einer sich ständig wandelnden Welt ein erfülltes und erfolgreiches Leben in Staat, Gesellschaft und Beruf zu führen. Die Schule wirkt von daher notwendig nach außen, beeinflußt Verhaltensweisen des Einzelnen und schafft Werte auch für das soziale Miteinander der Menschen. Das gilt nicht erst dann, wenn Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen und das Erlernte in der Gesellschaft verwenden, sondern unabhängig davon, weil Zielsetzungen und Werte, die in der Schule vermittelt werden, stets in den außerschulischen Bereich ausstrahlen. Die Vermittlung der Kenntnis richtiger Schreibung der eigenen Sprache durch die Schule ist dafür, wie die Geschichte der deutschen Rechtschreibung zeigt, ein anschauliches Beispiel.
Einer Regelungsbefugnis der Länder steht auch nicht entgegen, daß Schreibung als Kommunikationsmittel im gesamten Sprachraum ein hohes Maß an Einheitlichkeit voraussetzt, wenn die grundrechtlich verbürgte Kommunikationsmöglichkeit erhalten bleiben soll. Den Ländern ist die Herstellung von Einheitlichkeit verfassungsrechtlich im Wege der Selbstkoordinierung, durch Abstimmung mit dem Bund und durch Absprachen mit auswärtigen Staaten, in denen deutsch in einem ins Gewicht fallenden Umfang gesprochen und geschrieben wird, auf der Grundlage des Art. 32 Abs. 3 GG möglich. Im Fall der Rechtschreibreform sind sie diesen Weg auch tatsächlich gegangen. Im Dezember 1995 und März 1996 haben die Ministerpräsidenten der Länder dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 30. November/1. Dezember 1995 zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zugestimmt, im April 1996 hat die Bundesregierung diesen Beschluß zustimmend zur Kenntnis genommen, und am 1. Juli 1996 haben der Präsident der Kultusministerkonferenz für die Länder, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern für den Bund sowie

BVerfGE 98, 218 (250):

Vertreter Österreichs, der Schweiz, Belgiens, Italiens, Liechtensteins, Rumäniens und Ungarns für die dortigen deutschsprachigen Gemeinschaften die Wiener Absichtserklärung unterzeichnet.
Daß der Bund, wie die Vertreter der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, die Übernahme der Rechtschreibreform in die Amts- und Justizsprache des Bundes zum 1. August 1998 vorerst ausgesetzt hat und Niedersachsen die neuen Rechtschreibregeln an seinen Schulen derzeit nicht anwendet, stellt das damit erzielte Einvernehmen nicht grundsätzlich in Frage. Das Erfordernis eines hohen Maßes an einheitlicher Schreibung, ohne welches Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten und damit Kommunikation zwischen den Schreibenden nicht möglich sind, bedeutet nicht notwendig Übereinstimmung in allen Einzelheiten. Deshalb hat das Ausscheren eines Beteiligten aus dem Kreis derer, die sich zuvor auf gemeinsame Regeln und Schreibweisen verständigt haben, verfassungsrechtlich nicht notwendig die Unzulässigkeit der Neuregelung zur Folge, wenn Kommunikation im gemeinsamen Sprachraum trotzdem weiterhin stattfinden kann. Die Entscheidung Niedersachsens, in den Schulen wieder nach den alten Rechtschreibregeln zu unterrichten, betrifft im übrigen, wie die Vertreter des Landes in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, nur die bis zum 31. Juli 1998 geltende Übergangsregelung; die Einführung der Neuschreibung zum 1. August 1998 wird davon nicht berührt.
d) Der Erlaß des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums ist verfassungsrechtlich auch nicht deshalb bedenklich, weil es für die Einführung der neuen Rechtschreibregeln in den Schulunterricht einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedurft hätte.
aa) Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen Beschluß das geltende Schulrecht des Landes Schleswig-Holstein, insbesondere die §§ 4 und 11 SchulG, als ausreichende Grundlage für die Umsetzung der Rechtschreibreform an den Schulen des Landes angesehen hat. In § 4 SchulG werden die Bildungs- und Erziehungsziele der Schule bestimmt, die im Hinblick auf das Recht des jungen Menschen auf eine seiner Begabung, seinen Fähigkeiten und seiner Neigung ent

BVerfGE 98, 218 (251):

sprechende Erziehung und Ausbildung wie auf das Recht der Eltern auf eine Schulbildung ihres Kindes (vgl. Absatz 1) unter anderem darauf gerichtet sind, diesem zu der Fähigkeit zu verhelfen, Verantwortung im privaten, familiären und öffentlichen Leben zu übernehmen und für sich und andere Leistungen zu erbringen (Absatz 3 Satz 2). Die Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten, die zur Erlangung dieser Fähigkeit notwendig sind, vermittelt gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SchulG die Grundschule, die derzeit die Kinder der Beschwerdeführer besuchen. Daß dazu auch Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten im Lesen und Schreiben der deutschen Sprache gehören, hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt. Verfassungsrechtlich sind dagegen Bedenken nicht zu erheben.
bb) Die Vorschriften des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes scheiden als Grundlagen für die Umsetzung der Rechtschreibreform nicht deswegen aus, weil es im Hinblick auf deren Inhalt, Reichweite und Konsequenzen einer besonderen gesetzlichen Regelung bedürfte.
(1) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer zwingt der Vorbehalt des Gesetzes nicht zu einer solchen Regelung.
(a) Dieser Grundsatz verlangt, daß staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, läßt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen (vgl. BVerfGE 40, 237 [248 ff.]; 49, 89 [126 f.]; 95, 267 [307 f.]). Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" (vgl. BVerfGE 47, 46 [79] m.w.N.; 83, 130 [140]) . Die Tatsache, daß eine Frage politisch umstritten ist, führt dagegen für sich genommen nicht dazu, daß diese als wesentlich verstanden werden müßte (vgl. BVerfGE 49, 89 [126]). Zu berücksichtigen ist im übrigen auch, daß

BVerfGE 98, 218 (252):

die in Art. 20 Abs. 2 GG als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten auch darauf zielt, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Dieses Ziel darf nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (vgl. BVerfGE 68, 1 [86 f.]).
(b) Der Vorbehalt des Gesetzes ist - mit diesen Maßgaben - auch auf dem Gebiet des Schulwesens zu beachten (vgl. BVerfGE 34, 165 [192 f.]; 41, 251 [259 f.]; 45, 400 [417 ff.]; 47, 46 [78 ff.]; 58, 257 [268 ff.]). Ob und inwieweit dies Regelungen des parlamentarischen Gesetzgebers erfordert, richtet sich allgemein nach der Intensität, mit der die Grundrechte des Regelungsadressaten durch die jeweilige Maßnahme betroffen sind (vgl. BVerfGE 58, 257 [274]). Speziell in bezug auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist von Bedeutung, ob die Grenzen im Spannungsfeld zwischen dem in Art. 7 Abs. 1 GG vorausgesetzten Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates und dem elterlichen Erziehungsrecht in substantieller Hinsicht zu Lasten des Elternrechts verschoben werden.
(2) Nach diesen Maßstäben ist für die Einführung der neuen Rechtschreibregeln im Schulunterricht der Länder eine besondere gesetzliche Grundlage nicht erforderlich.
(a) Die Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern nach der reformierten Rechtschreibung ist für die Ausübung des Elternrechts nicht von wesentlicher Bedeutung.
(aa) Zwar gehört zum Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auch das Recht, die Sprachkompetenz ihrer Kinder zu fördern, ihnen die Kenntnis der Rechtschreibregeln zu vermitteln und sie zu schriftlicher Kommunikation mit Eltern und Dritten zu befähigen. Rechtschreibunterweisung ist indessen nicht in erster Linie eine Sache der Eltern. Sie hat vielmehr im Spannungsverhältnis zwischen Elternrecht und staatlichem Erziehungsauftrag traditionell eine größere Affinität zum schulischen Bereich als zum Einwirkungsbereich der Eltern (vgl. zu diesem Aspekt BVerfGE 47, 46 [75]). Zumindest seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht

BVerfGE 98, 218 (253):

sind der Rechtschreibunterricht und die Bestimmung seiner Grundlagen vornehmlich eine Aufgabe von Staat und Schule; die Eltern werden bei der Vermittlung richtigen Schreibens, wenn überhaupt, nur begleitend und unterstützend tätig. Auch wenn die Rechtschreibung staatlichen Normen unterliegt, ist die darauf beruhende Rechtschreibunterweisung wertfreie Wissensvermittlung, für die die Schule als darauf vorbereitete und mit entsprechend befähigtem Personal ausgestattete staatliche Einrichtung am ehesten geeignet ist und die deshalb zum typischen Aufgabenbereich dieser Einrichtung gehört (vgl. BVerfGE 47, 46 [75]). Daß Rechtschreibunterricht den Erziehungsplan der Eltern ernsthaft beeinträchtigen könnte, ist nicht ersichtlich.
(bb) An dieser Einschätzung ändert es nichts, daß durch die vorliegende Rechtschreibreform im Schulunterricht Rechtschreibregeln und Schreibweisen eingeführt werden, die nicht nur das Ergebnis einer historisch gewachsenen, vom Staat unbeeinflußten Schreibentwicklung sind und auch nicht lediglich eine sich im gesellschaftlichen Bereich immerhin anbahnende Schreibentwicklung vorwegnehmen, sondern jedenfalls teilweise auf reformerische Entscheidungen staatlicher Entscheidungsträger zurückgehen. Zwar wird dies dazu führen, daß Eltern, die wie die Beschwerdeführer an der traditionellen Rechtschreibung festhalten wollen, (auch) im Umgang mit ihren Kindern mit Schreibweisen konfrontiert werden, die sie für sich und für ihre Kinder ablehnen. Doch sind die Auswirkungen der konkreten Regelungen über die neue Schreibung auf das Elternrecht nicht so gewichtig, daß die Inhalte und Regeln dieser Schreibung durch eine Leitentscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers legitimiert werden müßten. Wie auch die Beschwerdeführer nicht in Abrede stellen, sind die Änderungen, die die Rechtschreibreform bewirkt, im Umfang verhältnismäßig gering; nach der Darstellung in der Stellungnahme der Kultusministerkonferenz, die in diesem Punkt in der mündlichen Verhandlung nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen worden ist, betrifft die Reform quantitativ, abgesehen von der Änderung der bisherigen ß-Schreibung, nur 0,5 vom Hundert des Wortschatzes. Aber auch qualitativ halten sich die Neuregelung und ihre Folgen für die

BVerfGE 98, 218 (254):

schriftliche Kommunikation in engen Grenzen. Nach den Eindrücken, die der Senat in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, besteht kein Anlaß, die von der Einschätzungsprärogative des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur getragene Prognose in Frage zu stellen, auf der Grundlage der neuen Rechtschreibregeln lasse sich das richtige Schreiben der deutschen Sprache leichter erlernen. Dies gilt auch dann, wenn mit den Beschwerdeführern und einem Teil der in der mündlichen Verhandlung gehörten Sprachwissenschaftler davon ausgegangen wird, daß den Vorteilen der Reform auch Nachteile, etwa Erschwernisse im Teilbereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, gegenüberstehen. Unabhängig davon werden Schriftbild und Lesbarkeit von Texten durch die neuen Regeln und Schreibweisen kaum, zumindest nicht in dem Maße beeinträchtigt, daß darunter ernstlich Verständlichkeit und Verständigung litten. Schriftliche Kommunikation ist deshalb weiterhin möglich, und zwar auch zwischen "Altschreibern", die in ihren Texten unverändert die traditionelle Schreibung verwenden, und "Neuschreibern", die den reformierten Schreibweisen folgen. In der mündlichen Verhandlung haben das im Grunde auch die Kritiker der Rechtschreibreform nicht bestritten.
Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, daß die Beschwerdeführer gehindert wären, ihre Kinder, nachdem diese sich die neue Schreibung angeeignet haben, auch mit den traditionellen Schreibweisen vertraut zu machen, ihnen eigene Bücher zum Lesen zu geben und sie an die klassische Literatur in deren ursprünglicher Schreibweise heranzuführen. Da die Unterschiede zwischen herkömmlicher und neuer Rechtschreibung die Lesbarkeit alter wie neuer Texte praktisch nicht beeinträchtigen, kann auch nicht angenommen werden, daß eine auf diesen Unterschieden beruhende Hemmschwelle für Kinder, die Bücher ihrer Eltern zu lesen, nennenswert ins Gewicht fällt. Die Gefahr einer Verunsicherung der Kinder durch die verschiedenen Schreibweisen erscheint ebenfalls als eher gering. Verwechslungen, die im Einzelfall infolge der Konfrontation mit älteren Texten trotzdem unterlaufen, bleiben auch in der Schule auf lange Zeit folgenlos, weil dort bis mindestens Ende

BVerfGE 98, 218 (255):

Juli 2005 bei schriftlichen Leistungsnachweisen bisherige Schreibweisen nicht als Fehler, sondern lediglich als überholt gekennzeichnet werden. Es ist deshalb auch nicht ersichtlich, daß das Interesse der Eltern an möglichst guten Leistungenachweisen ihrer Kinder durch die neue Schreibung beeinträchtigt wird.
Daß die Beschwerdeführer bei der Hausaufgabenbetreuung ihrer Kinder nicht mehr wie bisher allein auf ihr in der Schule erlerntes Schreibwissen zurückgreifen können, sondern sich dabei auf die neue Rechtschreibung einlassen müssen, berührt ihr Erziehungsrecht angesichts des geringen Umfangs der Reform und ihrer Auswirkungen ebenfalls nicht derart schwer, daß sich daraus die Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Fundierung der Rechtschreibreform herleiten ließe. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht erkennbar, inwieweit die elterliche Autorität darunter leiden könnte, daß in der Schule Rechtschreibregeln gelehrt werden, von denen das elterliche Schreibverhalten abweicht. Zum einen ist auch hier zu berücksichtigen, daß die Verwendung der traditionellen Schreibweisen im Schulunterricht bis mindestens Ende Juli 2005 nicht als Fehler gewertet werden wird. Zum anderen bleibt abzuwarten, inwieweit sich in den kommenden Jahren die neue Schreibweise auch bei den Eltern durchsetzen wird. Außerdem entspricht es allgemeiner Erfahrung, daß Wissen und Können von Eltern im Prozeß der Fortentwicklung und Erneuerung von Unterrichtsgegenständen und -inhalten häufig nicht mit dem Schritt halten können, was ihren Kindern in der Schule aktuell gelehrt wird. Eine Autoritätseinbuße der Eltern in der Folge der Rechtschreibreform ist daher bei lebensnaher Betrachtung nicht zu besorgen.
(cc) Einführung und Anwendung der neuen Rechtschreibregeln im Bereich der Schulen sind für das Elternrecht schließlich nicht deshalb wesentlich, weil mit der Umsetzung der Rechtschreibreform im Gefolge einer schul- und bildungspolitischen Grundsatzentscheidung neue Groblernziele (vgl. BVerfGE 47, 46 [83]) festgelegt worden wären.
Wie unter C I 2 d aa schon ausgeführt, ist nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des Oberverwaltungsgerichts in den §§ 4, 11 Abs. 1 Satz 1 SchulG festgelegt, daß zu

BVerfGE 98, 218 (256):

den Zielen des Unterrichts an den Grundschulen die Unterweisung im richtigen Schreiben der deutschen Sprache gehört. Daran ändert sich durch die Rechtschreibreform nichts. Allerdings erhält der Unterrichtsgegenstand, erhalten Rechtschreibregeln und die Schriftsprache selbst infolge der Neuregelung einen teilweise anderen Inhalt. Diese ist jedoch, wie dargelegt, quantitativ wie qualitativ nicht so gewichtig, daß sie einer Änderung bisheriger oder der Festlegung neuer Groblernziele gleichkäme. Jedenfalls für eine Reform dieses Zuschnitts reichen die §§ 4, 11 Abs. 1 Satz 1 SchulG als Grundlagen zur Umsetzung im Bereich der Grundschulen aus. Es ist nicht erkennbar und auch nicht geltend gemacht worden, daß für die anderen Schularten, soweit dort richtiges Schreiben ebenfalls zum Lehr- und Lernstoff gehört, nach den für sie geltenden schulartspezifischen Vorschriften (vgl. §§ 12 ff. SchulG) anderes gelten könnte.
Diese Beurteilung berücksichtigt auch, daß Sachkompetenz und Nähe zur schulischen Praxis die Kultusverwaltungen für die Entscheidung über Notwendigkeit, Inhalt, Ausmaß und Zeitpunkt einer Rechtschreibreform besonders qualifizieren. Wie Rechtschreibregeln und davon gegebenenfalls abweichender Schreibgebrauch unter dem Gesichtspunkt der Erlernbarkeit der Schriftsprache durch Schülerinnen und Schüler zu beurteilen sind, ob und auf welche Weise Vereinfachungen für das Schreibenlernen in den Schulen herbeigeführt werden können, ohne daß die Lesbarkeit von Texten wesentlich beeinträchtigt wird, und wie gegebenenfalls neue Rechtschreibregeln und Schreibweisen in den Schulunterricht eingeführt werden sollten, sind pädagogische, sprachwissenschaftliche und schulpraktische Fragen, für deren Beantwortung die zuständigen Fachverwaltungen grundsätzlich besser ausgerüstet erscheinen als die Landesparlamente und deren Behandlung deshalb auch in der Vergangenheit nahezu ausschließlich der Exekutive anvertraut war.
(b) Die Erteilung von Rechtschreibunterricht nach den neuen Regeln ist auch für die Grundrechtsausübung der betroffenen Schülerinnen und Schüler nicht in dem Sinne wesentlich, daß dafür eine parlamentarische Leitentscheidung herbeigeführt werden müßte.
(aa) Zwar werden durch die Erlaßregelung des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums vom 5. November 1996 auch Grund

BVerfGE 98, 218 (257):

rechte der die Schule besuchenden Kinder berührt. Diese haben nach Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit auch im Bereich der Schule und damit Anspruch auf eine Entfaltung ihrer Anlagen und Befähigungen im Rahmen schulischer Ausbildung und Erziehung (vgl. BVerfGE 45, 400 [417]; Senatsbeschluß vom 8 Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 - NJW 1998, S. 131 [132]). Außerdem können sie nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verlangen, daß der Staat bei der Festlegung der Unterrichtsinhalte auf ihr Persönlichkeitsrecht Rücksicht nimmt (vgl. BVerfGE 47, 46 [69, 73 f., 75]). Auch diese Rechte stehen in einer Spannungslage zu dem Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates nach Art. 7 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 47, 46 [74]), indem sie einerseits Beschränkungen hinnehmen müssen, die durch diesen Auftrag gerechtfertigt sind, andererseits aber ihrerseits die auf Art. 7 Abs. 1 GG beruhenden staatlichen Befugnisse begrenzen (vgl. Senatsbeschluß vom 8. Oktober 1997 a.a.O.). Hier in den Grundzügen den notwendigen Ausgleich herzustellen, ist ebenfalls Sache des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 47, 46 [80]).
(bb) Der Gesetzgeber des Landes Schleswig-Holstein hat sich dieser Aufgabe im Schulgesetz auch mit Blick auf die Schülergrundrechte bereits in ausreichendem Maße unterzogen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung die Freiheit der Schülerinnen und Schüler zur Entfaltung ihrer individuellen Anlagen und Fähigkeiten sowie ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht eingeschränkt werden. Auch wenn man eine Grundrechtsbeschränkung annimmt, war eine über die Vorschriften des Landesschulrechts hinausgehende gesetzliche Regelung für die Umsetzung der Rechtschreibreform nicht erforderlich.
Dazu kann im wesentlichen auf die Ausführungen unter C I 2 d bb zur Bedeutung und zu den Konsequenzen der Reform für das elterliche Erziehungsrecht Bezug genommen werden. Diese Ausführungen gelten in weitem Umfang sinngemäß auch für die Grundrechtsausübung der durch die neuen Rechtschreibregeln und Schreibweisen betroffenen Schülerinnen und Schüler. Entscheidend ist auch

BVerfGE 98, 218 (258):

hier, daß nach den verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Annahmen der Kultusverwaltung die Neuregelung auf seiten der Schüler zum erleichterten Erlernen der Schriftsprache fuhren wird, Lesbarkeit und Verständlichkeit nach den neuen Regeln geschriebener Texte nicht ernsthaft beeinträchtigt werden und die Kommunikation der nach diesen Regeln ausgebildeten Schüler auch mit solchen Personen möglich bleibt, die weiter die traditionellen Schreibweisen bevorzugen. Schulanfänger werden darüber hinaus durch die Reform nicht einmal zu einem Umlernen gezwungen.
(c) Wesentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung zum Vorbehalt des Gesetzes erlangt die Umsetzung der Rechtschreibreform im Bereich der Schulen schließlich auch nicht im Hinblick auf die Grundrechtsausübung Dritter. Insbesondere erfordern die wirtschaftlichen Folgen der Reform für Verlage und sonstige Wirtschaftsunternehmen keine spezialgesetzliche Grundlage für Einführung und Anwendung der neuen Regeln und Schreibweisen. Durch die Neuregelung wird weder die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG noch die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete wirtschaftliche Betätigungsfreiheit berührt.
(aa) Art. 12 Abs. 1 GG schützt nur vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Es genügt also nicht, daß eine Regelung oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstatigkeit entfaltet. Ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit liegt vielmehr erst vor, wenn die Regelung, gegen deren Erlaß oder Anwendung sich der Einzelne wendet, berufsregelnde Tendenz hat (vgl. BVerfGE 95, 267 [302] m.w.N.).
Daran fehlt es hier. Zwar wirkt sich, wie die schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und des Verbands der Schulbuchverlage gezeigt haben, die Rechtschreibreform in vielfältiger Weise auch auf die berufliche Tätigkeit aus. Insbesondere Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenverlage müssen darüber befinden, ob, in welchem Umfang und ab wann sie ihre Publikationen in alter oder neuer Schreibung drucken und auf dem Markt zum Erwerb anbieten wollen. Entsprechendes gilt für Presseagenturen, Hersteller von Rechtschreibpro

BVerfGE 98, 218 (259):

grammen und alle Unternehmen und Betriebe, die intern wie extern ihren Geschäftsverkehr auf EDV-Basis abwickeln. Entschließen sie sich zur Umstellung ihrer Produkte und Programme auf die reformierten Schreibweisen, hat das nicht nur erhebliche Investitionskosten zur Folge, sondern auch Auswirkungen auf interne Betriebsabläufe sowie Absatzplanung, Kundenwerbung oder Personalschulung. Das gibt der Rechtschreibreform jedoch keinen berufsregelnden Charakter. Diese bleibt vielmehr auf den Unterricht in den Schulen ausgerichtet und löst kraft der ihr zugedachten Vorbildfunktion lediglich mittelbar Folgewirkungen in allen mit der Schriftsprache befaßten oder konfrontierten Bereichen aus. Bei Unternehmen wie den genannten Verlagen verändern sich dadurch Marktdaten und Rahmenbedingungen, was neue unternehmerische Entscheidungen erfordert. Gegen solche Veränderungen des Marktgeschehens schützt das Grundrecht der Berufsfreiheit nicht, selbst wenn sie vom Staat ausgehen (vgl. BVerfGE 37, 1 [17 f.]).
(bb) Auch Art. 2 Abs. 1 GG ist insoweit nicht berührt. Zwar genießt danach als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die wirtschaftliche Betätigung grundrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 91, 207 [221] m.w.N.). Doch wird die wirtschaftliche Handlungsfreiheit nur durch Maßnahmen betroffen, die auf Beschränkung wirtschaftlicher Entfaltung sowie Gestaltung, Ordnung oder auch Lenkung des Wirtschaftslebens angelegt sind oder sich in diesem Sinne auswirken (vgl. BVerfGE 50, 290 [366]; 91, 207 [221]). Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Einführung der Rechtschreibreform im Schulunterricht läßt die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der Unternehmen, auf deren wirtschaftliche Betätigung sie zurückwirkt, unberührt. Diese sind nicht gehindert, sich unter Abwägung der damit jeweils verbundenen wirtschaftlichen Chancen und Risiken für oder gegen eine Umstellung ihrer Produkte und Unternehmensabläufe auf die neue Rechtschreibung zu entscheiden. Soweit sich dies bei Schulbuchverlagen aufgrund deren besonderer Marktstellung anders verhält, ist zu berücksichtigen, daß Art. 2 Abs. 1 GG dem Grundrechtsträger keinen Anspruch darauf verleiht, für das Ergebnis wirtschaftlicher Betätigung einen Abnehmer zu finden.


BVerfGE 98, 218 (260):

e) Die Einführung der neuen Rechtschreibung an den Schulen des Landes Schleswig-Holstein verletzt auch in sachlicher Hinsicht das Erziehungsrecht der Beschwerdeführer nicht.
Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG wird durch die Reform jedenfalls nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Das Ziel, das Erlernen richtigen Schreibens durch Vereinfachung der Rechtschreibregeln und Schreibweisen zu erleichtern, ist ein Gemeinwohlbelang, durch den die Neuregelung verfassungsrechtlich hinreichend gerechtfertigt ist. Nach vertretbarer Einschätzung des Landes ist die Rechtschreibreform geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Durch die Anwendung der neuen Rechtschreibung im Schulunterricht werden die Eltern bei der Ausübung ihres Erziehungsrechts auch nicht unangemessen beeinträchtigt. Das ist bereits oben zum Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes ausgeführt worden (vgl. C I 2 d bb).
Ob und inwieweit die Beschwerdeführer nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auch geltend machen können, daß die Unterrichtung ihrer Kinder nach den neuen Rechtschreibregeln die Kinder selbst unverhältnismäßig belaste, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls sind Anhaltspunkte dafür, daß die Umsetzung der Neuregelung für Schülerinnen und Schüler unzumutbare Konsequenzen haben könnte, im Verfahren nicht hervorgetreten. Die Rechtschreibänderungen fallen quantitativ und qualitativ nicht besonders ins Gewicht (vgl. C I 2 d bb), und der Erlaß vom 5. November 1996 enthält Übergangsregelungen, die den Belangen der Schüler angemessen Rechnung tragen.
Danach wird in der Zeit bis zum 31. Juli 1998 die neue Schreibung neben der alten als korrekt akzeptiert und vorrangig verwendet. Die Verwendung bisheriger - im Erlaß als überholt bezeichneter - Schreibweisen wird also nicht untersagt, wenn auch nicht mehr geübt und - so gesehen - nur noch geduldet. Dem entspricht es, daß bei der Beurteilung schriftlicher Leistungsnachweise nur solche Schreibungen als Fehler gewertet werden, die auch nach der Neuregelung nicht zulässig sind. Auch schriftliche Arbeiten in traditioneller Schreibung führen demnach nicht zu Nachteilen für Schülerinnen und Schüler. Im Ergebnis wird daran auch für die Zeit vom 1.

BVerfGE 98, 218 (261):

August 1998 bis zum 31. Juli 2005 festgehalten, weil der Erlaß für diese zweite Übergangsphase vorsieht, daß bisherige Schreibweisen weiterhin nicht als falsch, sondern lediglich als überholt gekennzeichnet, allerdings nunmehr bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen ergänzt werden. Erst vom 1. August 2005 an sollen danach die neuen Rechtschreibregeln und Schreibweisen in den Schulen in dem Sinne verbindlich werden, daß Abweichungen davon in schriftlichen Leistungsnachweisen sich auf die Benotung negativ auswirken. Doch soll auch dies nur der Fall sein, wenn die Kultusministerkonferenz von der in dem Beschluß vom 30. November/1. Dezember 1995 vorbehaltenen Möglichkeit, die Übergangsfrist zu verlängern, keinen Gebrauch macht. Auch diese Regelung zeigt, daß Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein behutsam und schonend in einer langen Phase des durch das Nebeneinander von alter und neuer Schreibung gekennzeichneten Übergangs an die letztere herangeführt werden sollen.
Überdies sieht Art. 3 der Wiener Absichtserklärung eine ständige Beobachtung der Sprachentwicklung durch die Zwischenstaatliche Kommission füx die deutsche Rechtschreibung vor, die erforderlichenfalls Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks zu erarbeiten hat.
II.
Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen auch nicht gegen die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 1 Abs. 1 GG.
Das folgt, soweit die Beschwerdeführer mit der Rüge einer Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit und des Rechtsstaatsprinzips wiederum die Außerachtlassung des Gesetzesvorbehalts geltend machen wollen, aus den vorstehenden Ausführungen unter C I. Im übrigen kann offenbleiben, ob das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen einen Anspruch darauf gewährt, weiterhin so schreiben zu dürfen, wie dies bisheriger Übung der Schreibgemeinschaft entspricht. Denn jedenfalls würde in ein derartiges Recht durch die dem Runderlaß des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums zugrunde liegende Neuregelung der deutschen Rechtschreibung nicht eingegriffen.
Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben. Auch durch die faktische Breitenwirkung, die die Reform voraussichtlich entfaltet, werden sie daran nicht gehindert. Dies liegt für die Zeit bis zum 31. Juli 2005, dem Ende der für die Umsetzung der Rechtschreibreform an den Schulen geltenden regulären Übergangsfrist, auf der Hand. Solange bisherige Schreibweisen selbst im Schulunterricht nicht als falsch gelten, sondern nur als überholt gekennzeichnet werden, kann deren Verwendung auch in der allgemeinen Schreibgemeinschaft nicht zu negativen Beurteilungen führen.
Aber auch für die Zeit nach dem 31. Juli 2005 ist nicht erkennbar, daß ein Festhalten an den überkommenen Schreibweisen für den Schreibenden mit gesellschaftlichem Ansehensverlust oder sonstigen Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentfaltung verbunden sein könnte. Die Schriftsprache wird sich wie bisher trotz bestehender amtlicher Regeln weiterentwickeln. Traditionelle Schreibweisen werden sich noch längere Zeit erhalten und, wie dies schon im ersten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung vom Januar 1998 für eine Reihe von Fällen vorgeschlagen worden ist, als Schreibvarianten neben den reformierten Schreibweisen verwendet werden. Allenfalls auf lange Sicht läßt sich vorstellen, daß einzelne Schreibweisen von neuen - im hier behandelten Regelwerk enthaltenen oder später hinzugetretenen - abgelöst werden, sofern sich diese im Schreibusus der Schreibgemeinschaft durchsetzen. Es ist unter diesen Umständen nicht erkennbar, inwieweit durch die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Grundrechte derjenigen, die ihrer Schreibung die alten Regeln und Schreibweisen zugrunde legen wollen, beeinträchtigt werden könnten.


BVerfGE 98, 218 (263):

III.
Schließlich ist auch der Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Das Oberverwaltungsgericht hat gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht verstoßen.
1. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, daß das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfGE 83, 24 [35]; 86, 133 [144 f.] m.w.N.).
2. Nach diesen Maßstäben ist der angegriffene Beschluß des Oberverwaltungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Oberverwaltungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung die Bedeutung der Rechtschreibreform für die Spracherziehung in der Schule gewürdigt. Es hat die künftige Rechtschreibung in Beziehung gesetzt zum Schulauftrag nach den §§ 4 und 11 SchulG und für die Unbedenklichkeit der schulischen Einführung "einer künftig geltenden Schreibweise der deutschen Sprache" im Erlaßwege darauf abgestellt, daß sich die Schule lediglich allgemein zu erwartenden Rechtschreibänderungen anpasse. Dazu hat das Oberverwaltungs

BVerfGE 98, 218 (264):

gericht ausgeführt, daß es der Rechtschreibreform nicht nur um eine Änderung der Schreibweise im Unterricht und in der Amtssprache, sondern um eine Reform der Schreibweise der deutschen Sprache im deutschen Sprachraum überhaupt gehe und daß nach der nicht zu beanstandenden Prognose der Kultusverwaltung die Rechtschreibreform die für eine Sprachgeltung notwendige allgemeine Akzeptanz finden werde. Das Oberverwaltungsgericht hat die Bedeutung dieser Reform für den Schulunterricht also darin gesehen, daß sich an dessen Ziel, Schülern die allgemein üblichen Rechtschreibkenntnisse zu vermitteln, nichts ändern werde. Diese Auffassung liegt nicht so fern, daß es die Beteiligten vor dem Erlaß der angegriffenen Entscheidung darauf hätte hinweisen müssen.
b) Es bedurfte auch keines Hinweises auf die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, für die Einführung der Rechtschreibreform an den Schulen sei ein Parlamentsgesetz nicht erforderlich, weil Rechtschreibung im deutschen Sprachraum nicht auf Rechtsnormen, sondern auf sprachlichen und damit außerrechtlichen Regeln beruhe. Daß Sprache und Schrift dem Einzelnen vorgegeben seien, nicht auf staatlichem Hoheitsakt beruhten und vorgesetzlichen Charakter hätten, ist in die rechtliche Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform nicht erst durch den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts eingebracht worden. Es war dies vielmehr ein im Laufe dieser Auseinandersetzung schon vorher vorgebrachtes Argument (vgl. etwa Kissel, NJW 1997, S. 1097 [1100 f.]). Die Beschwerdeführer konnten und mußten deshalb damit rechnen, daß dieser Gesichtspunkt auch für die Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bedeutung erlangen könnte.
 
D.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Papier, Grimm, Kühling, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner